Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.287/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_287/2007

Urteil vom 27. März 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger,
nebenamtlicher Bundesrichter Weber,
Gerichtsschreiber Lanz.

Parteien
G.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann, Hauptstrasse 36, 4702 Oensingen,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
15. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1963 geborene G.________ war als Elektromonteur in der Firma X.________
tätig und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert. Am 11. Juli 1994 stand er zum
Kabeleinziehen in ca. 3 m Höhe auf einer Leiter, als diese wegrutschte.
G.________ fiel zu Boden, wobei er sich unter anderem an der linken Hand
verletzte. Die SUVA gewährte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung,
Taggeld) und schloss den Fall unter Zusprechung einer Integritätsentschädigung
mit gerichtlich bestätigtem Einspracheentscheid vom 16. September 1999 ab.
Aufgrund von Rückfallmeldungen gewährte die SUVA erneut Heilbehandlung und
richtete Taggeld aus. Mit Verfügungen vom 2. April 2004 und 20. April 2005
stellte sie das Taggeld auf den 1. April 2004 und die Heilbehandlung auf den 1.
Mai 2005 ein. Am 2. April 2004 verfügte sie eine Integritätsentschädigung bei
einer Integritätseinbusse von 15 % und am 8. Juni 2005 eine ab 1. September
2004 laufende Invalidenrente auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 14
%. Der Versicherte reichte gegen die Verfügungen betreffend Taggeld,
Integritätsentschädigung und Invalidenrente je Einsprache ein. Die SUVA hiess
die Einsprache betreffend Integritätsentschädigung teilweise gut, indem sie den
dieser zugrunde liegenden Integritätsschaden auf 20 % erhöhte. Im Übrigen wies
sie die Einsprachen ab (Einspracheentscheid vom 20. Oktober 2005).

B.
G.________ erhob Beschwerde. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau führte
eine öffentliche Verhandlung durch. Es erkannte sodann, dass der
Einspracheentscheid vom 20. Oktober 2005 hinsichtlich der
Integritätsentschädigung nicht angefochten sei und hiess die Beschwerde
teilweise gut, indem es den Beginn der zugesprochenen Invalidenrente auf den 1.
April 2004 festsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde, soweit es darauf
eintrat, unter Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ab (Entscheid vom 15.
März 2007).

C.
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben und
die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen und zur neuen Verfügung an die SUVA
zurückzuweisen, wobei mit Wirkung ab der Leistungseinstellung für die Dauer der
Abklärungen erneut Taggeld nach Massgabe einer Arbeitsunfähigkeit von 100 %
auszurichten sei; eventuell seien die gesetzlichen Leistungen nach Massgabe
eines Invaliditätsgrades von mindestens 40 % ab wann rechtens und zuzüglich
Verzugszins zuzusprechen. Weiter wird die Durchführung einer öffentlichen
Verhandlung mit Parteibefragung verlangt.

Die SUVA beantragt die Abweisung der Beschwerde, ohne sich weiter zur Sache zu
äussern. Die Vorinstanz schliesst mit dem gleichen Antrag. Das Bundesamt für
Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

G.________ reicht nachträglich zwei Arztberichte ein.

D.
Mit Verfügung vom 28. Dezember 2007 lehnte das Bundesgericht Gesuche des
Versicherten um Sistierung des Verfahrens und um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege ab.

Erwägungen:

1.
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art.
97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
2.1 Was den erneuten Antrag betreffend öffentliche Verhandlung betrifft, hat es
mit dem Hinweis, dass die Vorinstanz eine solche durchgeführt hat und damit den
rechtlichen Vorgaben, insbes. auch Art. 6 Ziff. 1 EMRK, zu diesem
formellrechtlichen Anspruch Rechnung getragen wurde, sein Bewenden. In der
Beschwerde wird nichts vorgebracht, was zu einer anderen Betrachtungsweise
führen könnte. Soweit hiezu vorgebracht wird, der Versicherte sei nicht
persönlich angehört worden, ist dies ohnehin aktenwidrig. Aus dem Protokoll der
Verhandlung vom 15. März 2007 geht hervor, dass der Beschwerdeführer selber zu
Wort gekommen ist.

2.2 Im gleichen Zusammenhang vorgebracht und zu behandeln ist der ebenfalls
unter Hinweis auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK gestellte Antrag auf Durchführung einer
Parteibefragung unter Beizug eines Dolmetschers.

Die Parteibefragung resp. nach dem Wortlaut im letztinstanzlichen Verfahren das
Parteiverhör ist ein Beweismittel (Art. 55 BGG in Verbindung mit Art. 62 - 65
BZP, vgl. Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, N
11 zu Art. 55 BGG). Auf dessen Abnahme kann verzichtet werden, wenn davon kein
entscheidserheblicher neuer Aufschluss zu erwarten ist (antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 124 V 90 E. 4b S. 94, 122 V 157 E. 1d S. 162). Im
vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich und wird in der Beschwerde auch nicht
überzeugend begründet, inwiefern von einem Parteiverhör ein solcher
Erkenntnisgewinn erwartet werden könnte. Von der Durchführung dieser
Beweismassnahme ist daher, und zwar auch unter Berücksichtigung von Art. 6
Ziff. 1 EMRK (vgl. BGE 124 V 57 E. 4b S. 94 mit Hinweisen), abzusehen.

3.
Das kantonale Gericht hat zunächst erwogen, soweit eine psychische Problematik
vorliege, stehe diese nicht in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum
versicherten Ereignis. Ein Leistungsanspruch aus dieser Problematik könne
daher, ohne dass die Frage der natürlichen Kausalität näher zu prüfen sei,
verneint werden.

Diese Beurteilung entspricht in allen Teilen Gesetz und Praxis (insbes. BGE 115
V 133; SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 3c). Soweit in der Beschwerde hiezu Stellung
genommen wird, beschränkt sich dies auf den erneuten Hinweis auf Aussagen des
behandelnden Psychiaters. Die Verneinung des nebst dem natürlichen
erforderlichen adäquaten Kausalzusammenhangs wird damit nicht in Frage
gestellt.

Ein Anspruch auf die geltend gemachten Leistungen könnte sich daher nur aus dem
- unstreitig natürlich und adäquat unfallkausalen - Gesundheitsschaden an der
linken Hand ergeben. Die für die Beurteilung eine solchen Leistungsanspruchs
erforderlichen medizinischen Grundlagen lassen sich den vorhandenen Akten
zuverlässig entnehmen. Weitere Abklärungen sind nicht erforderlich.

4.
Die Vorinstanz hat nach Darstellung der relevanten Rechtsgrundlagen zutreffend
erkannt, dass die Einstellung des Taggeldes auf den 1. April 2004 rechtmässig
ist. Hervorzuheben ist, dass nach Lage der medizinischen Akten im besagten
Zeitpunkt und im Übrigen auch noch beim Erlass des Einspracheentscheides vom
20. Oktober 2005, welcher rechtsprechungsgemäss die zeitliche Grenze der
gerichtlichen Überprüfungsbefugnis bildet (BGE 129 V 167 E. 1 S. 169 mit
Hinweis auf 121 V 362 E. 1b S. 366), von einer Fortsetzung der ärztlichen
Behandlung keine namhafte Besserung des Gesundheitszustandes mehr erwartet
werden konnte. Auch waren keine Eingliederungsmassnahmen der
Invalidenversicherung im Gange, deren Abschluss abzuwarten gewesen wäre. Es
hatte daher von Gesetzes wegen (Art. 16 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 1 UVG; vgl.
auch Urteil 394/06 vom 19. Februar 2008, E. 4) der Fallabschluss unter
Einstellung des Taggeldes zu erfolgen. Es kann im Übrigen auf die zutreffende
Würdigung der Sach- und Rechtslage im angefochtenen Entscheid verwiesen werden.
Die Vorbringen in der Beschwerde beschränken sich im Wesentlichen auf eine
Wiederholung der Vorbringen im kantonalen Verfahren und vermögen keine andere
Betrachtungsweise zu begründen. Dies gilt namentlich auch, soweit erneut auf
die erst im Jahr 2006 erfolgte Operation und die noch später empfohlenen
weiteren Eingriffe verwiesen wird. Dass weitere Operationen erforderlich sein
würden und (allenfalls) eine gesundheitliche Besserung versprachen, war im hier
massgebenden Zeitraum nicht absehbar. Hieran ändern die nachträglich
eingereichten Arztberichte, deren prozessuale Zulässigkeit in diesem Verfahren
ohnehin fraglich wäre, nichts. Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen
hat, können die späteren Eingriffe gegebenenfalls im Rahmen eines - weiteren -
Rückfalles oder aber einer Spätfolge berücksichtigt werden.

5.
Die Bestimmungen und Grundsätze für den Anspruch auf eine Invalidenrente der
obligatorischen Unfallversicherung, namentlich auch betreffend die
erforderlichen kausalen Zusammenhänge, sind im angefochtenen Entscheid
ebenfalls richtig dargelegt.

5.1 Das kantonale Gericht ist zum Ergebnis gelangt, die Gebrauchsfähigkeit der
linken Hand sei unfallbedingt eingeschränkt. Die Hand könne aber für
Tätigkeiten, die keine hohen Anforderungen an die Kraft und Motorik stellten,
zumindest hilfsweise nebst der dominanten rechten Hand eingesetzt werden. Eine
funktionelle Einarmigkeit liege entgegen der Auffassung des Versicherten nicht
vor.

Diese Beurteilung beruht auf einer sorgfältigen, rechtskonformen Würdigung der
medizinischen Akten. Die Vorbringen in der Beschwerde, welche sich auch hier
weitgehend auf eine Wiederholung der Argumente aus dem kantonalen Verfahren
beschränken, vermögen keine Zweifel daran zu begründen. Namentlich geht der
Vorwurf fehl, die Verweisungstätigkeiten seien zu wenig konkretisiert worden.
In den medizinischen Akten, auf die sich die Vorinstanz stützt, sind die trotz
unfallbedingter Gesundheitsschädigung noch zumutbaren Tätigkeitsbereiche
hinreichend umschrieben, um als Grundlage für die Bestimmung des
Erwerbsfähigkeitsgrades zu dienen. Es kann auf die vorinstanzlichen Erwägungen
verwiesen werden. Sollte sich aufgrund von nach dem Einspracheentscheid vom 20.
Oktober 2005 vorgenommenen weiteren operativen Eingriffen eine erwerblich
relevante Erhöhung der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit ergeben, wäre auch
dies gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt eines Rückfalls oder einer
Spätfolge zu berücksichtigen.

5.2 Die Resterwerbsfähigkeit ist unstreitig mittels Einkommensvergleich zu
bestimmen.
5.2.1 Das im Jahr 2004 ohne unfallbedingte Gesundheitsschädigung mutmasslich
erzielte Einkommen (Valideneinkommen) setzte die SUVA auf Fr. 57'200.- fest.
Sie stützte sich dabei auf die Angaben der Firma Y.________, zum Lohn, den der
Versicherte im Jahr 2004 ohne unfallbedingte Einschränkung erzielt hätte. Bei
diesem Arbeitgeber war der Versicherte vom Juni 2000 bis Januar 2004 tätig. Die
Vorinstanz hat dieses Valideneinkommen zu Recht bestätigt. Die Begründung, mit
welcher der Beschwerdeführer ein höheres Valideneinkommen geltend machen lässt,
wurde im kantonalen Entscheid mit zutreffender Begründung verworfen.
5.2.2 Das im Jahr 2004 trotz unfallbedingter Gesundheitsschädigung
zumutbarerweise noch erzielbare Einkommen (Invalideneinkommen) bemass die SUVA
anhand von Lohnangaben aus ihrer Dokumentation von Arbeitsplätzen (DAP) auf Fr.
49'400.-. Sie ist dabei nach den von der Rechtsprechung erarbeiteten
Grundsätzen (BGE 129 V 472) vorgegangen. Das kantonale Gericht hat dies
zutreffend erkannt. Es hat sich dabei auch eingehend mit den Einwänden des
Versicherten auseinandergesetzt und diese für unbegründet erachtet. Die
entsprechenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid überzeugen vollumfänglich.
Sie werden durch die erneuerten Einwände des Beschwerdeführers nicht in Frage
gestellt. Dies betrifft namentlich das hauptsächliche Vorbringen, dass die zum
Vergleich herangezogenen Tätigkeiten von einem funktionell Einarmigen nicht
ausgeführt werden könnten. Als solcher ist der Versicherte nach dem zuvor
Gesagten nicht zu betrachten. Auch ist davon auszugehen, dass der massgebliche
ausgeglichene Arbeitsmarkt hinreichend Stellen anbietet, welche dem gegebenen
Zumutbarkeitsprofil entsprechen.
5.2.3 Der Vergleich von Validen- und Invalideneinkommen ergibt einen
unfallbedingten Minderverdienst von Fr. 7800.-, was einem Prozentsatz von 13.63
% und gerundet (BGE 130 V 121) dem von der SUVA ermittelten und vom kantonalen
Gericht bestätigten Invaliditätsgrad von 14 % entspricht. Der angefochtene
Entscheid ist mithin auch im Rentenpunkt rechtens.

6.
Die Kosten des Verfahrens trägt der unterliegende Beschwerdeführer (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 27. März 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Lanz