Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.362/2007
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8C_362/2007
8C_371/2007

Urteil vom 16. Januar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiber Holzer.

8C_362/2007
M.________, Frankreich, Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat Dr. Peter Bohny,
Falknerstrasse 36, 4005 Basel,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin,

und

8C_371/2007
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdeführerin,

gegen

M.________, Frankreich, Beschwerdegegner,
vertreten durch Advokat Dr. Peter Bohny,
Falknerstrasse 36, 4005 Basel,

Unfallversicherung,

Beschwerden gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt
vom 23. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1966 geborene, in Frankreich wohnhafte M.________ war als Maler bei der
S.________ AG angestellt und über seine Arbeitgeberin bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert,
als er am 8. Dezember 1999 bei Malerarbeiten an einem Tramhaus von einem
anfahrenden Tram erfasst wurde und von der Leiter stürzte. Die SUVA
anerkannte in der Folge ihre Leistungspflicht für diesen Unfall. Von 2002 bis
2004 übernahm die Invalidenversicherung die Umschulung des Versicherten in
Frankreich. Am 28. Januar 2004 schloss er die Umschulung mit dem Diplom als
Technicien d'études bâtiment (Hochbauzeichner) ab. Mit Verfügung vom
2. September 2005 - bestätigt durch Einspracheentscheid vom 31. Januar 2006 -
sprach die SUVA dem Versicherten eine Integritätsentschädigung von 10 % und
eine Invalidenrente von 19 % ab dem 1. Februar 2005 zu.

B.
Die von M.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt mit Entscheid vom 23. Mai 2007 gut und
wies die Sache zur weiteren Abklärung im Sinne der Erwägungen an die SUVA
zurück.

C.
Mit Beschwerde lässt M.________ beantragen, der kantonale Gerichtsentscheid
"sei insofern aufzuheben, als das Valideneinkommen beurteilt wurde".
Die SUVA führt ihrerseits Beschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale
Gerichtsentscheid sei aufzuheben.
Während M.________ beantragt, auf die Beschwerde der Versicherung sei nicht
einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen, schliesst die SUVA auf Abweisung
der Beschwerde des Versicherten. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet in
beiden Verfahren auf eine Vernehmlassung.

D.
In ihren weiteren Eingaben haben die Parteien an ihren jeweiligen Begehren
festgehalten.

Erwägungen:

1.
Da den beiden Beschwerden derselbe Sachverhalt zu Grunde liegt, sich die
gleichen Rechtsfragen stellen und die Rechtsmittel den nämlichen
vorinstanzlichen Entscheid betreffen, rechtfertigt es sich, die beiden
Verfahren zu vereinigen und in einem einzigen Urteil zu erledigen (BGE 128 V
124 E. 1 S. 126 mit Hinweisen; diese Rechtsprechung ist auch unter der
Herrschaft des BGG weiterhin anwendbar: vgl. Urteil 9C_55/2007 vom
18. Oktober 2007, E. 1).

2.
2.1 Vor dem kantonalen Gericht war die Bemessung des Invaliditätsgrades
streitig. Die Vorinstanz hat über das Valideneinkommen entschieden, bezüglich
des Invalideneinkommens die von der Verwaltung vorgenommene Schätzung als
unzulässig erachtet und die Sache zum Einholen repräsentativer Lohnauskünfte
an die SUVA zurückgewiesen. Ein solcher Entscheid stellt
rechtsprechungsgemäss einen Zwischenentscheid dar, der nur unter den
eingeschränkten Voraussetzungen der Art. 92 f. BGG selbstständig anfechtbar
ist (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f. mit Hinweisen).

2.2 Die SUVA führt  Beschwerde gegen die Rückweisung der Sache zur Vornahme
weiterer Abklärungen bezüglich des Invalideneinkommens. Das kantonale Gericht
hat sich hiebei nicht auf die Rückweisung beschränkt, sondern weitere, für
die Versicherung verbindliche Vorgaben gemacht. So hat es festgestellt, dass
der Versicherte überwiegend wahrscheinlich nicht in der Lage ist, die von der
Verwaltung zugrunde gelegten statistischen Löhne zu erzielen. Die
Versicherung wird somit durch den angefochtenen Entscheid gezwungen, einen
ihres Erachtens rechtswidrigen neuen Entscheid zu erlassen. Dies ist ihr
rechtsprechungsgemäss nicht zuzumuten, weshalb der Rückweisungsentscheid für
sie zu einem nicht wieder gutzumachenden Nachteil führen könnte (BGE 133 V
477 E. 5.2.4 S. 484). Auf die Beschwerde der SUVA ist somit einzutreten.

