Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.571/2007
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6B_571/2007/bri

Urteil vom 6. Februar 2008
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Favre,
Gerichtsschreiber Briw.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Simon Kehl,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Vernachlässigung von Unterhaltspflichten,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer,
vom 2. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Der Einzelrichter am Kreisgericht Obertoggenburg-Neutoggenburg bestätigte am
14. Dezember 2006 einen Strafbescheid vom 23. Mai 2006 im Schuldpunkt und
verurteilte X.________ wegen Vernachlässigung von Unterhaltspflichten zu
einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von einem Monat. Das Kreisgericht
erachtete es als erwiesen, dass er im Zeitraum April bis Juli 2005 mit den
nötigen Anstrengungen eine Arbeitsstelle hätte finden und seine
Unterhaltspflicht hätte erfüllen können. Es habe ihm aber dazu der notwendige
Wille gefehlt.

Die Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen sprach ihn auf seine Berufung
hin am 2. Juli 2007 der Vernachlässigung von Unterhaltspflichten schuldig,
verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 5.- und schob
den Vollzug mit einer Probezeit von zwei Jahren auf.

B.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des
Kantonsgerichts aufzuheben, die kantonalen Kosten anders zu verteilen und ihm
für die vorangegangenen Verfahren eine angemessene Parteientschädigung
zuzusprechen. Ferner stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.

Erwägungen:

1.
Die in dem nach Ablauf der Beschwerdefrist (Art. 100 Abs. 1 BGG)
eingereichten Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege zur Sache vorgebrachten
allfälligen Beschwerdeergänzungen (Gesuch S. 5) können nicht berücksichtigt
werden.

2.
Strafrechtliche Beschwerde kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f.
BGG erhoben werden. Ausserhalb des Anwendungsbereichs von Art. 95 lit. c bis
e BGG bilden Verletzungen des kantonalen Rechts einen zulässigen
Beschwerdegrund, wenn sie einen Verstoss gegen Bundesrecht einschliesslich
des Verfassungsrechts oder gegen Völkerrecht darstellen (Art. 95 lit. a und b
BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.2.1). Die Anwendung des kantonalen Rechts prüft
das Bundesgericht auf Willkür hin (Art. 9 BV). Es hebt einen Entscheid auf,
wenn er schlechterdings unhaltbar ist, d.h. mit der tatsächlichen Situation
in klarem Widerspruch steht, auf einem offenkundigen Versehen beruht oder
sich sachlich in keiner Weise rechtfertigen lässt (BGE 133 III 589 E. 4.1;
131 I 217 E. 2.1, 467 E. 3.1).

Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem
Recht aber nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Rüge muss präzise
begründet werden (BGE 133 III 439 E. 3.2). Daran fehlt es, wenn die
Beschwerdeschrift in einer Weise abgefasst ist, dass sich Fragen hinsichtlich
des Anklagegrundsatzes und des Beweisrechts zwar stellen könnten, eine
einschlägige (verletzte) Verfahrensbestimmung aber nicht bezeichnet wird und
es an einer präzisen Begründung fehlt. Auf eine solche appellatorische Kritik
wird nicht eingetreten (BGE 133 II 396 E. 3.2). Weiter ist darauf
hinzuweisen, dass Art. 9 BV für sich allein keine geschützte Rechtsstellung
gewährt (BGE 126 I 81; 133 I 185).

Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des
Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 BGG). Dabei bedeutet "offensichtlich unrichtig" willkürlich (BGE 133
II 249 E. 1.2.2). Es gilt daher auch in dieser Hinsicht eine qualifizierte
Rügepflicht im Sinne der früheren Vorschrift von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
(BGE 133 II 249 E. 1.4.2). Die Beschwerdeschrift enthält eine bloss erwägende
Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Feststellungen. Damit wird weder
eine Willkür noch eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo
(Beschwerde S. 11) dargelegt.

Massgeblich ist demnach der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, es sei davon auszugehen, dass bei ihm
neben seiner Haupterwerbstätigkeit auf dem Bauernbetrieb keine auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt verwertbare Resterwerbsfähigkeit mehr vorhanden sei.
Er leiste bereits mehr als ein volles Pensum. Es könne ihm daher nicht
zugemutet werden, auch noch eine unselbständige Nebenerwerbstätigkeit
aufzunehmen.

3.2 Wie sich aus der Anklageschrift ergibt, wurde die Ehe des
Beschwerdeführers mit Urteil vom 12. Oktober 2004 geschieden. Die beiden
Söhne wurden unter die elterliche Sorge des Beschwerdeführers und die Tochter
unter jene der Mutter gestellt. Der Beschwerdeführer wurde verpflichtet, für
den Unterhalt der Tochter monatlich Fr. 700.- (zuzüglich allfälliger
Kinderzulagen) bis zur Mündigkeit zu zahlen. Dieses Urteil erwuchs am 17.
November 2004 in Rechtskraft. Der Beschwerdeführer kam seiner Zahlungspflicht
ab Dezember 2004 bis Juli 2005 nicht nach. Das Sozialamt stellte am 20. Juli
2005 Strafantrag für den Zeitraum Dezember 2004 bis Juli 2005. Die
ausstehenden Beträge beliefen sich auf Fr. 5'600.-.

Nach den vorinstanzlichen Feststellungen war der Beschwerdeführer nicht in
der Lage, in der fraglichen Zeit die Unterhaltspflichten mit den damals
erzielten Einkünften zu erfüllen. Es wäre ihm aber möglich gewesen, zwischen
09.30 und 16.00 Uhr einer Nebenerwerbstätigkeit nachzugehen. Die in der
Scheidungskonvention geregelten Unterhaltsverpflichtungen gründeten auf einem
monatlichen Nettoeinkommen von Fr. 5'000.-. Es sei ihm aufgrund dieser
Konvention seit Ende September 2004 klar gewesen, mit welchen finanziellen
Verpflichtungen er zu rechnen habe. Es sei ihm für die verlustreiche
selbständige Tätigkeit im Tiefbau eine Frist für die Umstellung auf eine
unselbständige Tätigkeit bis März 2005 einzuräumen, da es schwierig sei, im
Winter im Baugewerbe Arbeit zu finden. Der Tatbestand sei aber für den
Zeitraum von April bis Juli 2005 erfüllt.

3.3 Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten
nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte,
wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe
bestraft (Art. 217 Abs. 1 StGB). Der Schuldner muss in einem Umfang einer
entgeltlichen Tätigkeit nachgehen, dass er seine Unterhaltspflicht erfüllen
kann. Gegebenenfalls muss er sogar seine Stelle oder seinen Beruf wechseln,
wobei diese Pflicht durch den generellen Gesichtspunkt der Zumutbarkeit
begrenzt ist. Verlangt werden kann insbesondere ein Wechsel von einer
selbständigen zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit (BGE 126 IV 131 E. 3a
und b).

Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer unmittelbar nach
Inkrafttreten des Urteils mit der mit Unterstützung eines Rechtsanwalts
ausgearbeiteten und vom Gericht genehmigten Scheidungskonvention nicht mehr
in der Lage gewesen sein sollte, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen. Dafür
finden sich im angefochtenen Urteil keine Gründe. Vielmehr wird festgestellt,
dass es ihm möglich gewesen wäre, zwischen 09.30 Uhr und 16.00 Uhr einer
Nebenerwerbstätigkeit nachzugehen, und zwar in seinem bisherigen
Tätigkeitsgebiet im Baugewerbe, allerdings jetzt in unselbständiger Stellung.
Das Bundesgericht muss hier auf den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt
abstellen (und nicht auf die Vorbringen in der kantonalen Berufungsschrift).
Dies ist abgesehen von der prozessualen Situation (Art. 105 Abs. 1 BGG) auch
deshalb gerechtfertigt, weil die kantonalen Behörden die Situation vor Ort
kennen. Der Beschwerdeführer kann nicht lediglich geltend machen, eine
"überobligatorische Erwerbstätigkeit" (Beschwerde S. 13), d.h. eine über
seine Arbeitszeit auf dem Landwirtschaftsbetrieb von 50 Stunden in der Woche
hinausgehende Erwerbstätigkeit, sei nicht zumutbar. Bei der Vorinstanz
brachte der Beschwerdeführer vor, dass seine wöchentliche Arbeitszeit
regelmässig 50 Stunden betrage und dass er mittlerweile seinen
verlustbringenden Nebenerwerb eingestellt habe, dass aber die Aufnahme einer
Nebenerwerbstätigkeit ihm nicht zuzumuten sei (angefochtenes Urteil S. 4).
Entgegen diesen Vorbringen stellt die Vorinstanz für das Bundesgericht jedoch
verbindlich fest, dass es ihm möglich gewesen wäre, anstelle des
"verlustbringenden Nebenerwerbs" einen gewinnbringenden anzustrengen und sich
entsprechend zu organisieren.

Den subjektiven Tatbestand bestreitet der Beschwerdeführer ebenfalls mit dem
reichlich abstrakten Argument, es sei ihm zu keinem Zeitpunkt bewusst
gewesen, dass die Strafbehörden von ihm eine massiv "überobligatorische
Tätigkeit" erwarteten. Er mache deshalb eventualiter nicht nur mangelnden
Vorsatz, sondern auch einen Irrtum über die Rechtswidrigkeit und einen nicht
vermeidbaren Verbotsirrtum geltend. Diese Vorbringen sind unbegründet (vgl.
auch Urteil des Kreisgerichts S. 3). Das Sozialamt hatte ihm wiederholt eine
Strafklage angedroht. Die Möglichkeit einer Verbesserung seiner
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit waren vorhanden und zumutbar. Es fehlte
ihm indessen der Wille, von den entsprechenden Möglichkeiten Gebrauch zu
machen (angefochtenes Urteil S. 5).

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen, soweit
darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang sind weder die
kantonalen Kosten anders zu verlegen noch eine Parteientschädigung zu prüfen.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, weil das
Rechtsbegehren aussichtslos erschien (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Aufgrund der
Umstände rechtfertigt es sich, auf die Erhebung von Kosten zu verzichten
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen,
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Februar 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Briw