Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.623/2007
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6B_623/2007/ bri

Urteil vom 4. März 2008
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.

K. ________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Therapeutische Massnahme (Art. 59 Abs. 1 StGB),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern, II.
Kammer, vom 13. September 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Luzern sprach K.________ am 29. März 2003 im
Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt an ihrem Ehemann wegen
Unzurechnungsfähigkeit von Schuld und Strafe frei, ordnete jedoch die
Verwahrung nach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB an.

Am 13. September 2007 hob das Obergericht die altrechtliche Verwahrung auf
und ordnete stattdessen eine stationäre therapeutische Massnahme im Sinne von
Art. 59 Abs. 1 StGB an.

B.
K.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben, und sie sei bedingt zu entlassen.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern begehrt, die altrechtliche
Verwahrung sei als neurechtliche (Art. 64 StGB) weiterzuführen. Das
Obergericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz hatte zu prüfen, ob bei der Beschwerdeführerin die
Voraussetzungen für eine therapeutische Massnahme (Art. 59 oder 63 StGB)
erfüllt sind, um bejahendenfalls eine solche anstelle der altrechtlichen
Verwahrung anzuordnen (Art. 2 Abs. 2 der Schlussbestimmungen der Änderung vom
13. Dezember 2002 des Strafgesetzbuches).

2.
Die Beschwerdegegnerin rügt, die Vorinstanz hätte die altrechtliche
Verwahrung in eine neurechtliche überführen müssen, weil die Voraussetzungen
für eine stationäre Massnahme bei der Beschwerdeführerin nicht erfüllt seien.

Weil die Verwahrung eine strengere Massnahme ist als eine stationäre
therapeutische Massnahme, würde die Beschwerdeführerin gemäss dem Antrag der
Beschwerdegegnerin schlechter gestellt. Eine solche reformatio in peius ist
nicht zulässig (Erhard Schweri, Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in
Strafsachen, Bern 1993, N 628 ff). Zwar spricht Art. 107 Abs. 1 BGG von den
Begehren "der Parteien", während in Art. 277bis Abs. 1 BStP noch von den
Anträgen "des Beschwerdeführers" die Rede war. Doch wollte der Gesetzgeber
mit dieser unterschiedlichen Wortwahl inhaltlich keine Änderung herbeiführen.
Das Bundesgericht ist somit nach wie vor an die Rechtsbegehren der
beschwerdeführenden Partei gebunden. Im Rahmen der Vernehmlassung kann die
Beschwerdegegnerin, abgesehen vom Nichteintreten auf die Beschwerde, nicht
mehr und nicht anderes als die ganze oder teilweise Abweisung der Beschwerde
beantragen (Ulrich Meyer, Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, Art. 107
N 2).

Die Beschwerdegegnerin hat innert Frist keine Beschwerde in Strafsachen
erhoben und Antrag auf Weiterführung der Verwahrung gestellt. Ihr Antrag, den
sie erst im Rahmen der Vernehmlassung gestellt hat und welcher über die
Anträge der Beschwerdeführerin hinausgeht, ist daher unbeachtlich.

3.
Die Beschwerdeführerin begehrt, sie sei bedingt zu entlassen. Im vorliegenden
Verfahren geht es, nachdem eine neurechtliche Verwahrung ohnehin entfällt (E.
2 hievor), nur um die Frage, welche neurechtliche Massnahme (Art. 59 oder 63
StGB) die altrechtliche Verwahrung ablösen soll (Art. 2 Abs. 2 der
Schlussbestimmungen der Änderung vom 13. Dezember 2002 des
Strafgesetzbuches).

Falls anstelle der stationären Massnahme eine ambulante Massnahme in Freiheit
angeordnet würde, käme dies faktisch einer bedingten Entlassung der
Beschwerdeführerin gleich. Im Antrag auf bedingte Entlassung kann daher bei
der nicht rechtskundigen Beschwerdeführerin sinngemäss ein Antrag auf
Anordnung einer ambulanten Behandlung gesehen werden.

4.
Sowohl die stationäre als auch die ambulante therapeutische Massnahme (Art.
59 und 63 StGB) haben zum Ziel, dass durch die Behandlung der Gefahr weiterer
Taten begegnet werde.

Der Vollzug der Massnahmen soll sich nach den konkreten Bedürfnissen im
Einzelfall richten (Art. 90 ff. StGB) und kann sehr unterschiedlich
ausgestaltet sein (z.B. Wohn- und Arbeitsexternat auch bei stationären
Massnahmen, Art. 90 Abs. 2bis StGB). Während einer ambulanten Behandlung kann
die zuständige Behörde vorübergehend stationäre Behandlung anordnen, doch
darf diese nicht länger als zwei Monate dauern (Art. 63 Abs. 3 StGB).

4.1 Um entscheiden zu können, ob eine stationäre oder ambulante Behandlung
den Bedürfnissen der Beschwerdeführerin besser entspricht, drängt sich ein
Blick auf ihre sozialen Kompetenzen und die Schlussfolgerungen auf, die der
Gutachter - auf den sich die Vorinstanz abstützt - daraus für den Vollzug der
Massnahme zieht:

"Die soziale Kompetenz der Explorandin ist in erheblichem Ausmass
beeinträchtigt. (...) Ihre Belastbarkeit ist begrenzt, und sie neigt zu
psychosomatischen Reaktionsbildungen. Dabei ist ihr Durchhaltevermögen an
sich gut (...). In der Vollzugssituation allerdings zeugt ihr Kampf um eine
Revision oder Ähnliches nicht so sehr von Durchhaltevermögen als von einer
Fixierung, der eine gewisse Verbissenheit nicht abzusprechen ist und die eine
Prioritätensetzung darstellt, die als Ausdruck einer gestörten Wahrnehmung
der sozialen Realität angesehen werden kann. Die Explorandin ist im Rahmen
der ehelichen Situation, der Somatisierungsstörung und dann der wahnhaften
Entwicklung zunehmend in eine soziale Isolierung geraten, und auch heute
weist sie keine wirklich tragfähigen Aussenbeziehungen auf. Ihr Vermögen,
sich wechselnden Situationen anzupassen, erscheint eher gering - die
Explorandin neigt dazu, starr an Positionen festzuhalten (was auch mit ihrer
Bereitschaft zu tun hat, Verantwortlichkeiten für ihren eigenen Zustand - in
heute nicht wahnhafter Weise - mehr in ausser ihr liegenden Instanzen zu
sehen, als dies, trotz ihres Status' als Verwahrungsgefangene, gerechtfertigt
erscheint). Ihre Zufriedenheit mit dem Leben ist seit langer Zeit gering. Zu
sprechen ist hier im Übrigen davon, dass die Explorandin an sich in ein recht
breites Spektrum von Aktivitäten und Interessen eingebunden ist, das sie sich
durch ihre fast obsessionell erscheinende Beschäftigung mit juristischen und
forensisch-psychiatrischen Fragen selbst (und letztlich in selbstschädigender
Art) einengt" (Gutachten, S. 93).

"Heute angebrachte Massnahmen sind aus gutachterlicher Sicht
sozialtherapeutischer und stützender psychotherapeutischer Art. Dazu gehört
die rasche Etablierung von Vollzugslockerungen mit rasch steigenden
Freiheitsgraden.

Nachdem sich die Explorandin seit über acht Jahren nicht mehr ausserhalb der
Anstaltsmauern bewegt hat, sind kürzere und längere Ausgänge in Begleitung
und dann auch gut geplante unbegleitete Ausgänge rasch zu etablieren. Den
Ausgängen sind Vorbesprechungen und ausführliche Nachbesprechungen
zuzuordnen. Gleichzeitig, nicht vorgängig, ist für den Arbeitsbereich eine
Konstanz der Leistungsfähigkeit in definierten Arbeitsbereichen zu
trainieren.

Das Vollzugsziel einer Integration im freien Arbeitsmarkt erscheint
angesichts der Vorgeschichte der Explorandin eher illusionär. Sinnvoll wird
ein Integrationsziel sein, das für sie eine relativ geschützte
Arbeitsplatzsituation mit reduzierten Arbeitsleistungen vorsieht (Haushalt,
Werkstatt, einfache Betreuungsaufgaben). Sobald sich eine Konstanz und
hinreichende Belastbarkeit abzeichnen, ist der Übertritt in eine betreute
Wohnform ins Auge zu fassen, aus der heraus es bei Stabilität der psychischen
Situation und sozialen Leistungsfähigkeit zu einer probeweisen Entlassung aus
der Verwahrungsmassnahme kommen sollte, ohne dass damit notwendigerweise der
Austritt der Explorandin aus der betreuten Wohnform (Frauenwohnheim)
verbunden wäre" (Gutachten, S. 96 f.).

Eine sofortige Verlegung in ein betreutes Übergangsheim lehnt der Gutachter
ab: "Eine solche sofortige Verlegung bedeutete den Übertritt in ungeplante
und unklare Verhältnisse, welche angesichts der psychosozialen
Leistungsfähigkeit der Explorandin und unter Berücksichtigung der
eingetretenen Prisonisierung überfordernd und der psychischen und
körperlichen Befindlichkeit der Explorandin nicht zuträglich wären"
(Gutachten, S. 98).

4.2 Aus diesen Ausführungen des Gutachters wird deutlich, dass die Anordnung
einer ambulanten Massnahme in Freiheit die Beschwerdeführerin überfordern
würde. Vielmehr bedarf sie einer ausreichend langen Angewöhnungsphase mit
sozial- und psychotherapeutischer Unterstützung, um sich im Leben ausserhalb
der Anstaltsmauern zurechtzufinden. Zudem hat sie sich zunächst in einer
relativ geschützten Arbeitsplatzsituation mit reduzierten Arbeitsleistungen
zu bewähren,  bevor ein Übertritt in eine betreute Wohnform ins Auge zu
fassen ist.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, drängt sich die Anordnung einer
stationären Massnahme auf. Mithin ist der angefochtene Entscheid im Einklang
mit Bundesrecht.

4.3 Im Übrigen ist die Annahme der Beschwerdeführerin (wie auch der
Beschwerdegegnerin) zu präzisieren, ihre Legalprognose sei günstig.

Der Gutachter zeichnet nämlich ein viel differenzierteres Bild: Die Prognose
für eine künftige Delinquenz der Beschwerdeführerin sei zwar günstig
einzuschätzen. Diese Feststellung gelte aber nur, "sofern es nicht wieder zu
einer Kombination einer anhaltenden wahnhaften Störung und einer
Beziehungskonstellation kommt, in welcher die Explorandin mit dem Gefühl
völliger Ausweglosigkeit konfrontiert ist. (...) Nachdem die wahnhafte
Symptomatik abgeklungen ist, ohne dass eine längerfristige medikamentöse
Behandlung durchgeführt worden wäre, liegt ein identifizierbares Risiko in
der nicht ohne weiteres von der Hand zu weisenden Möglichkeit einer
neuerlichen wahnhaften Entwicklung, für deren Zustandekommen aktuell aber
keine Anhaltspunkte vorliegen und deren Entstehung wiederum an ein komplexes
Gefüge von Belastungsfaktoren gebunden wäre, in dessen Folge es zu einer
psychotischen Dekompensation projektiver Mechanismen käme" (Gutachten, S.
96).

Demnach hält der Gutachter dafür, dass eine günstige Prognose gestellt werden
könne, wenn die Beschwerdeführerin dank sozial- und psychotherapeutischer
Unterstützung ihre sozialen Kompetenzen verbessere. Gelange sie aber wieder
in ein komplexes Gefüge von Belastungsfaktoren, bestehe die Möglichkeit einer
erneuten wahnhaften Entwicklung mit entsprechender Rückfallgefahr.

5.
Die Beschwerdeführerin beanstandet zur Hauptsache die beiden Urteile, die zur
altrechtlichen Verwahrung geführt hatten. Da diese nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens bilden, ist auf die diesbezüglichen Ausführungen in
der Beschwerde nicht einzutreten.

6.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II.
Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. März 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Borner