Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.5/2007
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8C_5/2007
Urteil vom 29. Januar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiber Flückiger.

I. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom
8. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1958 geborene I.________ meldete sich am 2. März 2004 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Luzern traf
erwerbliche und medizinische Abklärungen. Insbesondere holte sie Auskünfte
des Hausarztes Dr. med. Z.________, Allgemeine Medizin FMH, sowie der
Arbeitgeberin P.________ AG, ein und zog die den Versicherten betreffenden
Akten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) bei. Ausserdem
gab die Verwaltung bei der Medizinischen Abklärungsstelle Zentralschweiz
(MEDAS) ein Gutachten in Auftrag, welches am 20. Oktober 2005 erstattet
wurde. Anschliessend lehnte es die IV-Stelle mit Verfügung vom 14. Dezember
2005 ab, dem Versicherten eine Rente auszurichten. Daran wurde mit
Einspracheentscheid vom 7. August 2006 festgehalten.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern ab (Entscheid vom 8. Januar 2007). Im Verlauf des
Rechtsmittelverfahrens hatte der Versicherte Berichte der Rheumatologin Dr.
med. W.________, vom 11. Juli 2006 und des Neurologen Dr. med. X.________,
vom 8. September 2006 auflegen lassen.

C.
I.________ lässt Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei ihm ab 1.
November 2004 eine IV-Rente zu gewähren.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Das kantonale Gericht hat - unter Bezugnahme auf den Einspracheentscheid vom
7. August 2006 - die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der
Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und
den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG), den Rentenbeginn (Art.
29 Abs. 1 IVG), die Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten
nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG) sowie die Aufgabe des
Arztes oder der Ärztin im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 256
E. 4 S. 261, 115 V 133 E. 2 S. 134, 114 V 310 E. 3c S. 314, 105 V 156 E. 1
S. 158) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass
für die Invaliditätsbemessung grundsätzlich der Zeitpunkt des (allfälligen)
Rentenbeginns massgebend ist, wobei Änderungen, welche sich auf die
Anspruchsbeurteilung bis zum Erlass des Einspracheentscheids auswirken
könnten, zu berücksichtigen sind (vgl. BGE 129 V 222 E. 4.1 und 4.2 S. 223
f.).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf eine Rente der
Invalidenversicherung und in diesem Rahmen der Invaliditätsgrad.

3.
Umstritten ist zunächst, in Bezug auf welche Tätigkeiten der Beschwerdeführer
in welchem Ausmass arbeitsfähig ist. Da es sich dabei um eine Tatfrage
handelt (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398), hat das Bundesgericht nur zu prüfen,
ob die entsprechenden Feststellungen des kantonalen Gerichts offensichtlich
unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung, insbesondere einer Verletzung
von Bundesrecht, beruhen (Art. 97 Abs. 1 BGG).

3.1  Gemäss den Erwägungen des kantonalen Gerichts ist der Beschwerdeführer
sowohl bezogen auf den Zeitpunkt des allfälligen Rentenbeginns im November
2004 als auch auf jenen des Einspracheentscheids am 7. August 2006 in
sämtlichen Tätigkeiten ohne Lärmexposition und ohne Nachtschicht zu 90%
arbeitsfähig. Die Einschränkungen sind durch Kopfschmerzen bedingt. Die
Vorinstanz stützte sich bei dieser Beurteilung auf das MEDAS-Gutachten vom
20. Oktober 2005 und hielt fest, dessen Zuverlässigkeit werde auch durch die
nachgereichten Berichte von Dr. med. W.________ und Dr. med. X.________ nicht
in Frage gestellt. Der Beschwerdeführer lässt einwenden, die beiden erwähnten
ärztlichen Stellungnahmen lieferten den Nachweis für eine vor dem Erlass des
Einspracheentscheids eingetretene gesundheitliche Verschlechterung mit
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit.

3.2  Die vorinstanzliche Feststellung, der Beschwerdeführer könne eine
angepasste Tätigkeit im Rahmen einer Arbeitsfähigkeit von 90% ausüben, wird
in der Beschwerde nicht bestritten, soweit sie sich auf den (allfälligen)
Rentenbeginn im November 2004 bezieht. Angesichts der in diesem Sinne
lautenden Aussage im MEDAS-Gutachten vom 20. Oktober 2005 kann auch nicht von
einer offensichtlich unrichtigen Beurteilung durch das kantonale Gericht
gesprochen werden.

3.3  Zu prüfen bleibt, ob die Feststellung des kantonalen Gerichts, das
Zumutbarkeitsprofil könne für den gesamten Zeitraum bis zum
Einspracheentscheid vom 7. August 2006 auf der Basis des MEDAS-Gutachtens
formuliert werden, im Rahmen der dargelegten bundesgerichtlichen Kognition
(E. 3.1 hiervor) zu beanstanden ist.

3.3.1  Die Rheumatologin Dr. med. W.________ weist in ihrem Bericht vom 11.
Juli 2006 auf seit Dezember 2005 vermehrt vorliegende Schmerzen "lumbosacral
im linken Bein ungefähr entlang des Dermatoms L5 rechtsbetont sternal im
Bereich der ganzen HWS mit Ausstrahlung in die rechte Schulterregion und
rechten Arm bis zum Daumen". In der Beurteilung hält die Ärztin fest, bei
einem Zustand nach mehreren Unfällen habe der Patient ein generalisiertes
Schmerzsyndrom entwickelt. Objektivieren liessen sich: Arthrotische
Veränderungen im Sternumbereich, Achalasie, Makroglossie mit wahrscheinlichem
Schlafapnoesyndrom und Segmentdegeneration L4/5 mit Diskusprotrusion und
möglicher Irritation der Nervenwurzel L5. Ein zusätzliches Piriformissyndrom
könne postuliert werden. Im Fussbereich habe sich neu eine beginnende
Arthrose talo-navikular mit einem kleinen Ganglion gefunden. Zur
Arbeitsfähigkeit äussert sich die Ärztin wie folgt: "Subjektiv fühlt sich der
Patient auch für leichte Arbeit 100% arbeitsunfähig. Für schwere körperliche
Arbeit mit repetitivem Heben über 15 kg sowie Tätigkeiten in Inklination ist
der Patient 100% arbeitsunfähig. Auf dem Arbeitsmarkt ist es nicht möglich,
eine Arbeit für den Patienten zu finden, weshalb ich die 100%
Arbeitsunfähigkeit beibehalten würde."
3.3.2 Der Neurologe Dr. med. X.________ erklärte am 8. September 2006, der
Patient gebe an, seit zwei Jahren zunehmend Schmerzen am linken Fuss zu
verspüren. Es fänden sich keine genügenden Hinweise für eine neurologische
Mitursache dieser Beschwerden, insbesondere das durch Dr. med. W.________ zur
Diskussion gestellte Tarsaltunnelsyndrom. Eine neu angegebene sockenförmige
Sensibilitätsstörung des ganzen linken Fusses lasse sich nicht zuordnen.

3.3.3  Die beiden erwähnten Berichte enthalten keine Stellungnahmen zur
Arbeitsfähigkeit, welche den Ergebnissen des MEDAS-Gutachtens grundsätzlich
widersprechen würden. Dr. med. X.________ äussert sich zu dieser Frage nicht.
Dr. med. W.________ attestiert zwar für schwere körperliche Tätigkeiten mit
repetitivem Heben über 15 kg sowie Tätigkeiten in Inklination eine volle
Arbeitsunfähigkeit, hält aber bezüglich einer leichteren Tätigkeit lediglich
fest, der Patient fühle sich arbeitsunfähig und es sei nicht möglich, für ihn
auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden. Die beiden Berichte liefern damit
keine hinreichende Grundlage für die Annahme einer erheblichen
Verschlechterung in dem Sinne, dass der Beschwerdeführer nicht mehr in der
Lage wäre, eine körperlich leichte oder mittelschwere Arbeit mit den durch
die MEDAS formulierten Einschränkungen (keine Lärmexposition und keine
Nachtschicht) im Umfang von 90% auszuüben. Unter diesen Umständen konnte die
Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich des
Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG; vgl. Urteil 8C_364/2007 vom
19. November 2007, E. 3.2), annehmen, der Sachverhalt sei für den gesamten zu
beurteilenden Zeitraum bis zum Einspracheentscheid vom 7. August 2006
hinreichend geklärt. Ebenso wenig kann von einer offensichtlich unrichtigen
Sachverhaltsfeststellung gesprochen werden.

4.
Der Beschwerdeführer lässt des Weiteren die Ermittlung der beiden
Vergleichseinkommen durch das kantonale Gericht beanstanden.

4.1  Bei der Festsetzung des Valideneinkommens ging die Vorinstanz davon aus,
der Beschwerdeführer habe im Jahr 2003 ein Einkommen von Fr. 72'507.-
erzielt. Diese Feststellung ist tatsächlicher Natur (vgl. BGE 132 V 393 E.
3.3 S. 399). Sie stützt sich auf die Angaben der Ausgleichskasse und das von
der Arbeitgeberin eingereichte persönliche Lohnkonto des Beschwerdeführers
für das Jahr 2003. Der auf dieser Basis sowie unter Berücksichtigung der
Lohnentwicklung von 2003 auf 2004 ermittelte Betrag von Fr. 72'772.85
(bezogen auf den allfälligen Rentenbeginn im November 2004) lässt sich
keinesfalls als offensichtlich unrichtig bezeichnen und ist deshalb für das
Bundesgericht verbindlich. Daran ändert der Umstand nichts, dass die
IV-Stelle in der Verfügung vom 14. Dezember 2005 (nicht aber im
Einspracheentscheid) noch von einem höheren Betrag ausgegangen war.

4.2  Für die Ermittlung des Invalideneinkommens hat das kantonale Gericht zu
Recht auf die Werte der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE)
abgestellt. Angesichts der breiten Einsatzmöglichkeiten, welche dem
Beschwerdeführer offen stehen, ist es ebenfalls korrekt, den Zentralwert des
standardisierten Monatslohns der im privaten Sektor mit einfachen und
repetitiven Tätigkeiten (Anforderungsniveau 4) beschäftigten Männer
heranzuziehen. Aus dem entsprechenden Wert der LSE 2004 (Fr. 4588.-)
resultiert nach Hochrechnung auf die durchschnittliche betriebsübliche
Arbeitszeit von 41.6 Stunden sowie unter Berücksichtigung der auf 90%
reduzierten Arbeitsfähigkeit ein Betrag von Fr. 51'532.40. Die Reduktion
dieses Betrags um einen leidensbedingten Abzug (dazu BGE 129 V 472 E. 4.2.3
S. 481) von 10% lässt sich jedenfalls nicht als rechtsfehlerhaft bezeichnen
(vgl. zur diesbezüglichen Kognition des Bundesgerichts BGE 132 V 393 E. 3.3
S. 399). Das resultierende Invalideneinkommen von Fr. 46'379.15 ergibt
verglichen mit dem Valideneinkommen von Fr. 72'772.85 einen Invaliditätsgrad
von 36%, der keinen Rentenanspruch begründet.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Als
unterliegende Partei hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen.
Die IV-Stelle als mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute, in ihrem
amtlichen Wirkungskreis handelnde Organisation hat keinen Anspruch auf die
von ihr verlangte Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse der graphischen
und papierverarbeitenden Industrie der Schweiz und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. Januar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Flückiger