Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.599/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_599/2007/bri

Urteil vom 14. Mai 2008
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Ferrari, Zünd, Mathys,
Gerichtsschreiberin Binz.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Frédéric Krauskopf,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus,
5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Strafzumessung; teilbedingte Strafen, Halbgefangenschaft,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
1. Kammer, vom 23. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 21. Februar 2007 verurteilte das Bezirksgericht Baden X.________ wegen
versuchter vorsätzlicher Tötung, mehrfacher Gefährdung des Lebens und
Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren. Der Vollzug der Strafe
wurde im Umfang von 18 Monaten aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre
festgesetzt.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 23. August 2007 eine von X.________
erhobene Berufung ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau sei aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die
Vorinstanz, eventuell an das Bezirksgericht Baden als erste Instanz,
zurückzuweisen.

C.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau stellt den Antrag, die Beschwerde sei
abzuweisen, soweit überhaupt darauf eingetreten werden kann. Die Vorinstanz
ihrerseits beantragt Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde richtet sich gegen die vorinstanzliche Regelung des
teilbedingten Vollzugs der Freiheitsstrafe. Die ausgesprochene Freiheitsstrafe
von 3 Jahren wird nicht angefochten. Der Beschwerdeführer macht geltend, die
Vorinstanz sei bei der Festsetzung des unbedingt zu vollziehenden Teils der
Freiheitsstrafe zu Unrecht an die oberste Grenze des von Art. 43 Abs. 2 StGB
vorgegebenen Rahmens gegangen. Dabei habe sie Art. 43 Abs. 1 und Art. 47 Abs. 1
StGB ungenügend und die Möglichkeit der Halbgefangenschaft nach Art. 77b StGB
überhaupt nicht berücksichtigt und damit Bundesrecht verletzt.

2.
Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau ist ein blosses
Rückweisungsbegehren nicht zulässig. Da die Beschwerde in Strafsachen ein
reformatorisches Rechtsmittel sei und das Bundesgericht bei liquiden
Verhältnissen in der Sache selbst entscheide, müsse sie einen materiellen
Antrag in der Sache enthalten. Deshalb sei fraglich, ob auf die Beschwerde
überhaupt eingetreten werden könne.
Die Beschwerdeschrift hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG).
Heisst das Bundesgericht die Beschwerde gut, so entscheidet es in der Sache
selbst oder weist diese zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück (Art. 107
Abs. 2 BGG). Da die Beschwerde ans Bundesgericht grundsätzlich ein
reformatorisches Rechtsmittel ist, muss die Beschwerde führende Partei einen
Antrag in der Sache stellen. Ein blosser Rückweisungsantrag reicht
ausnahmsweise aus, wenn das Bundesgericht im Falle der Gutheissung in der Sache
nicht selbst entscheiden könnte, weil die erforderlichen
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz fehlen (BGE 133 II 409 E. 1.4.2 S.
415, mit Hinweis auf 133 III 489 E. 3.1 S. 489 f.). Demgegenüber darf das
Bundesgericht bei Beschwerden in Strafsachen zwar in der Sache ebenfalls selbst
entscheiden, doch kann es lediglich bei genügend liquiden Verhältnissen zur
Reformation schreiten. Sind zusätzliche Sachverhaltserhebungen durch die
Vorinstanz vorzunehmen, scheidet eine reformatorische Entscheidung von
vornherein aus (nicht publizierte E. 7.2 von BGE 133 IV 293). Ebenso wird das
Bundesgericht die Sache an den Sachrichter zurückweisen, wenn es sich - wie im
vorliegenden Fall - um einen Ermessensentscheid handelt. Allgemein kann gesagt
werden, dass die strafrechtliche Abteilung in aller Regel kassatorisch
entscheidet (vgl. a.a.O.).
Auf die Beschwerde kann deshalb eingetreten werden.

3.
3.1
Nach Auffassung der Vorinstanz hängt der teilbedingte Strafvollzug gemäss Art.
43 Abs. 1 StGB alleine vom Verschulden des Beschwerdeführers ab. Bei dessen
Bewertung berücksichtigte sie die erhebliche Alkoholisierung des
Beschwerdeführers verschuldensmindernd, ohne jedoch eine verminderte
Schuldfähigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StGB zu bejahen. Die Vorinstanz
lehnte es im weiteren ab, in diesem Zusammenhang die geltend gemachten
Täterkomponenten (Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters, Vorleben,
persönliche Verhältnisse) in die Würdigung einzubeziehen. Bei der Beurteilung
des teilbedingten Strafvollzuges komme es gemäss Art. 43 Abs. 1 StGB allein auf
das Verschulden an, welches in Art. 47 Abs. 2 StGB definiert werde. Dass es
hinsichtlich der vorsätzlichen Tötung beim Versuch blieb, wertete die
Vorinstanz strafmildernd (Art. 22 Abs. 1 StGB), ebenso die vom Beschwerdeführer
betätigte aufrichtige Reue (Art. 48 lit. d StGB). In einem strafmindernden
Sinne hielt es dem Beschwerdeführer zugute, dass er sich seit der länger
zurückliegenden Tatbegehung wohlverhalten hat. Insgesamt erachtete die
Vorinstanz das Verschulden als schwer, weshalb es sich rechtfertige, den
vollziehbaren Teil auf das Maximum von 18 Monaten festzulegen.

3.2 Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst im Wesentlichen geltend, die
Vorinstanz habe den Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt, weil sie ihm keine
verminderte Schuldfähigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StGB zugebilligt,
sondern aufgrund einer oberflächlichen und ausgeprägt selektiven Würdigung der
einschlägigen Gutachten eine solche verneint habe. Im Übrigen hätte sie bei der
Festsetzung des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe auch das Vorleben, die
persönlichen Verhältnisse und die Wirkung der Strafe auf sein Leben
berücksichtigen müssen. Zudem hätte sie die aufrichtige Reue sowie den langen
Zeitablauf und das Wohlverhalten einzeln strafmildernd und nicht lediglich
strafmindernd bewerten müssen.

3.3 Das Gericht hat, wenn es auf eine teilbedingte Strafe erkennt, im Zeitpunkt
des Urteils den aufgeschobenen und den zu vollziehenden Strafteil festzusetzen
und die beiden Teile in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Nach Art. 43
StGB muss der unbedingt vollziehbare Teil mindestens sechs Monate betragen
(Abs. 3), darf aber die Hälfte der Strafe nicht übersteigen (Abs. 2). Im
äussersten Fall (Freiheitsstrafe von drei Jahren) kann das Gericht demnach
Strafteile im Ausmass von sechs Monaten Freiheitsstrafe unbedingt mit
zweieinhalb Jahren bedingt verbinden. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens liegt
die Festsetzung im pflichtgemässen Ermessen des Gerichts. Als Bemessungsregel
ist das "Verschulden" zu beachten, dem in genügender Weise Rechnung zu tragen
ist (Art. 43 Abs. 1 StGB). Das Verhältnis der Strafteile ist so festzusetzen,
dass darin die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung des Täters einerseits und
dessen Einzeltatschuld anderseits hinreichend zum Ausdruck kommen. Je günstiger
die Prognose und je kleiner die Vorwerfbarkeit der Tat, desto grösser muss der
auf Bewährung ausgesetzte Strafteil sein. Der unbedingte Strafteil darf dabei
das unter Verschuldensgesichtspunkten (Art. 47 StGB) gebotene Mass nicht
unterschreiten (BGE 134 IV 1 E. 5.6 S. 15).
Die Voraussetzung, dass eine teilbedingte Strafe nach Art. 43 StGB notwendig
ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen, d.h. in
angemessener Weise (so der französische Wortlaut: de façon appropriée), ist
weitgehend unklar. Unter dem Begriff des Verschuldens ist das Mass der
Vorwerfbarkeit des Rechtsbruchs zu verstehen, er umfasst den gesamten Unrechts-
und Schuldgehalt der konkreten Straftat. Der Begriffsinhalt richtet sich nach
der Legaldefinition von Art. 47 Abs. 2 StGB. Gemeint ist die
Strafzumessungsschuld. Das Verschulden ist daher zunächst und vor allem ein
Bemessungskriterium bei der Strafzumessung. Für die Beurteilung, ob eine
teilbedingte Strafe wegen des Verschuldens des Täters und unter
Berücksichtigung seiner Bewährungsaussichten als notwendig erscheint, kann es
indessen auf die Strafzumessungsschuld nicht mehr in gleicher Weise ankommen.
Denn im Zeitpunkt, in dem das Gericht über die Gewährung des Strafaufschubes
befindet, muss die Strafhöhe bereits feststehen, und es geht nur noch um die
angemessene Vollzugsform. Allerdings verknüpft das Gesetz die Frage nach der
schuldangemessenen Strafe und jene nach deren Aufschub insoweit, als es den
bedingten Strafvollzug für Strafen ausschliesst, die zwei Jahre übersteigen.
Die Notwendigkeit einer teilbedingten Freiheitsstrafe ergibt sich dann als
Folge der Schwere des Verschuldens, das sich in einer Strafhöhe zwischen zwei
und drei Jahren niederschlägt. Darin liegt ein Anhaltspunkt für die Bedeutung
der Verschuldensklausel (BGE 134 IV 1 E. 5.3.3 S. 11, mit Hinweis).

3.4 Im Lichte dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtes sind die Erwägungen im
angefochtenen Urteil grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz durfte
im Zusammenhang mit Art. 43 StGB aufgrund der konkreten Umstände von einem
erheblichen Verschulden ausgehen. Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen
Einwände sind unbehelflich. Es kann offenbleiben, ob die Vorinstanz von einer
eigentlichen Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StGB
hätte ausgehen müssen, nachdem sie die starke Alkoholisierung
verschuldensmindernd angerechnet hat. Gemäss den dargelegten Grundsätzen musste
die Vorinstanz die täterbezogenen Umstände nicht miteinbeziehen, weshalb auf
die entsprechenden Rügen nicht weiter einzugehen ist. Insgesamt hat die
Vorinstanz im Zusammenhang mit Art. 43 StGB dem Verschulden ausreichend
Rechnung getragen.

3.5 Nachdem die Vorinstanz davon ausging, für die Festsetzung des unbedingt zu
vollziehenden Teils der Freiheitsstrafe sei ausschliesslich das Verschulden
massgebend, hat sie sich in ihrem Urteil nicht zur Frage des künftigen
Wohlverhaltens des Beschwerdeführers geäussert. Wie ausgeführt, hängt der
Entscheid sowohl vom Grad der Vorwerfbarkeit der Tat als auch von der
Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung ab (E. 3.3). Dies bedeutet jedoch nicht,
dass eine hälftige Vollzugsaufteilung nur möglich ist, wenn sowohl von einem
schweren Verschulden als auch von einer eher ungünstigen Prognose auszugehen
ist. Der Tatvorwurf an den Beschwerdeführer wiegt schwer, hat er doch sein
Opfer aus nichtigem Anlass lebensgefährlich verletzt. Ohne sofortigen
ärztlichen Eingriff wäre der Verletzte gestorben. Gleichzeitig hat der
Beschwerdeführer mit dem Schuss auf das wegfahrende Auto die drei anderen im
Fahrzeug sitzenden Personen rücksichtslos in unmittelbare Lebensgefahr
gebracht. Der Vorinstanz kann durchaus beigepflichtet werden, wenn sie die von
der ersten Instanz ausgefällte und für sie aus prozessualen Gründen
verbindliche Freiheitsstrafe von 3 Jahren als milde einstuft. Auch wenn dem
Beschwerdeführer für die Zukunft eine gute Prognose gestellt werden kann,
durfte die Vorinstanz unter diesen Umständen den vollziehbaren Teil der Strafe
auf 18 Monate festlegen, ohne ihr Ermessen zu missbrauchen. Sie hielt sich
dabei an die bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach der unbedingte Strafteil
das unter Verschuldensgesichtspunkten gebotene Mass nicht unterschreiten darf
(vgl. E. 3.3). Mit der Frage der auf eine Maximaldauer von 12 Monaten
beschränkten Halbgefangenschaft (Art. 77b StGB) musste sie sich nicht weiter
auseinandersetzen (vgl. BGE 134 IV 17 E. 3.5 S. 24 f.).

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten
ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 14. Mai 2008
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Schneider Binz