Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.513/2007
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6B_513/2007

Urteil vom 11. Januar 2008
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiberin Binz.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Glaus,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Strafzumessung (mehrfache, evtl. einfache qualifizierte Vergewaltigung usw.),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer,
vom 19. Juni 2007.
Sachverhalt:

A.
Mit Entscheid vom 29. April / 31. Mai 2005 bestrafte das Kreisgericht St.
Gallen X.________ wegen sexueller Nötigung, versuchter Vergewaltigung sowie
Raubes mit einer Zuchthausstrafe von 2 3/4 Jahren.
Auf Berufung von X.________ bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen,
Strafkammer, am 19. Juni 2007 diesen Entscheid im Schuldpunkt und sprach eine
Freiheitsstrafe von 2 3/4 Jahren aus, wobei es 9 Monate als vollziehbar
erklärte und für 24 Monate den Vollzug bei einer Probezeit von 2 Jahren
aufschob.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, diesen Entscheid
aufzuheben. Er sei zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren zu
verurteilen. Eventuell sei eine Freiheitsstrafe von 2 1/2 Jahren
auszusprechen, wobei für die Dauer von 6 Monaten die Strafe zu vollziehen und
für die restliche Dauer von 24 Monaten der bedingte Strafvollzug zu gewähren
sei. Zudem ersucht X.________ um unentgeltliche Rechtspflege.

C.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde richtet sich ausschliesslich gegen die Strafzumessung. Die
Vorinstanz hat diese in Anwendung von Art. 2 Abs. 2 StGB nach neuem Recht
vorgenommen, was zutreffend und auch nicht angefochten ist.

2. Der auf den 1. Januar 2007 in Kraft getretene Allgemeine Teil des
Strafgesetzbuches hat die bisherigen Strafzumessungsgrundsätze in Art. 47
Abs. 1 StGB beibehalten. Danach misst der Richter die Strafe nach dem
Verschulden des Täters zu. Er berücksichtigt das Vorleben, die persönlichen
Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Schuldigen. Die
Bewertung des Verschuldens wird in Abs. 2 dahingehend präzisiert, dass dieses
nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts,
nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters
sowie danach bestimmt wird, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren
Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden. Es
liegt im Ermessen des kantonalen Richters, in welchem Umfang er die
verschiedenen Strafzumessungsfaktoren berücksichtigt. Die strafrechtliche
Abteilung greift auf Beschwerde in Strafsachen hin nur in die Strafzumessung
ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder
unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien
ausgegangen ist oder wenn sie wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen
bzw. (in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens) falsch gewichtet hat
(zum bisherigen Recht: BGE 129 IV 6 E. 6.1 S. 20 f.; 127 IV 101 E. 2c S. 104;
124 IV 286 E. 4a S. 295, je mit Hinweisen).
Nach Art. 50 StGB hat der Richter, sofern er sein Urteil zu begründen hat,
die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung
festzuhalten. Diese nunmehr gesetzlich festgeschriebene Begründungspflicht
entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts zum bisherigen Recht, wonach
der Richter die Überlegungen, die er bei der Bemessung der Strafe vorgenommen
hat, in den Grundzügen wiedergeben muss, so dass die Strafzumessung
nachvollziehbar ist. Besonders hohe Anforderungen an die Begründung der
Strafzumessung werden unter anderem gestellt, wenn die ausgesprochene Strafe
ungewöhnlich hoch oder auffallend milde ist (BGE 127 IV 101 E. 2c S. 104 f.;
121 IV 49 E. 2a/aa S. 56; 120 IV 136 E. 3a S. 143; BGE 118 IV 337 E. 2a S.
338 f., je mit Hinweisen).