2.3 Die Beschwerde des Versicherten richtet sich einzig gegen die Festsetzung
des Valideneinkommens gemäss dem angefochtenen Entscheid. Ob die
Voraussetzungen für ein Eintreten nach Art. 92 f. BGG gegeben sind, kann
offen bleiben. Denn der Versicherte konnte bei Einreichung seiner Beschwerde
am 4. Juli 2007 noch nicht wissen, dass die langjährige Praxis im
Sozialversicherungsverfahren, wonach ein (kantonaler) Rückweisungsentscheid
einen Endentscheid darstellte (BGE 133 V 477 E. 3.1 S. 479 mit Hinweisen),
nach Inkrafttreten des BGG nicht weitergeführt würde, da der die Rechtslage
klärende BGE 133 V 477 erst am 25. Juli 2007 erging. Im Sinne einer
rechtsschonenden Einführung des neuen Bundesrechtspflegegesetzes ist daher
auch auf seine Beschwerde einzutreten (vgl. Urteil 8C_37/2007 vom 8. Januar
2008, E. 2.3).

3.
3.1 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an
(Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend
gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann
eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es
kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden
Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht
prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten,
wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann
die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht
nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

3.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht
nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

4.
Ist der Versicherte infolge des Unfalles zu mindestens 10 Prozent invalid
(Art. 8 ATSG), so hat er Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 UVG). Für
die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das die
versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der
medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine
ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte,
in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie
nicht invalid geworden wäre (Art. 16 ATSG). Der Einkommensvergleich hat in
der Regel in der Weise zu erfolgen, dass die beiden hypothetischen
Erwerbseinkommen ziffernmässig möglichst genau ermittelt und einander
gegenübergestellt werden, worauf sich aus der Einkommensdifferenz der
Invaliditätsgrad bestimmen lässt. Insoweit die fraglichen Erwerbseinkommen
ziffernmässig nicht genau ermittelt werden können, sind sie nach Massgabe der
im Einzelfall bekannten Umstände zu schätzen und die so gewonnenen
Annäherungswerte miteinander zu vergleichen (BGE 128 V 29 E. 1 S. 30).

5.
5.1 Vorinstanz und Verwaltung legten ihrem Einkommensvergleich ein
Valideneinkommen von Fr. 71'739.- zugrunde. Sie stützen sich hiebei auf die
von der ehemaligen Arbeitgeberin des Versicherten am 26. August 2004
übermittelten Zahlen, wonach der Versicherte im Jahre 2004 dieses Einkommen
hätte erzielen können. Der Versicherte verlangt, das Valideneinkommen sei auf
Fr. 78'599.- festzusetzen. Er begründet dies damit, es sei von seinem letzten
versicherten Verdienst von Fr. 72'049.- auszugehen; dieser sei alsdann an die
Entwicklung der Nominallöhne bis zum Jahr 2005 anzupassen.

5.1.1 Für die Ermittlung des Einkommens, welches der Versicherte ohne
Invalidität erzielen könnte (Valideneinkommen), ist entscheidend, was er im
Zeitpunkt des frühest möglichen Rentenbeginns nach dem Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Gesunder tatsächlich verdient hätte.
Dabei wird in der Regel am zuletzt erzielten, nötigenfalls der Teuerung und
der realen Einkommensentwicklung angepassten Verdienst angeknüpft, da es der
Erfahrung entspricht, dass die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden
fortgesetzt worden wäre. Ausnahmen müssen mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit erstellt sein (BGE 129 V 222 E. 4.3.1 S. 224; RKUV 2000
Nr. U 400 S. 381 E. 2a [U 297/99], 1993 Nr. U 168 97 E. 3b S. 101
[U 110/92]).

5.1.2 Aufgrund der Angaben der ehemaligen Arbeitgeberin des Versicherten
erscheint es als überwiegend wahrscheinlich, dass der Versicherte im Jahre
2004 ein Einkommen von Fr. 71'739.- erzielt hätte. Was er dagegen vorbringt,
vermag nicht zu überzeugen. Insbesondere ist kein Interesse ersichtlich, das
die Arbeitgeberin zu einer falschen, zu niedrigen, Deklaration hätte
verleiten können. Somit haben Vorinstanz und Verwaltung zu Recht auf dieses
Einkommen abgestellt.

5.1.3 Die Angaben der Arbeitgeberin befanden sich bereits vor dem Erlass der
Verfügung vom 2. September 2005 in den Akten der SUVA. In dieser Verfügung
wird denn auch von einem Valideneinkommen von Fr. 71'739.- ausgegangen. Der
Versicherte hätte somit bereits im Einspracheverfahren Gelegenheit gehabt, zu
den Zahlen Stellung zu nehmen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist
somit entgegen der Darstellung in der Beschwerde nicht ersichtlich.

