Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.744/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_744/2007 /hum

Urteil vom 10. April 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Thommen.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Widerhandlung gegen Verkehrsvorschriften,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
3. Kammer,
vom 17. Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 2. Mai 2006 kurz vor Mittag fuhr X.________ in einem Mercedes auf der
Zürcherstrasse in Bad Zurzach/AG. Er chauffierte seinen Fahrgast, G.________,
zum Flughafen Zürich. Ab 11.47 Uhr an jenem Morgen führte der
Gemeindepolizeibeamte P.________ auf dem erwähnten Strassenabschnitt
(Zürcherstrasse Nr. 8) eine Geschwindigkeitsmessung durch. Der Anhalteposten
befand sich rund 140 Meter weiter auf der linken Strassenseite beim
Gewerbeareal an der Zürcherstrasse 15. M.________, der Geschäftsführer der
Firma L.________ und Vermieter des bei der Geschwindigkeitsmessung verwendeten
Lasermessgeräts 'L.________', war ihm dabei behilflich. Zum Zeitpunkt der
Geschwindigkeitskontrolle von X.________ (11.59 Uhr) war der Polizeibeamte
P.________ am Kontrollort nicht anwesend. Er befand sich in einem ca. 70 Meter
entfernten Bürogebäude, um die Mieter der Liegenschaft über die
Geschwindigkeitsmessung zu informieren. Die Messung und Anhaltung erfolgte
durch M.________, welcher X.________ "herauswinkte", ihm das Messergebnis
mitteilte und ihm die Rückkehr des zuständigen Polizeibeamten in Aussicht
stellte. Gemäss der Messauswertung soll X.________ 71 km/h an Stelle der
zulässigen 50 km/h gefahren sein. Bei einer 'Sicherheitsmarge' von 3km/h
resultierte eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 18 km/h.

B.
Am 26. Februar 2007 befand das Gerichtspräsidium Zurzach X.________ des
Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Sinne von Art. 90 Ziff.
1 i.V.m. Art. 32 Abs. 2 SVG und Art. 4a Abs. 1 lit. a VRV für schuldig und
bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 320.--.

C.
Am 17. Oktober 2007 wies das Obergericht des Kantons Aargau die von X.________
dagegen erhobene Berufung ab.

D.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt seine Freisprechung.
Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur
Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht ferner um
aufschiebende Wirkung.

E.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichten auf
eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).

1.1 Die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem
Recht sowie behauptete Mängel in der Sachverhaltsfeststellung prüft das
Bundesgericht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und substantiiert begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 IV 286 E.
1).

1.2 Diesen Begründungsanforderungen genügt der pauschale Befangenheitsvorwurf
gegenüber dem erstinstanzlichen Gerichtspräsidenten und dem Polizeibeamten
P.________ nicht. Das gleiche gilt für die vom Rechtsvertreter des
Beschwerdeführers in Form einer 'Vorabbeschwerde' gekleideten allgemeinen
Beanstandungen an der gegen ihn ausgefällten Ordnungsbusse wegen ungebührlichen
Verhaltens. Soweit der Beschwerdeführer Sachverhaltsfeststellungen der ersten
Instanz kritisiert, wendet er sich nicht gegen den angefochtenen Entscheid.
Darauf ist nicht einzugehen.

2.
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Art. 130 VZV geltend.

2.1 Art. 130 der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum
Strassenverkehr (Verkehrszulassungsverordnung, VZV, SR 741.51) vom 27. Oktober
1976 in der hier anwendbaren Version vom 22. Oktober 2002 regelt die Grundsätze
der Vekehrskontrollen durch die Polizei. Die Kontrolle des öffentlichen
Strassenverkehrs obliegt der nach kantonalem Recht zuständigen Polizei (Abs.
1). Die Polizeiorgane wirken helfend und verkehrserziehend, verhindern
Widerhandlungen und verzeigen Fehlbare nach festgestellten Widerhandlungen
(Abs. 2). Die Polizeibehörden führen regelmässig systematische
Verkehrskontrollen durch (Abs. 3). Nach Art. 133 VZV
('Geschwindigkeitskontrollen') erlässt das ASTRA (Bundesamt für Strassen)
Weisungen über die Durchführung der polizeilichen Geschwindigkeitskontrollen
und über die Messverfahren. Es regelt die Verwendung automatischer
Geschwindigkeitsmessgeräte. Gestützt hierauf hat das eidgenössische Departement
für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) am 10. August 1998
technische Weisungen über Geschwindigkeitskontrollen im Strassenverkehr
erlassen. Für das Kontrollpersonal bestimmt Ziff. 2.1 der Weisung, dass bei
stationären Geschwindigkeitsmessungen Aufstellung und Einrichtung durch
Personen zu kontrollieren sind, welche die für die Einrichtung, Bedienung und
Wartung der Mess- und Zusatzgeräte erforderlichen theoretischen und praktischen
Fachkenntnisse an einem Ausbildungskurs erworben haben und von den zuständigen
kantonalen Behörden dazu ermächtigt wurden.

