Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.819/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_819/2007

Urteil vom 14. August 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer,
nebenamtliche Bundesrichterin Buerki Moreni,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Parteien
Helsana Unfall AG,
Versicherungsrecht, Postfach, 8081 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Jahn, Kantonsstrasse 40, 6048 Horw.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 9. November 2007.

Sachverhalt:

A.
B.________, geboren 1966, erlitt am 11. Dezember 2000 einen Autounfall
(Auffahrkollision). Gemäss Bericht des Dr. med. M.________, den sie am nächsten
Tag aufsuchte, hatte sie dabei ein Schleudertrauma erlitten (Bericht vom 12.
Januar 2000). Die "La Suisse" Unfall-Versicherungs-Gesellschaft (heute: Helsana
Unfall AG; nachfolgend Helsana) kam als obligatorischer Unfallversicherer für
die Heilbehandlung auf und erbrachte Taggelder. Mit Verfügung vom 28. September
2004 stellte sie ihre Leistungen auf den 30. September 2004 ein und hielt daran
auch auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 13. Dezember 2005).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
mit Entscheid vom 9. November 2007 in dem Sinne gut, als der
Einspracheentscheid vom 13. Dezember 2005 aufgehoben und die Sache an die
Helsana zurückgewiesen wurde, damit diese nach erneuter Prüfung des adäquaten
Kausalzusammenhangs im Sinne der Erwägungen neu verfüge. Zur Begründung führte
sie an, dass gemäss dem von der Invalidenversicherung eingeholten Gutachten der
Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 16. September 2004 die Behandlung
vor allem der unfallbedingten Kopfschmerzen noch nicht genügend ausgeschöpft
sei, sodass von einer Fortsetzung der Heilbehandlung noch eine namhafte
Besserung des Gesundheitszustandes erwartet werden könne. Die von der Helsana
vorgenommene Adäquanzprüfung sei damit verfrüht erfolgt. Die Sache sei daher an
den Unfallversicherer zurückzuweisen zum Abschluss der Heilbehandlung.

C.
Die Helsana führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. Mit Eingabe vom 10. April
2008 nimmt sie Stellung hinsichtlich der präzisierten Schleudertrauma-Praxis.
Während B.________ auf Abweisung der Beschwerde schliessen lässt, verzichtet
das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Das kantonale Gericht hat die Sache unter Aufhebung des Einspracheentscheides
zum Abschluss der Heilbehandlung und Prüfung der weiteren Leistungspflicht an
die Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Damit hat sie einen Zwischenentscheid im
Sinne der Art. 90 ff. BGG gefällt (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481). Da der
selbstständig eröffnete Entscheid weder die Zuständigkeit noch ein
Ausstandsbegehren betrifft, ist eine Beschwerde nur zulässig, wenn der
Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte (Art. 93
Abs. 1 lit. a BGG), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen
Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder
Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit.
b BGG). Da der angefochtene Entscheid den Unfallversicherer zu seines Erachtens
rechtswidrigen Leistungen zwingt, bewirkt er für ihn einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, was
offensichtlich ist. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

2.
Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht
des obligatorischen Unfallversicherers bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen
und Berufskrankheiten (Art. 6 Abs. 1 UVG) vorausgesetzten natürlichen
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden
(Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen)
richtig wiedergegeben. Ebenfalls zutreffend dargelegt ist die Rechtsprechung
über den zusätzlich zum natürlichen Kausalzusammenhang erforderlichen adäquaten
Kausalzusammenhang. Danach spielt im Sozialversicherungsrecht die Adäquanz als
rechtliche Eingrenzung der sich aus dem natürlichen Kausalzusammenhang
ergebenden Haftung des Unfallversicherers im Bereich organisch objektiv
ausgewiesener Unfallfolgen praktisch keine Rolle, da sich hier die adäquate
weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt (BGE 127 V 102 E. 5b/bb S. 103
mit Hinweisen). Anders verhält es sich bei natürlich unfallkausalen, aber
organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden. Hier ist bei der
Beurteilung der Adäquanz vom augenfälligen Geschehensablauf auszugehen, und es
sind je nachdem weitere unfallbezogene Kriterien einzubeziehen (BGE 117 V 359
E. 6 S. 366 ff. und 369 E. 4 S. 382 ff., 115 V 133 E. 6 S. 138 ff.). Bei
psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall werden diese Adäquanzkriterien unter
Ausschluss psychischer Aspekte geprüft (BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140), während
bei Schleudertraumen (BGE 117 V 359 E. 6a S. 367) und äquivalenten Verletzungen
der HWS (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 2) sowie Schädel-Hirntraumen (BGE 117 V
369 E. 4b S. 383) auf eine Differenzierung zwischen physischen und psychischen
Komponenten verzichtet wird (vgl. zum Ganzen auch BGE 127 V 102 E. 5b/bb S. 103
und SVR 2007 UV Nr. 8 S. 27, U 277/04, E. 2 ff., je mit Hinweisen).
Anzufügen bleibt, dass das Bundesgericht jüngst die sogenannte
Schleudertrauma-Praxis in zweierlei Hinsicht präzisiert hat: Zum einen wurden
die Anforderungen an den Nachweis einer natürlich unfallkausalen Verletzung,
welche die Anwendung dieser Praxis bei der Prüfung des adäquaten
Kausalzusammenhangs rechtfertigt, erhöht. Zum anderen wurden die Kriterien,
welche abhängig von der Unfallschwere gegebenenfalls in die Adäquanzbeurteilung
einzubeziehen sind, teilweise modifiziert (BGE 134 V 109 E. 9 und 10 S. 121
ff.). Die bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall geltenden Grundsätze
liess das Bundesgericht hingegen unverändert bestehen (E. 6.1 des erwähnten
Urteils [S. 116]).

3.
Das Bundesgericht hat sich in BGE 134 V 109 auch zum Zeitpunkt des
Fallabschlusses geäussert (E. 3 und 4 S. 112 ff.). Demnach sind Heilbehandlung
und Taggeld nur solange zu gewähren, als von der Fortsetzung der ärztlichen
Behandlung noch eine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes erwartet
werden kann. Trifft dies nicht mehr zu, ist der Fall unter Einstellung der
vorübergehenden Leistungen mit gleichzeitiger Prüfung des Anspruchs auf eine
Invalidenrente und auf eine Integritätsentschädigung abzuschliessen (E. 4.1 S.
114). Ob eine namhafte Besserung noch möglich ist, bestimmt sich nach Massgabe
der zu erwartenden Steigerung oder Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit,
soweit diese unfallbedingt beeinträchtigt ist. Dabei verdeutlicht die
Verwendung des Begriffes "namhaft" durch den Gesetzgeber, dass die durch
weitere Heilbehandlung zu erwartende Besserung ins Gewicht fallen muss.
Unbedeutende Verbesserungen genügen nicht (E. 4.3 S. 115). Damit stellen sich
die Fragen, ob eine allenfalls noch bestehende Arbeitsunfähigkeit unfallbedingt
ist und (falls ja) ob sie durch weitere Heilbehandlung noch namhaft gesteigert
oder wieder hergestellt werden kann; wenn eine entsprechende Verbesserung nicht
erwartet werden kann, ist der Fall abzuschliessen.

4.
4.1 Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, dass lediglich noch
die unfallbedingten Kopfschmerzen zu behandeln seien. Diesbezüglich könne ein
Erfolg prognostisch nicht beurteilt werden; selbst bei sicherer Prognose wäre
aber davon auszugehen, dass die Besserung nicht als namhaft gelten könne.

4.2 Gemäss MEDAS-Gutachten, auf welches sich das kantonale Gericht stützt, wird
die zumutbare Arbeitsfähigkeit unter anderem eingeschränkt durch Kopfweh vom
Spannungstyp mit Übergang in Migräne, posttraumatisch verstärkt bei
Kopfwehdisposition. Insgesamt liege eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit vor, welche
Einschränkung zu einem Drittel unfallbedingt und zu zwei Dritteln
krankheitsbedingt sei. Gemäss Einschätzung des Dr. med. A.________, Klinik
X.________, im neurologischen Teilgutachten vom 1. April 2004 ist von einer
richtunggebenden Verschlimmerung vorbestehender Beschwerden auszugehen. Aus
seiner Sicht besteht eine durch die Kopfschmerzen bedingte Arbeitsunfähigkeit
von 25 %, und er erachtet die Behandlungsmöglichkeiten als nicht ausgeschöpft.

4.3 Gestützt darauf ist die Annahme der Vorinstanz, dass eine unfallbedingte,
unter anderem durch Kopfschmerzen und damit somatisch verursachte
Arbeitsunfähigkeit vorliege, nicht zu beanstanden. Da eine kopfschmerzbedingte
Arbeitsunfähigkeit von immerhin 25 %, die auf den Unfall zurückzuführen ist,
attestiert wird und die Behandlungsmöglichkeiten aus neurologischer Sicht nicht
erschöpft sind, darf eine beträchtliche Steigerung der Arbeitsfähigkeit noch
erwartet werden. Damit ist eine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes mit
Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit im Sinne der Rechtsprechung möglich, sodass
die Helsana weiterhin für die Heilbehandlung aufzukommen und Taggelder zu
erbringen hat. Der angefochtene Entscheid ist daher in diesem Sinne zu
bestätigen.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
Prozessausgang entsprechend der Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1
Satz 1 BGG); des Weiteren hat sie der Beschwerdegegnerin eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 14. August 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung i.V. Schäuble