5.2 Zu prüfen sind im Weiteren die vorinstanzlichen Feststellungen zum
Invalideneinkommen. Dabei ist zu Recht nicht mehr streitig, dass der
Versicherte aufgrund seines in Frankreich erworbenen Diploms "Technicien
d'études bâtiment" berechtigt ist, in der Schweiz als Hochbauzeichner tätig
zu sein. Ebenfalls ist allseits anerkannt, dass er gesundheitlich in der Lage
ist, diesen Beruf vollzeitlich und ohne wesentliche gesundheitliche
Einschränkung auszuüben. Streitig ist einzig, welchen Lohn er dabei
mutmasslich erzielen könnte angesichts des Umstandes, dass er über keinen
schweizerischen, sondern über einen französischen Abschluss verfügt.

5.2.1 Die SUVA ging zur Bemessung des Invalideneinkommens von den
Lohnempfehlungen der Gewerkschaft Unia für die Bauplanungsbranche und für das
Baukader für das Jahr 2004 aus. Den Mittelwert für einen Zeichner mit wenig
Erfahrung von Fr. 4'465.- pro Monat rechnete sie auf ein Jahr hoch (x 13),
was einem Invalideneinkommen von Fr. 58'045.- entspricht.

5.2.2 Nachdem der Versicherte vor dem kantonalen Gericht geltend gemacht
hatte, mit seinem französischen Abschluss kein solches Einkommen erzielen zu
können, holte die Vorinstanz eine Stellungnahme beim Amt für Berufsbildung
und Berufsberatung des Kantons Basel-Stadt ein. Die von diesem Amt befragten
Betriebe gaben Einstiegslöhne zwischen Fr. 3'000.- und Fr. 3'500.- an. Das
kantonale Gericht hielt aufgrund dieser Auskunft fest, dass der Versicherte
überwiegend wahrscheinlich nicht in der Lage sei, die von der SUVA zugrunde
gelegten Löhne zu erzielen. Da die vom Amt genannten Lohnzahlen aber weder
validierbar noch repräsentativ seien, wies die Vorinstanz die Akten an die
Verwaltung zurück, damit diese nach Einholen "qualitativ und quantitativ
repräsentative[r] Lohnauskünfte" neu entscheide.

5.2.3 Die Vorgehensweise des kantonalen Gerichts ist insofern
widersprüchlich, als es einerseits nicht auf die vom kantonalen Amt
übermittelten Lohnzahlen abstellte, weil diese hinsichtlich Gültigkeit und
Aussagekraft nicht zuverlässig überprüfbar seien, es andererseits aber
gestützt auf eben diese Zahlen schloss, der Versicherte sei nicht in der
Lage, das von der Versicherung ermittelte Invalideneinkommen zu erzielen. Da
diese Lohnangaben unbestrittenermassen weder validierbar noch repräsentativ
sind, können daraus für den hier zu beurteilenden Fall entgegen dem
angefochtenen Entscheid keine relevanten Schlussfolgerungen gezogen werden.

5.2.4 Der von der SUVA zugrunde gelegte Monatslohn von Fr. 4'465.- (inklusive
Anteil 13. Monatslohn: Fr. 4'837.-) liegt zwischen dem Totalwert der
Männerlöhne gemäss Schweizerischer Lohnstrukturerhebung (LSE) für das Jahr
2004 für einfache und repetitive Tätigkeiten (Leistungsniveau 4) von
Fr. 4'588.- und jenem für Tätigkeiten, welche Berufs- und Fachkenntnisse
voraussetzen (Leistungsniveau 3) von Fr. 5'550.-. Selbst wenn die praktischen
Erfahrungen des Versicherten geringer sind, als jene einer vergleichbaren
Person mit schweizerischen Abschluss, ist er aufgrund seiner in Frankreich
erworbenen Berufs- und Fachkenntnisse somit in der Lage, zumutbarerweise
mindestens das von der Verwaltung auf Fr. 58'045.- festgesetzte
Invalideneinkommen zu erzielen. Anders wäre lediglich dann zu entscheiden,
wenn dem Versicherten die notwendigen Fähigkeiten als Hochbauzeichner abgehen
würden; dafür finden sich jedoch in den Akten keine Anhaltspunkte (vgl.
Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 314/98 vom 5. Juli 1999, E. 3b).

5.3 Vergleicht man das Invalideneinkommen von Fr. 58'045.- mit dem
Valideneinkommen von Fr. 71'739.- so ergibt sich eine unfallbedingte
Erwerbseinbusse von Fr. 13'694.-, was gerundet einem Invaliditätsgrad von
19 % entspricht. Der Einspracheentscheid der SUVA vom 31. Januar 2006 war
somit rechtens.

6.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Versicherten
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren 8C_362/2007 und 8C_371/2007 werden vereinigt.

2.
Die Beschwerde des Versicherten wird abgewiesen.

3.
Die Beschwerde der SUVA wird gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 23. Mai 2007 wird aufgehoben.

4.
Die Gerichtskosten von Fr. 700.- werden dem Versicherten auferlegt.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 16. Januar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

i.V. Lustenberger Holzer