2.1 Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die Vorinstanz habe das
Strafzumessungskriterium der besonderen Strafempfindlichkeit nicht
berücksichtigt. Er sei in erhöhtem Masse strafempfindlich. Insbesondere
aufgrund seiner HIV-Infektion werde er vom Vollzug einer Freiheitsstrafe
härter getroffen als ein gesunder Mensch. Zudem habe er während der
Untersuchungshaft seine Arbeitsstelle, seine Wohnung und seine Ehefrau
verloren. Heute wohne er bei seiner Mutter. Er sorge als Familienvater für
seine Kinder und sei für diese eine wichtige Bezugsperson. Diese starke
familiäre Bindung sei bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.
Wenn die Vorinstanz die HIV-Infektion und das private Umfeld des Angeklagten
bei der Strafzumessung nicht erwähnt, bedeutet dies, dass sie diesen
Umständen keine wesentliche Bedeutung zumass, was nicht zu beanstanden ist.
Der Beschwerdeführer legt nicht näher dar, inwieweit er durch seine Krankheit
übermässig beeinträchtigt ist, den von der Vorinstanz angeordneten
neunmonatigen Strafvollzug zu überstehen. Namentlich wird nicht begründet,
weshalb eine Therapie während der fraglichen Zeit ausgeschlossen sein soll.
Was die geltend gemachte familiäre Beeinträchtigung betrifft, so geht diese
nicht in aussergewöhnlichem Masse über die mit einem Strafvollzug verbundene
Einschränkung hinaus. Die Rüge ist unbegründet.

2.2 Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, die lange Verfahrensdauer müsse
sich stärker strafmindernd auswirken. Bereits das Kreisgericht habe die
Strafe wegen der "gut zweijährigen nicht dem Angeschuldigten zurechenbaren
Verfahrensverzögerung" gemindert. Die zweite Instanz hätte die nochmals
zweijährige Dauer bis zur Berufungsverhandlung bei der Strafzumessung
zusätzlich berücksichtigen müssen.
Der Beschwerdeführer räumt selber ein, die lange Verfahrensdauer im
Berufungsverfahren sei teilweise wegen seiner Krankheit eingetreten. Die
damit verbundene Verzögerung ist nicht dem Beschwerdeführer anzulasten, sie
ist aber auch nicht vom Gericht zu verantworten. Eine weitergehende
Strafminderung ist deshalb nicht angezeigt. Wenn zudem geltend gemacht wird,
zur Verzögerung habe vor allem die nachträglich zurückgezogene
Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft beigetragen, "weil lange nicht ganz
klar war, ob eine Konfrontation zwischen dem Angeschuldigten und Frau
A.________ zustande kommen würde", so wird nicht dargetan, inwiefern das
Gericht seiner Pflicht zur beförderlichen Behandlung nicht nachgekommen ist.
Die Rüge ist nicht begründet.

2.3 Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist die ausgefällte
Freiheitsstrafe von 2 3/4 Jahren nicht zu beanstanden. Wenn die Vorinstanz
das Verschulden als schwer einstuft, weil der Beschwerdeführer sein Opfer
während mehreren Stunden sexuell genötigt und zu vergewaltigen versucht habe,
und deshalb eine Einsatzstrafe von drei Jahren als angebracht erachtet, hat
sie ihr Ermessen angesichts des zur Verfügung stehenden Strafrahmens nicht
überschritten.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe es unterlassen,
die Gründe für den Vollzug von 9 Monaten Freiheitsstrafe im Urteil
wiederzugeben. Damit sei sie weder ihrer gesetzlichen Begründungspflicht nach
Art. 50 in Verbindung mit Art. 43 StGB noch derjenigen der Praxis des
Bundesgerichtes nachgekommen. Indem der Gesetzgeber bei der teilbedingten
Strafe den zu vollziehenden Teil auf mindestens 6 Monate festgelegt habe, sei
dem zentralen Anliegen der Revision Rechnung getragen worden, kurze
Freiheitsstrafen zurückzudrängen. Angesichts der Erkenntnis, dass kurze
Freiheitsstrafen eher schaden als nützen, sei eine teilbedingte
Freiheitsstrafe bzw. ein zu vollziehender Teil von 9 Monaten in dieser
konkreten Konstellation nicht sinnvoll. Für den Fall, dass es bei der
vorinstanzlichen Strafe bleibe, sei deshalb der unbedingte Teil der
Freiheitsstrafe auf 6 Monate festzusetzen.

3.2 Wenn das Gericht auf eine teilbedingte Strafe erkennt, hat es im
Zeitpunkt des Urteils den aufgeschobenen und den zu vollziehenden Strafteil
festzusetzen und die beiden Teile in ein angemessenes Verhältnis zu bringen.
Nach Art. 43 StGB muss der unbedingt vollziehbare Teil mindestens sechs
Monate betragen (Abs. 3), darf aber die Hälfte der Strafe nicht übersteigen
(Abs. 2). Im äussersten Fall (Freiheitsstrafe von drei Jahren) kann das
Gericht demnach Strafteile im Ausmass von sechs Monaten Freiheitsstrafe
unbedingt mit zweieinhalb Jahren bedingt verbinden. Innerhalb des
gesetzlichen Rahmens liegt die Festsetzung im pflichtgemässen Ermessen des
Gerichts. Als Bemessungsregel ist das "Verschulden" zu beachten, dem in
genügender Weise Rechnung zu tragen ist (Art. 43 Abs. 1 StGB). Das Verhältnis
der Strafteile ist so festzusetzen, dass darin die Wahrscheinlichkeit der
Legalbewährung des Täters einerseits und dessen Einzeltatschuld anderseits
hinreichend zum Ausdruck kommen. Je günstiger die Prognose und je kleiner die
Vorwerfbarkeit der Tat, desto grösser muss der auf Bewährung ausgesetzte
Strafteil sein. Der unbedingte Strafteil darf dabei das unter
Verschuldensgesichtspunkten (Art. 47 StGB) gebotene Mass nicht unterschreiten
(Urteil 6B_103/2007 vom 12. November 2007 E. 5.6, zur Publikation bestimmt).

3.3 Es trifft zu, dass die Vorinstanz das Verhältnis des aufgeschobenen zum
vollziehenden Strafteil nicht begründet hat. In diesem Sinne ist das Urteil
mangelhaft. Immerhin ergibt sich aus den Erwägungen zur Strafzumessung, dass
das Gericht von einem schweren Verschulden ausgeht. Zudem erwähnt die
Vorinstanz die verschiedenen Vorstrafen des Beschwerdeführers. Diese fallen
allerdings kaum mehr ins Gewicht, da sie schon zwanzig Jahre und mehr
zurückliegen, worauf auch das Kreisgericht in seinem Urteil zu Recht
hinweist. Im Übrigen wird dem Beschwerdeführer nichts vorgeworfen, was seine
Legalbewährung beeinträchtigen würde. Unter diesen Voraussetzungen erscheint
es als durchaus angemessen, von der ausgefällten Freiheitsstrafe von 2 3/4
Jahren einen (nicht erheblich über dem Minimum liegenden) Anteil von 9
Monaten zu vollziehen. Da sich das vorinstanzliche Urteil somit im Ergebnis
als gerechtfertigt erweist, kann entsprechend der Rechtsprechung zur
Begründung der Strafzumessung auf dessen Aufhebung verzichtet werden (BGE 127
IV 101 E. 2c S. 104; 124 IV 286 E. 4a S. 295; 123 IV 49 E. 2a S. 51; 122 IV
241 E. 1a S. 243, je mit Hinweisen).

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind
die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da
die Rechtsbegehren von vornherein aussichtslos waren, ist sein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Entgegen
der Auffassung des Beschwerdeführers spielte die Frage des teilbedingten
Strafvollzugs eine bloss untergeordnete Rolle, weshalb sein Hinweis auf die
fehlende Rechtsprechung unbehelflich ist. Seiner finanziellen Lage ist mit
einer herabgesetzten Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen,
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Januar 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Schneider Binz