Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.477/2007
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_477/2007

Urteil vom 10. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Parteien
H.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwältin Mirjam Stanek
Brändle, Obergasse 34, 8400 Winterthur,

gegen

AXA Versicherungen AG,
General-Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, Beschwerdegegnerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Guy Reich, Münchhaldenstrasse 24, 8008 Zürich.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 30. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1951 geborene H.________ arbeitet als Sachbearbeiterin bei der Stadt
X._________ und ist in dieser Eigenschaft bei der Winterthur Schweizerische
Versicherungs-Gesellschaft (heute AXA Versicherungen AG, nachfolgend: AXA)
gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 15. Februar 2005 liess H.________
der Versicherung melden, am 9. Februar 2005 sei ca. drei Meter neben ihrem
Arbeitsplatz ohne Vorwarnung eine neue Alarmglocke getestet worden, was eine
beidseitige Hörbehinderung und ein starkes Ohrenpfeifen ausgelöst habe. Die AXA
klärte den Sachverhalt unter anderem ab, indem sie Zeugnisse der behandelnden
Ärztin Dr. med. W.________, Fachärztin FMH für ORL, einholte und ein
Schallmessprotokoll mit einer fachärztlichen Beurteilung des ORL- und
Arbeitsmediziners Dr. med. M.________ von der Abteilung Arbeitsmedizin der SUVA
in Auftrag gab. Letzteres wurde am 4. November 2005 erstattet. Mit Verfügung
vom 8. Dezember 2005 teilte die AXA der Versicherten mit, es liege weder ein
Unfallereignis noch eine unfallähnliche Körperschädigung im Sinne des Gesetzes
vor, und auch bei hypothetischer Annahme eines solchen fehle es an einem
Kausalzusammenhang der geltend gemachten Beschwerden mit dem Ereignis, sodass
keine Leistungen erbracht würden. Daran hielt sie auch auf Einsprache hin fest
(Entscheid vom 15. Februar 2006).

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies eine dagegen geführte
Beschwerde mit Entscheid vom 30. Juli 2007 ab.

C.
H.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und zusammenfassend beantragen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides seien
der diagnostizierte Tinnitus und ihre psychischen Beschwerden als Folge des
Unfalles vom 9. Februar 2005 anzuerkennen. Eventuell sei die Sache zu weiteren
Sachverhaltsabklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die AXA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht prüft
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen,
wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur
insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die
Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder
Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
2.1 Nach Art. 6 Abs. 1 UVG werden Versicherungsleistungen, soweit das Gesetz
nichts anderes bestimmt, bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und
Berufskrankheiten gewährt. Das kantonale Gericht hat die Rechtsgrundlagen
bezüglich des Unfallbegriffs, insbesondere die Rechtsprechung zum Merkmal des
ungewöhnlichen äusseren Faktors (BGE 129 V 404 E. 2.1) sowie zum Erfordernis
des natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhanges zwischen Ereignis und dem
eingetretenen Schaden (BGE 123 V 45 E. 2b S. 47) zutreffend dargelegt. Es wird
darauf verwiesen.

2.2 Ob zwischen einem schädigenden Ereignis und einer gesundheitlichen Störung
ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, ist eine Tatfrage, worüber die
Verwaltung - bzw. im Beschwerdefall das Gericht - im Rahmen der ihm obliegenden
Beweiswürdigung nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu befinden hat. Die blosse Möglichkeit eines
Zusammenhanges genügt für die Begründung eines Leistungsanspruches nicht (BGE
129 V 177 E. 3.1 S. 181). Der mangelhafte Nachweis eines die Merkmale des
Unfalles erfüllenden Ereignisses lässt sich nur selten durch medizinische
Feststellungen ersetzen. Diesen kommt im Rahmen der Beweiswürdigung für oder
gegen das Vorliegen eines unfallmässigen Geschehens in der Regel nur die
Bedeutung von Indizien zu (RKUV 2006 Nr. U 578 S. 170 E. 2.4 und 1990 Nr. U 86
S. 51 E. 2).

3.
Streitig und zu prüfen ist zunächst, ob das Ereignis vom 9. Februar 2005 die
Merkmale der Ungewöhnlichkeit und der Plötzlichkeit erfüllt und und ob es mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer physischen oder psychischen
Schädigung geführt hat, mithin ob ein Unfall im Rechtssinne vorliegt, was im
Einspracheentscheid vom 15. Februar 2006 verneint wird.

3.1 Die Bagatell-Unfallmeldung vom 15. Februar 2005 lautet wie folgt: "Ich
arbeitete am Bildschirm. Im Glaskasten, direkt neben meinem Arbeitsplatz wurde
eine neue Alarmglocke montiert und bei geöffneter Türe ohne Vorwarnung ca. 3
Meter von mir entfernt, getestet." Betroffen seien beide Ohren und die
Schädigung bestehe aus starkem Ohrenpfeifen und einer Hörbehinderung. Gemäss
telefonischer Auskunft des Monteurs, der die Alarmanlage montiert und getestet
hatte, wurde der Test bei geschlossener Glastüre durchgeführt und habe er die
anwesenden Personen vor der Testung gewarnt. In seiner Anwesenheit habe sich
die Versicherte nicht über irgendwelche Beschwerden beklagt.
Damit besteht bereits hinsichtlich des genauen Hergangs des Ereignisses ein
ungeklärter Sachverhalt. Die Unfallversicherung und die Vorinstanz konnten
jedoch von weiteren Abklärungen des Sachverhaltes beispielsweise mit
eigentlichen Zeugeneinvernahmen absehen, wenn es an weiteren Voraussetzungen
für die Erfüllung des Unfallbegriffs mangelt.

3.2 Der behandelnden Ohrenärztin, Dr. med. W.________, gegenüber berichtete die
Beschwerdeführerin, nach dem Vorfall sei es für ca. zwei Stunden zu einer
sofortigen Gehörsabnahme beidseits gekommen. Sie habe an Schlafstörungen
gelitten und einen Tag später habe der andauernde Tinnitus eingesetzt. Das
Reintonaudiogramm vom 16. Februar 2005 ergab einen Hochtonabfall ab 4000 Hz auf
maximal 70 dB bei 12000 Hz beidseits und einen Tinnitus bei 4000/6000 Hz und
60dB. Die Ärzte des Medizinischen Zentrums Y.________ stellten im Juli 2005
zudem die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode. Gemäss Dr. med.
W.________ handelt es sich dabei um eine reaktive Depression bei durch den
Tinnitus ausgelösten ausgeprägten Schlafstörungen. Anlässlich einer
audiologischen Untersuchung an der Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und
Gesichtschirurgie des Spitals A.________ fand Dr. med. S.________ am 10. Mai
2006 gegenüber dem im Februar 2005 angefertigten Audiogramm deutlich
verbesserte Verhältnisse. Seine Diagnose lautet auf chronische, hochfrequente,
dekompensierte Tinnitus nach akustischem Trauma mit beidseitigem Hörsturz
(Akustischer Unfall), einem altersentsprechenden Gehör mit Lärmschädigung im
oberen Frequenzbereich und einer reaktiven Depression. Das klar angegebene
erstmalige Auftreten eines Tinnitus mit beidseitiger länger anhaltender
Hörverminderung könne dem Begriff des "akustischen Unfalls" zugeordnet werden,
falls die Lautstärke des verantwortlichen Sirenentones im Bereich einer
potentiell hörschädlichen Schallspitze gelegen habe, das heisst 85 dB erreicht
oder überschritten hatte. Der Arzt empfiehlt eine entsprechende Messung des
Sirenentones vor Ort. Eine solche hatte durch die arbeitsmedizinische Abteilung
der SUVA bereits im Oktober 2005 stattgefunden. Dr. med. M.________ kam dabei
zur Erkenntnis, dass der mittlere Pegel des Alarmtones bei offener Tür am
Arbeitsplatz der Versicherten 83 dB(A) betrage. Der Schallexpositionspegel
entspreche am Arbeitsplatz der Versicherten in Ohrhöhe einem solchen von 90 dB
(A) SEL. Der Grenzwert für kurz dauernde, akute Schallereignisse liege für
Spitzenpegel bei 140 dB(C) und für den Schallexpositionspegel bei 125 dB(A)
SEL. Die Testergebnisse würden die beiden Grenzwerte weit unterschreiten, wobei
vorzumerken sei, dass eine Reduktion um 3 dB bereits einer Halbierung der
Schallenergie entspreche. Der gemessene Mittelungspegel von 83 dB(A) erreiche
nicht einmal den Grenzwert für die Gehörgefährdung bei einer chronischen
Lärmbelastung. Bei einem solchen Wert würde gemäss Dr. med. M.________ auch
eine langjährige Exposition nicht zu Gehörschäden führen. Ein Lärmtrauma habe
nicht stattgefunden. Der Lärmpegel sei dazu nicht geeignet gewesen. Aus
fachärztlicher Sicht könne eine direkte Schädigung und damit die Verursachung
des Tinnitus durch die Schalleinwirkung nicht mit letzter Sicherheit
ausgeschlossen werden, sie sei aber nicht wahrscheinlich.

3.3 Gemäss fachärztlichem Aktengutachten vom 4. November 2005 ist es - unter
Berücksichtigung der technischen Lautstärkenprüfung vor Ort, was beim
Parteigutachten des Dr. med. S.________ fehlt - nicht wahrscheinlich, dass der
Tinnitus der Beschwerdeführerin durch die Testung der Alarmanlage verursacht
worden ist, womit die AXA ihre Leistungspflicht zu Recht verneinte. Das
Gutachten, welches von der SUVA als nicht involvierte Partei mit sehr grosser
Erfahrung hinsichtlich arbeitsmedizinischer Aspekte und Lärmbelastung verfasst
wurde, überzeugt. Es ist darauf abzustellen.

3.4 Die Argumente der Beschwerdeführerin können an dieser Erkenntnis nichts
ändern. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum nicht auf das
Schallmessungsprotokoll der SUVA abgestellt werden soll. Selbst der von der
Versicherten im Hinblick auf das Beschwerdeverfahren hinzugezogene Dr. med.
S.________ empfiehlt eine solche. Hinweise, dass an der Anlage zwischen dem
Probealarm vom 9. Februar 2005 und der Schallmessung am 25. Oktober 2005
irgendwelche Änderungen vorgenommen worden wären, liegen nicht vor. Der
Umstand, dass die maximale Lautstärke gemäss Angabe des Geräteherstellers 110
dB beträgt, belegt keineswegs, dass die konkreten Messungen am Arbeitsplatz der
Beschwerdeführerin auf Ohrenhöhe falsch sein sollten. Gemäss Messprotokoll vom
26. Oktober 2005 reduziert sich die Dezibelzahl allein vom Türdurchgang des
Computerraumes, in dem die Anlage montiert ist, bis zum erwähnten Arbeitsplatz
von 89 auf 83 dB, was angesichts des logarithmischen Verlaufs der Dezibelskala
wesentlich ist. Schliesslich ist unbestritten, dass der Probealarm
möglicherweise den Tinnitus der Beschwerdeführerin ausgelöst hat. Das ist aber
angesichts der technischen Daten nicht überwiegend wahrscheinlich.

4.
Schliesslich macht die Beschwerdeführerin geltend, die Vorinstanz habe trotz
eines entsprechenden Antrages nicht geprüft, ob der "plötzliche Schreck" nicht
zum Tinnitus geführt habe und daher Leistungen unabhängig von der
Lärmeinwirkung auszurichten seien.

Von einer Prüfung dieses Argumentes konnte das kantonale Gericht absehen, weil
auch bei Anerkennung eines sogenannten Schreckereignisses als Unfall
vorausgesetzt ist, dass ein ungewöhnlicher äusserer Faktor auf den menschlichen
Körper einwirkt (Art. 4 ATSG). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat
wiederholt festgehalten, dass schreckbedingte plötzliche Einflüsse auf die
Psyche nur dann den Unfallbegriff erfüllen können, wenn es sich um ein
aussergewöhnliches Schreckereignis, verbunden mit einem entsprechenden
psychischen Schock handelt (BGE 129 V 177 E. 2.1 S. 179). Davon kann vorliegend
nicht die Rede sein.

5.
Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Schüpfer