Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.505/2007
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007


Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_505/2007

Urteil vom 28. Mai 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Widmer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Weber Peter.

Parteien
S.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Frank Goecke, Ankerstrasse 24, 8004 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz
vom 6. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1974 geborene, aus dem Kosovo stammende S.________ war bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die
Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert, als er am 10. Juni 1999
einen Autoselbstunfall erlitt und sich dabei u.a. ein Polytrauma mit Contusio
cerebri bei kleiner Kontusionsblutung temporal rechts und traumatischer
Subarachnoidalblutung sowie multiple Kontusionen/Exkoriationen zuzog. Die SUVA
erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Mit Verfügung vom 4. Januar 2002
gewährte sie dem Versicherten mit Wirkung ab 1. Januar 2002 eine
UVG-Invalidenrente auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 100 %, welche sie
am 18. April 2002 verfügungsweise als Komplementärrente zur IV-Rente
berechnete.
Mit Verfügung vom 5. April 2006 sprach die SUVA dem Versicherten gestützt auf
die Beurteilung von Frau Dr. med. H.________, Fachärztin für Psychiatrie und
Psychotherapie, Abteilung Versicherungsmedizin (vom 5. August 2005), eine
Integritätsentschädigung für eine Integritätseinbusse von 60 % zu. Auf
Einsprache hin hielt sie daran fest (Einspracheentscheid vom 2. Februar 2007).

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz wies die dagegen erhobene Beschwerde,
mit welcher ein Aktengutachten des Dr. med. R.________, Spezialarzt FMH für
Psychiatrie und Psychotherapie (vom 16. Mai 2007), eingereicht worden war, mit
Entscheid vom 6. August 2007 ab.

C.
Der Versicherte lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides
sei eine Integritätsentschädigung von mindestens 80 % auszurichten. Ferner wird
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht.
Während die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Eingabe von 18. Oktober 2007 lässt der Versicherte das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege zurückziehen.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III
136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend
gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle
sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von
kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge
in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). Allerdings bleibt auch in diesen
Fällen eine freie gerichtliche Ermessensprüfung im Sinne der
Angemessenheitskontrolle, welche u.a. im Bereich der Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen nach UVG gemäss dem bis am 31.
Dezember 2006 gültig gewesenen Art. 132 Abs. 1 lit. a OG letztinstanzlich
zulässig war, mit Inkrafttreten des BGG zum 1. Januar 2007 nunmehr
ausgeschlossen (Ulrich Meyer, in: Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz,
Basel 2008, N 30 zu Art. 105 BGG; Markus Schott, in: Basler Kommentar zum
Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N 26 zu Art. 97 BGG).

2.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf eine
Integritätsentschädigung (Art. 24 und 25 UVG; Art. 36 UVV), insbesondere
infolge eines psychischen Leidens (BGE 124 V 29 und 209), und deren Ermittlung
durch Anwendung der Skala in Anhang 3 zur UVV sowie der von der Medizinischen
Abteilung der SUVA erarbeiteten Tabellen (sog. Feinraster; BGE 124 V 29 E. 1b
und c S. 32; vgl. ferner RKUV 1998 Nr. U 296 S. 235 E. 2a, je mit Hinweisen)
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Gleiches gilt für die Ausführungen
zum Beweiswert und zur Würdigung medizinischer Berichte und Stellungnahmen (BGE
125 V 351 E. 3a S. 352, 122 V 157 E. 1c S. 160).

3.
Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass der Versicherte an einer
psychischen Störung leidet, welche zu einer Integritätsentschädigung
berechtigt. Streitig und zu prüfen ist allein die Höhe der
Integritätsentschädigung.

3.1 Die Integritätsentschädigung wird entsprechend der Schwere des
Integritätsschadens abgestuft (Art. 25 Abs. 1 UVG). Die Schwere des
Integritätsschadens wird nach dem medizinischen Befund beurteilt. Bei gleichem
medizinischem Befund ist der Integritätsschaden für alle Versicherten gleich;
er wird abstrakt und egalitär bemessen. Die Integritätsentschädigung der
Unfallversicherung unterscheidet sich daher von der privatrechtlichen
Genugtuung, mit welcher der immaterielle Nachteil individuell unter Würdigung
der besonderen Umstände bemessen wird. Im Gegensatz zur Bemessung der
Genugtuungssumme im Zivilrecht lassen sich ähnliche Unfallfolgen miteinander
vergleichen und auf medizinischer Grundlage allgemein gültige Regeln zur
Bemessung des Integritätsschadens aufstellen. Spezielle Behinderungen der
Betroffenen durch den Integritätsschaden bleiben dabei unberücksichtigt. Die
Bemessung des Integritätsschadens hängt somit nicht von den besonderen
Umständen des Einzelfalles ab. Auch geht es bei ihr nicht um die Schätzung
erlittener Unbill, sondern um die medizinisch-theoretische Ermittlung der
Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität, wobei subjektive
Faktoren ausser Acht zu lassen sind (BGE 133 V 224 E. 5.1 S. 230, 115 V 147 E.
1 mit Hinweisen).

3.2 Die Beurteilung der einzelnen Integritätseinbussen obliegt den ärztlichen
Sachverständigen. Dem Gericht ist es nicht möglich, die Beurteilung aufgrund
der aktenkundigen Diagnosen selber vorzunehmen, da die Ausschöpfung des in den
Tabellen offengelassenen Bemessungsspielraums entsprechende Fachkenntnisse
voraussetzt (RKUV 1998 Nr. U 296 S. 235 E. 2d; vgl. auch Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 191/00 vom 13. Januar 2002, E. 2c,
wonach es sich bei der Bestimmung des Schweregrades einer gesundheitlichen
Beeinträchtigung um eine Tatfrage handelt, für deren Beantwortung Verwaltung
und Gerichte auf fachärztliche Mithilfe angewiesen sind, da von einem
medizinischen Laien eine zuverlässige Zuordnung nicht erwartet werden kann).

4.
4.1 Die Psychiaterin Dr. med. H.________, Versicherungsmedizin der SUVA, hielt
in ihrer Beurteilung vom 5. August 2005 fest, dass der psychische Befund des
Versicherten im Vergleich zum Zustand vor drei Jahren unverändert geblieben
sei. Sie stützte sich dabei auf die SUVA-Akten, den Bericht des Hausarztes (vom
30. November 2004) und den Bericht über die Nachuntersuchung im
Sozialpsychiatrischen Dienst (vom 4. Januar 2005), wo eine schwergradige
organische Persönlichkeitsstörung nach Schädel-Hirntrauma 1991 (recte: 1999;
ICD-10 F 10.07) diagnostiziert worden war. Im Rahmen einer neuropsychologischen
Testuntersuchung an der Rehaklinik X.________ sei von der kognitiven Seite her
von einer gesamthaft mittelschweren Störung ausgegangen worden. Zur Schätzung
des definitiven Integritätsschadens müssten beide Beurteilungen herangezogen
werden. Ausgehend von einer kognitiven Einschränkung etwa im mittleren Bereich
und einer Veränderung der Persönlichkeit in eher schwerem Bereich entspreche
dies gesamthaft einer mittelschweren bis schweren psychischen Störung, bzw.
gemäss Tabelle 19 "Integritätsentschädigung gemäss UVG" einem
Integritätsschaden von 60 %.

4.2 Diese fachärztliche Einschätzung ist nicht zu beanstanden. Sie erweist sich
mit Blick auf die gesamte medizinische Aktenlage als überzeugend und schlüssig.
Entgegen den Einwendungen des Beschwerdeführers vermag die nachträgliche
Beurteilung des Psychiaters Dr. med. R.________ (vom 16. Mai 2007) daran nichts
zu ändern. Wie die Vorinstanz zu Recht feststellt, geht Dr. med. R.________ von
der gleichen Diagnose einer schwergradigen organischen Persönlichkeitsstörung
mit kognitiver Einschränkung im mittelschweren Bereich aus. Die begleitende
kognitive Störung wertet er mithin ebenfalls nicht als schwer. Auch sieht er
keine Anhaltspunkte für eine zusätzliche Beeinträchtigung der körperlichen
Integrität. Wie sich aus dem Erhebungsblatt der SUVA für die
Hilflosenentschädigung (vom 30. September 2005), gestützt auf welches mit
Verfügung (vom 28. November 2006) eine Hilflosenentschädigung aufgrund einer
Hilflosigkeit leichten Grades zugesprochen wurde, ergibt, benötigt der
Versicherte vor allem direkte oder indirekte Dritthilfe (insbesondere der
Ehefrau) im Bereich Pflege gesellschaftlicher Kontakte (Lektüre, Korrespondenz,
Besuche und Anlässe) mit Ausnahme des Telefonierens. Überdies muss er zur
Körperpflege angehalten werden. Damit kann nicht gesagt werden, dass "der
Alltag auf Grund der gesundheitlichen Störungen nicht mehr selbständig
bewältigt werden kann", was für eine Einstufung als schwere psychische Störung
im Sinne eines schweren Integritätsschadens von gegen 80 % gemäss Tabelle 19
erforderlich wäre. Vielmehr spricht dies für die Einstufung als mittelschwer
bis schwer, wonach "das alltägliche Leben durch die Störung zwar deutlich
beeinträchtigt ist. Es aber im Wesentlichen selbständig möglich ist". Entgegen
dem Beschwerdeführer vermag daran auch die Einschätzung des Hausarztes Dr. med.
W.________, Allgemein Medizin FMH (vom 29. Januar 2005), nichts zu ändern,
beruht diese doch nicht auf einer entsprechenden Leistungsabklärung. Mit der
Vorinstanz rechtfertigen die von Dr. phil. B.________, Fachpsychologin für
Verkehrspsychologie, in ihrem Abklärungsbericht (vom 5. Juli 2006) im Rahmen
der Verkehrstauglichkeitsprüfung festgestellten Defizite (Verlangsamung der
Informationsverarbeitung, Einschränkung der Belastbarkeit, Überforderung im
Strassenverkehr ect.) ebenfalls keine Erhöhung des Integritätsschadens.
Betreffend die Möglichkeiten der Alltagsbewältigung lässt sich daraus nichts
Konkretes ableiten, vielmehr ergibt sich lediglich, dass der Versicherte im
Strassenverkehr erheblich überfordert ist. Nicht zu beanstanden ist
schliesslich die Festsetzung des Integritätsschadens bei 60 % innerhalb der
Bandbreite für schwere bis mittelschwere psychische Störungen von 50 % bis 80
%. Obwohl nicht näher begründet, ist hier keine rechtsfehlerhafte Handhabung
des Ermessens (vgl. E. 1.2 hievor) ersichtlich, womit kein Anlass besteht, in
den Bemessungsspielraum der SUVA einzugreifen. Sämtliche Einwendungen des
Beschwerdeführers vermögen daran nichts zu ändern.

4.3 Nach dem Gesagten erweist sich die Zusprechung einer
Integritätsentschädigung von 60 % durch Verwaltung und Vorinstanz mithin als
rechtens.

5.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird als gegenstandslos
abgeschrieben.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 28. Mai 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Die Gerichtsschreiberin:

Widmer Weber Peter