Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.761/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_761/2007/bri

Urteil vom 9. Mai 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Favre,
Gerichtsschreiber Willisegger.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,

Gegenstand
Kostenerlass,

Beschwerde gegen den Beschluss des Landesfähnrichs des Kantons Appenzell
Innerrhoden vom 8. Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 25. Juni 2007 wurde X.________ von der Gerichtskanzlei des Kantons Appenzell
Innerrhoden für ausstehende Gerichtskosten von Fr. 5'003.-- aus einem
rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren gemahnt.

B.
Mit Eingabe vom 12. Juli 2007 ersuchte X.________ den Landesfähnrich des
Kantons Appenzell Innerrhoden um einen Kostenerlass. Dem Gesuch legte er einen
Fragebogen des Finanz- und Personaldienstes des Bundesgerichts mit Angaben
verschiedener kantonaler Amtsstellen (Fürsorgebehörde, Steuerverwaltung,
Betreibungsamt) zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen bei. Der beigelegte
Fragebogen war eine Kopie, ohne Datum und Unterschrift.

Am 28. Juli 2007 teilte der Landesfähnrich X.________ mit, dass er zur
Behandlung des Gesuchs die Originalbelege der auf dem Fragebogen aufgeführten
Amtsstellen, die Steuerveranlagungen der Jahre 2005 und 2006 sowie die
Steuererklärung für das Jahr 2007 benötige.

C.
Mit Schreiben vom 30. August 2007 setzte der Landesfähnrich X.________ eine
Frist bis zum 15. September 2007, um die verlangten Belege einzureichen. Zudem
wurde er aufgefordert, eine Bewertung seines Grundeigentums von zwei
unabhängigen Bankinstituten beizulegen. Die Aufforderungen erfolgten unter der
Androhung, dass auf das Gesuch nicht eingetreten werde, falls die Unterlagen
nicht fristgerecht vorgelegt würden.

D.
Mit Eingabe vom 31. August 2007 stellte X.________ ein Gesuch um
Fristverlängerung. Er teilte dem Landesfähnrich mit, dass er sich dem Erhalt
der gewünschten Originalbelege angenommen habe. Wegen den hohen Kosten sei es
ihm aber nicht möglich, eine Bewertung des Grundeigentums durch ein
unabhängiges Bankinstitut beizubringen. Er verwies auf die offizielle
Grundstückschätzung der Gemeinde Schwellbrunn vom 15. Mai 2006 und den
aktuellen Hypothekarvertrag.

E.
Mit Schreiben vom 7. September 2007 gewährte der Landesfähnrich eine
Fristverlängerung bis 2. Oktober 2007. Im Übrigen hielt er daran fest, dass die
verlangten Unterlagen beigebracht werden müssten. In Bezug auf die Bewertung
des Grundeigentums durch zwei unabhängige Bankinstitute führte er präzisierend
aus, es sei der Nachweis zu erbringen, dass das Grundstück nicht höher belehnt
werden könne, wobei einer der beiden Banken die St. Galler Kantonalbank (KBSG)
oder die Raiffeisenbank sein müsse. Sollten die Unterlagen bis am 2. Oktober
2007 nicht vorliegen, könne auf das Kostenerlassgesuch definitiv nicht
eingetreten werden.

F.
Mit Eingabe vom 25. September 2007 teilte X.________ dem Landesfähnrich mit,
dass die KBSG den Antrag auf eine Schätzung der Liegenschaft abgelehnt und sich
die Raiffeisenbank dazu nur gegen Übernahme der Kosten (von ca. Fr. 800.--)
bereit erklärt habe. Seine finanziellen Verhältnisse liessen es nicht zu, die
Kosten zu übernehmen. Diese Tatsache könne selbstverständlich belegt werden.
Nun liege es an ihm, dem Landesfähnrich, ob er am Verlangen einer Bankschätzung
samt Hypothekarprüfung - gegen entsprechende Übernahme der Kosten - festhalten
oder aber davon absehen wolle. X.________ wiederholte, dass er ihn gerne mit
Unterlagen über seine finanzielle Situation bediene, müsse aber dennoch
unbedingt sicherstellen, dass darauf auch wirklich eingetreten werden könne.

G.
Am 8. Oktober 2007 stellte der Landesfähnrich fest, dass X.________ die
geforderten Originalbelege, die Steuererklärungen und die Bewertung seines
Grundeigentums nicht innert Frist beigebracht habe. Er beschloss, auf das
Kostenerlassgesuch vom 28. Juli 2007 werde androhungsgemäss nicht eingetreten
und der ausstehende Betrag müsse eingefordert werden. In der Folge wurden die
ausstehenden Gerichtskosten im Betrag von Fr. 5'003.-- in Betreibung gesetzt.

H.
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 6. November 2007 beantragt
X.________, der Beschluss des Landesfähnrichs des Kantons Appenzell Innerrhoden
vom 8. Oktober 2007 sowie der Zahlungsbefehl in der Betreibung Nr. 20709434 des
Betreibungsamtes Appenzeller Hinterland seien aufzuheben.

Der Landesfähnrich des Kantons Appenzell Innerrhoden beantragt in seiner
Vernehmlassung vom 27. Dezember 2007 Abweisung der Verfassungsbeschwerde.
X.________ nahm dazu mit Replik vom 8. Februar 2008 Stellung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Gemäss Art. 113 BGG beurteilt das Bundesgericht Verfassungsbeschwerden gegen
Entscheide letzter kantonaler Instanzen, soweit keine Beschwerde nach den
Artikeln 72-89 BGG zulässig ist (Art. 113 BGG). Entscheide in
Schuldbetreibungs- und Konkurssachen unterliegen grundsätzlich der Beschwerde
in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG). Die Beschwerde ist zulässig gegen
kantonal letztinstanzliche Entscheide (Art. 75 Abs. 1 BGG). Dazu gehören
namentlich die Entscheide der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde in
Schuldbetreibungs- und Konkurssachen (Art. 74 Abs. 2 lit. c BGG), nicht aber
der Zahlungsbefehl eines Betreibungsamtes. Dagegen steht der Beschwerdeweg ans
Bundesgericht nicht offen, auch nicht mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde,
weil die Vorschrift von Art. 75 BGG über die kantonalen Vorinstanzen hier
sinngemäss gilt (Art. 114 BGG). Soweit der Beschwerdeführer die Aufhebung des
Zahlungsbefehls des Betreibungsamtes Appenzeller Hinterland verlangt, ist auf
seine Beschwerde nicht einzutreten.

2.
2.1 Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Der Begriff "Entscheide in Strafsachen" umfasst
sämtliche Entscheidungen, denen materielles Strafrecht oder Strafprozessrecht
zu Grunde liegt (BGE 134 IV 36 E. 1.1.). Der angefochtene "Beschluss" des
Landesfähnrichs vom 8. Oktober 2007 stützt sich auf Art. 171 der
Strafprozessordnung des Kantons Appenzell Innerrhoden (StPO/AI). Danach kann
die Standeskommission (Regierung) auf Antrag des Landesfähnrichs (Vorsteher des
Polizei-, Justiz- und Militärdepartementes) die einer Person auferlegten Kosten
ganz oder teilweise erlassen. Die Behandlung des Gesuchs durch den
Landesfähnrich im Hinblick auf eine Antragstellung vor der Standeskommission
hat zweifellos den Charakter eines Verwaltungsverfahrens. Gleich wie bei
Entscheiden über den Straf- und Massnahmenvollzug (Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG)
besteht aber ein hinreichender Zusammenhang zur Strafsache selbst, da der
Kostenerlass nur jene Kosten betrifft, die im vorangegangenen Strafverfahren
verlegt wurden. Die Verfassungsbeschwerde ist daher als Beschwerde in
Strafsachen entgegenzunehmen, soweit sie sich gegen den Beschluss des
Landesfähnrichs richtet.

