Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.544/2007
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6B_544/2007 /rom

Urteil vom 22. November 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Favre,
Gerichtsschreiber Stohner.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Pascal Veuve,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich.

Grobe Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 2 SVG),

Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Strafkammer, vom 15. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich befand X.________ am
15. Juni 2007 zweitinstanzlich namentlich der groben Verletzung der
Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 2 SVG) für schuldig und verurteilte ihn zu
einer Geldstrafe von 21 Tagessätzen à Fr. 120.--, unter Gewährung des
bedingten Strafvollzugs bei einer Probezeit von vier Jahren, sowie zu einer
Busse von Fr. 1'000.--.

Das Gericht erwog, X.________ sei am Sonntag, den 17. April 2005, um 14.15
Uhr mit seinem Personenwagen auf der Autobahn von Zürich in Richtung
Rapperswil bei regem bis starkem Verkehrsaufkommen auf einer Strecke von rund
1,4 km mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 159 km/h gefahren und
habe somit die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 39 km/h
überschritten.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 15. Juni 2007 sei aufzuheben, und er sei
vom Vorwurf der groben Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Ziff. 2 SVG)
freizusprechen. Stattdessen sei er der einfachen Verkehrsregelverletzung
(Art. 90 Ziff. 1 SVG) schuldig zu sprechen und mit einer Busse von Fr.
1'400.-- zu bestrafen. Eventualiter sei das Verfahren zur ergänzenden
Sachverhaltsfeststellung und anschliessenden Neubeurteilung an das
erstinstanzliche Gericht zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er, seiner
Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf
Vernehmlassungen verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf die Beschwerde ist einzutreten, da sie unter Einhaltung der gesetzlichen
Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von der in ihren Anträgen
unterliegenden beschuldigten Person (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BGG)
eingereicht wurde und sich gegen einen von einer letzten kantonalen Instanz
(Art. 80 BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 und 95 BGG) in Strafsachen
(Art. 78 Abs. 1 BGG) richtet.

2.
Umstritten ist einzig das Ausmass der Geschwindigkeitsüberschreitung. Während
die Vorinstanz von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 39 km/h ausgeht,
anerkennt der Beschwerdeführer lediglich eine solche von 30 km/h. Die
Vorinstanz stützt ihren Schluss einerseits auf eine von der Polizei auf Video
aufgezeichnete Nachfahrmessung und andererseits auf ein Gutachten des
Bundesamts für Metrologie und Akkreditierung vom 29. November 2005.

2.1 Gemäss Art. 133 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung
von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr
(Verkehrszulassungsverordnung, VZV; SR 741.51) legt das Bundesamt für
Strassen (ASTRA) fest, welche Werte bei der Messung der Geschwindigkeit wegen
der Geräte- und Messunsicherheit abzuziehen sind. Gestützt hierauf hat das
Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
(UVEK) die Technischen Weisungen vom 10. August 1998 über
Geschwindigkeitskontrollen im Strassenverkehr erlassen (nachfolgend als
"UVEK-Weisung" bezeichnet).

2.2 Bei der von der Polizei im zu beurteilenden Fall durchgeführten
Geschwindigkeitskontrolle handelt es sich um eine "Nachfahrkontrolle mit
Geschwindigkeitsmessgerät, Rechner und Video" im Sinne von Ziff. 7.7 der
UVEK-Weisung, und zwar um eine "Messung bei freier Nachfahrt" nach Ziff.
7.7.6. Diese Bestimmung wiederum verlangt die Einhaltung von Ziff. 7.6.4.
Demgemäss wird bei freier Nachfahrt der arithmetische Mittelwert der
gefahrenen Geschwindigkeit über die ganze Messstrecke ermittelt. Der für die
Verzeigung oder die Ahndung mit einer Ordnungsbusse massgebliche
Geschwindigkeitswert ist die Durchschnittsgeschwindigkeit. Ziff. 7.7.6 hält
fest, am Schluss der Messung müsse der Abstand zum kontrollierten Fahrzeug
gleich oder grösser sein als bei Messbeginn. Gestützt auf Ziff. 7.3 gilt für
diese Messmethode bei einer Messstrecke von mindestens 1'000 Metern eine
Sicherheitsmarge von 8%, welche vom gemessenen Wert in Abzug zu bringen ist.
Diese Sicherheitsmarge ist technischer Natur. Sie ist notwendig, um die
Messunsicherheit eines Messgerätes zu kompensieren. Ziff. 7.4 statuiert,
massgebend für die Verzeigung oder Ahndung des Führers mit einer
Ordnungsbusse sei die ermittelte Geschwindigkeit nach Abzug der
Sicherheitsmarge nach Ziff. 7.3. Bei errechneten
Durchschnittsgeschwindigkeiten ist immer auf den nächsten ganzen km/h-Wert
abzurunden. Die Sicherheitsmargen nach Ziff. 7.3 kommen nicht zur Anwendung,
wenn der Sachverhalt mit einem für diesen Zweck zugelassenen
Videogeschwindigkeitsmessgerät ermittelt worden ist und die Messung
nachträglich nach einer zugelassenen Beweissicherungs- und Auswertungsmethode
des Bundesamts für Metrologie und Akkreditierung bearbeitet wird, bei welcher
die Sicherheitsmargen schon abgezogen werden. Als zugelassene
Beweissicherungs- und Auswertungsmethoden gelten insbesondere
Videoauswertungssysteme, die es ermöglichen, Verkehrssituationen
wahrheitsgetreu zu rekonstruieren.

2.3 Gemäss dem Messstreifen der polizeilichen Nachfahrmessung ist der
Beschwerdeführer auf einer Strecke von 1'442,4 Metern mit einer
durchschnittlichen Geschwindigkeit von 173 km/h gefahren. Unter Abzug der
Marge von 8% (13,84 km/h bzw. aufgerundet 14 km/h) resultiert eine
massgebende Durchschnittsgeschwindigkeit von 159 km/h (angefochtenes Urteil
S. 8 mit Hinweis auf die vorinstanzlichen Akten act. 3).

Erstellt ist jedoch, dass bei dieser Nachfahrkontrolle Ziff. 7.7.6 der
UVEK-Weisung, wonach der Abstand zum kontrollierten Fahrzeug am Schluss der
Messung nicht geringer sein darf als zum Zeitpunkt des Messbeginns, nicht
eingehalten worden ist: Der Polizeibeamte, welcher die Messung durchgeführt
hat, geht davon aus, der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen habe sich zu
Beginn der Messung zwischen 200 und 240 Metern und am Ende der Messung
zwischen 110 und 140 Metern bewegt (angefochtenes Urteil S. 9 mit Hinweis auf
die vorinstanzlichen Akten act. 8).

2.4 Zur Klärung, ob die teilweise Nichteinhaltung der UVEK-Weisung die
ermittelte Geschwindigkeitsüberschreitung von 39 km/h in Frage stellt, hat
der zuständige Untersuchungsrichter beim Bundesamt für Metrologie und
Akkreditierung ein Gutachten eingeholt (angefochtenes Urteil S. 7 mit Hinweis
auf die vorinstanzlichen Akten act. 16/1).

Der Gutachter hat die Videoaufnahmen der polizeilichen Nachfahrkontrolle
ausgewertet und geschlossen, die durchschnittliche Mindestgeschwindigkeit des
Fahrzeugs des Beschwerdeführers habe auf einer Strecke von ca. 1'351 Metern
164 km/h (Bildbereich 528 bis 1'253), auf einer Teilstrecke von ca. 265
Metern 156 km/h (Bildbereich 653 bis 803) und auf einer Teilstrecke von ca.
395 Metern 174 km/h (Bildbereich 953 bis 1'153) betragen. Des Weiteren hat er
festgestellt, die Nachfahrkontrolle erfülle zwar die Abstandsbedingung nicht
ausreichend, da sich der Abstand der Fahrzeuge zwischen Beginn und Ende der
Messung um 40% verringert habe. Trotz dieses Umstands sei jedoch aufgrund der
Videoauswertung erstellt, dass der Beschwerdeführer im massgeblichen
Streckenabschnitt mindestens mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 159
km/h gefahren sei (angefochtenes Urteil S. 9 mit Hinweis auf die
vorinstanzlichen Akten act. 16/3).

2.5 Vor diesem Hintergrund hat die Vorinstanz erwogen, die UVEK-Weisung sei
zwar angesichts der Verringerung des Abstands zwischen den beiden Fahrzeugen
teilweise nicht eingehalten worden. Aufgrund der Beurteilung des Gutachters
sei jedoch nachgewiesen, dass dieser Mangel die Richtigkeit des bei der
Nachfahrkontrolle ermittelten Durchschnittsgeschwindigkeitswerts von 159 km/h
nicht in Frage stelle (angefochtenes Urteil S. 9).

2.6 Der Beschwerdeführer macht geltend, diese Schlussfolgerung der Vorinstanz
beruhe auf einer willkürlichen Beweiswürdigung und verletze damit Art. 9 BV.
Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung werde die
Fehlerhaftigkeit der Nachfahrkontrolle durch die Ausführungen des Gutachters
nicht behoben, denn diese seien in weiten Teilen nicht nachvollziehbar. Die
Vorinstanz habe sich insoweit jedoch mit seinen Einwänden überhaupt nicht
auseinandergesetzt und hierdurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss
Art. 29 Abs. 2 BV missachtet.

Der Beschwerdeführer präzisiert, die Verringerung des Abstands zwischen dem
polizeilichen Messfahrzeug und seinem Wagen habe zwangsläufig zu einer
Verzerrung der Grössenverhältnisse seines Autos auf den Videoaufnahmen
geführt. Ob der Gutachter diesem Umstand Rechnung getragen habe, sei jedoch
nicht ersichtlich. Des Weiteren werde im Gutachten in Bezug auf die
Geschwindigkeit nicht auf den Minimal-, sondern auf den Mittelwert
abgestellt, was gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" verstosse. Überdies
habe der Gutachter von der errechneten durchschnittlichen
Mindestgeschwindigkeit fälschlicherweise und ohne Begründung die
vorgeschriebene Sicherheitsmarge von 8% nicht in Abzug gebracht.

Im Ergebnis schliesst der Beschwerdeführer, es müsse entweder in Anwendung
der Beweiswürdigungsregel "in dubio pro reo" zu seinen Gunsten von der von
ihm zugestandenen Geschwindigkeitsüberschreitung von 30 km/h ausgegangen oder
aber ein Obergutachten eingeholt werden, welches sich mit den genannten
Ungereimtheiten näher befasse.

2.7 Die UVEK-Weisung beansprucht für Fälle gerichtlicher Würdigung von
Nachfahrkontrollen keine absolute Geltung und lässt die freie Beweiswürdigung
durch die Gerichte unberührt (Ziff. 13 der UVEK-Weisung; vgl. auch Urteil des
Bundesgerichts 1P.305/2006 vom 25. September 2006, E. 5.2). Die teilweise
Nichteinhaltung der UVEK-Weisung führt damit nicht zwingend zur
Unbeachtlichkeit der Messergebnisse. Werden diese durch ein schlüssiges
Gutachten bestätigt, kann hierauf abgestellt werden.

Auch Gutachten unterliegen der freien richterlichen Beweiswürdigung. In
Fachfragen darf das Gericht jedoch nur aus triftigen Gründen von einer
gerichtlichen Expertise abweichen. Die Beweiswürdigung und die Beantwortung
der sich stellenden Rechtsfragen ist Aufgabe des Gerichts. Dieses hat zu
prüfen, ob sich auf Grund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der
Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen
Darlegungen aufdrängen. Erscheint ihm die Schlüssigkeit eines Gutachtens in
wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat es nötigenfalls ergänzende Beweise zur
Klärung dieser Zweifel zu erheben. Das Abstellen auf eine nicht schlüssige
Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen
kann gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen
(BGE 130 I 337 E. 5.4.2; 128 I 81 E. 2).

2.8 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ergibt sich aus den
Ausführungen im Gutachten, wonach die Videoauswertung die Abstandsbedingung
nicht erfülle, da das Polizeifahrzeug am Ende der Messung den um ca. 40%
näheren Abstand zu seinem Wagen aufgewiesen habe als zu Messbeginn, dass der
Gutachter dieser Verringerung des Abstands Rechnung getragen hat.

Des Weiteren folgt, wie dargelegt, aus Ziff. 7.6.4 der UVEK-Weisung, dass bei
freier Nachfahrt der arithmetische Mittelwert der gefahrenen Geschwindigkeit
über die ganze Strecke zu ermitteln ist und die Durchschnittsgeschwindigkeit
für die Verzeigung oder die Ahndung mit einer Ordnungsbusse massgeblich ist.
Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers begründet das Abstellen auf den
mittleren Geschwindigkeitswert daher keinen Verstoss gegen den Grundsatz "in
dubio pro reo".

Zudem basiert das Gutachten des Bundesamts für Metrologie und Akkreditierung
auf einer nach Ziff. 7.4 Abs. 2 der UVEK-Weisung zugelassenen
Beweissicherungs- und Auswertungsmethode, welche die Sicherheitsmargen
berücksichtigt. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist die Marge von
8% gemäss Ziff. 7.3 der UVEK-Weisung folglich nicht (noch zusätzlich) in
Abzug zu bringen.

2.9 Die Vorinstanz ist auf die entscheidrelevanten Vorbringen des
Beschwerdeführers eingegangen und hat eingehend begründet, weshalb sie auf
die Schlussfolgerungen des Gutachters abgestellt hat. Eine Verletzung des
Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör liegt somit nicht vor.
Ebensowenig ist die Vorinstanz nach dem Gesagten in Willkür verfallen, indem
sie eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 39 km/h als nachgewiesen
eingestuft hat.

3.
Die Beschwerde ist deshalb vollumfänglich abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Mit dem Entscheid in der Sache wird das
Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Oberstaatsanwaltschaft des
Kantons Zürich, dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, und der
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Strassenverkehrsamt, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. November 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: