Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 193/2007
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9C_193/2007

Urteil vom 11. Januar 2008
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.

KPT/CPT Krankenkasse, Tellstrasse 18, 3014 Bern,
Beschwerdeführerin,

gegen

S.________, Beschwerdegegner.

Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St.
Gallen
vom 15. März 2007.

Sachverhalt:

A.
S. ________, geboren 1949 und wohnhaft im Kanton St. Gallen, ist bei der
KPT/CPT Krankenkasse (nachfolgend: KPT) gesetzlich für Krankenpflege
versichert. Der behandelnde Arzt Dr. med. H.________, Facharzt FMH für
Allgemeine Medizin mit Fähigkeitsausweis für psychosomatische und
psychosoziale Medizin APPM, wies ihn mit Zeugnis vom 21. Dezember 2005 mit
einem spätesten Eintrittstermin am 9. Januar 2006 in die im Kanton Appenzell
Ausserrhoden gelegene Fachklinik für kardiale und psychosomatische
Rehabilitation X.________ ein. Nach dessen Angaben litt er an einer
mittelschweren depressiven Episode bei grosser psychosozialer Belastung und
Gefahr psychischer Dekompensation bei einer klassischen Burnout-Situation.
Mit Schreiben vom 5. Januar 2006 lehnte die KPT das von der Klinik am
4. Januar 2006 gestellte Gesuch um Kostengutsprache für einen vierwöchigen
Rehabilitationsaufenthalt ab 9. Januar 2006 im Wesentlichen mit der
Begründung ab, bei S.________ liege keine akute Rehabilitationsbedürftigkeit
vor und das ambulante Behandlungspotenzial sei nicht ausreichend ausgeschöpft
worden. Am 9. Januar 2006 hielt die Kasse nach Rücksprache mit ihrem
Vertrauensarzt Dr. med. B.________, Facharzt FMH für Innere Medizin, an der
Ablehnung der Kostenübernahme fest. S.________ trat am 12. Januar 2006
dennoch zur stationären Rehabilitationsbehandlung in die Klinik ein, wo er
sich bis am 28. Januar 2006 aufhielt. Mit Verfügung vom 21. Februar 2006 und
Einspracheentscheid vom 23. Mai 2006 stellte die KPT fest, dass die
Voraussetzungen für die Erteilung einer Kostengutsprache für einen
stationären Rehabilitationsaufenthalt nicht erfüllt gewesen seien, und
entschied, die entsprechenden "Hotelleriekosten" könnten aus der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht zurückerstattet werden.
Hingegen erklärte sie sich bereit, die Kosten einer ambulanten Behandlung zu
übernehmen.

B.
S.________ erhob Beschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
und beantragte, die KPT sei zu verpflichten, die Kosten "für den stationären
und ambulanten Klinikaufenthalt" ab dem 12. Januar 2006 vollumfänglich zu
übernehmen. Das kantonale Gericht hiess die Beschwerde gut und hob den
Einspracheentscheid vom 23. Mai 2006 auf; es verpflichtete die KPT, für den
stationären Aufenthalt in der Klinik X.________ vom 12. bis 28. Januar 2006
die gesetzlichen Leistungen zu erbringen (Entscheid vom 15. März 2007).

C.
Die KPT führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides.

S. ________ beantragt Abweisung der Beschwerde. Vorinstanz und Bundesamt für
Gesundheit verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Übernahme der Kosten des
stationären Aufenthaltes in der Klinik X.________ vom 12. bis 28. Januar
2006. Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen betreffend den Umfang
der Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Grundsatz
(Art. 24 in Verbindung mit Art. 32-34 KVG) und insbesondere bei ärztlich
durchgeführten oder angeordneten Massnahmen der medizinischen Rehabilitation
(Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG) und bei stationärem Spitalaufenthalt (Art. 25
Abs. 2 lit. e KVG) sowie die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der
Leistungspflicht für die stationäre Durchführung von Massnahmen der
medizinischen Rehabilitation zutreffend wiedergegeben (BGE 126 V 323 E. 2c
und d S. 326, 120 V 200 E. 6a S. 206; RKUV 1994 S. 180 und 187).

3.
Wie in BGE 126 V 323 E. 2c - in Abgrenzung zu den nicht kassenpflichtigen
Erholungskuren - ausgeführt, wird der Begriff der medizinischen
Rehabilitation im Sinne von Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG im Gesetz nicht näher
umschrieben. Nach Gebhard Eugster (Krankenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Rz. 403 ff.
S. 530) besteht das besondere Merkmal der medizinischen Rehabilitation darin,
dass die Behandlung der Krankheit an sich abgeschlossen ist und
Therapieformen zur Nachbehandlung von Krankheiten zur Anwendung gelangen. Die
medizinische Rehabilitation schliesst an die eigentliche Krankheitsbehandlung
an und bezweckt, die durch die Krankheit oder die Behandlung selbst bewirkte
Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit mit Hilfe
medizinischer Massnahmen ganz oder teilweise zu beheben, oder sie dient
insbesondere bei Chronischkranken der Erhaltung und allenfalls Verbesserung
des verbliebenen Funktionsvermögens. Sie kann ambulant, teilstationär, in
einer Kuranstalt, in einem Pflegeheim oder in einer spezialisierten
Rehabilitationsklinik erfolgen, wobei im letzteren Fall eine
Spitalbedürftigkeit vorausgesetzt ist, welche nach der notwendigen
Behandlungsintensität, dem Behinderungsgrad, der Pflegebedürftigkeit und der
Schwere des Hauptleidens oder zusätzlich komplizierender Krankheiten zu
beurteilen ist. Als wirtschaftlich gilt mit Bezug auf den Durchführungsort
grundsätzlich die jeweils kostengünstigere Alternative (Eugster, a.a.O.,
Rz. 405 S. 531).