2.2 Der angefochtene Nichteintretensbeschluss ist ein Endentscheid im Sinne von
Art. 90 BGG, der das Verfahren um Kostenerlass endgültig abschliesst. Dagegen
sieht das einschlägige kantonale Prozessrecht kein Rechtsmittel vor (vgl.
insbesbesondere Art. 158 Abs. 1 lit. b und 2 StPO/AI e contrario und Art. 141
StPO/AI). Das Erfordernis der Letztinstanzlichkeit ist somit gegeben (Art. 80
Abs. 1 BGG). Die Kantone haben als letzte kantonale Instanz Gerichte
einzusetzen, die als Rechtsmittelinstanzen entscheiden (Art. 80 Abs. 2 BGG).
Diese Bestimmung kommt jedoch noch nicht zum Tragen, weil den Kantonen zur
notwendigen Anpassung ihrer Prozessgesetze eine Übergangsfrist zusteht (Art.
130 Abs. 1 BGG). Der Nichteintretensbeschluss des Landesfähnrichs ist demnach
ein taugliches Anfechtungsobjekt.

2.3 Der Beschwerdeführer hat an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen
Entscheids ein rechtlich geschütztes Interesse (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG).
Dieses ergibt sich vorliegend aus dem Recht, als Gesuchsteller im kantonalen
Verfahren um Kostenerlass teilzunehmen (vgl. BGE 125 I 4 E. 1 S. 5). Da die
übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde
einzutreten.

3.
Der Beschwerdeführer rügt, der Landesfähnrich sei in überspitzten Formalismus
verfallen, weil dieser wegen nicht beigebrachter Bankunterlagen auf sein
Kostenerlassgesuch nicht eingetreten sei.

3.1 Das aus Art. 29 Abs. 1 BV fliessende Verbot des überspitzten Formalismus
wendet sich gegen prozessuale Formenstrenge, die als exzessiv erscheint, durch
kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird
und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert
oder gar verhindert (BGE 130 V 177 E. 5.4.1 S. 183/184). Das Bundesgericht
prüft frei, ob eine solche Rechtsverweigerung vorliegt (BGE 128 II 139 E. 2a S.
142; 127 I 31 E. 2a/bb S. 34; 125 I 166 E. 3a S. 170).

3.2 Gemäss Art. 171 StPO/AI kann die Standeskommission auf Antrag des
Landesfähnrichs die einer Person auferlegten Kosten ganz oder teilweise
erlassen, wenn eine übermässige Belastung des Kostenpflichtigen besteht. Im
vorliegenden Fall hat allerdings nicht die Standeskommission, sondern der
Landesfähnrich über das Kostenerlassgesuch entschieden. Dessen Kompetenz zur
vorgängigen Behandlung des Gesuchs wird in der Beschwerde nicht in Frage
gestellt und ist daher nicht weiter zu prüfen. Ausser Streit liegt sodann, dass
der Beschwerdeführer grundsätzlich verpflichtet war, an der Feststellung seiner
wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuwirken. Er stellt sich jedoch auf den
Standpunkt, er sei seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen, indem er
dokumentierte, dass er sich dem Erhalt der gewünschten Unterlagen angenommen
habe (Replik, S. 2 Mitte).

3.3 Gemäss Art. 1 StPO/AI ist dort, wo das Gesetz keine Anweisung gibt, nach
den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu entscheiden. Da die Strafprozessordnung
das (verwaltungsrechtliche) Verfahren des Kostenerlasses nicht näher regelt,
sind die Grundsätze heranzuziehen, wie sie im Verwaltungsverfahren gelten. Für
die Feststellung des Sachverhalts gilt hier die Untersuchungsmaxime (ebenso
Art. 13 VerwVG/AI). Diese wird jedoch relativiert durch die Mitwirkungspflicht
der Parteien, welche namentlich insoweit greift, als eine Partei das Verfahren
durch eigenes Begehren eingeleitet hat. Die Mitwirkungspflicht gilt vorab
gerade für solche Tatsachen, welche eine Partei besser kennt als die Behörden
und welche diese ohne ihre Mitwirkung gar nicht oder nicht ohne vernünftigen
Aufwand erheben können (BGE 128 II 139 E. 2b, mit Hinweis). Das
Verwaltungsverfahrensgesetz des Kantons Appenzell Innerrhoden (Art. 14 VerwVG/
AI) sieht vor, dass der Partei für die notwendige und zumutbare Mitwirkung
angemessene Fristen anzusetzen sind. Werden die Fristen nicht eingehalten, so
kann die Verwaltungsbehörde ohne Rücksicht auf die Säumigen verfügen bzw.
braucht auf deren Begehren nicht einzutreten, wenn sie dies angedroht hat.

3.4 Ob der Landesfähnrich im Hinblick auf die Antragstellung als notwendige und
zumutbare Mitwirkung verlangen durfte, dass der Beschwerdeführer eine
(kostenpflichtige) Bankschätzung bzw. Hypothekarprüfung beibringt, erscheint
fraglich. Doch selbst wenn man die Frage verneinen wollte, stellte der
angefochtene Entscheid keine unzulässige Rechtsverweigerung dar. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers erfolgte das Nichteintreten nämlich nicht
(nur) deshalb, weil er die Bankschätzung nicht beibrachte, sondern weil er
überhaupt keine Unterlagen einreichte. Der Landesfähnrich brachte bereits mit
Schreiben vom 28. Juli 2007 unmissverständlich zum Ausdruck, dass er zur
Behandlung des Gesuchs die Steuerunterlagen sowie die Originalbelege der
Amtsstellen benötige. Zur Einreichung der Unterlagen wurde dem Beschwerdeführer
(am 30. August 2007) eine angemessene Frist angesetzt und (am 7. September
2007) eine Fristverlängerung bis 2. Oktober 2007 gewährt. Insgesamt wurde er
dreimal aufgefordert, die Unterlagen einzureichen, zuletzt am 7. September
2007, unter erneuter Androhung des Nichteintretens im Unterlassungsfall. Bei
dieser Sachlage stand dem Beschwerdeführer nicht zu, das Beibringen von
Unterlagen von einer weiteren Fristverlängerung und einer Kostengutsprache
abhängig zu machen, wie er dies mit Eingabe vom 25. September 2007 getan hat.
Ebenso wenig durfte er sich damit begnügen, dem Landesfähnrich bloss zu
dokumentieren, dass er sich dem Erhalt der Unterlagen angenommen habe. Um
seiner Mitwirkungspflicht nachzukommen, wäre er vielmehr gehalten gewesen,
zumindest die leicht beizubringenden Steuerunterlagen einzureichen, und davon
konnte ihn auch das Einverlangen einer Hypothekarprüfung nicht entbinden. Dass
es ihm nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen wäre, die Steuerunterlagen
einzureichen, macht der Beschwerdeführer zu Recht nicht geltend. Hatte sein
Untätigbleiben aber zur Folge, dass der Landesfähnrich über gar keine
verlässlichen Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse des
Beschwerdeführers verfügte, hält das androhungsgemässe Nichteintreten vor Art.
29 Abs. 1 BV stand. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet.

4.
Gemäss Art. 66 Abs. 1 BGG sind die Gerichtskosten in der Regel der
unterliegenden Partei aufzuerlegen. Der Beschwerdeführer ersucht um
unentgeltliche Rechtspflege. Seine Bedürftigkeit ist ausgewiesen, aber wegen
Aussichtslosigkeit des Rechtsbegehrens ist das Gesuch abzuweisen (Art. 64 Abs.
1 BGG). Unter Berücksichtigung des besonderen Streitgegenstandes rechtfertigt
es sich dennoch, auf die Erhebung von Gerichtskosten ausnahmsweise zu
verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Landesfähnrich des Kantons
Appenzell Innerrhoden schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. Mai 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Willisegger