Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.827/2007
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_827/2007

Urteil vom 22. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer,
nebenamtliche Bundesrichterin Buerki Moreni,
Gerichtsschreiber Holzer.

Parteien
R.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Matthias Aeberli, Freie
Strasse 82, 4010 Basel,

gegen

ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG, Bahnhofstrasse 9, 7302 Landquart,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Schmid, Hartbertstrasse
11, 7000 Chur.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 26.
September 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1988 geborene R.________ war als Pflegeassistentin des Pflegeheims
X.________ bei der ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG (nachstehend: ÖKK)
gegen die Folgen von Unfällen versichert, als sie am 12. Dezember 2006 durch
ihren Arbeitgeber der ÖKK meldete, sie habe am 3. Dezember 2006 einen
Berufsunfall erlitten. Die ÖKK lehnte eine Leistungspflicht mit Verfügung vom
9. Januar 2007 und mit Einspracheentscheid vom 27. März 2007 ab, da die
Versicherte weder einen Unfall noch eine unfallähnliche Körperverletzung
erlitten habe.

B.
Die von R.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht
Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, mit Entscheid vom 26.
September 2007 ab.

C.
Mit Beschwerde beantragt R.________, es sei unter Aufhebung des Einsprache- und
des kantonalen Gerichtsentscheides festzustellen, dass sie am 3. Dezember 2006
einen Unfall erlitten habe.

Während die ÖKK auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht prüft
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen,
wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur
insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, gewährt die Unfallversicherung
Leistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten (Art.
6 Abs. 1 UVG). Unfall ist gemäss Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht
beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf
den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen
oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat.

3.
3.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin am 3. Dezember 2006
einen Unfall im Sinne des zitierten Art. 4 ATSG erlitten hat.

3.2 Die Beschwerdeführerin war zum Zeitpunkt des geltend gemachten Unfalles als
Altenpflegerin tätig. Gemäss ihrer Darstellung hat sich am 3. Dezember 2006
eine demente Patientin beim Gehen fallen lassen, worauf sie sie aufgefangen
habe. Daraufhin seien starke Schulterschmerzen aufgetreten. Demgegenüber hielt
der erstbehandelnde Arzt Dr. med. K.________, Spital Y.________, in seinem
Notfall-Bericht vom 5. Dezember 2006 fest, die Versicherte habe ihn am 4.
Dezember 2006 wegen Schulterschmerzen aufgesucht; sie habe in letzter Zeit
schwere Lasten gehoben. Aus dem Bericht geht nicht hervor, dass die
Beschwerdeführerin dem Arzt von einem besonderen Vorfall berichtet hätte. Bei
dieser Ausgangslage hegte die Vorinstanz erhebliche Zweifel darüber, ob das
geltend gemachte Ereignis überhaupt stattgefunden hat, liess die Frage aber
offen, da selbst dann, wenn man bezüglich des Sachverhaltes auf die Darstellung
der Beschwerdeführerin abstellte, kein Unfall im Rechtsinne vorliegen würde.

4.
Zu prüfen ist demnach zunächst, ob das Ereignis, wie es von der
Beschwerdeführerin beschrieben wurde, als Unfall zu qualifizieren wäre.

4.1 Der von der Versicherten geltend gemachte Sachverhalt kann nicht mit jenem
des von ihr angerufenen Präjudizes (RKUV 1994 Nr. U 185 S. 79 [U 67/93])
gleichgesetzt werden, da in letzterem Fall bereits im Zeitpunkt des Einsackens
des Patienten ein Körperkontakt zwischen der Gemeindekrankenschwester und dem
Patienten bestand. Gemäss der Schilderung der Beschwerdeführerin war die
Patientin im vorliegenden Fall selbstständig unterwegs; zu einem Körperkontakt
zwischen der Betreuerin und der Patientin kam es erst im Moment des Auffangens.
Somit stellte beim von der Beschwerdeführerin beschriebenen Ereignis bereits
der Körper der Patientin, der auf ihren Körper auftraf, eine Einwirkung eines
äusseren Faktors auf den Körper der Versicherten dar.