4.
Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich
festgestellt, dass die Klinik X.________ kein Akutspital ist und beim
Beschwerdeführer kein Notfall gegeben war, dass psychosomatische Symptome
bzw. ein psychophysischer Erschöpfungszustand vorlagen, wobei für die
Burnout-Situation kein familiärer, sondern ein beruflicher Hintergrund
bestand, dass weder vom behandelnden Arzt noch von den Ärzten der Klinik
X.________ eingehend dargelegt worden ist, warum das ambulante
Behandlungspotenzial als ausgeschöpft zu betrachten war. Daraus ist nach dem
eben Dargelegten (E. 3) zu folgern, dass kein Anspruch auf
krankenversicherungsrechtliche Vergütung der stationären medizinischen
Rehabilitation bestand.

5.
Das kantonale Gericht begründet seinen entgegengesetzten Entscheid im
Wesentlichen damit, der Vertrauensarzt habe die Notwendigkeit einer
Akuthospitalisation im Schreiben vom 18. Mai 2006 nicht grundsätzlich in
Frage gestellt. Diese Aussage ist insofern aktenwidrig, als Dr. med.
B.________ im Hinblick auf den zu treffenden Einspracheentscheid gegenüber
der Beschwerdeführerin erklärt hat, bei einer vom behandelnden Arzt
angegebenen schweren depressiven Episode sei von einem psychiatrischen und
nicht von einem psychosomatischen Leiden auszugehen und eine
Akuthospitalisation zweckmässig und notwendig; offenbar sei aber beim
Versicherten die Indikation dazu nicht gegeben gewesen, wenn man an der
"Option X.________" festgehalten habe. Man könne daraus schliessen, dass es
sich nicht um ein schweres Krankheitsbild handle und die Begleitumstände
(psychosoziale Belastung am Arbeitsplatz) von überwiegender Bedeutung waren.
Diese Indikation erfordere in erster Linie eine Entfernung vom Arbeitsplatz,
wie sie von Seiten der Versicherung empfohlen und mit einer Kostengutsprache
für einen Erholungsaufenthalt gutgeheissen worden sei. Eine stationäre
Unterbringung sei nicht gerechtfertigt, hingegen die Kostenübernahme aller
Behandlungen während dieser Zeit.
Der Vertrauensarzt stellte damit, entgegen der Interpretation der Vorinstanz,
die Notwendigkeit einer Akuthospitalisation grundsätzlich in Frage und ging
gerade davon aus, dass hier keine solche notwendig sei. Auch trifft es
entgegen der Darstellung der Vorinstanz nicht zu, dass die Schlussfolgerung
des Vertrauensarztes, wonach es sich nicht um ein schweres Krankheitsbild
handle, nicht begründet war. Denn dieser hat klar dargelegt, dass eine
Einweisung in ein psychiatrisches Akutspital hätte erfolgen müssen, wenn es
sich um ein schweres Krankheitsbild gehandelt hätte, und die Klinik
X.________ dies eben gerade nicht ist. Der Streit dreht sich denn auch nicht
um die Kosten für eine Akutbehandlung, sondern um diejenigen einer
stationären Rehabilitation. Der Umstand, dass der behandelnde Arzt nicht in
ein Akutspital, sondern in eine Rehabilitationsklinik einwies, belegt, dass
keine Akutspitalbedürftigkeit gegeben war. Die Tatsache, dass gemäss Zeugnis
der Ärzte der Klinik X.________ vom 12. Januar 2006 beim Beschwerdeführer
rehabilitative Massnahmen dringend indiziert waren, bezeugt zwar die
Notwendigkeit solcher Massnahmen, ist aber kein Beleg dafür, dass diese
Massnahmen nur stationär erfolgen konnten.

6.
Nach dem Gesagten hat die Beschwerdeführerin die Kostengutsprache für den
stationären Aufenthalt zu Recht mit der Begründung verweigert, es liege keine
akute Rehabilitationsbedürftigkeit vor und das ambulante Behandlungspotenzial
sei nicht ausreichend ausgeschöpft worden; sie durfte fordern, dass vor einer
Rehabilitation eine Krankheitsbehandlung vorliegen muss, und dass
nachgewiesen ist, dass eine ambulante Rehabilitation nicht ausreicht. Dass
sie die Kosten der ambulanten rehabilitativen Massnahmen übernommen hat, ist
nicht bestritten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons St. Gallen vom 15. März 2007 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 11. Januar 2008

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Meyer Schmutz