Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.55/2007
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8C_55/2007

Urteil vom 20. November 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Ersatzrichter Maeschi,
Gerichtsschreiberin Hofer.

G. ________, 1969, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rémy
Wyssmann, Hauptstrasse 36, 4702 Oensingen,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons
Solothurn vom 25. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
A.a Der 1969 geborene türkische Staatsangehörige G.________ erlitt am 15.
Juni 1998 ein Verhebetrauma mit akutem Lumbovertebralsyndrom. Am 14. Oktober
2000 zog er sich bei einem Treppensturz rücklings eine Kontusion des Thorax
und der Halswirbelsäule (HWS) zu. Nach kurz dauernder ärztlicher Behandlung
bestand jeweils wieder volle Arbeitsfähigkeit. Gemäss Unfallmeldung an die
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom 18. Juli 2001 schlug er
sich am 27. Juni 2001 beim Ziehen von Harassen den Rücken an. Am 6. Juli 2001
suchte er Dr. med. S.________, Innere Medizin FMH, auf, welcher eine
Diskushernie L5/S1 diagnostizierte. Wegen Lumboischialgien meldete er sich am
17. September 2001 zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Am
18. Dezember 2001 erlitt G.________ einen Verkehrsunfall, als er mit seinem
Personenwagen vor einer Strassenkreuzung anhalten musste, ein nachfolgendes
Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und in das Heck des von ihm
gelenkten Wagens stiess, welcher in das vor ihm stehende Fahrzeug geschoben
wurde. Laut Bericht des Dr. med. M.________, Facharzt für Neurologie FMH, vom
12. März 2002 zog er sich dabei eine Abknickverletzung der HWS, eine milde
traumatische Hirnverletzung sowie eine Retraumatisierung der Diskushernie
lumbal zu. Die Rehaklinik E.________, wo sich der Versicherte im Auftrag der
SUVA vom 4. März bis 12. April 2002 in stationärer Abklärung und Behandlung
befand, gelangte im Austrittsbericht vom 2. Mai 2002 zum Schluss, dass der
Unfall vom 18. Dezember 2001 nur zu einer vorübergehenden Traumatisierung des
lumbalen Vorzustandes geführt habe und dem Versicherten leichte bis
mittelschwere wechselbelastende Tätigkeiten ganztags zumutbar seien. Vom 18.
bis 27. Februar 2003 hielt sich G.________ im Rehazentrum U.________ auf, wo
ein chronisches zervikospondylogenes sowie ein lumbospondylogenes
Schmerzsyndrom im Rahmen einer somatoformen Schmerzstörung diagnostiziert und
eine Psychotherapie als dringend erforderlich bezeichnet wurden. Die
IV-Stelle des Kantons Solothurn beauftragte die Medizinische Abklärungsstelle
(MEDAS) mit einem Gutachten, welches am 30. Dezember 2003 erstattet wurde und
worin die Diagnosen eines chronischen zervikozephalen und intermittierend
zervikospondylogenen Syndroms, eines chronischen lumbospondylogenen Syndroms
sowie einer depressiven Störung leichten Grades gestellt wurden. Ferner
wurden eine nicht auszuschliessende undifferenzierte Somatisierungsstörung
(ICD-10 F45.1) sowie - anamnestisch - Hinweise auf eine milde traumatische
Hirnverletzung (MTBI) mit chronisch-persistierenden Kopfschmerzen erwähnt.
Zur Arbeitsfähigkeit wurde ausgeführt, diese betrage mindestens 50% in der
bisherigen und 80% in einer angepassten leichten bis mittelschweren
Tätigkeit. Mit Verfügung vom 6. April 2004 lehnte die IV-Stelle die
Zusprechung einer Invalidenrente mit der Begründung ab, dass der
Invaliditätsgrad lediglich 28% betrage. Daran hielt sie mit unangefochten
gebliebenem Einspracheentscheid vom 17. Juni 2004 fest.

A.b Mit Neuanmeldung vom 18. Oktober 2004 und einer weiteren Eingabe vom 22.
März 2005 liess G.________ erneut um Zusprechung einer Invalidenrente sowie
um Berufsberatung ersuchen. Mit Verfügung vom 26. April 2005 trat die
IV-Stelle auf das Leistungsbegehren mangels neuer Tatsachen nicht ein. Die
dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Einspracheentscheid vom 24. August
2005 ab.

B.
Mit Entscheid vom 25. Januar 2007 wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde ab.

C.
G.________ lässt Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des
angefochtenen Entscheids seien ihm "ab wann rechtens die gesetzlichen
Leistungen (inkl. berufliche Massnahmen) nach Massgabe einer Invalidität von
mindestens 40%, zuzüglich eines Verzugszinses zu 5% ab wann rechtens,
zuzusprechen". Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung und zu neuer
Verfügung an die IV-Stelle zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht wird die
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung beantragt.

Die IV-Stelle beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) verzichtet auf Vernehmlassung.

D.
Mit Beschluss vom 27. Juli 2007 hat die I. sozialrechtliche Abteilung des
Bundesgerichts das Begehren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde abgewiesen und vom Beschwerdeführer
mit Verfügung vom 8. August 2007 einen Kostenvorschuss verlangt, welcher
innert der gesetzten Nachfrist bezahlt wurde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Weil die angefochtene Entscheidung nach dem Datum des Inkrafttretens des
Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110), dem 1. Januar 2007
(AS 2006 1243), ergangen ist, untersteht die Beschwerde dem neuen Recht
(Art. 132 Abs. 1 BGG).
Die gegen den kantonalen Entscheid vom 25. Januar 2007 gerichtete Eingabe ist
als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
entgegenzunehmen.

2.
Streitig ist, ob die Verwaltung auf die Neuanmeldungen vom 18. Oktober 2004
und 22. März 2005 zu Recht nicht eingetreten ist.

2.1 Im angefochtenen Entscheid werden die nach erfolgter Ablehnung des
Rentenanspruchs wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades für die Prüfung
einer Neuanmeldung nach Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV und der Rechtsprechung (BGE
130 V 64 E. 5.2.5 S. 68, 117 V 198 E. 4b S. 200, 109 V 108 E. 2 S. 114)
geltenden Voraussetzungen zutreffend dargelegt. Danach ist unter
Glaubhaftmachen im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV kein Beweis nach dem im
Sozialversicherungsrecht allgemein massgebenden Grad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit zu verstehen. Die Beweisanforderungen sind vielmehr
herabgesetzt, indem nicht im Sinne eines vollen Beweises die Überzeugung der
Verwaltung begründet zu werden braucht, dass seit der letzten rechtskräftigen
Entscheidung tatsächlich eine relevante Änderung eingetreten ist. Vielmehr
genügt es, dass für den geltend gemachten rechtserheblichen Sachumstand
wenigstens gewisse Anhaltspunkte bestehen, auch wenn durchaus noch mit der
Möglichkeit zu rechnen ist, bei eingehender Abklärung werde sich die
behauptete Sachverhaltsänderung nicht erstellen lassen. Erheblich ist eine
Sachverhaltsänderung, wenn angenommen werden kann, der Anspruch auf eine
Invalidenrente oder deren Erhöhung sei begründet, falls sich die geltend
gemachten Umstände als richtig erweisen sollten. Liegt ein neuer Bericht von
ärztlichen oder anderen Fachleuten vor, auf deren Unterlagen die Verwaltung
und das Gericht für die Invaliditätsbemessung angewiesen sind, genügt es für
die Glaubhaftmachung einer erheblichen Sachverhaltsänderung nicht, dass im
fraglichen Bericht der bereits bekannte, im Zeitpunkt der ursprünglichen
Rentenverfügung gegebene Sachverhalt anders bewertet wird und daraus andere
Schlussfolgerungen gezogen werden als im früheren Verwaltungs- und/oder
Beschwerdeverfahren. Vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur,
die nach der ursprünglichen Rentenverfügung eingetreten und zu dem damals
gegebenen Sachverhalt hinzugekommen sind oder diesen verändert haben (Urteile
I 238/02 vom 20. März 2003 und I 294/98 vom 3. Januar 2000).

2.2 Ob der Leistungsansprecher mit dem Revisionsgesuch oder der Neuanmeldung
eine für den Anspruch erhebliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse
glaubhaft gemacht hat, stellt eine Tatfrage dar, welche vom Bundesgericht nur
im Rahmen von Art. 97 Abs. 1 BGG geprüft werden kann. Danach kann die
vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann.

3.
3.1 Mit den Neuanmeldungen vom 18. Oktober 2004 und 22. März 2005 hat der
Beschwerdeführer Berichte des Spital O.________ vom 16. Juli 2004 und des
Spitals X.________ vom 17. September 2004, Arztzeugnisse des Dr. med.
S.________ vom 19. Mai und 4. Juni 2004, einen Bericht des Dr. med.
H.________ vom 11. März 2005 sowie Berichte der Psychiatrischen Dienste des
Kantons Solothurn vom 2. und 28. Februar 2005 eingereicht. Er macht geltend,
dass sich der Gesundheitszustand zufolge Chronifizierung der Beschwerden
massiv verschlechtert habe, er seit Februar 2005 in regelmässiger
psychiatrischer Behandlung stehe und gemäss Beurteilung des Hausarztes
Dr. med. S.________ eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50% bestehe. Die
Vorinstanz hat dazu im Einzelnen Stellung genommen und insbesondere
festgestellt, dass der Neurologe Dr. med. H.________ ein Schmerzsyndrom ohne
neurologische Ausfälle diagnostiziere und sich namentlich zur psychischen
Problematik äussere. Diesbezüglich bestätigten die Psychiatrischen Dienste
des Kantons Solothurn aber, dass psychosoziale und damit invaliditätsfremde
Faktoren vorlägen. Zudem seien die psychischen Störungen nach Auffassung der
MEDAS-Gutachter behandel- oder gar heilbar. Die notfallmässige
Hospitalisation im Spital X.________ vom 16. Juni 2005 sei wegen einer
erneuten Exazerbation des bereits bekannten lumbovertebralen Schmerzsyndroms
erfolgt. Im Übrigen lägen keine neuen Befunde oder Auffälligkeiten vor.
Zusammenfassend gelangt das Gericht zum Schluss, dass die vorgelegten
Arztberichte nicht geeignet sind, gegenüber dem MEDAS-Gutachten vom 30.
Dezember 2003 eine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes
glaubhaft zu machen. Diese Feststellung beruht weder auf einer mangelhaften
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts noch verstösst sie sonstwie
gegen Bundesrecht.

3.2 Was der Beschwerdeführer in der Beschwerde an das Bundesgericht
vorbringt, vermag zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Dass im Rahmen von
Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV auch die fortschreitende Chronifizierung eines
Leidens eine relevante Sachverhaltsänderung darstellen kann, ist richtig. Es
trifft entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers indessen nicht zu,
dass die Chronifizierung erst im Sommer 2004 und damit nach dem
MEDAS-Gutachten vom 30. Dezember 2003 eingetreten ist. Vielmehr sind schon
die Ärzte der MEDAS davon ausgegangen, dass ein chronifiziertes
Schmerzsyndrom bei geringem organischem Korrelat und psychosozialen Problemen
besteht. Anhaltspunkte dafür, dass sich die organischen Befunde bis zu dem
für die Beurteilung massgebenden Zeitpunkt der Neuanmeldung (vgl. BGE 130 V
71 ff.) in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert haben, liegen
nicht vor. Dass vorübergehend ein Hyperventilationssyndrom aufgetreten ist
und der Beschwerdeführer am 16. Juni 2005 wegen einer erneuten
Schmerzexazerbation kurzfristig hospitalisiert werden musste, lässt nicht
schon auf eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes
schliessen. Eine solche ist auch hinsichtlich der psychischen
Beeinträchtigung in Form der bereits von den MEDAS-Ärzten festgestellten
leichten depressiven Störung, welche im Bericht des Spitals X.________ vom 6.
Juli 2005 als regredient bezeichnet wird, und der in den Berichten des
Psychiatrischen Dienstes nunmehr als anhaltende somatoforme Schmerzstörung
(ICD-10 F45.4) diagnostizierten, im MEDAS-Gutachten als undifferenzierte
Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.1) beurteilten psychischen bzw.
psychosomatischen Beeinträchtigung nicht ausgewiesen. Verstärkt hat sich
allenfalls die psychosoziale Problematik. Nach den Angaben des
Beschwerdeführers gegenüber dem Psychiatrischen Dienst hat er sich anfangs
2004 mit einer tschechischen Staatsangehörigen verheiratet, welche indessen
über keine (ganzjährige) Aufenthaltsbewilligung verfügt. Zudem hat er
erhebliche Kredit- und Steuerschulden. Dabei handelt es sich jedoch um
invaliditätsfremde Faktoren, welche nicht als eine für den Leistungsanspruch
relevante Sachverhaltsänderung betrachtet werden können. Der vorinstanzliche
Entscheid besteht auch in diesem Punkt zu Recht.

4.
Nicht einzutreten ist auf das Begehren um Zusprechung beruflicher
Eingliederungsmassnahmen. Der Anspruch auf berufliche Massnahmen bildet nicht
Gegenstand des angefochtenen Entscheids, nachdem der Beschwerdeführer sowohl
im Einsprache- als auch im kantonalen Beschwerdeverfahren allein das
Nichteintreten auf das Rentenbegehren gerügt hatte. Er kann daher nicht
Streitgegenstand im letztinstanzlichen Verfahren bilden (BGE 130 V 501 E. 1.1
S. 502 mit Hinweisen).

5.
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG), nachdem das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege am 27. Juli 2007 zufolge Aussichtslosigkeit abgewiesen worden
ist.

erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.

Luzern, 20. November 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Hofer