Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.507/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_507/2007

Urteil vom 5. Juni 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Parteien
C.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Procap, Schweizerischer
Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten,

gegen

Zürich Versicherungs-Gesellschaft, Zürich Schweiz, Recht, Mythenquai 2, 8002
Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
6. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1948 geborene C.________ arbeitete seit April 1994 im Hausdienst
(Reinigung) im Alterszentrum S.________. Sie war in dieser Eigenschaft bei der
Zürich Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Zürich) gegen die Folgen von
Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 8. September 2003 meldete die
Arbeitgeberin eine Arbeitsunfähigkeit infolge einer berufsbedingten
Hauterkrankung. Dr. med. H.________, Spezialarzt FMH für Dermatologie und
Venerologie sowie Allergologie, diagnostizierte gemäss Bericht vom 28. November
2003 ein alkalitoxisches, möglicherweise auch allergisches Kontaktekzem beider
Hände, Füsse und des Gesichts mit dyshidrosiformer Komponente sowie eine
allergisch-toxische Reaktion auf verschiedene Berufssubstanzen. Nachdem trotz
umfassender Hautschutzmassnahmen und der Anwendung von Schutz- und
Pflegepräparaten weitere Ekzemschübe aufgetreten waren, erliess die SUVA am 19.
April 2004 eine Nichteignungsverfügung (NEV) für die Tätigkeit als
Raumpflegerin, verbunden mit Nassarbeiten. Die Zürich richtete in der Folge
während vier Monaten ein Übergangstaggeld aus.

Mit Schreiben vom 9. August 2005 wandte sich C.________ an die Zürich und
ersuchte um Ausrichtung einer Übergangsentschädigung, da sie trotz intensiver
Suche einer Stelle ohne Arbeiten im Nassbereich arbeitslos sei. Mit Verfügung
vom 8. Mai 2006 teilte diese der Versicherten mit, dass die entsprechenden
Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. In der Begründung wird
ausgeführt, zwei Verfügungen der Invalidenversicherung - mit welchen sowohl
Rentenleistungen als auch berufliche Massnahmen bei einem ermittelten
Invaliditätsgrad von 1 % abgelehnt wurden - hätten gezeigt, dass ihr eine
geeignete trockene, saubere Tätigkeit vollzeitlich zumutbar sei. Daran hielt
die Zürich auch auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 22. August 2006).

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies eine gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 6. Juni 2007 ab.

C.
C.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihr
rückwirkend ab 19. August 2004 eine Übergangsentschädigung zuzüglich eines
Verzugszinses von 5 % zuzusprechen. In prozessualer Hinsicht wird um die
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung ersucht.

Die Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Im Beschwerdeverfahren um die
Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder
Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Gemäss Art. 84 Abs. 2 UVG können die Durchführungsorgane Versicherte, die
hinsichtlich Berufsunfällen oder Berufskrankheiten durch bestimmte Arbeiten
besonders gefährdet sind, von diesen Arbeiten ausschliessen. Der Bundesrat
ordnet die Entschädigung für Versicherte, die durch den Ausschluss von ihrer
bisherigen Arbeit im Fortkommen erheblich beeinträchtigt sind und keinen
Anspruch auf andere Versicherungsleistungen haben. Von dieser Befugnis hat der
Bundesrat in den Artikeln 83 ff. der Verordnung über die Verhütung von Unfällen
und Berufskrankheiten (VUV) Gebrauch gemacht. Art. 86 VUV bestimmt unter
anderem, dass der Arbeitnehmer, der von einer Arbeit dauernd ausgeschlossen
worden ist, vom Versicherer eine Übergangsentschädigung erhält, wenn er durch
die Verfügung trotz persönlicher Beratung, trotz Bezuges von Übergangstaggeld
und trotz des ihm zumutbaren Einsatzes, den ökonomischen Nachteil auf dem
Arbeitsmarkt wettzumachen, in seinem wirtschaftlich Fortkommen erheblich
beeinträchtigt bleibt (Abs. 1 lit. a VUV). Weiter sind für den Anspruch auf
eine Übergangsentschädigung vorausgesetzt, dass ein Versicherter im Zeitraum
von zwei Jahren unmittelbar vor Erlass der NEV mindestens 300 Tage lang die
gefährdende Arbeit tatsächlich ausgeübt hatte (lit. b) und, dass innert zweier
Jahre nach Rechtskraft der NEV ein entsprechendes Gesuch gestellt wird (lit.
c).

3.
Es ist unbestritten und überdies aktenmässig belegt, dass die
Anspruchsvoraussetzungen gemäss Art. 86 Abs. 1 lit. b und c VUV erfüllt sind.
Hingegen stellen sich die Unfallversicherung und das kantonale Gericht auf den
Standpunkt, die Beschwerdeführerin sei wegen der NEV und dem damit verbundenen
Verlust ihres langjährigen Arbeitsplatzes im Alterszentrum S.________ nicht
erheblich in ihrem wirtschaftlichen Fortkommen beeinträchtigt. Im angefochtenen
Entscheid wird dies mit den Worten begründet, es sei nicht belegt, dass sie
aufgrund der Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit - im Bereich von
Nassarbeiten - keine Arbeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt mehr finden
könne. Es gäbe Stellen, die ihrem Profil entsprächen.

4.
4.1 Mit ihrer Argumentation erweckt die Vorinstanz den Eindruck, die erhebliche
Beeinträchtigung im wirtschaftlichen Fortkommen entspreche einer
Erwerbsunfähigkeit im Sinne von Art. 7 ATSG. Das ist hingegen nicht die
Intention des Art. 86 VUV. Die Übergangsentschädigung ist Bestandteil einer
Massnahme zur Verhütung von Berufskrankheiten. Eine Person, die eine
Erwerbsunfähigkeit erhält, muss in der Regel ihre Arbeitsstelle sofort
verlassen. Die Übergangsentschädigung soll einen gewissen Ausgleich für die
durch das Verbot erlittenen Nachteile schaffen, etwa weil der Betroffene
nunmehr schlechter entlöhnte Arbeit oder eine Zeitlang gar keine findet
(Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 589 und S. 594 Fn 1517a).
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hatte in EVGE 1967 S. 206 f.
festgehalten, mit der Übergangsentschädigung solle einem Versicherten der
Wechsel von der ihn gefährdenden Arbeit auf eine neue geeignete Tätigkeit und
die Erlangung der für die Wiedereingliederung erforderlichen Fertigkeiten
erleichtert werden. Damit nähert sich diese Versicherungsleistung der
Unfallversicherung derjenigen der Arbeitslosenversicherung an (vgl.
Jean-Maurice Frésard/Margit Moser-Szeless in Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht, Soziale Sicherheit, 2. Auflage Rz. 589 S. 1001).
Vorausgesetzt, die hier nicht umstrittenen Kriterien gemäss Art. 86 Abs. 1 lit.
b und c VUV sind erfüllt, besteht ein Leistungsanspruch, wenn eine
Arbeitsstelle wegen der Erwerbsunfähigkeit gekündigt wurde (Frésard/
Moser-Szeless, a.a.O. Rz. 584, S. 1000) und ein Versicherter trotz zumutbaren
Arbeitsbemühungen (was eine Anspruchsvoraussetzung ist, vgl. RKUV Nr. U 461 S.
420 E. 4a) keine oder keine in gleicher Höhe bezahlte neue Stelle gefunden hat
(RKUV 1994 U 205 S. 320 E. 4a S. 324; Frésard/Moser-Szeless, a.a.O. Fn 802 S.
1000). Diese Interpretation ergibt sich sodann auch aus dem Umstand, dass ein
Versicherter, der wegen eines Unfalles oder einer Berufskrankheit Anspruch auf
eine Invalidenrente der Unfallversicherung hat darüber hinaus, für den Teil, in
dem er noch erwerbsfähig ist, Anspruch auf eine Übergangsentschädigung haben
kann (BGE 120 V 134 E. 4 c/bb S. 138 ff.). Auch das von der Zürich in ihrer
Vernehmlassung zur Beschwerde vorgebrachte Argument, die Beschwerdeführerin sei
durch die NEV zumindest nicht "erheblich" in ihrem wirtschaftlichen Fortkommen
beeinträchtigt, kann zu keinem anderen Resultat führen. Die Tatsache, dass sie
- genügend Arbeitsbemühungen vorausgesetzt - nach einer langjährigen
Erwerbstätigkeit, die sie ausschliesslich wegen der NEV verloren hat, keine
ihren Fähigkeiten und gesundheitlichen Voraussetzungen angepasste neue Stelle
findet, stellt sehr wohl eine erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung dar.

4.2 Zusammenfassend hat das kantonale Gericht Sinn und Zweck der
Übergangsentschädigung und eine der Anspruchsvoraussetzungen des Art. 86 VUV
fehlinterpretiert. Falls die Beschwerdeführerin genügend zumutbare
Arbeitsbemühungen vorzuweisen vermag, - was die Unfallversicherung zu prüfen
haben wird -, hat sie Anspruch auf eine Übergangsentschädigung. Über die Höhe
und die Dauer der Leistungen - gegebenenfalls unter Berücksichtigung einer
Überentschädigung wegen gleichzeitigem Bezug von Leistungen der
Arbeitslosenversicherung (Art. 69 ATSG) - wird die Zürich erneut zu verfügen
haben.

5.
Im Weiteren stellt die Beschwerdeführerin den Antrag, die Zürich sei zu
verpflichten, ihr auf den nachzuzahlenden Leistungen Verzugszins auszurichten.
Dieses erst vor Bundesgericht erhobene Rechtsbegehren ist neu, da weder in der
Einsprache vom 18. Mai 2006 noch in der kantonalen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 23. November 2006 ein entsprechendes Ersuchen
gestellt worden war. Es liegt damit eine Ausweitung des Streitgegenstandes vor,
die gemäss Art. 99 Abs. 2 BGG unzulässig ist, weshalb auf das
Verzugszinsbegehren nicht eingetreten werden kann.

6.
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 68 Abs. 1 BGG) zu tragen und der Beschwerdeführerin eine
Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 6. Juni 2007 und der
Einspracheentscheid der Zürich Versicherungs-Gesellschaft vom 22. August 2006
werden aufgehoben. Die Sache wird an die Unfallversicherung zurückgewiesen,
damit sie nach Prüfung des Sachverhaltes im Sinne der Erwägungen über den
Anspruch der Beschwerdeführerin neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wird über eine Neuverlegung der
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 5. Juni 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Schüpfer