Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.329/2007
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007


8C_329/2007

Urteil vom 8. November 2007

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiber Flückiger.

V. ________, 1950, Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Beat Müller-Roulet, Schwarztorstrasse 28, 3007
Bern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 8. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene V.________ war bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch unfallversichert, als er am
25. Mai 1998 auf einer Baustelle aus ca. einem Meter Höhe mit einem
Lichtschacht und einem Gerüst in eine Baugrube stürzte. Dabei zog er sich
gemäss Arztzeugnis UVG des Dr. med. B.________, Allgemeine Medizin FMH, vom
4. Juni 1998 multiple Schürfungen und Prellungen, eine Jochbeinfraktur rechts
sowie eine Zahnverletzung zu. Ab 29. Juni 1998 war der Versicherte wieder
voll arbeitsfähig. Die SUVA erliess am 16. Dezember 1998 eine Verfügung über
den Umfang ihrer Leistungen für die Zahnbehandlung.
Am 27. August 1999 meldete die Arbeitgeberin, der Versicherte habe sich am
9. August 1999 beim Heben von Deckenstützen eine Verletzung der Bandscheibe
zugezogen. Der Chiropraktor Dr. W.________ diagnostizierte im Arztzeugnis UVG
vom 17. September 1999 eine Lumboischialgie bei posttraumatischer
Diskushernie L5/S1 links. Wegen der Diskushernie wurde am 1. September 1999
ein operativer Eingriff vorgenommen. Die SUVA lehnte es mit Verfügung vom
12. November 1999 ab, diesbezüglich Leistungen zu erbringen. Zur Begründung
wurde erklärt, der Vorfall vom 9. August 1999 stelle keinen Unfall im
Rechtssinne dar und es liege auch kein Rückfall zum Unfall vom 25. Mai 1998
vor. Die Verfügung erwuchs in Rechtskraft.
Am 19. September 2001 liess der Versicherte den Antrag stellen, die SUVA möge
zusammen mit der Eidgenössischen Invalidenversicherung für die Kosten einer
Untersuchung und Therapie in einer Spezialklinik aufkommen. Die SUVA lehnte
dies sowie weitere Anträge mit Schreiben vom 18. Oktober und 10. Dezember
2001 ab. Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern am 8. April 2002 nicht ein. Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde
hin hob das Eidgenössische Versicherungsgericht diesen Entscheid auf und wies
die Sache an das kantonale Gericht zurück, damit dieses über den vom
Beschwerdeführer geltend gemachten Vorwurf der Rechtsverweigerung entscheide
(Urteil vom 29. August 2002, U 166/02). Mit Entscheid vom 24. Februar 2003
hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die
Rechtsverweigerungsbeschwerde gut und verpflichtete die SUVA, innert vier
Monaten eine anfechtbare Verfügung betreffend Kostengutsprache für die
stationäre Untersuchung im Paraplegikerzentrum X.________ zu erlassen.
Mit Verfügung vom 24. April 2003 lehnte es die SUVA ab, die geforderten
Leistungen zu erbringen. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom
14. November 2003 fest. In den Erwägungen wurde ausgeführt, die Fragen nach
der Unfallqualität des Ereignisses vom 9. August 1999 sowie dem Vorliegen
eines Rückfalls zum Unfall vom 25. Mai 1998 seien durch die Verfügung vom
12. November 1999 rechtskräftig entschieden worden.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen den
Einspracheentscheid vom 14. November 2003 erhobene Beschwerde ab. Das
überdies gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
wurde ebenfalls abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos wurde (Entscheid
vom 8. Mai 2007).

C.
V.________ lässt Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei die Sache
an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese die somatischen Leiden des
Beschwerdeführers fachärztlich abklären lasse; eventuell seien dem
Beschwerdeführer durch das Bundesgericht direkt Leistungen zuzusprechen.
Zudem wird um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das
Einspracheverfahren, das kantonale Beschwerdeverfahren und das Verfahren vor
Bundesgericht ersucht.
Die SUVA schliesst auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt
für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2007 lässt der Beschwerdeführer einen Bericht von
Dr. S.________, Assistenzärztin, Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie FMH,
vom 25. Juni 2007 nachreichen.

D.
Mit Beschluss vom 9. Oktober 2007 wurde das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege (im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten und der
unentgeltlichen Verbeiständung) abgewiesen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 In formeller Hinsicht verlangt der Beschwerdeführer, der vorinstanzliche
Entscheid sei "wegen der Teilnahme von Frau Verwaltungsrichterin T.________
am Verfahren von Amtes wegen zu kassieren und aufzuheben". Zur Begründung
wird ausgeführt, Frau T.________ habe als Einzelrichterin den Entscheid vom
8. April 2002 gefällt, welchen das Eidgenössische Versicherungsgericht am
29. August 2002 teilweise - soweit auf das Eventualbegehren nicht eingetreten
worden war - aufhob, und sei deshalb befangen. Ihre Mitwirkung am Entscheid
vom 8. Mai 2007 verstosse gegen Art. 9 Abs. 1 lit. b und f des bernischen
Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG).

1.1.1 Im Sinne einer unabhängig vom anwendbaren Verfahrens- und
Organisationsrecht geltenden und damit auch für das kantonale
Versicherungsgericht nach Art. 57 ATSG massgeblichen Minimalgarantie haben
die Prozessparteien einen aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 30 Abs. 1 BV
abgeleiteten Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen,
unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirkung sachfremder
Umstände entschieden wird. Die Garantie ist verletzt, wenn bei objektiver
Betrachtung Umstände vorliegen, welche den Anschein der Befangenheit und die
Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Solche Umstände können
entweder in einem bestimmten persönlichen Verhalten des Richters oder in
funktionellen oder organisatorischen Gegebenheiten liegen (BGE 131 I 24
E. 1.1 S. 25; SVR 2006 UV Nr. 19 S. 67 E. 3.2, U 305/05).

1.1.2 Der Umstand allein, dass ein Richter an einem Urteil mitgewirkt hat,
das im Rechtsmittelverfahren aufgehoben wird, schliesst diesen nach der
Rechtsprechung noch nicht von der Neubeurteilung der zurückgewiesenen Sache
aus. Ist ein Verfahrensfehler begangen oder materielles Recht verletzt und
daher ein Entscheid erfolgreich angefochten worden, darf und muss von den
daran beteiligten Richtern grundsätzlich erwartet werden, dass sie die Sache
mit der nötigen Professionalität und Unvoreingenommenheit nochmals behandeln.
Befangenheit ist nur ausnahmsweise, bei Vorliegen besonderer Umstände,
anzunehmen (BGE 131 I 113 E. 3.6 S. 120). Solche werden vorliegend weder
namhaft gemacht noch ergeben sie sich aus den Akten. Im Gegenteil hat
Verwaltungsrichterin T.________ zwischenzeitlich am kantonalen Entscheid vom
24. Februar 2003, welcher zu Gunsten des Versicherten ausfiel, mitgewirkt.
Abgesehen davon betrifft der kantonale Entscheid vom 8. Mai 2007 ein anderes
Prozessthema als dasjenige einer Rechtsverweigerung durch die SUVA, welches
Anlass für das Rückweisungsurteil vom 29. August 2002 bot. Nach Massgabe des
Bundesrechts ist somit kein Ausstandsgrund gegeben.

1.1.3 Aus dem bernischen Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRPG), dessen
Anwendung das Bundesgericht nur daraufhin zu überprüfen hat, ob sie zu einer
Verletzung von Bundesrecht führt (vgl. Art. 95 BGG), ergibt sich nichts
anderes. Verwaltungsrichterin T.________ hat weder am Vorentscheid (dem
Einspracheentscheid der SUVA vom 14. November 2003) mitgewirkt (Art. 9 Abs. 1
lit. b VRPG) noch erscheint sie, wie bereits dargelegt, aus anderen Gründen
als befangen (Art. 9 Abs. 1 lit. f VRPG).

1.2 Dem Beschwerdeführer kann auch insofern nicht gefolgt werden, als er
erneut vorbringt, die SUVA habe den Einspracheentscheid nicht hinreichend
begründet und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es kann
hierzu auf die in allen Teilen zutreffenden Erwägungen des kantonalen
Gerichts verwiesen werden. Dessen Entscheid wird dem Gehörsanspruch ebenfalls
gerecht, hat die Vorinstanz doch dargelegt, warum sie auf die beantragten
Beweismassnahmen verzichtete.

2.
2.1 Zum materiellen Anspruch hat das kantonale Gericht erwogen, über die
Leistungspflicht der SUVA für die vom Beschwerdeführer geklagten
Rückenbeschwerden sei durch die in Rechtskraft erwachsene Verfügung vom
12. November 1999 bereits in negativem Sinn entschieden worden. Der
Beschwerdeführer lässt dagegen einerseits geltend machen, das Eidgenössische
Versicherungsgericht habe in seinem Urteil vom 29. August 2002 festgestellt,
die Verfügung sei nicht in Rechtskraft erwachsen. Andererseits wird
vorgebracht, Verwaltungsverfügungen seien ohnehin nur der formellen, nicht
aber der materiellen Rechtskraft zugänglich. Auf die Verfügung vom
12. November 1999 könne jederzeit zurückgekommen werden. Die SUVA sei deshalb
gehalten, umfassende medizinische Abklärungen durchzuführen, um die Ansprüche
des Versicherten auf Leistungen für die beiden Ereignisse vom 25. Mai 1998
und 9. August 1999 beurteilen zu können.

2.2
2.2.1 Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in seinem Urteil vom
29. August 2002 keineswegs erkannt, die Verfügung der SUVA vom 12. November
1999 sei nicht rechtskräftig geworden. Vollkommen unzutreffend ist auch die
Behauptung, das Gericht habe damals die Durchführung eines umfassenden
Beweisverfahrens zu den Folgen des Unfalls vom 25. Mai 1998 und des
Verhebetraumas vom 9. August 1999 angeordnet. Die damalige Rückweisung
erfolgte einzig deshalb, weil die Vorinstanz auf die bei ihr - als
Eventualbegehren - erhobene Rechtsverweigerungsbeschwerde hätte eintreten
müssen.

2.2.2 Die Ausgestaltung der materiellen Rechtskraft hat im
Sozialversicherungsrecht unter anderem mit Blick auf die hier besonders
häufig notwendige Regelung von Dauersachverhalten eine spezifische
Umschreibung erfahren (Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, S. 531,
Art. 53 N 2). Dies bedeutet aber nicht, wie der Beschwerdeführer annimmt,
dass jederzeit auf den Inhalt und das Dispositiv einer in Rechtskraft
erwachsenen Verfügung zurückgekommen werden könnte. Deren Abänderung ist
vielmehr an die Voraussetzungen eines Rückkommenstitels (Art. 53 Abs. 1 und 2
ATSG) oder - bei Dauersachverhalten - das nachträgliche Eintreten einer
erheblichen Veränderung geknüpft. Letzterem Umstand wird im
Unfallversicherungsrecht durch die Möglichkeit Rechnung getragen, nach
rechtskräftigem Fallabschluss bei Vorliegen eines Rückfalls (Art. 11 UVV)
erneut Leistungen zu beanspruchen. Nachdem die SUVA mit der bereits mehrfach
erwähnten Verfügung vom 12. November 1999 verbindlich festgestellt hat, die
festgestellte Diskushernie stehe in keinem natürlichen Kausalzusammenhang mit
dem Unfall vom 25. Mai 1998 und stelle somit keinen Rückfall dar, während das
Verhebetrauma vom 9. August 1999 nicht als Unfall zu qualifizieren sei, ist
ein Zurückkommen auf diese Beurteilung ausgeschlossen (die Voraussetzungen
einer prozessualen Revision nach Art. 53 Abs. 1 ATSG liegen nicht vor). Der
Beschwerdeführer kann für die Folgen dieser Diskushernie keine Leistungen
beanspruchen.

2.2.3 Die geltend gemachten Ansprüche stützen sich weiterhin auf die im
Anschluss an das Verhebetrauma vom 9. August 1999 festgestellten Beschwerden,
insbesondere die mediolaterale Diskushernie L5/S1 links. Diese bildete auch
den Anlass für die durchgeführten Behandlungen im Paraplegikerzentrum
X.________. Nach dem Gesagten ist die SUVA für diese Gesundheitsschädigung
und ihre Folgen nicht leistungspflichtig. Zusätzliche Abklärungen sind daher,
wie die Vorinstanz mit Recht festgehalten hat, nicht erforderlich. Die
letztinstanzlich aufgelegten Arztberichte vom 13. und 25. Juni 2007 sind
nicht geeignet, diese Beurteilung zu ändern.

3.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten hat der
Beschwerdeführer als unterliegende Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Befreiung von den Gerichtskosten und
unentgeltliche Verbeiständung) für das Verfahren vor Bundesgericht wurde
bereits mit dem Beschluss vom 9. Oktober 2007 abgewiesen. Die überdies
beantragte unentgeltliche Verbeiständung für das Einspracheverfahren und das
erstinstanzliche Gerichtsverfahren kann ebenfalls nicht gewährt werden, weil
auch diesbezüglich Aussichtslosigkeit vorliegt. Mit Bezug auf das
Einspracheverfahren ist der erst vor letzter Instanz gestellte Antrag zudem
verspätet.

erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
zugestellt.
Luzern, 8. November 2007

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:   Der Gerichtsschreiber:

Ursprung    Flückiger