Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.37/2007
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007


8C_37/2007

Urteil vom 8. Januar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Visana Versicherungen AG, Weltpoststrasse 19, 3015 Bern, Beschwerdeführerin,

gegen

R.________, 1954, Beschwerdegegner,
vertreten durch lic. iur. F.________.

Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 5. Februar 2007.

Sachverhalt:

A.
R. ________ (geboren 1954) ist seit 11. Oktober 2004 bei der X.________ AG
als Lagermitarbeiter tätig und in dieser Eigenschaft bei der Visana
Versicherungen AG (nachfolgend: Visana) gegen die Folgen von Unfällen
versichert. Am 16. November 2005 hatte er zusammen mit einem Arbeitskollegen
eine Palette angehoben, war dabei hängen geblieben und auf die linke Schulter
gestürzt. Im Januar 2006 blieb er der Arbeit auf Grund starker Schmerzen
fern. Mit Verfügung vom 28. April 2006, bestätigt mit Einspracheentscheid vom
9. Juni 2006, lehnte die Visana jegliche Leistungen ab.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die hiegegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 5. Februar 2007 gut, hob den Einspracheentscheid
vom 9. Juni 2006 auf und wies die Sache zu ergänzender Abklärung im Sinne der
Erwägungen an die Visana zurück.

C.
Die Visana führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde (recte: Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) mit dem Begehren, der vorinstanzliche
Entscheid sei aufzuheben. R.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde
schliessen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Weil die angefochtene Entscheidung nach dem Datum des Inkrafttretens des
Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110), dem 1. Januar 2007
(AS 2006 1243), ergangen ist, untersteht die Beschwerde dem neuen Recht
(Art. 132 Abs. 1 BGG).

2.
2.1 Das BGG unterscheidet in Art. 90 bis 93 zwischen End-, Teil- sowie Vor-
und Zwischenentscheiden und schafft damit eine für alle Verfahren
einheitliche Terminologie.

Ein Endentscheid ist ein Entscheid, der das Verfahren prozessual abschliesst
(Art. 90 BGG), sei dies mit einem materiellen Entscheid oder Nichteintreten,
z.B. mangels Zuständigkeit. Der Teilentscheid ist eine Variante des
Endentscheids. Mit ihm wird über eines oder einige von mehreren
Rechtsbegehren (objektive und subjektive Klagehäufung) abschliessend
befunden. Es handelt sich dabei nicht um verschiedene materiellrechtliche
Teilfragen eines Rechtsbegehrens, sondern um verschiedene Rechtsbegehren.
Vor- und Zwischenentscheide sind alle Entscheide, die das Verfahren nicht
abschliessen und daher weder End- noch Teilentscheid sind; sie können
formell- und materiellrechtlicher Natur sein. Materiellrechtliche
Zwischenentscheide sind unter den alternativen Voraussetzungen von Art. 93
lit. a oder b BGG anfechtbar. Namentlich mit der Voraussetzung gemäss lit. b
("wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen
und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren ersparen würde") kann dem prozessökonomischen Anliegen
Rechnung getragen werden, welches bisher mit der Qualifikation von
Entscheiden über materielle Teilfragen als Teilendentscheide verfolgt wurde.
Ein Rückweisungsentscheid schliesst das Verfahren nicht ab und ist somit nach
der Regelung des BGG kein Endentscheid. Auch Rückweisungsentscheide, mit
denen eine materielle Grundsatzfrage entschieden wird, sind keine
Teilentscheide im Sinne von Art. 91 lit. a BGG, da es sich dabei nicht um
Entscheide über Begehren handelt, die unabhängig von den anderen Fragen
beurteilt werden können. Es handelt sich dabei um Zwischenentscheide, die
(nur, aber immerhin) unter den Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG
selbstständig angefochten werden können (BGE 133 V 477 E. 4.1 und 4.2 S. 480
mit Hinweisen).

2.2 Voraussetzung für die selbstständige Anfechtbarkeit von
Zwischenentscheiden ist gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG zunächst, dass sie
selbstständig eröffnet worden sind. Erforderlich ist sodann alternativ, dass
der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil
bewirken kann (lit. a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen
Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder
Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b; BGE 133 V
477 E. 5.1 S. 482).

