Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.292/2007
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2007


8C_292/2007

Urteil vom 3. Januar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

M.________, 1960, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Fürsprecher Gerhard Lanz, Kirchenfeldstrasse 68, 3005 Bern,

gegen

Visana Versicherungen AG, Weltpoststrasse 19, 3015 Bern, Beschwerdegegnerin.

Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 28. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1960 geborene M.________ arbeitete als gelernte Krankenpflegerin bei den
Alterseinrichtungen Q.________ und war in dieser Eigenschaft bei der Visana
Versicherungen AG (Visana) obligatorisch gegen Unfälle versichert. Am
24. August 2000 stolperte sie nachts auf der Treppe ihres Arbeitsplatzes und
zog sich gemäss erstbehandelndem Notfallzentrum des Spitals X.________ eine
HWS- und OSG-Distorsion und eine Kontusion der LWS zu. Die Visana erbrachte
Versicherungsleistungen. Eine Untersuchung am medizinisch-radiologischen
Zentrum S.________ ergab am 11. Mai 2001 eine ausgedehnte Labrumruptur, wobei
der Limbus in einem gewissen Bereich vollständig vom Acetabulumrand abgelöst
war. Am 31. Januar 2002 führte Dr. med. R.________, Spezialarzt für
orthopädische Chirurgie, wegen seit dem Unfall anhaltenden
Impingementschmerzen im rechten Hüftgelenk eine chirurgische Hüftluxation
rechts mit Anfrischen des Labrums und einer Femurkopfplastik rechts durch; am
20. August 2002 wurden die Schrauben über dem Trochanter rechts entfernt. Im
Auftrag der Visana erstellte PD Dr. med. K.________, Spezialarzt für
Chirurgie FMH, am 10. März 2003 ein Gutachten, wobei er zum Schluss kam, es
beständen keine objektiven Befunde, die in einem natürlichen
Kausalzusammenhang mit dem Stolpersturz vom August 2000 ständen. In der Folge
stellte die Unfallversicherung ihre Leistungen mit Verfügung vom 22. April
2003 rückwirkend per 31. Dezember 2000 ein. Im daraufhin von M.________
angehobenen Einspracheverfahren holte die Visana weitere Arztzeugnisse ein
und veranlasste am medizinischen Zentrum Y.________ eine polydisziplinäre
Begutachtung. Die Expertise mit Datum vom 4. November 2004 enthält als
Diagnose mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit eine anhaltende, somatoforme
Schmerzstörung und eine Anpassungsstörung mit Angst sowie eine depressive
Reaktion gemischt. Die Einschränkung in der Arbeitsunfähigkeit betrage aus
psychiatrischer Sicht 70 %. Weitere insbesondere somatische Diagnosen hätten
keinen entsprechenden Einfluss. Die Unfallversicherung hiess die Einsprache
mit Entscheid vom 16. September 2005 insoweit gut, als die
Leistungseinstellung rückwirkend erfolgt war und wies sie im Übrigen ab.

B.
Hiegegen liess M.________ Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern
einreichen, welches die Beschwerde mit Entscheid vom 28. März 2007 abwies.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt M.________
beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Sache zur
Vornahme weiterer Abklärungen an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Im
Weiteren habe diese rückwirkend ab 22. April 2003 bis zum Erlass des neu noch
zu fällenden Einspracheentscheides weiterhin Taggeldzahlungen zu erbringen
und über den Rentenanspruch zu befinden.
Die Visana schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Weil die angefochtene Entscheidung nach dem Datum des Inkrafttretens des
Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG; SR 173.110), dem 1. Januar 2007
(AS 2006 1242) ergangen ist, untersteht die Beschwerde dem neuen Recht
(Art. 132 Abs. 1 BGG).

1.2 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an
(Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend
gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann
eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es
kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden
Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht
prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten,
wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann
die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht
nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die
Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder
Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Strittig ist der von der Beschwerdegegnerin verfügte und vorinstanzlich
bestätigte Fallabschluss in Form der Einstellung der Versicherungsleistungen.
Während die Visana und das kantonale Gericht hinsichtlich der über den
genannten Zeitpunkt hinaus von der Versicherten geklagten Beschwerden den
Kausalzusammenhang mit dem Unfall verneinen, macht die Beschwerdeführerin
geltend, der anhaltende Gesundheitsschaden sei somatischer Natur und stehe in
einem natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang mit dem versicherten
Ereignis.

3.
Nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz setzt die grundsätzliche
Leistungspflicht des Unfallversicherers nach Art. 6 Abs. 1 UVG voraus, dass
zwischen Unfallereignis und eingetretenem Gesundheitsschaden (Krankheit,
Invalidität, Tod) ein natürlicher (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen)
und adäquater (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181) Kausalzusammenhang besteht. Dabei
werden im kantonalen Entscheid die in der Rechtsprechung entwickelten
massgebenden Kriterien der Adäquanzbeurteilung bei psychischen
Fehlentwicklungen mit Einschränkung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit nach
Unfällen (BGE 115 V 133; vgl. BGE 123 V 98 E. 2a S. 99 mit Hinweisen) richtig
dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig wiedergegeben ist ferner die
Rechtsprechung zum im Sozialversicherungsrecht massgebenden Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181, 126 V 353
E. 5b S. 360 je mit Hinweisen) sowie zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung
ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a und b S. 352 mit
Hinweisen).

4.
4.1 Die Unfallversicherung und das kantonale Gericht stützen sich bei der
Verneinung des natürlichen Kausalzusammenhanges zwischen dem Unfall vom
24. August 2000 und den nach dem 30. April 2003 anhaltenden Beschwerden
primär auf das Gutachen des medizinischen Zentrums Y.________ vom 4. November
2004. Zusammenfassend kamen die Experten des Begutachtungsinstitutes zur
Erkenntnis, es läge kein organisches anatomisch-strukturelles Korrelat zu den
geklagten Schmerzen vor. Gestützt auf diese rheumatische Beurteilung stellte
der psychiatrische Experte seinerseits die Diagnose einer somatoformen
Schmerzstörung, die ihrerseits als "andauernder, schwerer und quälender
Schmerz, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche
Störung nicht vollständig erklärt werden kann" (ICD-10 F45.4) definiert wird.
Die psychiatrische hängt also entscheidend von der rheumatologischen Diagnose
ab. Die Vorinstanz attestiert dem genannten Gutachten Schlüssigkeit und damit
volle Beweiskraft, weshalb sie darauf abstellt.
Dem ist entgegenzuhalten, dass PD Dr. med. N.________, Chefarzt der
orthopädischen Klinik Z.________, speziell Becken/Hüfte, Endoprothetik, in
seinem Untersuchungsbericht vom 24. Juni 2005 die fachärztliche Überzeugung
vertritt, die Beschwerden der Versicherten seien seines Erachtens sehr wohl
somatisch erklärbar, wobei nach jahrelangen Leiden auch eine chronifizierende
Komponente hinzukomme. Auch nach der ersten chirurgischen Hüftluxation im
Januar 2002 persistiere eine Labrumruptur rechts. Er empfiehlt dringend eine
Reoperation.

4.2 Folgt man dieser fachärztlichen Beurteilung, die nicht von einem
behandelnden Arzt stammt und die in den Erwägungen des angefochtenen
Entscheids keine Beachtung findet, sind die Schlussfolgerungen im Gutachten
des medizinischen Zentrums Y.________ nicht mehr gleichermassen überzeugend.
Es stehen sich vielmehr zwei diametral abweichende medizinische Fachmeinungen
über die Fragen gegenüber, ob die Beschwerdeführerin nur an psychosomatischen
Problemen oder an einem verifizierbaren organischen Zustand leidet, welcher
die geklagten Schmerzen mindestens zum Teil erklärt, und wenn ja, ob ein
solcher somatischer Befund in einem natürlichen Kausalzusammenhang mit dem
Treppensturz vom 24. August 2000 steht. Dieser Widerspruch ist nur durch ein
orthopädisches Obergutachten zu lösen. Die Sache wird daher an die Visana
zurückgewiesen, damit sie ein entsprechendes Gutachten veranlasse und danach
erneut über den Anspruch auf Versicherungsleistungen entscheide.

5.
Im Weiteren stellt die Beschwerdeführerin die Rechtsbegehren, die Visana sei
anzuweisen, die Auszahlung der Unfalltaggelder rückwirkend ab 22. April 2003
bis zum Erlass des neu zu erlassenden Einspracheentscheides (zuzüglich
Verzugszins) wieder aufzunehmen und sie habe über den Rentenanspruch zu
befinden.
Das vor Bundesgericht erhobene Rechtsbegehren um Aufhebung der aufschiebenden
Wirkung ist ebenso neu, wie dasjenige über einen Rentenanspruch, da weder in
der Einsprache vom 2. Mai 2003, der Einsprachebegründung vom 16. Juni 2003,
noch der kantonalen Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 6. Dezember 2005
entsprechende Anträge gestellt worden waren. Es liegt damit eine Ausweitung
des Streitgegenstandes vor, der gemäss Art. 99 Abs. 2 BGG unzulässig ist,
weshalb darauf nicht eingetreten werden kann.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der
Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 28. März 2007 und der
Einspracheentscheid der Visana vom 16. September 2005 werden aufgehoben. Die
Sache wird an die Visana zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung
im Sinne der Erwägungen, über den Leistungsanspruch der M.________ neu
verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 3. Januar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:    Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung     Schüpfer