Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.42/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_42/2007

Urteil vom 14. April 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiber Lanz.

Parteien
E.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Paul Rechsteiner, Oberer Graben
44, 9000 St. Gallen,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 17. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1959 geborene E.________ war als Einpacker in der Firma A.________ tätig
und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert, als er am 13. März 2004 einen
Verkehrsunfall erlitt. Ein nachfolgender Personenwagen fuhr ins Heck des von
ihm gelenkten und vor der Einfahrt in eine vortrittsberechtigte Strasse
angehaltenen Renault 19. Nach einigen Stunden traten zunehmend Beschwerden auf,
weshalb E.________ anderntags einen Arzt aufsuchte. Der weiterbehandelnde
Hausarzt diagnostizierte mit Bericht vom 6. April 2004 ein zunehmendes
cervicospondylogenes Syndrom bei Status nach Distorsionstrauma der
Halswirbelsäule (HWS). Er bestätigte eine Arbeitsunfähigkeit ab dem 15. März
2004. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld).
Es folgten verschiedene medizinische Abklärungs- und Therapiemassnahmen, u.a.
stationär vom 16. Juni bis 21. Juli 2004 in der Rehaklinik B.________. Nachdem
der Versicherte weiterhin Beschwerden klagte, eröffnete ihm die SUVA mit
Verfügung vom 20. Juli 2005 die sofortige Einstellung der Leistungen. Zudem
wurde ein Anspruch auf eine Invalidenrente und auf eine
Integritätsentschädigung verneint. Zur Begründung wurde ausgeführt, die noch
geklagten Beschwerden seien psychischer Natur und stünden nicht in einem
rechtserheblichen Kausalzusammenhang zum Unfall vom 13. März 2004. Daran hielt
der Unfallversicherer auf die von E.________ eingereichte Einsprache hin fest
(Einspracheentscheid vom 16. Februar 2006).

B.
Die von E.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 17. Januar 2007 ab.

C.
E.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei die
Begutachtung durch einen medizinischen Sachverständigen anzuordnen resp. die
Angelegenheit an die Vorinstanz oder an die SUVA zurückzuweisen. Je nach
Ergebnis der ergänzenden Abklärung seien weiterhin gesetzliche Leistungen
auszurichten.

Die SUVA beantragt die Abweisung der Beschwerde, ohne sich weiter zur Sache zu
äussern. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Eingaben vom 1. resp. 8. April 2008 ergänzen die Parteien ihre Vorbringen
im Hinblick auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil U 394/06 vom 19. Februar
2008.

Erwägungen:

1.
Streitig ist der Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung
aus dem Unfall vom 13. März 2004 über den 20. Juli 2005 hinaus.

Das kantonale Gericht hat die von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze
zum für einen Leistungsanspruch aus der obligatorischen Unfallversicherung
vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem
Unfall und dem eingetretenen Schaden im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.1 und
3.2 S. 181 mit Hinweisen) sowie bei klar ausgewiesenen organischen Unfallfolgen
(BGE 127 V 102 E. 5b/bb S. 103 mit Hinweisen), bei psychischen
Fehlentwicklungen nach Unfall (BGE 115 V 133) und nach der für nicht mit
organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolgen verbundenen Schleudertraumen (BGE
117 V 359), äquivalenten Verletzungen der HWS (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 2)
und Schädel-Hirntraumen (BGE 117 V 369) geltenden sog. Schleudertrauma-Praxis
im Besonderen zutreffend dargelegt.

Anzufügen bleibt, dass das Bundesgericht jüngst die sog. Schleudertrauma-Praxis
in zweierlei Hinsicht präzisiert hat: Zum einen wurden die Anforderungen an den
Nachweis einer natürlich unfallkausalen Verletzung, welche die Anwendung dieser
Praxis bei der Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhangs rechtfertigt, erhöht.
Zum anderen wurden die Kriterien, welche abhängig von der Unfallschwere
gegebenenfalls in die Adäquanzbeurteilung einzubeziehen sind, teilweise
modifiziert (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil U 394
/06 vom 19. Februar 2008, E. 9 und 10).

2.
Das kantonale Gericht hat die Frage nach einem natürlichen Kausalzusammenhang
zwischen den noch geklagten Beschwerden und dem Unfall vom 13. März 2004 nicht
abschliessend beantwortet, da es ohnehin am adäquaten Kausalzusammenhang fehle.
Dies ist nicht zu beanstanden, wenn die Adäquanz in der Tat zu verneinen ist.
Denn diesfalls kann praxisgemäss auf weitere Beweisvorkehren zur natürlichen
Kausalität verzichtet werden (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 3c; zur Anwendbarkeit
dieses Grundsatzes auch im Rahmen der Schleudertrauma-Praxis vgl. aus jüngerer
Zeit etwa: Urteile U 70/07 vom 31. Januar 2008, E. 5.1, und U 42/07 vom 16.
Januar 2008, E. 3.3 mit Hinweisen). Daran hat sich mit dem erwähnten Urteil U
394/06 vom 19. Februar 2008 (vgl. dortige E. 11) nichts geändert.

