Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.724/2007
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6B_724/2007/bri

Urteil vom 11. Januar 2008
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Favre,
Gerichtsschreiber Stohner.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Robert P. Gehring,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gerichtsgebühr, Kosten; Entschädigung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 11. September 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 15. Juni 2006 erhob die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich Anklage
gegen X.________ wegen mehrfacher einfacher Körperverletzung, eventuell
mehrfacher Tätlichkeit. In der Anklage wird X.________ vorgeworfen, er habe
seine Kinder wiederholt mit einem zusammengelegten Gurt auf den Kopf, den
Rücken und die Hände geschlagen.

Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich befand X.________
am 14. September 2006 der mehrfachen Tätlichkeiten für schuldig und bestrafte
ihn mit 30 Tagen Haft, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs bei einer
Probezeit von einem Jahr. Die Verfahrenskosten wurden - mit Ausnahme der
Dolmetscherkosten -  X.________ auferlegt.

B.
Auf Berufung von X.________ hin trat das Obergericht des Kantons Zürich mit
Beschluss vom 11. September 2007 auf die Anklage wegen Verjährung nicht ein.
Hingegen bestätigte es das erstinstanzliche Kostendispositiv.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Beschluss des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 11. September 2007 sei insoweit
aufzuheben, als dass das erstinstanzliche Kostendispositiv bestätigt worden
sei. Des Weiteren sei festzustellen, dass ihm keine Verfahrenskosten
auferlegt werden dürften, und die Sache sei zur Festlegung einer angemessenen
Entschädigung und Genugtuung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem
ersucht er, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Erwägungen:

1.
Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten, da sie unter Einhaltung der
gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von der mit
ihren Anträgen unterliegenden beschuldigten Person (Art. 81 Abs. 1 lit. b
Ziff. 1 BGG) eingereicht wurde und sich gegen einen von einer letzten
kantonalen Instanz (Art. 80 BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 und 95 BGG)
in Strafsachen (Art. 78 Abs. 1 BGG) richtet.

Soweit der Beschwerdeführer jedoch beantragt, es sei festzustellen, dass ihm
keine Verfahrenskosten auferlegt werden dürften, fehlt es an einem
Feststellungsinteresse, weshalb auf dieses Vorbringen nicht einzutreten ist
(vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat im Kostenpunkt erwogen, der Beschwerdeführer habe in
der Untersuchung und in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wiederholt
eingeräumt, seine Kinder mit dem Gürtel auf den Hintern geschlagen zu haben.
Damit habe er sein Züchtigungsrecht überschritten und widerrechtlich
gehandelt, denn Eltern dürften kein Züchtigungsinstrument benutzen, welches
Körperverletzungen verursachen könne. Der Beschwerdeführer habe daher die
Untersuchung durch verwerfliches respektive leichtfertiges Benehmen
verursacht, weshalb ihm die Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen
Gerichtsverfahrens aufzuerlegen seien. Demgemäss stehe ihm für diese
Verfahrensabschnitte weder eine Entschädigung noch eine Genugtuung zu
(angefochtener Beschluss S. 10).

2.2 Der Beschwerdeführer rügt insbesondere einen Verstoss gegen die
Unschuldsvermutung gemäss Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie
eine Verletzung des Willkürverbots nach Art. 9 BV. Er führt aus, ihm könne
unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten kein verwerfliches Verhalten
angelastet werden, zumal einerseits ungewiss geblieben sei, wie stark er
seine Kinder geschlagen habe, und es andererseits in der Lehre und
Rechtsprechung weiterhin offen und umstritten sei, in welchem Ausmass die
elterliche Erziehungsaufgabe auch die Möglichkeit massvoller Züchtigungen
beinhalte (Beschwerde S. 9 f.). Im Ergebnis seien ihm deshalb die
Verfahrenskosten zu Unrecht auferlegt worden. Zudem sei ihm eine angemessene
Entschädigung für die durch das Strafverfahren erlittenen Nachteile und für
die getätigten Aufwendungen auszurichten (Beschwerde S. 11).

2.3 Gemäss Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK gilt jede Person bis zur
rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig. Nach der Rechtsprechung
verstösst es gegen Verfassung und Konvention, in der Begründung des
Entscheids, mit dem ein Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung erfolgt
und dem Angeschuldigten Kosten auferlegt werden, diesem direkt oder indirekt
vorzuwerfen, er habe sich strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein
strafrechtliches Verschulden. Dagegen ist es mit Verfassung und Konvention
vereinbar, einem nicht verurteilten Angeschuldigten die Kosten zu überbinden,
wenn er in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise - d.h. im Sinne einer analogen
Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze - gegen eine
geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm, die aus der gesamten
schweizerischen Rechtsordnung stammen kann, klar verstossen und dadurch das
Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (BGE 120 Ia
147 E. 3b, 119 Ia 332 E. 1b, 116 Ia 162 E. 2f).

2.4 Wird eine Kostenauflage wegen Verletzung des Grundsatzes der
Unschuldsvermutung angefochten, so prüft das Bundesgericht frei, ob der Text
des Kostenentscheids direkt oder indirekt den Vorwurf einer strafrechtlichen
Schuld enthält.

Dies ist vorliegend entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht der
Fall. In der Begründung des angefochtenen Beschlusses wird dem
Beschwerdeführer auch nicht indirekt vorgeworfen, er habe sich ein strafbares
Verhalten zu Schulden kommen lassen. Vielmehr führt die Vorinstanz aus, der
Sachverhalt lasse sich nicht erstellen und der Tatbestand der Tätlichkeit
daher nicht nachweisen (angefochtener Beschluss S. 7 ff.).
2.5 Nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür untersucht das Bundesgericht
dagegen, ob der Angeschuldigte in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen
eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm klar verstossen und
durch sein Benehmen das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung
erschwert hat. Insofern steht nicht mehr der Schutzbereich der Bestimmungen
von Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK in Frage, welche den guten Ruf
des Angeschuldigten gegen den direkten oder indirekten Vorwurf einer
strafrechtlichen Schuld schützen wollen. Die Voraussetzungen der
Kostenauflage werden vielmehr durch die Vorschriften der kantonalen
Strafprozessordnungen umschrieben; insoweit greift ausschliesslich Art. 9 BV
Platz, wonach die betreffenden Gesetzesbestimmungen nicht willkürlich
angewendet werden dürfen. Diese Grundsätze gelten über die Auferlegung von
Kosten hinaus auch für die Frage der Verweigerung einer Entschädigung (vgl.
zum Ganzen Urteil des Bundesgerichts 1P. 65/2005 vom 22. Juni 2005, E. 3.1).

Willkür in der Rechtsanwendung liegt dabei einzig vor, wenn der angefochtene
kantonale Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid
nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar
ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender
erscheint, genügt nicht (BGE 131 I 467 E. 3.1; 132 I 13 E. 5.1, 175 E. 1.2).
2.6 Gemäss § 189 Abs. 1 StPO/ZH werden die Kosten bei einem Freispruch dem
Angeklagten auferlegt, wenn dieser die Einleitung der Untersuchung durch ein
verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen verursacht oder ihre Durchführung
erschwert hat. Diese Bestimmung ist auch bei Beendigung von Strafverfahren
mittels Beschluss wegen Verjährungseintritts anwendbar (Niklaus Schmid, in:
Andreas Donatsch/ Niklaus Schmid [Hrsg.], Kommentar zur Strafprozessordnung
des Kantons Zürich, Zürich 1997, § 189 N. 4). Die Kostenauflage zulasten des
Beschuldigten aufgrund verwerflich bewirkter Untersuchungseinleitung setzt
adäquate Kausalität zwischen dessen Verhalten, der eingeleiteten Untersuchung
und den erwachsenen und aufzuerlegenden Kosten voraus (Schmid, in:
Donatsch/Schmid (Hrsg.), a.a.O., Zürich 1999, § 42 N. 22).

Gleichlautende oder ähnliche Vorschriften wie § 189 StPO/ZH finden sich in
fast allen kantonalen Strafprozessordnungen. Ihnen liegt der Gedanke
zugrunde, es solle nicht der Staat und damit nicht der einzelne Bürger als
Steuerzahler für Verfahrenskosten aufkommen müssen, die von einem
Angeschuldigten durch vorwerfbares Verhalten verursacht worden sind (BGE 116
Ia 162 E. 2a).

2.7 Der Beschwerdeführer hat ausdrücklich eingestanden, seine Kinder
wiederholt mit dem Gurt auf den Hintern geschlagen zu haben (angefochtener
Beschluss S. 10 mit Hinweis auf die erstinstanzlichen Akten act. 3/1 S. 9 ff.
und act. 3/2 S. 2 f.).

Züchtigungsmittel, welche die körperliche, geistige oder seelische Integrität
verletzen oder gefährden, d.h. zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung führen
können, gelten als unzulässig (Ingeborg Schwenzer, Basler Kommentar ZGB I, 2.
Aufl., Basel/Genf/München 2002, Art. 301 ZGB N. 8;
Tuor/Schnyder/Schmid/Rumo-Jungo, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 12.
Aufl., Zürich 2002, S. 438). Wie die Vorinstanz ohne Verstoss gegen das
Willkürverbot gefolgert hat, kann ein Gurt als Züchtigungsinstrument
zweifellos Körperverletzungen verursachen. Vor diesem Hintergrund aber halten
die im angefochtenen Beschluss gezogenen Schlüsse, der Beschwerdeführer habe
sein Züchtigungsrecht überschritten, daher unter zivilrechtlichen
Gesichtspunkten widerrechtlich gehandelt und demnach die Untersuchung durch
verwerfliches oder leichtfertiges Benehmen im Sinne von § 189 Abs. 1 StPO/ZH
adäquat kausal verursacht, der bundesgerichtlichen Rechtskontrolle Stand.

2.8 Die Vorinstanz hat mithin willkürfrei begründet, weshalb sie gestützt auf
die kantonale Strafprozessordnung den erstinstanzlichen Kostenentscheid
geschützt hat. Dementsprechend konnte sie in antizipierter Beweiswürdigung
davon absehen, sich mit den weiteren nicht hinreichend substantiierten
Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen. Insbesondere hat die
Vorinstanz entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers dessen Anspruch auf
rechtliches Gehör nicht dadurch missachtet, dass sie auf seine Rüge, er leide
aufgrund seiner zweitägigen Inhaftierung respektive des insgesamt
unangemessenen Vorgehens der Untersuchungsbehörden unter erheblichen
gesundheitlichen Störungen, nicht näher eingegangen ist.

2.9 Gemäss § 43 Abs. 1 i.V.m. § 191 StPO/ZH ist in Fällen, in welchen dem
Angeklagten die Verfahrenskosten nicht auferlegt werden, darüber zu
entscheiden, ob ihm eine Entschädigung für die durch die Untersuchung
verursachten Kosten und Umtriebe sowie eine Genugtuung auszurichten ist.

Da die Auferlegung der Verfahrenskosten an den Beschwerdeführer nach dem
Gesagten kein Bundesrecht verletzt, konnte die Vorinstanz - ohne in Willkür
zu verfallen - schliessen, dem Beschwerdeführer stehe weder eine
Entschädigung noch eine Genugtuung zu.

3.
Die Beschwerde ist folglich vollumfänglich abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesrichtlichen
Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Mit dem
Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Januar 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Stohner