2.3 Die Vorinstanz hat mit ihrem Entscheid unter Aufhebung des
Einspracheentscheids die Sache zur ergänzenden Abklärung an die Visana
zurückgewiesen. Damit ist ein Rückweisungsentscheid gemäss E. 2.1 gegeben,
welcher als Zwischenentscheid nur gestützt auf die Voraussetzungen von
Art. 93 Abs. 1 BGG anfechtbar ist. Die Visana konnte bei Einreichung ihrer
Beschwerde am 26. Februar 2007 noch nicht wissen, dass die langjährige Praxis
im Sozialversicherungsverfahren, wonach ein (kantonaler)
Rückweisungsentscheid einen Endentscheid darstellte (BGE 133 V 477 E. 3.1
S. 479 mit Hinweisen), nach Inkrafttreten des BGG nicht weitergeführt würde,
da der die Rechtslage klärende BGE 133 V 477 erst am 25. Juli 2007 erging.
Insbesondere konnte sie nicht wissen, dass weitere Eintretenserfordernisse
verlangt werden. Falls sie darum gewusst hätte, hätte sie diese allenfalls
überzeugend darlegen können, wovon im Sinne einer rechtsschonenden Einführung
des neuen Bundesrechtspflegegesetzes auszugehen ist. Es ist somit auf die
Beschwerde der Visana einzutreten.

3.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Leistungspflicht
des Unfallversicherers für Unfälle (Art. 6 Abs. 1 UVG in Verbindung mit
Art. 4 ATSG; BGE 129 V 402 E. 2.1 S. 404 mit Hinweisen) und unfallähnliche
Körperschädigungen (Art. 6 Abs. 2 UVG; Art. 9 Abs. 2 UVV; BGE 129 V 466 mit
Hinweisen) sowie über die Geltendmachung der einzelnen Umstände des
Unfallgeschehens (BGE 116 V 136 E. 4b S. 140 mit Hinweis) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

4.
4.1 Gemäss Unfallmeldung vom 23. Januar 2006 hat der Versicherte am
16. November 2005 zusammen mit einem Arbeitskollegen im Lager eine Palette
herunter gehoben, blieb dabei hängen und stürzte auf die linke Schulter. Bis
Anfang Januar 2006 habe er trotz Schmerzen stets gearbeitet. Vor zwei Wochen
seien die Schmerzen so stark geworden, dass er den Arm nicht mehr habe
richtig anheben können.

4.2 Dr. med. L.________, Facharzt für Innere Medizin, berichtete am
30. Januar 2006, der Versicherte habe am 16. November 2005 beim Umstellen von
Paletten durch eine Fehlmanipulation einen Schlag in die Schulter erhalten.
Danach habe er zunehmende Schmerzen in der linken Schulter verspürt. Ab
16. Januar 2006 seien diese bei immobiler Schulter massiv geworden. Er
diagnostizierte ein akute PHS (periarthropathia humeroscapularis) nach
Kontusion im November 2005.

4.3 Am 30. Januar 2006 diagnostizierte Frau Dr. med. H.________,
Röntgeninstitut Y.________, einen leichten Humeruskopfhochstand, eine
oberflächliche Supraspinatusverletzung (ca. 30 %) im ventralen und mittleren
Sehnendrittel, kontusionierte kraniale Subscapularissehne und lange
Bizepssehne, kontusioniertes AC-Gelenk und traumatisiertes Os acromiale sowie
eine mässige AC-Gelenksarthrose.

4.4 Dr. med. K.________, Vertrauensarzt der Visana, hielt am 23. März 2006
fest, eine akute Ruptur im Bereich der Rotatorenmanschette führe zu einer
sofortigen Minderung der Schulterbeweglichkeit und sofortiger
Arbeitsunfähigkeit. Der progressive Beschwerdenverlauf spreche gegen eine
überwiegende Unfallkausalität.

4.5 Dr. med. T.________, Leitender Arzt, Orthopädische Klinik, Spital
Z._________, berichtete am 8. Mai 2006, der Versicherte habe am 15. November
2005 eine Schulterdistorsion mit unmittelbaren Beschwerden erlitten. Die
klinischen und MR-tomographischen sowie die Operationsbefunde stünden
überwiegend wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem Unfall. Intraoperativ habe
er neben der Akromionfraktur eine Transmuralruptur der Supraspinatussehne
gefunden. Eine Ruptur der Rotatorenmanschette müsse nicht zwingend zu einer
sofortigen Minderung der Beweglichkeit führen. Meistens bestehe aber eine
schmerzhafte Beweglichkeit, wie sie der Versicherte verspürt habe.

4.6 Dr. med. V.________, Vertrauensarzt der Visana, hielt am 31. Mai 2006
fest, ein Teilriss dieser Sehne sei im Alter des Versicherten immer
degenerativ bedingt. Die Beschwerden könnten durch das Ereignis ausgelöst
worden sein, doch seien diese nur möglich und nicht überwiegend
wahrscheinlich unfallkausal.

