Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.90/2007
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6B_90/2007 /bri

Urteil vom 30. Mai 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Bundesrichter Ferrari,
Gerichtsschreiber Stohner.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt    Renzo Guzzi,

gegen

A.________ Versicherungen,
B.________ Versicherungsgesellschaft,
C.________ Sozialversicherungsanstalt,
D.________ Versicherungen,
Beschwerdegegnerinnen,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich.

Mehrfacher und gewerbsmässiger Betrug (Art. 146 StGB); Widerruf.

Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 15. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, befand X.________ am 15.
Januar 2007 des gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 1 und 2 StGB), der
mehrfachen Irreführung der Rechtspflege (Art. 304 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) und
des Diebstahls (Art 139 Ziff. 1 StGB) für schuldig und verurteilte ihn zu
einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten; vom Vorwurf der
Hehlerei (Art. 160 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) und der Urkundenfälschung (Art. 251
Ziff. 1 StGB) sprach es X.________ hingegen frei.

In der Urteilsbegründung führte das Obergericht namentlich aus, X.________
habe mehrfach zwecks Erwirkung von Versicherungsleistungen aus Sachschaden
und zur Erlangung von Invalidenrenten aus simulierten Körperverletzungen
Verkehrsunfälle inszeniert.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 15. Januar 2007 sei
aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Des Weiteren ersucht er sinngemäss um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die angefochtene Entscheidung ist nach dem Datum des Inkrafttretens des
Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG, SR 173.110) ergangen (vgl. AS
2006, 1242). Die Beschwerde untersteht daher  neuem Recht (Art. 132 Abs. 1
BGG).

Auf die Beschwerde ist einzutreten, da sie unter Einhaltung der gesetzlichen
Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von der in ihren Anträgen
unterliegenden beschuldigten Person (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG) eingereicht
wurde und sich gegen einen von einer letzten kantonalen Instanz (Art. 80 BGG)
gefällten Endentscheid (Art. 90 und 95 BGG) in Strafsachen (Art. 80 Abs. 1
BGG) richtet.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte, da
ihm mit Zustellung der sich auf 855 Seiten Untersuchungsmaterial abstützenden
7-seitigen Nachtrags-Anklage am 17. November 2005 nicht hinreichend Zeit zur
Vorbereitung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 23. November 2005
offen gestanden sei. Dieser Verstoss gegen Art. 32 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff.
3 lit. b EMRK sei im vorinstanzlichen Verfahren nicht heilbar gewesen und
müsse im Ergebnis zu einem vollumfänglichen Freispruch bezüglich den in der
Nachtrags-Anklage erhobenen Vorwürfen führen (Beschwerde S. 7 ff.).
2.2 Die Vorinstanz hat erwogen, die dem Beschwerdeführer bzw. seiner
Verteidigung eingeräumte Vorbereitungszeit von vier Arbeitstagen sei
ausreichend gewesen. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer bewusst darauf
verzichtet, einen Antrag auf Verschiebung der Verhandlung zu stellen. Selbst
wenn jedoch von einer Verletzung der Verteidigungsrechte auszugehen wäre, so
sei dieser Mangel jedenfalls nicht derart gravierend, dass er im
zweitinstanzlichen Verfahren nicht hätte geheilt werden können (angefochtenes
Urteil S. 9 - 14).

2.3 Art. 32 Abs. 2 BV statuiert, dass jede angeklagte Person die Möglichkeit
haben muss, die ihr zustehenden Verteidigungsrechte geltend zu machen. Der in
Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK garantierte Anspruch der angeschuldigten Person
auf ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung ist
ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff.
1 EMRK. Wie viel Zeit erforderlich ist, lässt sich nicht abstrakt bestimmen;
massgebend sind die Umstände des konkreten Falls. Dabei sind etwa Umfang und
Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, die jeweilige Art des Verfahrens
sowie das Verfahrensstadium und die Lage der Verteidigung zu berücksichtigen
(Mark E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK],
2. Auflage, Zürich 1999 Rz. 509 f.; Arthur Haefliger/Frank Schürmann, Die
Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Auflage, Bern 1999,
S. 221; Jochen Frowein/Wolfgang Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Auflage, Kehl
u.a. 1996, Art. 6 Rz. 179).

2.4 Die dem Beschwerdeführer zur Verfügung stehende Zeit von vier
Arbeitstagen ist eher knapp bemessen, jedoch nicht unhaltbar kurz.

Massgeblich ins Gewicht fällt, dass dem Beschwerdeführer einzig die
Nachtrags-Anklage erst verhältnismässig kurz vor der Hauptverhandlung zur
Kenntnis gebracht wurde, er hingegen für die Auseinandersetzung mit der
Hauptanklageschrift vom 6. Juli 2005 füglich Zeit hatte. Diese
Nachtrags-Anklage aber ist weder besonders umfangreich noch stellt sich
insoweit die Sach- und Rechtslage übermässig kompliziert dar. Dieser Schluss
wird auch dadurch untermauert, dass die Verteidigung in ihrem Plädoyer
umfassend auf die in der Nachtrags-Anklage erhobenen Vorwürfe einging und
sich materiell mit sämtlichen wesentlichen Tat- und Rechtsfragen befasste.
Von einer mangelhaften Verteidigungsmöglichkeit kann deshalb in
Übereinstimmung mit der Einschätzung der Vorinstanz nicht gesprochen werden.
Des Weiteren ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer von der Möglichkeit,
einen Antrag auf Verschiebung der Hauptverhandlung zu stellen, bewusst keinen
Gebrauch machte, was als Indiz zu werten ist, dass er ursprünglich selber
davon ausging, die Vorbereitungszeit sei angemessen.

2.5 Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls ist folglich die
Vorbereitungszeit von vier Arbeitstagen als zur Wahrnehmung der
Verteidigungsrechte ausreichend einzustufen. Ein Verstoss gegen Art. 32 Abs.
2 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 bzw. Ziff. 3 lit. b EMRK liegt mithin nicht vor.

Im Übrigen hat die Vorinstanz zu Recht unter Hinweis auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung geschlossen, dass eine allfällige
erstinstanzliche Verletzung der Verteidigungsrechte im kantonalen
Berufungsverfahren ohnehin geheilt werden konnte (vgl. hierzu BGE 126 I 68 E.
2; 124 V 180 E. 4a).

Die Rüge des Beschwerdeführers erweist sich damit als unbegründet; die
Beschwerde ist insoweit abzuweisen.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Gehörsverletzung. Indem die Vorinstanz mit
Bezug auf den Hergang des Verkehrsunfalls vom 23. Januar 2001 vollumfänglich
auf das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich vom
4. November 2005 abgestellt und seine Beweisanträge auf Einvernahme weiterer
Experten und auf Erstellung eines Obergutachtens abgewiesen habe, habe sie
gegen Art. 29 Abs. 2 BV verstossen (Beschwerde S. 13 ff.).
3.2 Die Vorinstanz hat demgegenüber erwogen, aufgrund der Ausführungen im
verkehrsdynamischen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der
Stadtpolizei Zürich vom 4. November 2005 sei es rechtsgenügend erstellt, dass
es sich beim Unfallgeschehen vom 23. Januar 2001 um einen gestellten Unfall
gehandelt habe. Eine Einholung eines Obergutachtens sei deshalb obsolet
(angefochtenes Urteil S. 50).

3.3 Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV umfasst unter
anderem das Recht des Betroffenen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu
werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder
sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den
Entscheid zu beeinflussen (BGE 126 I 15 E. 2a/aa; 124 I 49 E. 3a und 241 E.
2, je mit Hinweisen). Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt, dass das
Gericht rechtzeitig und formrichtig angebotene erhebliche Beweismittel
abzunehmen hat (BGE 122 I 53 E. 4a mit Hinweisen). Dies verwehrt es ihm indes
nicht, einen Beweisantrag abzulehnen, wenn es in willkürfreier Würdigung der
bereits abgenommenen Beweise zur Überzeugung gelangt, der rechtlich
erhebliche Sachverhalt sei genügend abgeklärt, und es überdies in
willkürfreier antizipierter Würdigung der zusätzlich beantragten Beweise zur
Auffassung gelangen durfte, weitere Beweisvorkehren würden an der Würdigung
der bereits abgenommenen Beweise voraussichtlich nichts mehr ändern (BGE 130
IV 58 nicht publ. E. 4.2; 124 I 208 E. 4a; 122 II 464 E. 4a; 122 III 219
E. 3c; 122 V 157 E. 1d, je mit Hinweisen).

3.4 Gemäss den auf umfangreichen Untersuchungen basierenden Feststellungen im
verkehrsdynamischen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der
Stadtpolizei Zürich vom 4. November 2005 ist einzig ein gestellter Unfall
plausibel (vorinstanzliche Akten act. 4/6 S. 11). Dem Beschwerdeführer ist
ausdrücklich die Möglichkeit  eingeräumt worden, den Gutachtern
Ergänzungsfragen zu stellen (vgl. angefochtenes Urteil S. 47). Die einzige
Frage der Verteidigung war, ob die Gutachter unter Ausklammerung der
Antworten des Beschwerdeführers zum gleichen Resultat gekommen wären (vgl.
angefochtenes Urteil S. 50). Diese Frage aber wird - wie die Vorinstanz
zutreffend folgert - durch das Gutachten selbst unmissverständlich dahin
gehend beantwortet, dass keine physikalisch sinnvollen Lösungen existierten,
welche den vom Beschwerdeführer behaupteten Unfallhergang zu stützen
vermöchten (vorinstanzliche Akten act. 4/6 S. 11). Inwiefern die Gutachter
insoweit unhaltbare Hypothesen oder Annahmen getroffen hätten, substantiiert
der Beschwerdeführer nicht.

Vielmehr hat die Vorinstanz das eingeholte verkehrsdynamische Gutachten zu
Recht als schlüssig erachtet. Aufgrund der überzeugenden Ausführungen der
Gutachter sowie der erstellten Fotodokumentation (vorinstanzliche Akten act.
4/4) ergibt sich in klarer Weise, dass der Unfall vom 23. Januar 2001
inszeniert war.

3.5 Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass die Vorinstanz, ohne den
Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör zu verletzen, in
antizipierter Beweiswürdigung die Anträge auf Befragung weiterer Experten und
auf Einholung eines Obergutachtens abweisen konnte.

Die Beschwerde ist somit auch in diesem Punkt abzuweisen.

4.
Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Da das Rechtsmittel von vornherein aussichtslos war, kann dem Gesuch nicht
entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG).

Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei der Festsetzung der
Gerichtsgebühr ist seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen (Art.
153a Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 30. Mai 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: