Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.617/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

8C_617/2007 {T 0/2}

Urteil vom 23. Mai 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Widmer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Lustenberger, Frésard,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Parteien
K.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, Arbeitslosenversicherung,
Stampfenbachstrasse 32, 8001 Zürich,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 9. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1974 geborene K.________ war vom 23. Juni 2003 bis 31. Juli 2005 als
Elektroniker für die Firma S._________ AG, tätig. Vom 6. Februar bis 31. März
2006 stand er in einem Arbeitsverhältnis mit der Firma V._________ AG. Am 11.
April 2006 stellte er Antrag auf Ausrichtung von Arbeitslosentaggeldern ab 1.
April 2006. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich (AWA) lehnte
mit Verfügung vom 18. September 2006 einen Leistungsanspruch für die Zeit vom
25. April bis 20. Juni 2006 ab mit der Begründung, K.________ sei der Weisung
des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) F._________, sich umgehend
beim neu für ihn zuständigen RAV M.________ anzumelden, nicht nachgekommen und
habe es demnach unterlassen, zwischen dem 24. April und dem 21. Juni 2006 die
Kontrollpflicht zu erfüllen. Die dagegen geführte Einsprache lehnte das AWA ab
(Einspracheentscheid vom 7. Dezember 2006).

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene
Beschwerde ab (Entscheid vom 9. Juli 2007).

C.
K.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
sinngemässen Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Gerichtsentscheid und der
Einspracheentscheid seien aufzuheben.

Das AWA und das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG). Eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung stellt eine vom
Bundesgericht ebenfalls zu korrigierende Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95
lit. a BGG dar (Seiler/von Werdt/Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz,
Bern 2007, N. 24 zu Art. 97 BGG). Vom Bundesgericht frei überprüfbar ist
hingegen namentlich die falsche Rechtsanwendung (Seiler/von Werdt/Güngerich,
a.a.O., N. 9 zu Art. 95 BGG).

2.
2.1 Gemäss Art. 8 Abs. 1 AVIG hat der Versicherte Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung, wenn er unter anderem die Kontrollvorschriften des
Art. 17 AVIG erfüllt (lit. g). Nach Art. 17 Abs. 2 AVIG muss er sich möglichst
frühzeitig, jedoch spätestens am ersten Tag, für den er
Arbeitslosenentschädigung beansprucht, persönlich bei seiner Wohngemeinde oder
der vom Kanton bestimmten zuständigen Amtsstelle zur Arbeitsvermittlung melden
und von da an die Kontrollvorschriften des Bundesrates befolgen. Laut Art. 17
Abs. 3 AVIG hat er auf Weisung der zuständigen Amtsstelle unter anderem an
Beratungsgesprächen teilzunehmen (lit. b).

2.2 Nach Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG ist der Versicherte in der
Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn er die Kontrollvorschriften oder die
Weisungen der zuständigen Amtsstelle nicht befolgt hat.

3.
3.1 Die Vorinstanz hat in Würdigung der Aktenlage festgestellt, dass sich der
Beschwerdeführer am 30. März 2006 beim RAV F._________ zur Arbeitsvermittlung
angemeldet hat. Am 10. Mai 2006 habe er der Wohngemeinde F._________ seinen
Wegzug nach H.________ per 30. April 2006 mitgeteilt. Bei der Gemeinde
H.________ habe er sich am 11. Mai per 1. Mai 2006 registrieren lassen. Der
Schriftenempfangsschein sei am 12. Mai 2006 versandt worden. Da der Umzug
anlässlich des Beratungsgesprächs vom 24. April 2006 thematisiert worden sei,
habe ihn eine Mitarbeiterin des RAV F._________ darauf hingewiesen, dass er
sich rasch mit dem neu zuständigen RAV M.________ in Verbindung zu setzen habe.
Unbestritten sei, dass er am 21. Juni 2006 spontan beim RAV F._________
vorgesprochen und seinen Umzug nach H.________ erwähnt habe. Für die vom
Versicherten behaupteten (telefonischen) Kontaktaufnahmen mit dem RAV
M.________ oder dem RAV W.________ zu einem früheren Zeitpunkt würden keine
genügenden Anhaltspunkte vorliegen. Damit sei mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit erstellt, dass der Beschwerdeführer sich nicht frühzeitig
bei seiner neuen Wohngemeinde persönlich zur Arbeitsvermittlung gemeldet habe.
Das AWA habe mithin auf Grund der Nichterfüllung der Kontrollvorschriften die
Anspruchsberechtigung für die Zeit vom 25. April bis 20. Juni 2006 (gestützt
auf Art. 8 Abs. 1 lit. g in Verbindung mit Art. 17 Abs. 2 AVIG) zu Recht
verneint.

Der Beschwerdeführer lässt dagegen einwenden, dass er bis 12. Mai 2007 (recte:
2006) bei der Gemeinde F._________ angemeldet gewesen sei und die
Umzugsformalitäten gar erst am 19. Mai 2005 (recte: 2006) abgeschlossen gewesen
seien. Demgemäss hätte er sich frühestens am 11. Mai 2006 beim RAV M.________
melden können. Er sei durchaus bereit, eine "Teilschuld (...) einzugestehen",
allerdings nicht bezogen auf den gesamten Zeitraum der Anspruchsablehnung vom
25. April bis 20. Juni 2006.

3.2 Der Gesetzgeber ist im Rahmen der zweiten Teilrevision des AVIG vom 23.
Juni 1995 vom bisherigen System mit Erfüllung der Kontrollpflicht durch das
Stempeln abgerückt und hat die persönliche Beratung und Betreuung der
Arbeitslosen durch die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) eingeführt.
Vorinstanz und Verwaltung übersehen im vorliegenden Fall, dass er mit dem neuen
Konzept der Beratungsgespräche gleichzeitig auch die Rechtsfolgen bei
Pflichtverletzungen neu geregelt hat. Nach der Meldung bei der Amtsstelle führt
die Nichtbefolgung der Kontrollvorschriften ohne entschuldbaren Grund zur
Einstellung in der Anspruchsberechtigung (Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG; E. 2.2
hiervor). Widersetzt sich die versicherte Person auch nach Ablauf der
Einstellungsdauer der Teilnahme an einem Beratungsgespräch, ist mangels
Überprüfbarkeit der Vermittlungsfähigkeit ein Anspruch auf weitere Leistungen
so lange zu verneinen, bis ein Gespräch stattfinden kann. Im Unterschied zur
früheren Regelung mit dem Stempeln wirkt sich die Verletzung der
Kontrollpflicht nach der Anmeldung bei der zuständigen Amtsstelle nicht mehr
anspruchsvernichtend aus, sondern wird mit einer Einstellung in der
Anspruchsberechtigung und als ultima ratio mit einem Leistungsentzug geahndet
(Urteil C 152/02 vom 28. Januar 2003, E. 3.3; Thomas Nussbaumer,
Arbeitslosenversicherung, in: Ulrich Meyer [Hrsg.], Schweizerisches
Bundessozialversicherungsrecht [SBVR], Band XIV, Soziale Sicherheit, 2. Aufl.,
Basel/Genf/München 2007, S. 2275 Rz. 322). Die Verneinung der
Anspruchsberechtigung für den Zeitraum vom 25. April bis 20. Juni 2006 durch
AWA und kantonales Gericht widerspricht dieser gesetzlichen Ausgestaltung der
Sanktionen bei Verletzung der Kontrollvorschriften. Die Voraussetzungen für
einen vollständigen Leistungsentzug als ultima ratio sind vorliegend umso
weniger gegeben, als der Beschwerdeführer sich keinem Beratungsgespräch
widersetzt hat. Da somit Recht falsch angewendet wurde, ist das Bundesgericht
befugt, korrigierend einzugreifen (E. 1 hiervor).

3.3 Der Versicherte hat sich allerdings unbestrittenermassen nicht sofort nach
dem Wechsel seines Wohnsitzes im Mai 2006 am neuen Ort zur Arbeitsvermittlung
angemeldet. Deshalb muss er sich vorwerfen lassen, den Kontrollvorschriften
nicht genügt zu haben. Es hätte von ihm erwartet werden dürfen, dass er sich
gleich nach dem Umzug, welcher in der bisherigen und der neuen Wohngemeinde auf
den 1. Mai 2006 registriert wurde, mit dem nunmehr zuständigen RAV in
Verbindung setze. Dies umso mehr, als er zu einer solchen Kontaktaufnahme
anlässlich des Beratungsgesprächs vom 24. April 2006 ausdrücklich aufgefordert
worden war. Zu einer Anmeldung beim neuen RAV noch im April 2006 war er
entgegen der impliziten Annahme der Verwaltung jedoch nicht verpflichtet.
Anderseits kann aber auch keine Rolle spielen, wie lange sich die
Umzugsformalitäten aus der Sicht des Beschwerdeführers hinzogen. Relevant ist
das Datum des Wohnsitzwechsels (1. Mai 2006). Die Verwaltung wird das
verspätete Bemühen des Beschwerdeführers, sich nach dem Umzug beim neu
zuständigen RAV registrieren zu lassen, in Anwendung von Art. 30 Abs. 1 lit. d
AVIG zu prüfen haben und mit einer angemessenen Einstellung in der
Anspruchsberechtigung ahnden.

4.
Dem AWA als unterliegender Partei sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen, weil
es in seinem amtlichen Wirkungskreis und nicht im eigenen Vermögensinteresse
handelt (Art. 66 Abs. 4 BGG; BGE 133 V 640).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 9. Juli 2007 und der
Einspracheentscheid des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich vom
7. Dezember 2006 aufgehoben werden und die Sache ans Amt für Wirtschaft und
Arbeit des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit es, nach erfolgter Prüfung
im Sinne der Erwägungen, über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung
verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Unia Arbeitslosenkasse und dem Staatssekretariat für Wirtschaft
schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 23. Mai 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin:

Widmer Berger Götz