Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.336/2007
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8C_336/2007

Urteil vom 24. August 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Grunder.

S. ________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Massimo Aliotta, Obergasse 20, 8400 Winterthur,

gegen

Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich,
Brunngasse 6, 8400 Winterthur, Beschwerdegegnerin.

Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 2. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
S. ________ liess gegen einen Einspracheentscheid vom 27. Februar 2006 sowie
eine gleichentags erlassene Verfügung der Arbeitslosenkasse des Kantons
Zürich Beschwerde (vom 22. März 2006) führen. Ein damit gestelltes Gesuch um
Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistands wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Zwischenentscheid vom
14. Juni 2006 ab. Die hiegegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde
hiess das Bundesgericht in dem Sinne gut, dass der Zwischenentscheid vom
14. Juni 2006 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen
wurde, damit diese, nach erfolgter Prüfung im Sinne der Erwägungen, über den
Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung neu befinde (Urteil C 164/06 vom
30. Januar 2007).

B.
Am 22. März 2007 bewilligte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
S.________ einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. Mit Entscheid vom 2. Mai
2007 hiess es die Beschwerde vom 22. März 2006 in dem Sinne gut, "dass der
Entscheid der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 27. Februar 2006
aufgehoben und festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin von der
Erfüllung der Beitragszeit befreit ist und ab 20. Juli 2005 Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung hat, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt
sind" (Dispositiv-Ziffer 1); zudem wurde die Arbeitslosenkasse verpflichtet,
dem "unentgeltlichen Rechtsvertreter" eine Prozessentschädigung von
Fr. 1588.55 (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) zu bezahlen
(Dispositiv-Ziffer 3).

C.
S.________ lässt Beschwerde führen und beantragen, "es sei das Urteil des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. Mai 2007 aufzuheben,
soweit die unentgeltliche Rechtsvertretung im Einspracheverfahren betreffend;
es sei der im Beschwerdeverfahren vor dem Sozialversicherungsgericht
gestellte Antrag betreffend die Aufhebung der Verfügung Nr. 8759 der
Arbeitslosenkasse gutzuheissen; eventualiter sei die Vorinstanz anzuweisen,
den Antrag betreffend der Verfügung Nr. 8759 der Arbeitslosenkasse zu
behandeln". Ferner wird um unentgeltliche Verbeiständung für das
letztinstanzliche Verfahren ersucht.

Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der kantonale Gerichtsentscheid erging nach dem 1. Januar 2007 und damit nach
Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110).
Die vorliegende Eingabe ist daher als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten entgegenzunehmen und zu erledigen (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG).

2.
Die Beschwerdeführerin verlangt gemäss Hauptantrag in der letztinstanzlichen
Beschwerde die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids vom 2. Mai 2007,
soweit damit über den Anspruch auf Parteientschädigung im Einspracheverfahren
befunden werde. Demgegenüber bringt sie in der Begründung vor, die Vorinstanz
habe den Antrag in der kantonalen Beschwerde, es sei die Verfügung der
Ausgleichskasse vom 27. Februar 2005 aufzuheben, nicht behandelt, worin eine
Rechtsverweigerung zu erblicken sei.

3.
3.1 Mit kantonaler Beschwerde vom 22. März 2006 beantragte die
Beschwerdeführerin unter anderem, es sei "die Verfügung Nr. 8759 vom
27. Februar 2006 aufzuheben". In der Begründung setzte sie sich mit der Frage
auseinander, weshalb im Einspracheverfahren eine Rechtsvertretung notwendig
war. Prozessthema des Zwischenentscheids vom 14. Juni 2006, welcher mit
Urteil C 164/06 des Bundesgerichts vom 30. Januar 2007 aufgehoben wurde,
bildete die Frage der Notwendigkeit eines Rechtsbeistands für den kantonalen
Gerichtsprozess, nicht aber das Einspracheverfahren. Die Vorinstanz
bewilligte mit Verfügung vom 22. März 2007 denn auch allein für das kantonale
Gerichtsverfahren einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. Die vorinstanzlich
eingereichte Honorarnote des Rechtsanwalts der Beschwerdeführerin, welche dem
Umfang nach gemäss Dispositiv-Ziffer 3 des Entscheids vom 2. Mai 2007 als
Parteientschädigung zu Lasten der Arbeitslosenkasse zugesprochen wurde, bezog
sich auf die im Verlauf des kantonalen Prozesses getätigten Bemühungen (ohne
die im Zusammenhang mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Bundesgericht im Verfahren C 164/06 gestandenen Aufwendungen). Damit steht
fest, dass das kantonale Gericht über den Anspruch auf Parteientschädigung im
Einspracheverfahren nicht entschieden hat.

3.2 Anfechtungsobjekt der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten kann gemäss Art. 94 BGG auch das unrechtmässige Verweigern
oder Verzögern eines anfechtbaren Entscheids sein. Die Verfügung vom
27. Februar 2006, mit welcher die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich das
Gesuch der Anspruchstellerin um Bewilligung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistands im Einspracheverfahren verneinte, unterlag der Beschwerde an
das kantonale Versicherungsgericht (Art. 56 Abs. 1 ATSG), gegen dessen
Entscheide nach Art. 62 Abs. 1 ATSG Verwaltungsgerichtsbeschwerde (seit
1. Januar 2007: Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) beim
Eidgenössischen Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: Bundesgericht)
erhoben werden kann. Die Beschwerdeführerin hat demnach Anspruch auf Erlass
eines anfechtbaren Entscheids des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich.

3.3
3.3.1 Eine Verletzung von Art. 29 BV - sowie gegebenenfalls von Art. 6 Ziff. 1
EMRK (BGE 130 I 178 mit Hinweisen) - liegt nach der Rechtsprechung unter
anderem dann vor, wenn eine Gerichts- oder Verwaltungsbehörde ein Gesuch,
dessen Erledigung in ihre Kompetenz fällt, nicht an die Hand nimmt und
behandelt. Ein solches Verhalten einer Behörde wird in der Rechtsprechung als
formelle Rechtsverweigerung bezeichnet. Art. 29 BV ist aber auch verletzt,
wenn die zuständige Behörde sich zwar bereit zeigt, einen Entscheid zu
treffen, diesen aber nicht binnen der Frist fasst, welche nach der Natur der
Sache und nach der Gesamtheit der übrigen Umstände als angemessen erscheint
(sog. Rechtsverzögerung). Für die Rechtsuchenden ist es unerheblich, auf
welche Gründe - beispielsweise auf ein Fehlverhalten der Behörde oder auf
andere Umstände - die Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung
zurückzuführen ist; entscheidend ist ausschliesslich, dass die Behörde nicht
oder nicht fristgerecht handelt (Urteil U 217/02 vom 29. Oktober 2003 E. 3,
publ. in: RKUV 2004 Nr. U 506 S. 255; Urteil I 436/00 vom 15. November 2000
E. 3a und b, publ. in: SVR 2001 IV Nr. 24 S. 73 f.; zu Art. 4 Abs. 1 aBV
ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 124 V 130 E. 4 S. 132 f.
mit Hinweisen). Schweigt die Behörde sich über ihre Absichten aus, so kann
ihre Untätigkeit sowohl als Rechtsverweigerung wie als Rechtsverzögerung
gedeutet werden (Georg Müller, in: Kommentar zur Bundesverfassung der
Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, Aubert/Eichenberger/J.P.
Müller/Rhinow/ Schindler [Hrsg.], Rz. 89 und 92 zu Art. 4 BV mit Hinweisen).
In Lehre und Rechtsprechung wird der Fall, dass die Behörde eine
Angelegenheit zwar behandelt, aber den Sachverhalt ungenügend abgeklärt oder
ihre Prüfungszuständigkeit in unzulässiger Weise einschränkt, zum Teil als
Rechtsverweigerung, zum Teil als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör betrachtet (Georg Müller, a.a.O., Rz. 90). Im Urteil 1P.169/2000 vom
31. August 2000 hat das Bundesgericht von einer Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör auf eine formelle Rechtsverweigerung geschlossen, indem die
Vorinstanz den geltend gemachten Schadenersatz nur unter dem Titel des
kantonalen Verantwortlichkeitsgesetzes, nicht aber auch hinsichtlich dem als
subsidiäres kantonales Recht in Frage kommenden Art. 336a OR prüfte.

3.3.2 Den Prozessakten kann nicht entnommen werden, weshalb das kantonale
Gericht die Beschwerde vom 22. März 2006 im fraglichen Punkt bislang nicht
beurteilt hat. Auf eine Vernehmlassung im letztinstanzlichen Verfahren hat es
verzichtet. Ob eine Verletzung des Rechtsverweigerungsverbots oder des
Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegt, kann offen bleiben. Es steht
jedenfalls fest, dass die Vorinstanz nicht entschieden hat. Zudem liegen
keine Anhaltspunkte vor, dass innert angemessener Frist ein Entscheid über
den im kantonalen Verfahren beschwerdeweise geltend gemachten Anspruch auf
Parteientschädigung im Einspracheverfahren gefällt wird. Unter diesen
Umständen ist eine Verletzung des Rechtsverweigerungsverbots bzw. des
Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. E. 3.3.1 hievor) zu bejahen.

3.3.3 Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird daher umgehend
nach Erhalt dieses Urteils über den Anspruch auf Parteientschädigung im
Einspracheverfahren zu befinden haben.

4.
4.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG).

4.2 Zufolge Obsiegens steht der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung
zu (Art. 68 Abs. 1 BGG), welche dem Kanton Zürich aufzuerlegen ist (in BGE
124 V 130 nicht publizierte E. 5a des Urteils K 8/97 vom 7. April 1998).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich angewiesen wird, umgehend nach
Erhalt des vorliegenden Urteils über die kantonale Beschwerde vom 22. März
2006, soweit damit die Verfügung der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom
27. Februar 2006 angefochten wurde, zu entscheiden.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem
Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich und dem
Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 24. August 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: