Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.756/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_756/2007/bri

Urteil vom 19. Mai 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Favre, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.

Parteien
S.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Czerny,

gegen

J.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Hannelore Fuchs,
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Erteilung einer Weisung während der Probezeit (Art. 44 Abs. 2 StGB i.V.m. Art.
94 StGB),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom
23. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Als der Sohn von S.________ 1995 heiratete, zog er mit seiner jungen Frau in
die Wohnung seiner Eltern. Alle vier hatten eigene Bankkonti, die mit
gegenseitigen Generalvollmachten ausgestattet waren.
Ende September 2004 verliess die Schwiegertochter den gemeinsamen Haushalt.
Daraufhin verschob S.________ Fr. 90'000.--, welche die Schwiegertochter
angespart hatte, auf sein eigenes Konto, hob später den gesamten Betrag ab und
liess das Geld verschwinden.

B.
Das Kreisgericht Untertoggenburg-Gossau verurteilte S.________ am 1. Juni 2006
wegen Veruntreuung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 12 Monaten und
erteilte ihm die Weisung, während 36 Monaten je Fr. 2'900.-- an die
Ex-Schwiegertochter zu zahlen; die Schuld könne auch durch eine frühere Zahlung
von Fr. 90'000.-- zuzüglich Zins beglichen werden.

Auf Berufung des Verurteilten bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen am 23.
August 2007 den erstinstanzlichen Entscheid, setzte jedoch den monatlich zu
zahlenden Betrag auf Fr. 1'400.-- fest.

C.
S.________ führt Beschwerde und beantragt sinngemäss, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben, und von einer Weisung sei abzusehen; eventuell sei
der Betrag angemessen herabzusetzen oder die Sache in diesem Punkt an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer bringt vor, im Wesentlichen stelle er ab auf die
Verhältnisse, wie sie sich der Vorinstanz präsentiert hätten. Eine Weisung
müsse sich indessen auf den Urteilszeitpunkt beziehen. Entsprechend reiche er
für die aktuellen Verhältnisse neue Belege ein, soweit er diese in den Händen
halte. Für die Beurteilung, ob eine Weisung erteilt werden solle, seien diese
aktuellen Angaben folglich rechtswesentlich, weshalb deren Einreichung zulässig
sei.

1.1 Gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur so
weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass
gibt.

1.2 Das erstinstanzliche Urteil enthielt die Weisung an den Beschwerdeführer,
er habe während 36 Monaten je Fr. 2'900.-- an seine Ex-Schwiegertochter zu
zahlen. In der Berufung focht der Beschwerdeführer den Schuldspruch an, was bei
einer Gutheissung auch die Weisung hätte entfallen lassen. Gleichzeitig
verlangte er aber eventualiter für den Fall einer Verurteilung, dass die Strafe
herabgesetzt werde (Akten des Kantonsgerichts, act. B/13 S. 28 f.). Bei einer
solch bloss teilweisen Gutheissung oder einer gänzlichen Abweisung der Berufung
musste er damit rechnen, dass die Verurteilung mit einer Weisung verbunden
wird. Deshalb hätte er bereits vor Vorinstanz alle wesentlichen Tatsachen
vorbringen können und müssen, die seine Zahlungsfähigkeit betrafen.

Fehlt es aber an der gesetzlichen Voraussetzung, dass erst der Entscheid der
Vorinstanz Anlass zur Einreichung von Beweismitteln gab, ist auf die neuen
Belege des Beschwerdeführers nicht einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe bei der Berechnung,
welchen Betrag er gemäss Weisung monatlich an seine Ex-Schwiegertochter zu
zahlen habe, unzulässigerweise auf die generell-abstrakte Methode der
Notbedarfsermittlung im Rahmen des Existenzminimums abgestellt. Diese
Berechnungsart werde dem spezialpräventiven Bedürfnis einer Weisung nicht
gerecht und zudem hätte sie auch nicht bloss hilfsweise herangezogen werden
dürfen, weil die Vorinstanz über seine finanziellen Verhältnisse dokumentiert
gewesen sei (Akten des Kantonsgerichts, act. B/34).

Da die Weisung den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des
Beschwerdeführers nicht Rechnung trage, auf aktenwidrigen Annahmen bestehe und
ungenügend begründet sei, habe die Vorinstanz Art. 44 Abs. 2 StGB in Verbindung
mit Art. 94 StGB sowie Art. 9 und 29 BV verletzt.

2.1 Die Vorinstanz hält bei der Berechnung der Weisung fest: "Der Angeklagte
und seine Frau erzielen ein monatliches Einkommen von rund Fr. 5'200.--. Ihr
Grundbedarf liegt bei rund Fr. 3'300.--, welcher nach Bezahlung des Betrages
von Fr. 1'400.-- mehr als nur gedeckt ist" (angefochtener Entscheid S. 11 Ziff.
4).

Diese Begründung ist in der Tat sehr kurz. Hält man sich jedoch vor Augen, dass
es im ganzen Strafverfahren fast ausschliesslich um die finanziellen
Verhältnisse des Beschwerdeführers und seiner Familie ging, wird klar, dass die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers bekannt war und dass
es deshalb hinsichtlich des monatlich zu leistenden Betrags keiner weiteren
Begründung bedurfte.

2.2 Ein paar Erwägungen des vorinstanzlichen Urteils vermitteln ein Bild
einerseits von den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers und seiner
Familie sowie anderseits, wie er diese Verhältnisse darstellte:
2.2.1 "Es ist ... unglaubwürdig, dass bei einem monatlichen Einkommen der
übrigen erwachsenen Familienmitglieder von rund Fr. 9'500.-- netto (Vater Fr.
4'800.--, Mutter Fr. 780.--, Sohn Fr. 4'000.--) keine weiteren Ersparnisse als
die Fr. 2'000.-- der Klägerin angehäuft werden konnten. Immerhin lebte die
ganze Familie in einer Wohnung zu einem Mietzins von nur Fr. 1'200.-- und die
gesamten Lebenshaltungskosten konnten entsprechend tief gehalten werden. Es
gibt keine Hinweise auf besondere monatliche Ausgaben nebst dem gewöhnlichen
Lebensunterhalt. ... Zudem erklärte er (der Beschwerdeführer) heute vor
Gericht, auch sein Sohn habe Geld an den Haushalt beigesteuert" (angefochtener
Entscheid S. 6).
2.2.2 Zum Verbleib des veruntreuten Geldes hält die Vorinstanz unter anderem
fest: In der Einvernahme bejahte der Beschwerdeführer die Frage des
Untersuchungsrichters, ob er das Geld in Sicherheit gebracht habe, damit man
bzw. die Polizei es nicht mehr finde. Auf die Frage, wo sich der Betrag von Fr.
90'000.-- heute befinde, antwortete er: "Das weiss ich nicht mehr, vielleicht
habe ich sie verloren. Das ist nicht mehr da, Punkt, fertig, kein Rappen
mehr"... "Das ist nicht da, kann sie anfangen, das Geld zu suchen. Es gehört
einfach mir." ... "Ich sage dazu einfach nichts. Ich habe das genommen, aber
sage einfach nicht, wo es ist" (angefochtener Entscheid S. 8 lit. a am Ende).
2.2.3 Um den Vorwurf der Veruntreuung zu entkräften, hatte der Beschwerdeführer
im kantonalen Verfahren Verrechnung geltend gemacht. In diesem Zusammenhang
kommt die Vorinstanz zum Schluss: "Insgesamt sind die Angaben des
Beschwerdeführers ... widersprüchlich und unglaubwürdig. Die Forderungsbeträge
lauten immer wieder anders, die Forderungen erscheinen in der Sache und in der
Höhe unrealistisch. Er hat jahrelang keinerlei Anstalten gemacht, seine
angeblichen Forderungen einzukassieren. Nicht nachvollziehbar ist, weshalb die
Klägerin diese plötzlich - und alleine - bezahlen sollte. Es ist damit
offensichtlich, dass er die Forderungen erst im Nachhinein konstruierte, um
sich gegen den Vorwurf der Veruntreuung zu verteidigen" (angefochtener
Entscheid S. 10 oben).

2.3 Letztere Feststellung trifft ebenso zu, wenn der Beschwerdeführer geltend
macht, seine finanziellen Verhältnisse erlaubten es ihm nicht, der
gerichtlichen Weisung nachzukommen:
2.3.1 Er wirft der Vorinstanz unter anderem vor, seine finanzielle
Leistungsfähigkeit pauschal beurteilt zu haben, obwohl er diese mittels Belegen
(Berufungsakten, act. B/34) dokumentiert habe. Dabei geht es insbesondere um
eine Amortisationsverpflichtung in der Höhe von monatlich Fr. 1'479.35 für
einen Privatkredit. "Dieser Kredit, der zuletzt Juli 2007 umfinanziert wurde,
besteht seit Längerem und ist schon in den früheren Steuerveranlagung
ausgewiesen" (Beschwerdeschrift S. 11 Ziff. 3 und S. 15 Ziff. 17).

In act. B/34 findet sich eine Veranlagungsberechnung zur Steuerperiode
01.01.2005 - 31.12.2005 ohne Angabe etwaiger Schulden des Beschwerdeführers. In
der Steuererklärung 2006 sind Schulden von Fr. 91'938.-- aufgeführt. Gegenüber
der Kantonspolizei St. Gallen bestätigte der Beschwerdeführer am 8. März 2006
unterschriftlich, keine Schulden zu haben (Persönliche Akten, act. 4, S. 2).
Der Kreditvertrag mit der cashgate AG datiert vom 2. Juli 2007 (act. B/34),
womit ein Darlehensvertrag mit der CREDIT SUISSE vom 3. November 2006 abgelöst
wurde. Auch mit diesem Vertrag wurde eine Bankschuld abgelöst (act. 3 Beleg
15). Eine Kopie der ursprünglichen Schuld hat der Beschwerdeführer nie ins
Recht gelegt.

Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers belegen diese Dokumente weder
eine "seit Längerem" bestehende Schuld noch deren Angabe in einer
Steuererklärung vor dem Jahre 2006. Hält man sich zudem vor Augen, dass der
Beschwerdeführer die fragliche Zahlungsverpflichtung erst einging, nachdem ihn
das Kreisgericht Untertoggenburg-Gossau zu monatlichen Teilrückzahlungen der
veruntreuten Summe verurteilt hatte, ist der Schluss naheliegend, dass der
Beschwerdeführer die Rückzahlung der Kreditschuld in monatlichen Raten nur
vereinbarte, um seine finanzielle Situation schlechter darzustellen als sie in
Wirklichkeit ist. Folglich hat die Vorinstanz die Amortisationsverpflichtung in
der Höhe von monatlich Fr. 1'479.35 bei der Bestimmung der Weisung zu Recht
nicht berücksichtigt.
2.3.2 Dasselbe gilt teilweise für die geltend gemachten Wohnkosten, die
Gebühren für Strom und Telefon sowie die Kosten für Privatversicherungen
(Hausrat und Rechtsschutz). Denn im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils und
jedenfalls sogar bis Ende 2007 (Beschwerdeschrift S. 13 Ziff. 12) lebte der
Sohn des Beschwerdeführers immer noch in der elterlichen Wohnung und leistete
einen finanziellen Beitrag an den gemeinsamen Haushalt (angefochtener Entscheid
S. 6 unten). Um diesen Beitrag hatte die Vorinstanz das frei verfügbare
Einkommen des Beschwerdeführers zu erhöhen.
2.3.3 Im Übrigen legen die Aussagen des Beschwerdeführers (E. 2.2.2) den
Schluss nahe, dass er die veruntreute Geldsumme irgendwo platziert hat, wo sie
dem Zugriff der Gläubigerin entzogen ist. Im Rahmen der weisungsgemässen
Wiedergutmachung kann und muss von ihm verlangt werden, dass er auf dieses
Substrat zurückgreift, selbst wenn damit finanzielle Einbussen verbunden wären.

2.4 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Beschwerdeführer
durchaus in der Lage ist, seiner Ex-Schwiegertochter im Rahmen der
richterlichen Weisung monatlich einen Betrag von Fr. 1'400.-- zu zahlen. Ob die
Vorinstanz den Betrag auch höher hätte ansetzen dürfen, kann angesichts der
reformatio in peius (Art. 107 Abs. 1 BGG) nicht geprüft werden. Die Weisung und
deren Betragshöhe verletzen jedenfalls kein Bundesrecht.

Nachdem sich das kantonale Verfahren zur Hauptsache um die finanziellen
Verhältnisse des Beschwerdeführers und seiner Familie drehte und der
Beschwerdeführer dazu von der Vorinstanz anlässlich der Hauptverhandlung auch
befragt wurde (Beschwerdeschrift S. 18 Ziff. 28), ist auch der Vorwurf
unbegründet, die Vorinstanz habe den Sachverhalt zuwenig abgeklärt.
Schliesslich ist auf den Vorwurf der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung
nicht einzutreten, weil der Beschwerdeführer dadurch gar nicht beschwert ist.
Die Vorinstanz hat nämlich zu seinen Gunsten ein tieferes monatliches Einkommen
festgestellt (Fr. 5'200.-- statt Fr. 6'100.--; angefochtener Entscheid S. 11
Ziff. 4; Beschwerdeschrift S. 17 oben).
Folglich ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Aus den
bisherigen Erwägungen wird deutlich, dass bei ihm die Voraussetzung fehlt, er
verfüge nicht über die erforderlichen Mittel (Art. 64 Abs. 1 BGG). Deshalb ist
sein Gesuch abzuweisen. Da er in der Sache unterliegt, hat er die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Die Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin zum Gesuch um aufschiebende Wirkung
erschien nicht aussichtslos. Da die Beschwerdegegnerin zudem nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt (act. 12 und 13), ist ihr Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gutzuheissen (Art. 64 Abs. 1 und
2 BGG). Der Beschwerdeführer hat die Vertreterin der Beschwerdegegnerin
angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird
abgewiesen.

3.
Das Gesuch der Beschwerdegegnerin um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung wird gutgeheissen.

4.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

5.
Der Beschwerdeführer hat die Rechtsvertreterin der Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren (aufschiebende Wirkung) mit Fr. 1'000.-- zu
entschädigen.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 19. Mai 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Borner