4.7 Dr. med. K.________ verwies am 28. September 2006 auf das Konsensuspapier
der SUVA, Orthopäden und Radiologen (publiziert in der SAeZ 2000 S. 2785
ff.). Beim Versicherten bestehe ein erhebliches altersbedingtes Risiko. Weder
der durch Dr. med. L.________ noch der durch Dr. med. T.________ geschilderte
Hergang genüge, um beide Verletzungsmuster (Distorsion und Kontusion) ohne
zusätzlichen Sturz erklären zu können. Es sei fraglich, ob überhaupt ein
Unfallereignis bzw. ein sinnfälliges Ereignis vorliege. Radiologisch sei ein
Humeruskopfhochstand frühestens nach 3 statt schon nach 2 ½ Monaten
feststellbar. Hingegen fehle die obligatorische Muskelatrophie, welche
bereits nach 4 bis 6 Wochen nachweisbar sei. Eine Arbeitsfähigkeit von
mindestens fünf Tagen nach dem Ereignis spreche ebenfalls gegen eine
traumatische Rotatorenläsion. Dasselbe gelte für den progressiven
Beschwerdeverlauf. Auch fehlten ein plötzlicher, nicht schmerzbedingter
Kraftverlust und eine enge zeitliche Korrelation der Beschwerden mit dem
Ereignis. Die widersprüchlichen ärztlichen Angaben liessen erheblichen
Zweifel aufkommen, ob der Vorfall geeignet sei, eine Läsion der
Rotatorenmanschette hervorzurufen.

4.8 Am 16. Februar 2007 hielt Dr. med. K.________ fest, entgegen der Annahme
des kantonalen Gerichts zweifle er den geltend gemachten Sturz nicht an.
Vielmehr habe er darauf hinweisen wollen, dass die Anamneseerhebung durch Dr.
med. L.________ und Dr. med. T.________ nicht konsistent sei und damit deren
Interpretation bezüglich der Unfallkausalität nicht als verlässlich
eingestuft werden könne. Hingegen habe sich das Gericht nicht mit seiner
weiteren Begründung auseinandergesetzt, welche sich auf das Konsensuspapier
stütze.

5.
5.1 Der Bericht des Dr. med. K.________ vom 16. Februar 2007 wurde im Nachgang
zum angefochtenen Entscheid vom 5. Februar 2007 verfasst. Die Frage, ob es
sich dabei um ein zulässiges Novum im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG handelt,
kann offen bleiben, da die Beschwerde der Visana aus anderen Gründen
abzuweisen ist.

5.2 Angesichts der Formulierung des Dr. med. K.________ in seinem Bericht vom
28. September 2006 ("..müsste Herr R.________ bei seiner Fehlmanipulation
zusätzlich noch auf die rechte Schulter gestürzt sein oder ihm müsste eine
Palette auf die Schulter gefallen sein. Weder der eine noch der andere
Unfallhergang ist aber den Unterlagen zu entnehmen." sowie "Ob im
vorliegenden Fall überhaupt ein Unfallereignis bzw. ein sinnfälliges Ereignis
für eine unfallähnliche Körperschädigung vorliegt, ist fraglich.") ist es
nachvollziehbar, dass die Vorinstanz davon ausging, er zweifle den geltend
gemachten Sturz vom 16. November 2005 an. Da jedoch bereits in der
Unfallmeldung vom 23. Januar 2006 ein Sturz erwähnt wird ("... dabei blieb er
hängen und stürzte auf die linke Schulter."), ist es nicht zu beanstanden,
dass die Vorinstanz den Sachverhalt für ungenügend abgeklärt erachtete.
Hinzukommt, dass sie mit Dr. med. K.________ von widersprüchlichen ärztlichen
Angaben ausging. Bei dieser Sachlage ist es nachvollziehbar, dass die
Vorinstanz sich nicht zur natürlichen Kausalität äusserte, sondern die Sache
zu weiteren Abklärungen an die Visana zurückwies. Dabei wird die Visana zu
berücksichtigen haben, dass das Konsensuspapier insofern in Widerspruch mit
der Rechtsprechung zu den unfallähnlichen Körperschädigungen steht, als es
aus medizinischer Sicht überwiegend krankheits- oder degenerativ bedingte
Leiden mit krankheits- oder degenerativbedingt im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVV
gleichsetzt (Ziff. 7). Denn nach der Rechtsprechung genügt es für die
Leistungspflicht des Unfallversicherers auch bei überwiegend krankheits- oder
degenerativbedingten Ursachen, wenn eine schädigende, äussere Einwirkung,
eben ein unfallähnliches Ereignis, wenigstens im Sinne eines
Auslösungsfaktors zu diesen hinzutritt (BGE 129 V 466 E. 2.1 S. 467;
RKUV 2001 Nr. U 435 S. 332 [U 398/00], je mit Hinweisen).

6.
6.1 Da die Visana nicht unter die Kostenbefreiung von Art. 66 Abs. 4 BGG fällt
(zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil 8C_158/2007
vom 13. November 2007), hat sie dem Ausgang des Verfahrens entsprechend die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

6.2 Die unterliegende Visana hat dem Versicherten eine Parteientschädigung zu
entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Visana Versicherungen AG
auferlegt.

3.
Die Visana Versicherungen AG hat R.________ für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 8. Januar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Riedi Hunold