Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.340/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_340/2007

Urteil vom 12. Juni 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Parteien
C.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Herrn Dr. iur. Roger Bollag, Börsenstrasse 18, 8001 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 17. April 2007.

Sachverhalt:

A.
C.________, geboren 1955, wurde am 18. März 2004 bei der Ausübung seiner
Tätigkeit als X.________ tätlich angegriffen, indem ihm ein Gast mit der Faust
ins Gesicht schlug. C.________ nahm seine beiden Teilzeittätigkeiten als
X.________ und als Y.________ wieder auf. Nach einem zweiten Vorfall, bei dem
es allerdings nur zu verbalen Ausfälligkeiten kam, suchte C.________ am 4. Mai
2004 seinen Hausarzt Dr. med. A.________, Allgemeine Medizin FMH, auf, welcher
ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule (HWS) diagnostizierte (Bericht vom
20. Juni 2004). Gemäss Bericht der Frau Dr. med. B.________, Augenärztin FMH,
vom 7. Juni 2004 erlitt C.________ des Weiteren eine Contusio bulbi rechts,
wobei lediglich eine einmalige Konsultation erforderlich war und keine Therapie
durchgeführt werden musste. In der Folge wurde C.________ neurologisch durch
Prof. Dr. med. D.________ in der Klinik Y.________ und (am 28. Oktober 2004)
durch Dr. med. E.________ untersucht (Berichte vom 23. Juni 2004; 29. Oktober
und 1. Dezember 2004; 8. März 2006). Schliesslich veranlasste die
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) nach Vorstellung des
Versicherten bei ihrem Kreisarzt (am 31. August 2004) eine Begutachtung in der
Klinik für Rheumatologie und Rehabilitation des Spitals F.________ (Gutachten
vom 29. März 2005). Mit Verfügung vom 5. Oktober 2005 anerkannte die SUVA ihre
Leistungspflicht dem Grundsatz nach, schloss den Fall ab und stellte die
Versicherungsleistungen per 31. März 2005 ein mit der Begründung, dass die noch
geklagten Beschwerden nicht mehr adäquat-kausal auf das Ereignis vom 18. März
2004 zurückgeführt werden könnten. Daran hielt sie auch auf Einsprache hin fest
(Einspracheentscheid vom 17. Juli 2006).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 17. April 2007 ab.

C.
C.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm eine
Rente von 57 % sowie eine Integritätsentschädigung von 30 % zuzusprechen;
eventualiter sei ein multidisziplinäres Gutachten einzuholen, subeventualiter
die Sache an die SUVA zurückzuweisen.
Während die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Mit Eingabe vom 16. April 2008 lässt C.________ nochmals Stellung hinsichtlich
der präzisierten Schleudertrauma-Praxis nehmen; die SUVA verzichtet auf
Ergänzungen (Schreiben vom 25. März 2008).

Erwägungen:

1.
Das kantonale Gericht hat im angefochtenen Entscheid die Bestimmung über die
Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers bei Berufsunfällen,
Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten (Art. 6 Abs. 1 UVG) richtig
wiedergegeben. Gleiches gilt für die Grundsätze über den für einen
Leistungsanspruch nebst anderem erforderlichen natürlichen Kausalzusammenhang
zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod;
BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen). Ebenfalls zutreffend dargelegt ist
die Rechtsprechung über den zusätzlich zum natürlichen Kausalzusammenhang
erforderlichen adäquaten Kausalzusammenhang. Danach spielt im
Sozialversicherungsrecht die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der sich aus
dem natürlichen Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des Unfallversicherers im
Bereich organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen praktisch keine Rolle, da
sich hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt (BGE 127
V 102 E. 5b/bb S. 103 mit Hinweisen). Anders verhält es sich bei natürlich
unfallkausalen, aber organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden. Hier
ist bei der Beurteilung der Adäquanz vom augenfälligen Geschehensablauf
auszugehen, und es sind je nachdem weitere unfallbezogene Kriterien
einzubeziehen (BGE 117 V 359 E. 6 S. 366 ff. und 369 E. 4 S. 382 ff., 115 V 133
E. 6 S. 138 ff.). Bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall werden diese
Adäquanzkriterien unter Ausschluss psychischer Aspekte geprüft (BGE 115 V 133
E. 6c/aa S. 140), während bei Schleudertraumen (BGE 117 V 359 E. 6a S. 367) und
äquivalenten Verletzungen der HWS (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 2) sowie
Schädel-Hirntraumen (BGE 117 V 369 E. 4b S. 383) auf eine Differenzierung
zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet wird (vgl. zum
Ganzen auch BGE 127 V 102 E. 5b/bb S. 103 und SVR 2007 UV Nr. 8 S. 27, U 277/
04, E. 2 ff., je mit Hinweisen).

Anzufügen bleibt, dass das Bundesgericht jüngst die sogenannte
Schleudertrauma-Praxis in zweierlei Hinsicht präzisiert hat: Zum einen wurden
die Anforderungen an den Nachweis einer natürlich unfallkausalen Verletzung,
welche die Anwendung dieser Praxis bei der Prüfung des adäquaten
Kausalzusammenhangs rechtfertigt, erhöht. Zum anderen wurden die Kriterien,
welche abhängig von der Unfallschwere gegebenenfalls in die Adäquanzbeurteilung
einzubeziehen sind, teilweise modifiziert (BGE 134 V 109 E. 9 und 10 S. 121
ff.). Die bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall geltenden Grundsätze
liess das Bundesgericht hingegen unverändert bestehen (E. 6.1 des erwähnten
Urteils [S. 116]).

2.
Unbestritten ist im vorliegenden Fall, dass die Beurteilung der Kausalität der
geklagten Beschwerden mit dem Unfall nach der Rechtsprechung zu den
Unfallfolgen bei Unfällen mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule (bzw.
äquivalenter Verletzung) zu erfolgen hat (BGE 117 V 359 und 134 V 109).

3.
Zu prüfen ist zunächst, ob die SUVA den Fall auf Ende März 2005 abschliessen
durfte.

3.1 Das Bundesgericht hat sich in BGE 134 V 109 auch zum Zeitpunkt des
Fallabschlusses geäussert (E. 3 und 4 S. 112 ff.). Demnach sind Heilbehandlung
und Taggeld nur solange zu gewähren, als von der Fortsetzung der ärztlichen
Behandlung noch eine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes erwartet
werden kann. Trifft dies nicht mehr zu, ist der Fall unter Einstellung der
vorübergehenden Leistungen mit gleichzeitiger Prüfung des Anspruchs auf eine
Invalidenrente und auf eine Integritätsentschädigung abzuschliessen (E. 4.1 S.
114). Ob eine namhafte Besserung noch möglich ist, bestimmt sich nach Massgabe
der zu erwartenden Steigerung oder Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit,
soweit diese unfallbedingt beeinträchtigt ist. Dabei verdeutlicht die
Verwendung des Begriffes "namhaft" durch den Gesetzgeber, dass die durch
weitere Heilbehandlung zu erwartende Besserung ins Gewicht fallen muss.
Unbedeutende Verbesserungen genügen nicht (E. 4.3 S. 115). Damit stellen sich
die Fragen, ob eine allenfalls noch bestehende Arbeitsunfähigkeit unfallbedingt
ist und (falls ja) ob sie durch weitere Heilbehandlung noch namhaft gesteigert
oder wieder hergestellt werden kann; wenn eine entsprechende Verbesserung nicht
erwartet werden kann, ist der Fall abzuschliessen.

3.2 Das kantonale Gericht hat dazu erwogen, dass gemäss Auffassung der Ärzte
des Spitals F.________ in ihrem Gutachten vom 29. März 2005 aus
rheumatologischer Sicht und zufolge des cervicocephalen Schmerzsyndroms in den
angestammten Tätigkeiten keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bestehe. Die
Auswirkungen der geltend gemachten Störungen im Sinne des
HWS-Distorsionstraumas seien nur schwer einschätzbar, wobei die Gutachter
namentlich die Konzentrationsstörungen und Ermüdungserscheinungen zumindest im
Rahmen der zweistündigen Untersuchung anhand des vom Beschwerdeführer gezeigten
Verhaltens nicht bestätigen konnten; die behaupteten Visusstörungen (abgesehen
von der beginnenden Alterskurzsichtigkeit) stimmten nicht mit den Befunden der
Augenärztin Dr. med. B.________ überein.

Damit ist die Frage nach der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht eindeutig
beantwortet.

3.3 Zur Frage der Möglichkeit einer namhaften Verbesserung des
Gesundheitszustandes konnten sich die Gutachter indessen eindeutig dahingehend
äussern, dass bezüglich der Schmerzsymptomatik eine Besserung durch
medizinische Massnahmen unwahrscheinlich sei. Lediglich eine
Aktivitätssteigerung könne die heute subjektiv bestehenden
Funktionseinschränkungen verbessern. Dazu sei eine möglichst gute Motivation
des Patienten zum Wiedereinstieg in seine berufliche Tätigkeit notwendig.

Der Fallabschluss durch die SUVA per 31. März 2005 war demnach gerechtfertigt.

4.
Es stellt sich im Weiteren die Frage, ob die geklagten Beschwerden überhaupt
glaubhaft sind, und bejahendenfalls, ob für diese Beschwerden trotz Fehlens
objektiv ausgewiesener organischer Unfallfolgen ein beim Unfall erlittenes
Schleudertrauma (Distorsion) der HWS, eine äquivalente Verletzung oder ein
Schädel-Hirntrauma überwiegend wahrscheinlich zumindest eine Teilursache
darstellt (BGE 134 V 109 E. 9.5 S. 125). Die Vorinstanz hat sich dazu
einlässlich geäussert; sie konnte die Frage nicht eindeutig beantworten, sie
indessen offen lassen aus dem nachfolgend dargelegten Grund.

5.
5.1 Gemäss BGE 134 V 109 E. 10.1 S. 126 f. ist auch weiterhin zu prüfen, ob,
ausgehend vom augenfälligen Geschehensablauf, ein leichter, mittlerer oder
schwerer Unfall vorliegt. Während der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel
bei schweren Unfällen ohne Weiteres bejaht und bei leichten Unfällen verneint
werden kann, lässt sich die Frage der Adäquanz bei Unfällen aus dem mittleren
Bereich nicht aufgrund des Unfallgeschehens allein schlüssig beantworten. Es
sind weitere, objektiv erfassbare Umstände, welche unmittelbar mit dem Unfall
in Zusammenhang stehen oder als direkte beziehungsweise indirekte Folgen davon
erscheinen, in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen. Je nachdem, wo im mittleren
Bereich der Unfall einzuordnen ist und abhängig davon, ob einzelne dieser
Kriterien in besonders ausgeprägter Weise erfüllt sind, genügt zur Bejahung des
adäquaten Kausalzusammenhangs ein Kriterium oder müssen mehrere herangezogen
werden (BGE 117 V 359 E. 6 S. 366 ff., 369 E. 4b und c S. 383 f.).

5.2 Das kantonale Gericht ist davon ausgegangen, dass der erlittene Faustschlag
ins Gesicht als leichter Unfall zu qualifizieren sei, womit die adäquate
Kausalität der noch geklagten Beschwerden von vornherein zu verneinen war.

5.3 Diese Zuordnung erscheint fraglich. So wurde ein Faustschlag mit
kurzzeitiger Bewusstlosigkeit, Commotio cerebri und Rissquetschwunde als
mittelschwer beurteilt (Urteil U 37/94 vom 21. August 1997, E. 5a; vgl. auch
Urteil U 366/06 vom 23. Mai 2007, E. 5.1). Selbst wenn jedoch ein
mittelschweres Ereignis, im Grenzbereich zu den leichten Unfällen, anzunehmen
wäre, müsste die Adäquanz verneint werden.
5.3.1 Besonders dramatische Begleitumstände oder eine besondere
Eindrücklichkeit des Unfalls liegen - objektiv betrachtet (RKUV 1999 Nr. U 335
S. 209 E. 3b/cc; vgl. auch RKUV 2000 Nr. U 394 S. 313 [Urteil U 248/98 vom 31.
Mai 2000, E. 4 und 5]) - nicht vor.
5.3.2 Der Unfall hatte auch keine schweren Verletzungen oder Verletzungen
besonderer Art zur Folge. Es bedarf hiezu einer besonderen Schwere der für das
Schleudertrauma typischen Beschwerden oder besonderer Umstände, welche das
Beschwerdebild beeinflussen können (Urteile U 386/04 vom 28. April 2005, E.
5.2; U 371/02 vom 4. September 2003, E. 2.2.2; U 61/00 vom 6. Februar 2002, E.
3b; U 21/01 vom 16. August 2001, E. 3d).
5.3.3 Für das Kriterium der ärztlichen Behandlung entscheidwesentlich ist (vgl.
BGE 134 V 109 E. 10.2.3 S. 128), ob nach dem Unfall fortgesetzt spezifische,
die versicherte Person belastende ärztliche Behandlung bis zum Fallabschluss
notwendig war. Der Beschwerdeführer unterzog sich zwar bis im März 2005
regelmässig physiotherapeutischen Massnahmen und wurde ausserdem medikamentös
behandelt. Gestützt darauf rechtfertigt sich jedoch noch nicht die Bejahung des
zu prüfenden Kriteriums, resultiert daraus doch keine erhebliche - im Sinne
einer sich allein daraus ergebenden zusätzlichen - Mehrbelastung.
5.3.4 Das präzisierte Kriterium der erheblichen Beschwerden ist zumindest nicht
in ausgeprägter Weise erfüllt.
5.3.5 Eine ärztliche Fehlbehandlung oder ein schwieriger Heilungsverlauf liegen
ebenfalls nicht vor.
5.3.6 Das Merkmal der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener
Anstrengungen liegt - wenn auch nicht in ausgeprägter Weise - vor, konnte der
Versicherte doch seit Juni 2004 als X.________ nur noch einen statt fünf
Einsätze pro Woche (entsprechend einer 70 %-Anstellung) leisten und musste er
seinen Betrieb im November 2005 verkaufen.
5.3.7 Da somit nur ein Kriterium erfüllt ist, ein zweites jedenfalls nur knapp,
kann die Adäquanz der Unfallfolgen mit dem - wenn überhaupt - höchstens als
mittleren Unfall im Grenzbereich zu den leichten einzuordnenden Ereignis vom
18. März 2004 nicht bejaht werden.

5.4 Die SUVA hat ihre Leistungen damit zu Recht per Ende März 2005 eingestellt
und der angefochtene Entscheid ist im Ergebnis zu bestätigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 12. Juni 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Durizzo