Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.734/2007
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6B_734/2007/bri

Urteil vom 25. Februar 2008
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Ferrari,
Gerichtsschreiber Stohner.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Beat Zürcher,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis, Justizgebäude, av. Mathieu-Schiner 1,
1950 Sitten,
Beschwerdegegnerin.

Fahrlässige schwere Körperverletzung (Art. 125 StGB),

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Wallis, Strafgerichtshof I,
vom 10. Oktober 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Kantonsgericht Wallis befand X.________ am 10. Oktober 2007
zweitinstanzlich der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig und
verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 7 Tagessätzen zu je Fr. 600.--,
bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des
Kantonsgerichts Wallis vom 10. Oktober 2007 sei aufzuheben, und er sei von
der Anschuldigung der fahrlässigen schweren Körperverletzung freizusprechen.

Erwägungen:

1.
Auf die Beschwerde ist einzutreten, da sie unter Einhaltung der gesetzlichen
Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von der in ihren Anträgen
unterliegenden beschuldigten Person (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BGG)
eingereicht wurde und sich gegen einen von einer letzten kantonalen Instanz
(Art. 80 BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 und 95 BGG) in Strafsachen
(Art. 78 Abs. 1 BGG) richtet.

2.
Der Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung liegt folgender
Sachverhalt zugrunde:

Die Familien X.________-A.________ (der Beschwerdeführer, seine Ehefrau und
ihr gemeinsamer Sohn) und A.________ (A.b.________, seine Ehefrau und ihr
gemeinsamer Sohn A.a.________) weilten im Februar 2003 auf der Bettmeralp in
den Winterferien. Am 24. Februar assen sie zusammen in einem Restaurant zu
Abend und machten sich gegen 21.00 Uhr auf den Weg zurück zu ihrer
Ferienwohnung. A.b.________, der Schwager des Beschwerdeführers, zog den
4-jährigen Sohn des Beschwerdeführers auf einem Kinderbob, der
Beschwerdeführer sein 7-jähriges Patenkind A.a._______auf einem Schlitten
hinter sich her. Zur gleichen Zeit näherte sich B.________ mit seinem
Raupenfahrzeug mit eingeschaltetem Scheinwerfer- und Drehblinklicht und fuhr
am Beschwerdeführer und A.a.________ vorbei. A.b.________ und der Sohn des
Beschwerdeführers schlittelten mit dem Kinderbob vor dem Raupenfahrzeug auf
dem leicht abfallenden Weg Richtung Ferienwohnung. In der Folge rannte der
Beschwerdeführer, den Schlitten mit A.a.________ hinter sich herziehend, dem
Raupenfahrzeug nach, lief auf dasselbe auf, hielt sich am Türgriff auf der
Hinterseite des Fahrzeugs fest und bestieg das Trittbrett. Als B.________ den
mitfahrenden Beschwerdeführer entdeckte, leitete er unverzüglich eine
Vollbremsung ein, schaltete jedoch versehentlich statt in die Nullposition in
den Rückwärtsgang. Das Raupenfahrzeug rollte rückwärts, so dass A.a.________
mit seinem Schlitten auffuhr, unter die Raupenkette geriet und sich schwere
Verletzungen zuzog.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei aufgrund der seinem Sohn durch das
Raupenfahrzeug vermeintlich drohenden Gefahr in panische Angst geraten,
weshalb er überfordert gewesen sei, alle Umstände seiner Handlungsweise zu
bedenken und deren Risiken abzuschätzen. Der komplexe Geschehensablauf sei
für ihn nicht voraussehbar gewesen, und er habe sich deshalb auch nicht
pflichtwidrig unvorsichtig verhalten (Beschwerde Art. 2, S. 3 f.). Vielmehr
sei der Unfall die direkte Konsequenz des Fehlverhaltens des Führers des
Raupenfahrzeugs. Mit dem versehentlich erfolgten Einlegen des Rückwärtsgangs
habe er weder rechnen können noch müssen. Diese Fehlmanipulation dränge seine
eigene Handlungsweise in den Hintergrund und lasse diese als unbedeutend
erscheinen. Im Ergebnis sei der adäquate Kausalzusammenhang zwischen seinem
Verhalten und der schweren Körperverletzung von A.a.________ daher
unterbrochen worden (Beschwerde Art. 3, S. 4 f.).

3.2 Die Vorinstanz hat ausgeführt, es sei dem Beschwerdeführer zuzubilligen,
dass er nicht aus Spass oder Übermut, sondern aus Sorge um seinen Sohn dem
Raupenfahrzeug nachgerannt und auf das Trittbrett aufgestiegen bzw.
aufgesprungen sei. Allerdings habe er sich aus eigenem Antrieb zu diesem
Vorgehen entschlossen, und es wäre ihm ohne weiteres möglich gewesen, den
Schlitten mit A.a.________ zuvor anzuhalten. Sein Verhalten, d.h. das
Betreten des Trittbretts des fahrenden Raupenfahrzeugs, sei sorgfaltswidrig
und ursächlich für den eingetretenen Erfolg. Der Beschwerdeführer habe
insbesondere auch mit einem plötzlichen Anhalten oder gar Rückwärtsfahren des
Raupenfahrzeugs rechnen müssen, weshalb nicht von einem den
Kausalzusammenhang unterbrechenden Drittverschulden ausgegangen werden könne.

3.3 Am 1. Januar 2007 ist der revidierte Allgemeine Teil des
Strafgesetzbuches in Kraft getreten. Nach neuem Recht wird beurteilt, wer
nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat (Art. 2
Abs. 1 StGB). Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten
dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist
dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für den Täter das mildere ist (Art. 2 Abs.
2 StGB). Die Umschreibung des Fahrlässigkeitsbegriffs ist materiell
unverändert geblieben (vgl. Art. 12 Abs. 3 StGB und Art. 18 Abs. 3 StGB
a.F.). Anwendung findet deshalb bisheriges Recht.

3.4 Fahrlässig begeht der Täter ein Verbrechen oder Vergehen, wenn die Tat
darauf zurückzuführen ist, dass er die Folge seines Verhaltens aus
pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht
genommen hat (Art. 18 Abs. 3 Satz 1 StGB a.F.). Ein Schuldspruch wegen
fahrlässiger schwerer Körperverletzung setzt somit voraus, dass der Täter den
Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat.
Sorgfaltswidrig ist das Verhalten, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat
aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit
bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und
müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten
hat (Art. 18 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F.).
3.5 Beim fahrlässigen Begehungsdelikt muss der Erfolg vom Täter natürlich
kausal verursacht worden sein. Dies ist der Fall, wenn das Verhalten des
Täters nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der eingetretene Erfolg
entfiele (BGE 125 IV 195 E. 2b). Die Bejahung einer
Sorgfaltspflichtverletzung setzt voraus, dass die zum Erfolg führenden
Geschehensabläufe für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen
Zügen voraussehbar waren. Insoweit gilt der Massstab der adäquaten
Kausalität, wonach das Verhalten des Täters geeignet sein muss, nach dem
gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie
den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Am
erforderlichen rechtserheblichen Kausalzusammenhang fehlt es mithin, wenn die
Folge des Verhaltens soweit ausserhalb der normalen Lebenserfahrung liegt,
dass sie nicht zu erwarten war. Die Adäquanz ist zu verneinen, wenn ganz
aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden des Opfers bzw. eines
Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten,
mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer
wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs
erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das
Verhalten des Angeschuldigten - in den Hintergrund drängen (BGE 131 IV 145 E.
5.1 und 5.2; 130 IV 7 E. 3.2; 127 IV 62 E. 2d).

3.6 Gebieten besondere Normen, namentlich solche, die der Sicherheit und
Unfallverhütung dienen, ein bestimmtes Verhalten, richtet sich das Mass der
zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften. Das Gleiche
gilt für entsprechende allgemein anerkannte Verhaltensregeln, auch wenn diese
von einem privaten oder halböffentlichen Verband erlassen wurden und keine
Rechtsnormen darstellen. Wo eine derartige Regelung fehlt, kann der Vorwurf
der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie den allgemeinen
Gefahrensatz gestützt werden (BGE 130 IV 7 E. 3.3; 127 IV 34 E. 2a, mit
Hinweisen).

3.7 Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, ereignete sich der Unfall
auf einer schneebedeckten Strasse, welche Raupenfahrzeugen, Schneesportlern
und Fussgängern offen steht. Für die Bemessung der Sorgfaltspflicht sind
daher die Vorschriften des SVG und der Verkehrsregelnverordnung (VRV; SR
741.11) massgebend. Gemäss Art. 60 Abs. 5 VRV ist das Besteigen fahrender
Motorfahrzeuge ausdrücklich untersagt.

Die Vorinstanz hat des Weiteren auf die Richtlinien der Schweizerischen
Kommission für Unfallverhütung auf Schneesportabfahrten SKUS abgestellt,
welche zwar nicht als Rechtsnormen gelten, jedoch als an Wintersportler
gerichtete Verhaltensempfehlungen grundsätzlich zur Bestimmung des
üblicherweise auf Schneesportabfahrten, Langlaufloipen und Skiwanderwegen
geltenden Sorgfaltsmassstabs herangezogen werden können (vgl. BGE 117 IV 415
E. 5b). Demgemäss ist mit dem Einsatz von Raupenfahrzeugen jederzeit zu
rechnen und ein Abstand von vorne und hinten 15 Metern und seitlich 3 Metern
einzuhalten; das "Anhängen" ist untersagt (SKUS-Richtlinien, Ausgabe 2007, S.
5).

3.8 Vorliegend kann offen gelassen werden, ob die SKUS-Richtlinien Anwendung
finden, da der Beschwerdeführer zu Fuss unterwegs war. Aus dem in Art. 60
Abs. 5 VRV verankerten Verbot des Besteigens fahrender Motorfahrzeuge folgt
jedenfalls, dass sich der Beschwerdeführer mit dem Besteigen des Trittbretts
des fahrenden Raupenfahrzeugs sorgfaltswidrig verhalten und hierdurch die
Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Die Vorinstanz hat insoweit
zu Recht erwogen, dass der Beschwerdeführer trotz seiner Angst um seinen Sohn
aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten bei
pflichtgemässer Aufmerksamkeit die durch sein Vorgehen bewirkte Unfallgefahr
hätte erkennen können und müssen. Unerheblich ist insoweit, ob er hätte
bedenken können und sollen, dass sich die Ereignisse gerade so abspielen, wie
sie sich in Wirklichkeit dann zugetragen haben. Denn dass die
Geschehensabläufe in allen Einzelheiten voraussehbar waren, ist nicht
erforderlich; es genügt, wie dargelegt, wenn sie wie hier in ihren
wesentlichen Zügen hätten vorhergesehen werden können und müssen (BGE 131 IV
145 E 5.1; 130 IV 7 E. 3.2; 127 IV 34 E. 2a; 62 E. 2d).

Das Handeln des Beschwerdeführers war nicht nur natürlich kausal für den
eingetretenen Erfolg, sondern nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den
Erfahrungen des Lebens auch geeignet, einen Unfall von der Art des
geschehenen herbeizuführen. Das Fehlverhalten des Führers des Raupenfahrzeugs
vermag diesen adäquaten Kausalzusammenhang nicht zu unterbrechen, denn es
kann nicht ernsthaft behauptet werden, ein solches Verhalten liege derart
weit ausserhalb der normalen Lebenserfahrung, dass damit schlechterdings
nicht hätte gerechnet werden müssen. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt
hat, ist es keineswegs völlig aussergewöhnlich, dass Raupenfahrzeuge abrupt
bremsen oder rückwärts fahren. Zudem kann es, wie im angefochtenen Urteil
verbindlich festgestellt worden ist, bei diesem Typ Raupenfahrzeug leicht
geschehen, dass aus Versehen statt in die Nullposition in den Rückwärtsgang
geschaltet wird. Es kann mit anderen Worten vorliegend im Ergebnis nicht von
einem Drittverschulden gesprochen werden, welches derart schwer wiegen würde,
dass es als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs
erscheinen und so den Tatbeitrag des Beschwerdeführers in den Hintergrund
drängen würde.

Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen fahrlässiger schwerer
Körperverletzung verletzt deshalb kein Bundesrecht.

4.
Die Beschwerde ist damit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind
die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Wallis,
Strafgerichtshof I, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Februar 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Stohner