2.1 Mit dem kantonalen Gericht ist aufgrund der Ergebnisse der verschiedenen,
auch mit bildgebenden Verfahren durchgeführten medizinischen Untersuchungen
festzustellen, dass die über den 20. Juli 2005 hinaus geklagten Beschwerden
nicht mit einer organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolge zu erklären sind.
Anders als bei Gesundheitsschädigungen mit einem klaren unfallbedingten
organischen Substrat, bei welchen der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel
mit dem natürlichen bejaht werden kann (BGE 127 V 102 E. 5b/bb S. 103 mit
Hinweisen), hat demnach eine spezielle Adäquanzprüfung zu erfolgen. Das ist
insoweit auch nicht umstritten.

2.2 Uneinigkeit besteht in der Beantwortung der Frage, ob die Adäquanz, wie von
Unfallversicherer und Vorinstanz entschieden, gemäss den bei psychischen
Fehlentwicklungen nach Unfall geltenden Grundsätzen oder aber, wie der
Beschwerdeführer geltend machen lässt, nach der Schleudertrauma-Praxis zu
beurteilen ist. Diesem Gesichtspunkt kann insofern Bedeutung zukommen, als nach
der letztgenannten Praxis, anders als im Falle einer psychischen
Fehlentwicklung nach Unfall, bei der Prüfung der abhängig von der Unfallschwere
in die Adäquanzbeurteilung einzubeziehenden unfallbezogenen Kriterien auf eine
Differenzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet
wird, weil es hier nicht entscheidend ist, ob Beschwerden eher als organischer
und/oder psychischer Natur beurteilt werden (BGE 117 V 359 E. 6a S. 367 und 369
E. 4b S. 382 f.; erwähntes Urteil U 394/06 vom 19. Februar 2008, E. 2.1 und 9
Ingress).

2.3 Die Diagnose eines beim Unfall vom 13. März 2004 erlittenen
HWS-Distorsionstraumas ist unbestritten. Hingegen erscheint tatsächlich eher
fraglich, ob die für Schleudertrauma-Verletzungen typischen Beschwerden in
genügender Weise aufgetreten sind, um nach der bisherigen Praxis (BGE 117 V 359
E. 4b S. 360, 369 E. 4b S. 382) den Schluss auf eine derartige unfallbedingte
Gesundheitsschädigung zu gestatten. Gemäss den echtzeitlichen ärztlichen
Angaben waren nämlich initial lediglich Kopf- und Nackenschmerzen und im
weiteren Verlauf über geraume Zeit höchstens noch lageabhängige
Schwindelgefühle zu verzeichnen. Sodann ist die einige Zeit nach dem Unfall
hinzugekommene psychische Problematik nicht unbedingt als Teil einer
unfallbedingten HWS-Verletzung zu betrachten; sie wird zudem namentlich auch
durch wiederholt bestätigte soziokulturelle und psychosoziale
Belastungsfaktoren beeinflusst. Letztlich muss dies aber nicht abschliessend
beantwortet werden. Namentlich ist auch nicht erforderlich, das Vorliegen einer
natürlich unfallkausalen Verletzung, welche die Anwendung der
Schleudertrauma-Praxis zu rechtfertigen vermag, im Lichte der mit Urteil U 394/
06 vom 19. Februar 2008 erhöhten Anforderungen zu prüfen. Denn selbst wenn
trotz der bestehenden Vorbehalte der Auffassung des Versicherten gefolgt und
die Schleudertrauma-Praxis angewendet wird, ist der adäquate Kausalzusammenhang
zu verneinen. Dies wird nachfolgend gezeigt.
2.4
2.4.1 Für die Adäquanzbeurteilung ist an das (objektiv erfassbare)
Unfallereignis anzuknüpfen (BGE 117 V 359 E. 6a S. 366 f.; Urteil U 394/06 vom
19. Februar 2008, E. 10.1). Die Heckauffahrkollision vom 13. März 2004 ist
aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufes im mittelschweren Bereich und
dort nicht an der Grenze zu den schweren Unfällen einzuordnen.

