Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 158/2007
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9C_158/2007

Urteil vom 2. November 2007
II. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Seiler,
Gerichtsschreiber Maillard.

L. ________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf Sutter, Toggenburgerstrasse 24, 9500 Wil,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Thurgau,
St. Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau
vom 13. März 2007.

Sachverhalt:

A.
L. ________ ist als Psychologin und Psychotherapeutin selbstständig
erwerbstätig und freiwillig bei der Vorsorgestiftung X.________
berufsvorsorgeversichert. In den Jahren 2002 und 2003 leistete sie für den
Einkauf von Versicherungsjahren Einmaleinlagen von Fr. 60'000.- (2002) und
Fr. 90'000.- (2003). Mit Nachtragsverfügungen vom 8. August 2005 setzte die
Ausgleichskasse des Kantons Thurgau die persönlichen AHV/IV/EO-Beiträge auf
der Grundlage des von der Steuerverwaltung am 13. April 2005 gemeldeten
Einkommens von Fr. 78'487.- (2002) und Fr. 51'825.- (2003) fest. Auf
Einsprache hin sistierte die Ausgleichskasse das Verfahren bis zum Vorliegen
eines rechtskräftigen Entscheids der Steuerbehörde. Am 3. Juli 2006
anerkannte das Kantonale Steueramt in Gutheissung der Einsprache zwar die
steuerliche Abzugsfähigkeit der in den Jahren 2002 und 2003 getätigten
Einkäufe unter dem Titel Beiträge für berufliche Vorsorge, nicht aber die
hälftige Anrechnung derselben zulasten der Geschäftsbuchhaltung, weshalb das
Einkommen aus selbstständigem Haupterwerb korrekt festgelegt worden sei.
Daraufhin bestätigte die Steuerbehörde am 9. August 2006, dass die
ursprüngliche Meldung unverändert bleibe, worauf die Ausgleichskasse die
Einsprache am 13. November 2006 abwies, wobei sie für die Einmaleinlagen
keinen Abzug zuliess.

B.
Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau bejahte zwar die
Abzugsfähigkeit der Hälfte der Einmaleinlagen, wies die Beschwerde mit
Entscheid vom 13. März 2007 aber trotzdem ab, da durch die nur hälftige
Aufrechnung in den Jahresrechnungen im Ergebnis die andere Hälfte
beitragsrechtlich zum Abzug zugelassen worden sei.

C.
L.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, in Aufhebung des
angefochtenen und des Einspracheentscheids seien die in den Jahren 2002 und
2003 getätigten Einlagen je zur Hälfte als abzugsfähige persönliche Einlagen
anzuerkennen und das AHV-pflichtige Einkommen entsprechend um Fr. 30'000.-
(2002) und Fr. 45'000.- (2003) zu reduzieren.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
beantragen Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegeneheiten kann unter
anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).
Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2
BGG). Das Bundesgericht darf nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen
(Art. 107 Abs. 1 BGG). Neue Begehren sind unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG).

2.
Die Beschwerdeführerin hat unbestrittenermassen Einlagen von Fr. 60'000.-
(2002) bzw. Fr. 90'000.- (2003) in die 2. Säule getätigt. Streitig ist, ob
die Hälfte dieser Einlagen AHV-rechtlich abzugsfähig ist. Während die
Vorinstanz mit der Beschwerdeführerin diese Frage bejaht, wird sie von der
Beschwerdegegnerin und dem BSV verneint.

3.
Die Beitragsveranlagungen entsprechen den von der Steuerverwaltung nach dem
Steuer-Einspracheverfahren bestätigten Steuermeldungen.

3.1 Grundsätzlich besteht eine Bindung der AHV-Behörden an die Steuermeldung
(Art. 23 Abs. 4 AHVV). Diese entfällt jedoch, wenn im Steuerverfahren kein
Anlass für die Erhebung eines Rechtsmittels bestand (BGE 110 V 369 E. 3b
S. 373; ZAK 1992 S. 36 E. 5a). In dieser Konstellation ist nach der
Rechtsprechung eine selbstständige Prüfung der den angefochtenen
Beitragsverfügungen (hier: dem Einspracheentscheid) zu Grunde liegenden
Steuerfaktoren möglich (ZAK 1992 S. 36 E. 5a).

3.2 Mit dem Steuer-Einspracheentscheid wurden die hälftigen Abzüge von den
selbstständigen Geschäftsergebnissen nicht anerkannt, dafür aber der gesamte
Einkauf jeweils unter Ziff. 16.3 der Steuererklärungen zum Abzug vom gesamten
Einkommen des Ehepaares zugelassen (Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG und analoge
kant. Vorschriften). Im Ergebnis bedeutet dies dasselbe, wie wenn die Hälfte
unter Geschäftsaufwand (Art. 27 Abs. 2 lit. c DBG und entsprechende kant.
Vorschriften) und dann nur die andere Hälfte als allgemeiner Abzug zugelassen
worden wäre. Die Beschwerdeführerin hatte deshalb keinen Anlass, den
Steuer-Einspracheentscheid anzufechten, weshalb keine Bindung an die
Steuermeldung besteht.

4.
4.1 Nach Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG werden die persönlichen Einlagen in
Einrichtungen der beruflichen Vorsorge, soweit sie dem üblichen
Arbeitgeberanteil entsprechen, vom beitragspflichtigen rohen Einkommen
abgezogen. Für die Ausscheidung und das Ausmass der nach Art. 9 Abs. 2
lit. a-e AHVG zulässigen Abzüge sind die Vorschriften über die direkte
Bundessteuer massgebend (Art. 18 Abs. 1 AHVV). Kraft dieses Verweises gilt
auch für den Abzug in der AHV grundsätzlich Art. 33 Abs. 1 lit. d DBG, wonach
die gemäss Gesetz, Statut oder Reglement geleisteten Einlagen, Prämien und
Beiträge an Einrichtungen der beruflichen Vorsorge von den Einkünften
abgezogen werden. Der in Art. 18 Abs. 1 AHVV enthaltene Verweis auf das
Steuerrecht steht jedoch unter dem Vorbehalt anderslautender Vorschriften im
AHVG. Ein solcher der bundessteuerrechtlichen Ordnung derogierender Umstand
ist unter dem Gesichtspunkt des Normzweckes sowie der angestrebten
Gleichbehandlung Unselbstständig- und Selbstständigerwerbender darin zu
erblicken, dass gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG ein Abzug vom rohen
Einkommen lediglich in der Höhe des "üblichen Arbeitgeberanteils" zulässig
ist (BGE 129 V 293 E. 3.2.2.4 S. 299), was gemäss der gesetzeskonformen (BGE
132 V 209 E. 5 und 6 S. 213 f.) Rz. 1104 der Wegleitung über die Beiträge der
Selbstständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen in der AHV, IV und EO (WSN)
in analoger Anwendung von Art. 66 Abs. 1 BVG einen Abzug nur zur Hälfte
gestattet. Entgegen der früheren Fassung der WSN können unter die
abzugsfähigen Einlagen im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG auch die
Einlagen zum Einkauf fehlender Versicherungsjahre fallen (BGE 129 V 293;
Urteil H 109/01 vom 22. Mai 2003).

4.2 Das BSV wendet ein, der Abzug sei nur zulässig, wenn der Einkauf zwingend
vorgeschrieben sei, entsprechend der aufgrund von BGE 129 V 293 geänderten
bzw. neu aufgenommenen Rz. 1103 und 1104.1 WSN. Im zur Publikation in der
Amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil 9C_136/2007 vom 11. Oktober 2007 hat
das Bundesgericht jedoch festgehalten, dass bei Selbstständigerwerbenden vom
rohen Einkommen nicht nur die aufgrund einer reglementarischen oder
statutarischen Verpflichtung geleisteten, sondern auch die freiwillig
erbrachten, von den Statuten oder vom Reglement der Vorsorgeeinrichtung bloss
ermöglichten Einlagen in die berufliche Vorsorge, gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. e
AHVG abgezogen werden können (E. 2.4 des genannten Urteils).

5.
5.1 Das kantonale Gericht hat zwar in Übereinstimmung mit der in E. 4
dargestellten Rechtsprechung die Zulässigkeit des hier strittigen Abzuges
bejaht, indessen festgestellt, dass in den Steuermeldungen jeweils nur die
Hälfte der Einkaufssummen durch steuerliche Aufrechnung enthalten seien.
Dadurch sei im Ergebnis die andere Hälfte zum Abzug zugelassen worden. Der
Antrag der Beschwerdeführerin würde zu einem unzulässigen vollen Abzug
führen.

5.2 Diese vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung basiert auf einem
Überlegungsfehler und ist - da offensichtlich unrichtig - für das
Bundesgericht nicht verbindlich (siehe E. 1): Die Beschwerdeführerin hat in
ihren Geschäftsrechnungen jeweils nur die Hälfte der Einkaufssummen
abgezogen, entsprechend Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG und Rz. 1104 WSN. Würde nun
dieser hälftige Abzug mit der Vorinstanz wieder aufgerechnet, würde im
Ergebnis überhaupt kein Abzug erfolgen, worauf auch das BSV in seiner
Stellungnahme hinweist. Vom gemeldeten (steuerrechtlichen) Einkommen aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit ist somit die Hälfte der jeweiligen
Einkaufssumme (Fr. 30'000.- [2002] und Fr. 45'000.- [2003]) abzuziehen, wie
dies die Beschwerdeführerin zu Recht verlangt.

6.
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid der AHV/IV-Rekurskommission
des Kantons Thurgau vom 13. März 2007 und der Einspracheentscheid der
Ausgleichskasse des Kantons Thurgau vom 13. November 2006 werden aufgehoben.
Die Sache wird an die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau zurückgewiesen,
damit sie die  Beiträge für die Jahre 2002 und 2003 im Sinne der Erwägungen
neu festsetze.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 900.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 2. November 2007

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: