Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.815/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_815/2007 /hum

Urteil vom 15. April 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Briw.

Parteien
J.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Valentin Landmann,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Strafzumessung; psychiatrische Begutachtung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 31. August 2007 (SB070110/U/jv).

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland warf J.________, E.________,
I.________, A.________ und L.________ in über 100 Anklagepunkten im
Wesentlichen vor, im Zeitraum von Herbst 2002 bis Ende des Jahres 2004 eine
Vielzahl von Einbruchdiebstählen in Gebäude und Fahrzeuge begangen zu haben.

B.
Das Bezirksgericht Winterthur sprach sämtliche Angeklagten am 23. November 2006
in zahlreichen Anklagepunkten namentlich des qualifizierten Diebstahls schuldig
und verurteilte sie zu mehrjährigen Zuchthausstrafen.

Es erkannte J.________ schuldig des mehrfachen, teilweise gewerbs- und
bandenmässigen Diebstahls (Art. 139 Ziff. 1 i.V.m. Ziff. 2 und Ziff. 3 Abs. 1
und 2 StGB), der mehrfachen Sachbeschädigung, des mehrfachen Hausfriedensbruchs
sowie des mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage,
der Vereitelung einer Blutprobe, des Nichtbeherrschens des Fahrzeugs sowie der
Anstiftung zu Irreführung der Rechtspflege. In mehreren Anklagepunkten sprach
es ihn frei. Es bestrafte ihn mit 4 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus (unter
Anrechnung von 338 Hafttagen).

J.________ focht dieses Urteil beim Obergericht des Kantons Zürich im
Strafpunkt an. Das Obergericht stellte am 31. August 2007 fest, dass die
Schuld- und Freisprüche des Bezirksgerichts in Rechtskraft erwachsen sind. Es
bestrafte ihn (ebenfalls) mit 4 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe (unter
Anrechnung von 338 Hafttagen).

C.
J.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das obergerichtliche
Urteil "bezüglich Strafzumessung etc. aufzuheben" und die Sache zwecks
psychiatrischer Begutachtung und anschliessend erneuter "Strafzumessung etc."
im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen zurückzuweisen. Es seien die Kosten
dem Staat aufzuerlegen und ihm die unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung zu gewähren.
Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer rügt die Strafzumessung, und zwar wegen seines Erachtens
unzureichender Grundlagen, da infolge Abweisung der beantragten psychiatrischen
Begutachtung jegliche Strafmilderung und die eventualiter beantragte Massnahme
gemäss Art. 61 StGB mit unzureichender Begründung verneint worden seien.

Er macht insbesondere geltend, entgegen den vorinstanzlichen Ausführungen sei
es der Verteidigung in keiner Weise darum gegangen, dem Mittäter die
"Verführung" des Beschwerdeführers anzulasten. Vielmehr habe es sich darum
gehandelt, diese Beziehung vor dem Hintergrund einer Jugend zu zeigen, die
gekennzeichnet gewesen sei durch Trunksucht und Gewalttätigkeit des Vaters,
Fehlen eines positiv besetzten Vaterbildes, Fehlen eines geschützten,
Sicherheit vermittelnden Raums in der Familie, Belastung durch die Umstellung
von heimatlichen auf Schweizer Verhältnisse, Leben der Familie/Restfamilie an
der Armutsgrenze, schwere Probleme in Schule und Lehre, schlechte Chancen bei
der Arbeitssuche, Drogensucht und Drogentod eines Bruders sowie eine gewisse
Bereitschaft des Umfeldes, vorab der älteren Personen, zur Delinquenz. Er sei
durch diese Belastungen schon lange vor der Sucht und dem Tod seines Bruders
überfordert gewesen und habe schon früh Zuflucht bei schwer auffälligem
Verhalten gesucht. Seine Verhaltensmuster seien stark auffällig und wiesen auf
eine damalige psychische Verfassung hin, die seine Entscheidungsfreiheit mit
hoher Wahrscheinlichkeit eingeschränkt habe.

2.
Besteht ernsthafter Anlass, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln, so
ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht die sachverständige
Begutachtung durch einen Sachverständigen an (Art. 20 StGB). Die Bestimmung
entspricht weitgehend Art. 13 aStGB. Die Begutachtung setzt aber nicht mehr
Zweifel an der Schuldfähigkeit voraus, sondern ernsthaften Anlass, daran zu
zweifeln. Das entspricht der bisherigen Praxis zu Art. 13 Abs. 1 aStGB.
Umstände, welche beim Gericht ernsthafte Zweifel hervorrufen müssen, sind nach
der bundesgerichtlichen Praxis beispielsweise gegeben bei Drogenabhängigkeit
(BGE 102 IV 74 und 106 IV 241 E. 2), bei einer Frau, die mit einer
schizophrenen Tochter zusammenlebte (BGE 98 IV 156), bei einem
Sexualdelinquenten mit möglicherweise abnorm starkem Geschlechtstrieb (BGE 71
IV 190) sowie bei einem Ersttäter, bei dem der Beginn der Straffälligkeit mit
dem Ausbruch einer schweren allergischen oder psychosomatischen Hautkrankheit
zusammenfiel (BGE 118 IV 6). Die Notwendigkeit, einen Sachverständigen
zuzuziehen, ist erst gegeben, wenn Anzeichen vorliegen, die geeignet sind,
Zweifel hinsichtlich der vollen Schuldfähigkeit zu erwecken, wie etwa ein
Widerspruch zwischen Tat und Täterpersönlichkeit oder völlig unübliches
Verhalten (BGE 116 IV 273 E. 4a). Zeigt das Verhalten des Täters vor, während
und nach der Tat, dass ein Realitätsbezug erhalten war, dass er sich an
wechselnde Erfordernisse der Situation anpassen, auf eine Gelegenheit zur Tat
warten oder diese gar konstellieren konnte, so hat eine schwere
Beeinträchtigung nicht vorgelegen (BGE 133 IV 145 E. 3.3; 132 IV 29 E. 5.1).

3.
Der Verzicht auf eine Begutachtung verletzt nicht Art. 20 StGB. Es kann
zunächst auf das angefochtene Urteil S. 39 ff. verwiesen werden (Art. 109 Abs.
3 BGG).

Weiter erscheint es nicht aussergewöhnlich, dass sich eine Bande aus Tätern mit
unterschiedlichem Alter zusammensetzt. Dass er der Jüngste war, lässt nicht an
seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln. Eben so wenig legen ein merkwürdiges und
groteskes Aussageverhalten sowie dreiste Falschaussagen oder die behauptete
Tatsache, dass es für ihn unvorstellbar sei, einer durch die heimatliche
Tradition bestimmten Respektperson den Gehorsam zu verweigern, eine
Verminderung der Zurechnungsfähigkeit nahe.

Selbst wenn die gegen den massgeblichen Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1 BGG)
gerichtete Argumentation als richtig unterstellt würde, dass der behaupteten
Abhängigkeit des Beschwerdeführers vom Mittäter eine homosexuelle Beziehung
zugrunde liegen sollte, würde nicht einsichtig, inwiefern eine derartige
Beziehung seine Schuldfähigkeit herabsetzen könnte. Wie die Vorinstanz
feststellt, ist nirgends belegt, dass er diesem "hörig" gewesen wäre. Er hatte
bereits früher mit anderen Jugendlichen und später auch ohne die Mitwirkung
dieses Mittäters Straftaten begangen (angefochtenes Urteil S. 41).

Soweit er vorbringt, Sucht und Tod des Bruders hätten ihn dermassen
überfordert, dass er fachärztliche Hilfe und medikamentöse Behandlung habe in
Anspruch nehmen müssen, stellt die Vorinstanz fest, dass diese Hilfe erst im
Jahre 2005 und damit nach Begehung der zu beurteilenden Delikte in Anspruch
genommen wurde (angefochtenes Urteil S. 40).

4.
Die Beschwerde ist vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist abzuweisen,
weil das Rechtsbegehren aussichtslos erschien (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der
Beschwerdeführer trägt die Kosten vor Bundesgericht (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Seinen finanziellen Verhältnissen ist mit herabgesetzten Gerichtskosten
Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. April 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Briw