Von den weiteren, objektiv fassbaren und unmittelbar mit dem Unfall in
Zusammenhang stehenden oder als Folge davon erscheinenden Umständen, welche als
massgebende Kriterien in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind (BGE 117 V 359
E. 6a S. 367), müssten demnach für eine Bejahung des adäquaten
Kausalzusammenhanges entweder ein einzelnes in besonders ausgeprägter Weise
oder aber mehrere in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sein (BGE 117 V
359 E. 6b S. 367 f.). Daran hat sich mit dem Urteil U 394/06 vom 19. Februar
2008 nichts geändert (besagtes Urteil, E. 10.1).
2.4.2 Von den bisherigen Kriterien gemäss BGE 117 V 359 E. 6a S. 367 und 369 E.
4b S. 383 sind diejenigen der besonders dramatischen Begleitumstände oder
besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls, der ärztlichen Fehlbehandlung, welche
die Unfallfolgen erheblich verschlimmert, sowie des schwierigen
Heilungsverlaufs und erheblicher Komplikationen im Urteil U 394/06 vom 19.
Februar 2008 unverändert beibehalten worden (dortige E. 10.2.1, 10.2.5 und
10.2.6). Beim Kriterium der Schwere und besonderen Art der erlittenen
Verletzung wurde bei gleichem Wortlaut der Kriteriumsbezeichnung der Sinngehalt
näher umschrieben (E. 10.2.2 des besagten Urteils). Im vorliegenden Fall können
die genannten vier Kriterien zuverlässig verneint werden. Der Beschwerdeführer
bringt nichts vor, was eine andere Betrachtungsweise zu rechtfertigen
vermöchte.
2.4.3 Die restlichen drei adäquanzrelevanten Kriterien hiessen bisher:
ungewöhnlich lange Dauer der ärztlichen Behandlung, Dauerbeschwerden sowie Grad
und Dauer der Arbeitsunfähigkeit. In der präzisierten (Kurz-)Form lauten sie:
fortgesetzt spezifische, belastende ärztliche Behandlung, erhebliche
Beschwerden und erhebliche Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen
(Urteil U 394/06 vom 19. Februar 2008, E. 10.3).

Selbst wenn diese Kriterien bejaht würden, wären sie nicht in gehäufter oder
auffallender Weise gegeben. Es müsste daher mindestens ein Kriterium in
besonders ausgeprägter Weise erfüllt sein. Dies kann bei sämtlichen Kriterien,
und zwar in der bisherigen wie in der präzisierten Form, ohne Weiteres verneint
werden. Näherer Betrachtung bedarf einzig das Kriterium von Grad und Dauer der
Arbeitsunfähigkeit. Gemäss Austrittsbericht der Rehaklinik B.________ vom 27.
Juli 2004 wurde die Wiederaufnahme der Arbeit ab 23. August 2004 zu 50 % und ab
27. September 2004 zu 100% für zumutbar beurteilt. Der Versicherte ging dann
auch der Arbeit entsprechend nach, wenn auch unter Angabe von Beschwerden und
mit, allerdings nur kurzen, Unterbrüchen. Erst ab März 2005 waren wieder Phasen
hälftiger, für kurze Zeit auch voller Arbeitsunfähigkeit zu verzeichnen, wobei
sich der dies hauptsächlich attestierende Hausarzt offensichtlich schwertat,
hiefür eine medizinische Begründung abzugeben. Der ebenfalls beigezogene Dr.
med. T.________, FMH Physikalische Medizin, betonte denn auch im Bericht vom 7.
März 2005, es sei nicht von stark behindernden Schmerzen auszugehen; vielmehr
müsse der Versicherte immer wieder darauf hingewiesen werden, dass nichts
Ernsthaftes vorliege. Der ab Mai 2005 behandelnde Psychiater bestätigte dann
eine volle Arbeitsunfähigkeit, welche aber mit geeigneten Massnahmen auf 50 %
gesenkt werden könne. Es liegt demnach ein wechselhafter Verlauf vor, wobei
immerhin über einige Zeit auch eine volle Arbeitsfähigkeit bestand. In
besonders ausgeprägter Weise ist das Kriterium damit jedenfalls nicht erfüllt.
Dies gilt sowohl bei Berücksichtigung von Grad und Dauer der
Arbeitsunfähigkeit, als auch unter dem Gesichtspunkt der Erheblichkeit der
Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen.

Die Vorinstanz hat daher eine rechtserhebliche Bedeutung des Unfalls vom 13.
März 2004 für die über den 20. Juli 2005 hinaus bestandenen Beschwerden, und
damit eine Leistungspflicht der SUVA hiefür, zu Recht verneint.
2.4.4 An dieser Beurteilung vermögen sämtliche Vorbringen des Beschwerdeführers
nichts zu ändern. Namentlich trifft auch nicht zu, dass von weiteren
medizinischen Abklärungen, ob nun zur natürlichen Kausalität oder zu den
Grundlagen für die Beurteilung der Adäquanzkriterien, ein entscheidrelevanter
neuer Aufschluss zu erwarten ist. Der Umstand, dass zwischenzeitlich die
Invalidenversicherung eine medizinische Abklärung anberaumt hat, ändert hieran
nichts. Wenn die Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung von
Sachverhaltsergänzungen abgesehen hat, ist dies daher nicht zu beanstanden.
Dies gilt auch im Lichte des im Urteil U 394/06 vom 19. Februar 2008 Gesagten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 14. April 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Lanz