4.2 Die Beschwerdegegnerin qualifizierte das Ereignis nicht als Unfall, da der
äussere Faktor nicht ungewöhnlich sei. Für eine Pflegeassistentin stellten
mögliche Stürze von zu betreuenden Personen alltägliche und übliche Situationen
dar, mit denen in dieser Tätigkeit gerechnet werden müsse. Auch nach Auskunft
der Arbeitgeberin der Versicherten musste diese damit rechnen, dass die
Patientin stürzen könnte.
4.2.1 Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, kann einzig aufgrund der
Tatsache, dass die versicherte Person mit dem Eintritt einer Gefahr rechnen
musste, noch nicht die Ungewöhnlichkeit des Gefahreneintritts verneint werden.
Würde anders entschieden, müsste etwa bei Verkehrsunfällen die Ungewöhnlichkeit
regelmässig verneint werden, da Motorfahrzeuglenker stets mit dem Eintritt
mannigfaltiger Gefahren rechnen müssen (vgl. BGE 126 IV 91 E. 4 S. 92). Der
äussere Faktor ist viel mehr dann ungewöhnlich, wenn er - nach einem objektiven
Massstab - nicht mehr im Rahmen dessen liegt, was für den jeweiligen
Lebensbereich alltäglich und üblich ist (BGE 134 V 72 E. 4.1 S. 76 mit weiteren
Hinweisen).
4.2.2 Gemäss den unbestritten gebliebenen, glaubhaften Vorbringen der
Beschwerdeführerin pflegte sie die betreffende Patientin im Zeitpunkt des
geltend gemachten Ereignisses seit rund einem halben Jahr, ohne dass sie je
beobachten musste, dass sich diese bei ihr oder bei anderen Betreuerinnen
plötzlich fallen gelassen hätte. Somit kann nicht von einem alltäglichen
Ereignis gesprochen werden. Gegen eine Alltäglichkeit spricht auch, dass die
Versicherte der Patientin zunächst ohne weiteres zugetraut hatte, den Weg
zwischen der Toilette und dem Rollstuhl selbstständig zurückzulegen.
4.2.3 Sprengte das Ereignis den Rahmen dessen, was als alltäglich und üblich zu
betrachten ist, so folgt daraus, dass die Ungewöhnlichkeit des äusseren Faktors
zu bejahen ist.

4.3 Stellte somit das Auftreffen des Körpers der sich fallenlassenden Patientin
eine plötzliche, unbeabsichtigte Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren
Faktors auf den Körper der Beschwerdeführerin dar, welche eine Beeinträchtigung
der Gesundheit zur Folge hatte, so ist das Ereignis vom 3. Dezember 2006 - so
es denn stattgefunden hat - als Unfall zu qualifizieren. Es braucht somit nicht
geprüft zu werden, ob die Versicherte auf den äusseren Faktor mittels einer
unkoordinierten Bewegung - welche allenfalls ihrerseits als ungewöhnlichen
äusseren Faktor zu bewerten wäre (RKUV 1999 Nr. U 345 S. 420 E. 2b [U 114/97]
mit Hinweisen) - reagiert hat.

5.
Ist somit das Ereignis, wie es die Beschwerdeführerin schildert, entgegen den
Erwägungen der Vorinstanz als Unfall zu qualifizieren, so kann die Frage, ob es
tatsächlich stattgefunden hat, nicht offengelassen werden.

5.1 Bei sich widersprechenden Angaben der versicherten Person über den
Unfallhergang ist zunächst auf die Beweismaxime hinzuweisen, wonach die
sogenannten spontanen "Aussagen der ersten Stunde" in der Regel unbefangener
und zuverlässiger sind als spätere Darstellungen, die bewusst oder unbewusst
von nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher oder anderer Art
beeinflusst sein können. Wenn die versicherte Person ihre Darstellung im Laufe
der Zeit wechselt, kommt den Angaben, die sie kurz nach dem Unfall gemacht hat,
meistens grösseres Gewicht zu als jenen nach Kenntnis einer Ablehnungsverfügung
des Versicherers (BGE 121 V 45 E. 2a S. 47 mit Hinweisen). Dabei handelt es
sich indessen nicht um eine förmliche Beweisregel, sondern lediglich um eine im
Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigende Entscheidungshilfe. Sie
kann zudem nur dann zur Anwendung gelangen, wenn von zusätzlichen
Beweismassnahmen keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (RKUV 2004 Nr. U 524
S. 546 E. 3.3.4 [U 236/03]).

5.2 Abgesehen davon, dass es sich beim Bericht des Dr. med. K.________ vom 5.
Dezember 2006 nicht um eine Aussage der Beschwerdeführerin, sondern um eine
zusammenfassende Darstellung einer Drittperson handelt, verbietet sich zum
jetzigen Zeitpunkt die Anwendung der Beweismaxime der "Aussage der ersten
Stunde" auch deshalb, weil von zusätzlichen Beweismassnahmen (etwa einem
Parteiverhör oder von der Einvernahme der Mutter und des Arbeitgebers der
Versicherten als Zeugen) noch weitere Erkenntnisse zu erwarten sind. Die
Beschwerde ist demnach gutzuheissen, der kantonale Entscheid ist aufzuheben und
die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese - nach weiteren
Abklärungen - über die Frage, ob das geltend gemachte Ereignis tatsächlich
stattgefunden hat, und damit über die Beschwerde neu entscheide.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat
die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE
133 V 642, E. 5). Diese hat der Beschwerdeführerin überdies eine
Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 26.
September 2007 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird,
damit sie, nach weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen, über die
Beschwerde neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 22. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Holzer