2.2 Im Kanton Aargau ist für die Durchführung von Verkehrskontrollen nach Art.
130 ff. VZV das Polizeikommando zuständig (§ 4 lit. m der Verordnung des
Regierungsrats des Kantons Aargau vom 12. November 1984 über den Vollzug des
Strassenverkehrsrechtes [Strassenverkehrsverordnung; SVV]). Nach § 7 Abs. 2
lit. b SVV/AG kann das Departement Volkswirtschaft und Inneres den Gemeinderat
ermächtigen, im Innerortsbereich Kontrollen nach Art. 130 ff. VZV vorzunehmen
und Anzeigen zu erstatten, sofern die personellen und fachlichen
Voraussetzungen gegeben sind. Gestützt auf diese Bestimmungen wurden am 8. Mai
2003 kantonale Richtlinien erlassen zur Durchführung von Verkehrs- und
Geschwindigkeitskontrollen. Diese bestimmen in Ziff. 2.2, dass
Geschwindigkeitskontrollen den besonders ausgebildeten Polizeibeamten
vorbehalten bleiben (kant. Act. 34). Mit Verfügung vom 25. Juli 2003
ermächtigte das Departement des Innern/Kantonspolizei des Kantons Aargau den
Gemeinderat Zurzach, durch den Gemeindepolizisten P.________ Verkehrskontrollen
des ruhenden und fahrenden Verkehrs sowie Geschwindigkeitskontrollen nach Art.
130 ff. VZV durchführen zu lassen (kant. act. 16 ff.). Aus dem Zertifikat der
Kantonspolizei Aargau vom 24. April 2003 geht hervor, dass P.________ von der
Gemeindepolizei Zurzach den gemäss der Weisung des UVEK nötigen Ausbildungskurs
zur Durchführung von Geschwindigkeitsmessungen erfolgreich absolviert hat
(kant. Act. 20).

2.3 Die Vorschriften der Verkehrszulassungsverordnung über die Durchführung von
Verkehrskontrollen durch die Polizei sowie die darauf gestützten
Ausführungsbestimmungen wurden vorliegend nicht eingehalten. Dies anerkennt
auch die Vorinstanz. Umstritten ist, welche Folgen die Verletzung dieser
Vorschriften haben. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Durchführung von
Geschwindigkeitskontrollen durch eine hierfür weder ausgebildete noch
zuständige Privatperson müsse zur Unverwertbarkeit der auf diese Weise
gewonnenen Messergebnisse führen. Die Vorinstanz hält es demgegenüber für
möglich, nicht weisungskonforme Geschwindigkeitsmessungen zur Grundlage einer
strafrechtlichen Verurteilung zu machen, sofern der Richter von der Richtigkeit
der Messung dennoch überzeugt sei.

2.4 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dürfen in Fällen schwerer
Kriminalität unter Umständen selbst nicht gesetzeskonform erlangte Beweise
ausnahmsweise verwertet werden, sofern das Beweismittel an sich zulässig und
auf gesetzmässigem Weg erreichbar, mithin nicht verboten gewesen wäre.
Abzustellen ist auf den Schutzzweck der verletzten Norm sowie auf eine
Interessenabwägung. Das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung ist gegen
das private Interesse an einem fairen und rechtskonformen Verfahren abzuwägen
(BGE 133 IV 329 E. 4.4; 131 I 272 E. 3.2.2; 130 I 126 E. 3; Urteil 1P.51/2007
vom 24. September 2007, E. 3.3; Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches
Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel etc. 2005, § 60 N 6 ff.).
2.4.1 Ein explizites Beweisverwertungsverbot besteht vorliegend nicht.
Stationäre Geschwindigkeitsmessungen durch die Polizei sind grundsätzlich
zulässige Beweismittel für den Nachweis von Geschwindigkeitsübertretungen.
Vorliegend wurde die Geschwindigkeitskontrolle durch eine Privatperson
durchgeführt. Die Verkehrszulassungsverordnung stellt für die
Verkehrskontrollen ein klare und verbindliche Zuständigkeitsordnung auf. Als
Kontrollorgane des öffentlichen Strassenverkehrs wirken die nach kantonalem
Recht zuständigen Polizeien (Art. 130 Abs. 1 VZV; René Schaffhauser, Grundriss
des Schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band I: Grundlagen,
Verkehrszulassung und Verkehrsregeln, 2. Aufl., Bern 2002, N 493). Entgegen der
Vorinstanz haben diese Vorschriften nicht bloss verwaltungsorganisatorischen
Charakter. Sie garantieren vielmehr die ordentliche Durchführung von
Verkehrskontrollen durch hierzu qualifizierte Polizeibeamte und stellen damit
eine einheitliche Anwendung bundesrechtlicher Verkehrsvorschriften sicher. Die
Bestimmungen wurden nicht eingehalten. Das Interesse des Betroffenen an einer
ordentlichen Messung und an einem rechtskonformen und fairen
Beweiserhebungsverfahren wurde damit verletzt. Diese formellen Mängel werden
auch in der erwähnten Interessenabwägung nicht aufgewogen, da es nicht um die
Untersuchung einer schweren Straftat geht. Auf die Geschwindigkeitsmessung kann
nicht abgestellt werden.

2.4.2 Die Unverwertbarkeit der umstrittenen Messung schliesst indes nicht aus,
dass sich das Gericht aufgrund anderer Beweise von der Überschreitung der
Höchstgeschwindigkeit überzeugen lassen kann. Nach der ständigen Rechtsprechung
lassen die Technischen Weisungen des UVEK vom 10. August 1998 über
Geschwindigkeitskontrollen im Strassenverkehr die freie Beweiswürdigung durch
die Gerichte unberührt (vgl. Ziff. 13; BGE 121 IV 64 E. 3; Urteil 6B_544/2007
vom 22. November 2007, E. 2.7). Das Gericht ist daher bei der Beurteilung der
Geschwindigkeitsübertretung frei und kann sich auf alle Umstände des
Einzelfalls, insbesondere auch auf Zeugenaussagen stützen (Urteil 1P.606/2000
vom 5. Dezember 2000 Erw. 2 und 5). Unlängst schützte das Bundesgericht eine
Verurteilung, bei der eine Geschwindigkeitsübertretung infolge nicht
weisungskonformer Nachfahrmessung gutachterlich erstellt werden musste (vgl.
auch Urteil 6B_544/2007 vom 22. November 2007, E. 2). Im vorliegenden Fall
stützt die Vorinstanz die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung jedoch
neben der nicht gesetzeskonform erhobenen instrumentellen
Geschwindigkeitsmessung weder auf Zeugenaussagen noch auf andere Indizien. Sie
lässt zudem offen, ob der Beschwerdeführer selbst die
Geschwindigkeitsübertretung zugestanden hat oder nicht (angefochtenes Urteil S.
12: "Keine Rolle spielt dabei, ob der Angeklagte den Tatbestand vor Ort
anerkannt hat"). Die Vorinstanz stützt ihre Schlussfolgerung, wonach an der
Richtigkeit des Messergebnisses nicht zu zweifeln sei, somit ausschliesslich
auf den nicht gesetzeskonform erhobenen Beweis. Insoweit lässt sich die
Verurteilung nach Art. 90 Ziff. 1 i.V.m. Art. 32 Abs. 2 SVG nicht aufrecht
erhalten. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen.

3.
Mit dem Entscheid in der Sache braucht über die aufschiebende Wirkung nicht
mehr entschieden zu werden. Der obsiegende Beschwerdeführer ist vom Kanton für
das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau vom 17. Oktober 2007 wird aufgehoben und die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 10. April 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Thommen