Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 190/2007
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9C_190/2007

Urteil vom 24. September 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

H. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Gerhard Lanz,
Kirchenfeldstrasse 68, 3005 Bern,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom
7. März 2007.

Sachverhalt:

A.
H. ________, geboren 1960, meldete sich am 28. Juni 2004 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern tätigte
medizinische und berufliche Abklärungen, wobei sie unter anderem ein
psychiatrisches Gutachten einholen liess, welches Dr. med. G.________,
Psychiatrie/Psychotherapie FMH, am 21. Mai 2005 erstattete. Im
Abklärungsbericht hielt der Sachbearbeiter am 21. September 2005 fest, das
Gutachten liesse eigentlich keine Fragen offen; gleichwohl sei noch der
Fragebogen für Arbeitgeber einzuholen. Am 11. November 2005 ging dieser
Bericht bei der IV-Stelle ein. Am 12. Juli 2006 liess H.________ eine volle
Rente ab Juli 2004 beantragen und ersuchte um einen Entscheid bis 15. August
2006. Am 16. August 2006 beanstandete er das Zuwarten und setzte der
IV-Stelle eine Frist bis 6. September 2006, andernfalls er
Rechtsverzögerungsbeschwerde einreichen lassen werde. Die Beschwerdegegnerin
reagierte darauf weder schriftlich noch mündlich.

B.
Am 3. Oktober 2006 liess H.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern
Rechtsverzögerungsbeschwerde erheben. Am 5. Oktober 2006 erliess die
IV-Stelle einen Vorbescheid, mit dem sich H.________ einverstanden erklärte,
worauf ihm die IV-Stelle mit Verfügung vom 14. Februar 2007 ab 1. Juli 2004
eine ganze Rente zusprach. Das Verwaltungsgericht schrieb daraufhin das
Verfahren betreffend Rechtsverzögerung mit Entscheid vom 7. März 2007 als
gegenstandslos geworden ab (Dispositiv-Ziff. 1), sprach H.________ keine
Parteientschädigung zu (Ziff. 2) und überband ihm unter Verrechnung mit dem
Kostenvorschuss die Gerichtskosten (Ziff. 3).

C.
H.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, in Aufhebung von Ziffer 2
des angefochtenen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihm eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren zu entrichten. Zur Festlegung
der Höhe der Parteientschädigung sei die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Weiter beantragt H.________, in Aufhebung von Ziff. 3 sei ihm
der geleistete Gerichtskostenvorschuss von Fr. 300.- zurückzuerstatten.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt
für Sozialversicherungen auf eine Stellungnahme verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann nach Art.
95 lit. a BGG die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der
Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer einerseits Anspruch auf
Ersatz der Parteikosten für das gegenstandslos gewordene vorinstanzliche
Beschwerdeverfahren hat und anderseits, ob ihm dafür die Verfahrenskosten
auferlegt werden können.

3.
3.1 Nach Art. 61 lit. g ATSG hat die obsiegende Beschwerde führende Person
Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Dieser Anspruch besteht auch unter den
nachfolgend darzulegenden Voraussetzungen bei Eintritt der
Gegenstandslosigkeit des kantonalen Beschwerdeverfahrens (SVR 2004 AlV Nr. 8
S. 21).

3.2 Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen
Interesses dahin, entscheidet das Bundesgericht mit summarischer Begründung
über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor Eintritt des
Erledigungsgrundes (Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 72 BZP). Bei der
Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist somit in erster Linie
auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen (BGE 125 V 373 E. 2a
S. 374). Dabei geht es nicht darum, die Prozessaussichten im Einzelnen zu
prüfen und dadurch weitere Umtriebe zu verursachen. Vielmehr muss es bei
einer knappen Beurteilung der Aktenlage sein Bewenden haben. Auf dem Weg über
den Kostenentscheid soll nicht ein materielles Urteil gefällt und unter
Umständen der Entscheid in einer heiklen Rechtsfrage präjudiziert werden.
Lässt sich der mutmassliche Ausgang eines Verfahrens im konkreten Fall nicht
ohne weiteres feststellen, ist auf allgemein zivilprozessrechtliche Kriterien
zurückzugreifen. Danach wird in erster Linie jene Partei kosten- und
entschädigungspflichtig, die das gegenstandslos gewordene Verfahren
veranlasst oder bei der die Gründe eingetreten sind, die zur
Gegenstandslosigkeit des Verfahrens geführt haben (SVR 1998 UV Nr. 11 S. 33
E. 6a mit Hinweisen). Diese Grundsätze gelten auch für das erstinstanzliche
Gerichtsverfahren (Art. 61 lit. g ATSG; SVR 2004 AlV Nr. 8 S. 21 E. 3.1).

4.
4.1 Das kantonale Gericht kommt aufgrund einer summarischen Prüfung der Akten
zum Schluss, dass der Beschwerdegegnerin im Rahmen der Abklärungen nichts
vorzuwerfen sei; sie habe diese jeweils innert nützlicher Frist fortgesetzt.
Ob dies angesichts der aktenkundigen Tatsache, dass das Verfahren mit Eingang
des psychiatrischen Gutachtens am 25. Mai 2005 an sich spruchreif gewesen
wäre (die Einholung eines Arbeitgeberberichtes war überflüssig) und damit ab
diesem Zeitpunkt bis zur Einreichung der Rechtsverzögerungsbeschwerde 16
Monate verstrichen waren, zutrifft, kann offen bleiben. Im Lichte der zur
Dauer des erstinstanzlichen Gerichtsverfahren entwickelten Rechtsprechung
(siehe dazu BGE 125 V 373 E. 2a S. 375; Urteile M. vom 16. Juli 1999, I
314/99, I. vom 31. März 1999, I 170/99, H. vom 31. Dezember 1998, I 582/89
und V. vom 25. Februar 1998, I 10/98) würde es sich hier bei einer gesamten
Verfahrensdauer von 27 Monaten und einer Behandlungsreife von 16 Monaten
jedenfalls um einen Grenzfall handeln. Ob diese Praxis auch für das
Administrativverfahren anwendbar ist, hat indessen das Bundesgericht bisher
noch nie entscheiden müssen. Im Urteil S. vom 23. März 2004 hat es lediglich
festgehalten, dass eine Dauer von 15 Monaten infolge des besonderen
Abklärungsbedarfs keine Rechtsverzögerung darstelle. Der mutmassliche Ausgang
des Verfahrens lässt sich somit aufgrund einer summarischen Betrachtung nicht
ohne weiteres feststellen.

4.2 Für den Entscheid über die Kosten- und Entschädigungsfolgen sind daher
wie in E. 3.2 dargelegt die beiden anderen Kriterien heranzuziehen. Unter
diesem Gesichtswinkel fällt der Entscheid klar zu Gunsten des
Beschwerdeführers aus. Auch wenn die Verfahrensleitung im Abklärungsverfahren
bei der IV-Stelle liegt (siehe Art. 43 ATSG und Art. 57 IVG) und daher eine
Fristansetzung durch einen Versicherten als eher unüblich zu bezeichnen ist,
ist es durchaus nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nach zwei
erfolglosen Mahnungen, auf die weder eine mündliche noch schriftliche
Reaktion durch die Beschwerdegegnerin erfolgte, die diesem Verfahren zu
Grunde liegende Rechtsverzögerungsbeschwerde eingereicht hat. Die
Beschwerdegegnerin hat im Übrigen mit Erlass des Vorbescheides bzw. der
rentenzusprechenden Verfügung auch die Gründe gesetzt, die schliesslich zur
Gegenstandslosigkeit des Rechtsverzögerungsverfahrens geführt haben. Der
Beschwerdeführer hat demgegenüber seine Mitwirkungspflichten im kantonalen
Verwaltungsverfahren (siehe dazu SVR 2007 IV Nr. 2 S. 6 E. 4, mit Hinweisen)
erfüllt und daher  im kantonalen Gerichtsverfahren Anspruch auf
Parteientschädigung. Dementsprechend können ihm dafür auch keine
Gerichtskosten auferlegt werden.

5.
Bei diesem Ausgang kann die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage offen
bleiben, ob betreffend Verfahrenskosten für Rechtsverzögerungsbeschwerden im
kantonalen Gerichtsverfahren Art. 61 lit. a ATSG (Kostenlosigkeit des
Verfahrens vor dem kantonalen Versicherungsgericht) der seit 1. Juli 2006 in
Kraft stehenden Bestimmung von Art. 69 Abs. 1bis IVG (Kostenpflicht vor dem
kantonalen Versicherungsgericht bei Streitigkeiten um Bewilligung oder die
Verweigerung von IV-Leistungen) vorgeht oder nicht.

6.
Die Gerichtskosten sind der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen
(Art. 65 Abs. 4 lit. a und Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Dispositiv-Ziffern 2 und 3 des
Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 7. März 2007 werden
aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
zurückgewiesen, damit es die Höhe der Parteientschädigung für das kantonale
Verfahren festlege und dem Beschwerdeführer den Kostenvorschuss von Fr. 300.-
zurücker-statten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV Ausgleichskasse Gastrosuisse, Aarau,
dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 24. September 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: