Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.245/2007
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8C_245/2007

Urteil vom 22. Februar 2008

I. sozialrechtliche Abteilung

Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Polla.

O. ________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter T.
Isler, Kronenstrasse 9, 8712 Stäfa,

gegen

Unia Arbeitslosenkasse, Zentralverwaltung, Strassburgstrasse 11, 8004 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 19. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1944 geborene O.________ meldete sich am 12. November 2004 bei der
Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an, nachdem er vom 1. Februar
1994 bis 31. Oktober 2004 als Geschäftsführer und
einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat der Firma H.________ AG tätig
gewesen war. Mit Verfügung vom 30. September 2005 verneinte die Unia
Arbeitslosenkasse einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung wegen
Nichterfüllung der Beitragszeit, da der Lohnfluss nicht bewiesen sei. Mit
Verfügung vom 22. November 2005 verneinte die Arbeitslosenkasse wiederum den
Leistungsanspruch und begründete dies neu mit der fehlenden
Anspruchsberechtigung wegen der arbeitgeberähnlichen Stellung des
Versicherten bei der Firma H.________ AG. Daran hielt sie auf Einsprache hin
fest, wobei das verfügungsweise am 21. November 2005 eingeleitete
Rückforderungsverfahren sistiert wurde (Einspracheentscheid vom 17. Januar
2006).

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher O.________ um Zusprechung von
Versicherungsleistungen ab 1. November 2004 ersuchte, wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 19. März
2007).

C.
O.________ lässt Beschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sei ihm ab 1. November 2004, eventualiter ab 12.
Dezember 2004, Arbeitslosenentschädigung auszurichten.
Arbeitslosenkasse und Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine
Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Vorschrift zum Ausschluss
arbeitgeberähnlicher Personen vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art.
31 Abs. 3 lit. c AVIG) sowie die Rechtsprechung zur analogen Anwendung dieser
Regelung auf arbeitgeberähnliche Personen, welche Arbeitslosenentschädigung
beantragen (BGE 123 V 234 E. 7 S. 236), richtig dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

3.
3.1 Unbestrittenermassen war der Beschwerdeführer bis zu seiner Entlassung am
30. November 2004 als Geschäftsführer des Hotels X.________ tätig, das von
der H.________ AG betrieben wurde, wobei er die Tätigkeit infolge
Geschäftsaufgabe verlor. Ebenso steht fest, dass der Beschwerdeführer bis zur
Löschung im Handelsregister mit Publikation im Schweizerischen
Handelsamtsblatt (SHAB) am 20. Dezember 2005 als einzelzeichnungsberechtiger
Verwaltungsrat der H.________ AG fungierte, welchem ausserdem sein
Wohnungspartner K.________ als Präsident und Mehrheitsaktionär angehörte.
Damit ist insbesondere die Frage zu klären, wann er die als Gesellschafter
und einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat innegehabte
arbeitgeberähnliche Stellung verloren hat.

3.2 Der Vorinstanz ist insoweit zuzustimmen, als dem Beschwerdeführer als
Verwaltungsratsmitglied von Gesetzes wegen massgebliche Entscheidungsbefugnis
zukommt (Art. 716f. OR), woraus sich die arbeitgeberähnliche Stellung ergibt.
Entgegen Verwaltung und Vorinstanz kommt es jedoch bei Personen mit
arbeitgeberähnlichen Eigenschaften mit Blick auf die Beendigung ihrer
Organstellung nicht auf den Zeitpunkt der Löschung im Handelsregister an.
Nach der Rechtsprechung ist vielmehr in Angleichung an die Praxis nach Art.
52 AHVG der tatsächliche Rücktritt, welcher unmittelbar wirksam wird,
massgebend (ARV 2000 Nr. 34 S. 176 zu Art. 51 Abs. 2 AVIG; BGE 126 V 134 mit
Hinweisen). Ausschlaggebend für die Beendigung der Verwaltungsratsstellung
ist vorliegend daher das mit Rücktrittsschreiben vom 12. Dezember 2004
erfolgte effektive Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat und nicht die Löschung
im Handelsregister oder die Publikation im SHAB, zumal sich die Löschung des
Eintrags, aus welchen Gründen auch immer, verzögern kann (Urteil C 426/00 vom
7. August 2001, E. 3). Im Weiteren ergeben sich gestützt auf den vom
Sozialversicherungsgericht ermittelten Sachverhalt (vgl. E. 1) keinerlei
Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer nach seinem Rücktritt als
Verwaltungsrat tatsächlich Einfluss auf die Entscheidfindung der Gesellschaft
nahm. Im Gegensatz zum im vorinstanzlichen Entscheid erwähnten Urteil C
278/05 vom 15. März 2006 beurteilten Sachverhalt nahm hier der Versicherte
auch nicht mehr in seiner Funktion als Verwaltungsrat an einer
Generalversammlung teil. Der vom kantonalen Gericht getroffene rechtliche
Schluss, dem Rücktrittsschreiben vom 12. Dezember 2004 komme insofern keine
massgebende Bedeutung zu, als der Versicherte wegen der unterlassenen Meldung
beim Handelsregisteramt weiterhin als Verwaltungsrat eingetragen geblieben
sei und daher erst mit der Publikation im SHAB am 20. Dezember 2005 seine
arbeitgeberähnliche Stellung verloren habe, trifft daher nicht zu. Insoweit
sich aus dem erwähnten Urteil C 278/05 etwas anderes ergibt, ist daran nicht
festzuhalten. Zu einer Änderung der Rechtsprechung zum massgebenden Zeitpunkt
für das Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat besteht kein Anlass (vgl. BGE 133
V 37 E. 5.3.3 S. 39; 132 III 770 E. 4 S. 777; 132 V 357 E. 3.2.4.1 S. 360 mit
Hinweisen). Nach dem Gesagten ist vielmehr davon auszugehen, dass der
Versicherte mit Rücktrittsschreiben vom 12. Dezember 2004 aus dem
Verwaltungsrat ausgeschieden ist und damit seine arbeitgeberähnliche Stellung
verlor, weshalb ab diesem Datum der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung zu
bejahen ist.

4.
4.1 Die Verwaltung hat im vorinstanzlichen Verfahren erstmals verneint, dass
der Beschwerdeführer innerhalb der vom 12. November 2002 bis 11. November
2004 dauernden, zweijährigen Rahmenfrist für die Beitragszeit (Art. 9 Abs. 3
und 2 AVIG) während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige
Beschäftigung ausgeübt hatte, da er nicht als Unselbstständigerwerbender zu
qualifizieren sei.

4.2 Hinsichtlich der vom kantonalen Gericht nicht abschliessend beurteilten
Frage, ob der Versicherte arbeitslosenversicherungsrechtlich als Arbeitnehmer
zu qualifizieren ist, geht aus der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung
nicht klar hervor, welche Führungs- und Entscheidungskompetenzen beim
Beschwerdeführer lagen und wieweit zivilrechtlich von einem
Unterordnungsverhältnis gesprochen werden kann. Ungeachtet dessen, ging das
Eidgenössische Versicherungsgericht (heute: Bundesgericht) bei Personen, die
als Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft tätig sind, in der Regel stets
von einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit aus und qualifizierte deren
Entschädigung als massgebenden Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG (Urteil C
267/04 vom 3. April 2006, E. 4.4.1 mit Hinweis). In Erwägung 4.4.2 des eben
zitierten Urteils wurde in Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung
erkannt, dass auch im Falle eines Gesellschafters und
einzelzeichnungsberechtigten alleinigen Geschäftsführers, welcher bei einem
Stammkapital von Fr. 20'000.- einen Stammanteil von Fr. 19'000.- hielt und
zwischen der Gesellschaft und dem Versicherten wirtschaftlich Identität
bestand, dennoch aus arbeitsversicherungsrechtlicher Sicht grundsätzlich von
einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit auszugehen ist. Im Lichte dieser
Rechtsprechung ist auch hier der Beschwerdeführer als Arbeitnehmer zu
qualifizieren (Urteil C 266/05 vom 13. Juni 2006, E. 2.2), zumal er weder
alleine einzelzeichnungsberechtigt noch Allein- oder Mehrheitseigentümer der
Kapitalgesellschaft war.

5.
Mit Blick auf den ebenfalls in Frage gestellten Nachweis des effektiven
Lohnflusses ist nochmals festzuhalten, dass dem Nachweis tatsächlicher
Lohnzahlungen nach der Rechtsprechung (BGE 131 V 453 E. 3.3 letzter Absatz)
nicht der Sinn einer selbstständigen Anspruchsvoraussetzung für den Bezug der
erwähnten Leistung zu kommt, sondern derjenige eines bedeutsamen, in
kritischen Fällen ausschlaggebenden Indizes für die Ausübung einer
beitragspflichtigen Beschäftigung (Urteil C 284/05 vom 25. April 2006, E.
2.5). Der fehlende Nachweis des exakten Lohnes führt - da nach dem in E.4.2
hievor Gesagten feststeht, dass der Beschwerdeführer eine solche
Beschäftigung während mehr als zwölf Monaten ausgeübt hat - daher nicht zur
Verneinung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung, sondern ist bei der
Festsetzung des massgebenden versicherten Verdienstes zu berücksichtigen,
wobei sich die mangelnde Bestimmbarkeit der exakten Lohnhöhe zu Ungunsten des
Versicherten auswirkt (Urteil C 284/05 vom 25. April 2006, E. 2.5). Aufgrund
des vorinstanzlich in dieser Frage unvollständig ermittelten Sachverhaltes -
eventuell dienen die im kantonalen Verfahren offerierten Beweise zumindest
indizienhalber (BGE 131 V 447 E. 1.2 mit Hinweisen, Urteil C 173/05 vom 7.
April 2006, E. 1) zur Bestimmung des effektiven Einkommens - ist die Sache
daher an die Verwaltung zurückzuweisen, damit sie, nach allfälliger
Aktenergänzung, über die Höhe des Taggeldanspruchs neu befinde.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Als unterliegende Partei hat die
Arbeitslosenkasse die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG), da die
Arbeitslosenkassen nicht unter den Ausnahmetatbestand von Art. 66 Abs. 4 BGG
fallen (BGE 133 V 637 E. 4).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 19. März 2007 und der
Einspracheentscheid der Unia Arbeitslosenkasse vom 17. Januar 2006 werden
aufgehoben mit der Feststellung, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung ab 12. Dezember 2004 hat.

2.
Die Sache wird an die Unia Arbeitslosenkasse zurückgewiesen, damit sie im
Sinne der Erwägungen über den Taggeldanspruch in masslicher Hinsicht neu
befinde.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

4.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

5.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangen
Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Staatssekretariat für Wirtschaft und dem Amt für Wirtschaft und
Arbeit des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. Februar 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Polla