Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.512/2007
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6B_512/2007 /rom

Urteil vom 17. Oktober 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Favre,
Gerichtsschreiber Thommen.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Nicolai Fullin,

gegen

A.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern.

Einstellung des Verfahrens,

Beschwerde in Strafsachen gegen den Beschluss der Anklagekammer des
Obergerichts des Kantons Bern vom 7. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 17. Februar 2007 um die Mittagszeit fuhr X.________ zum zweiten Mal an
jenem Tag zusammen mit ihrer 10-jährigen Tochter auf einem Schlitten einen
Schlittelweg hinunter. Auf einer längeren steilen Geraden erreichte sie ein
derart hohes Tempo, dass sie nicht mehr rechtzeitig vor einer engen
Rechtskurve abbremsen konnte. Es gelang ihr noch, ihre Tochter vom Schlitten
zu stossen, bevor sie die Kurve verpasste und einen Abhang hinunter stürzte.
Dabei zog sie sich Verletzungen an der Wirbelsäule sowie diverse Prellungen
zu.

B.
Nach polizeilichen Ermittlungen gegen die Betreiberin des Schlittelwegs, die
A.________ AG, beschloss das Untersuchungsrichteramt IV Berner Oberland mit
Zustimmung der Staatsanwaltschaft IV Berner Oberland am 27. März 2007,
"mangels strafbarer Handlungen" auf die Eröffnung einer Strafverfolgung zu
verzichten. Einen dagegen erhobenen Rekurs wies die Anklagekammer des
Obergerichts des Kantons Bern mit Beschluss vom 7. August 2007 ab.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen, mit der sie die Aufhebung des
obergerichtlichen Beschlusses und die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege verlangt. Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Opfer ist zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert, wenn es bereits vor
der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat und sich der angefochtene
Entscheid auf die Beurteilung seiner Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81
Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 5 BGG). Die Beschwerdeführerin ist zweifellos
Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG. Sie hat sich am kantonalen Verfahren
beteiligt und ist deshalb zur Anfechtung des kantonalen Endentscheids
berechtigt, mit dem eine sie betreffende Strafverfolgung definitiv nicht
eröffnet wurde.

2.
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und
interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

2.1 Das Bundesgericht ist nicht an die Begründung der Beschwerde oder des
angefochtenen Urteils gebunden. Dennoch haben Eingaben den
Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG zu genügen, wonach in
gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern der angefochtene Akt Recht
verletzt. Auf offensichtlich nicht hinreichend begründete Beschwerden ist
nicht einzutreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Die Feststellung des
Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Für die Rüge der Verletzung kantonalen Rechts sowie der
offensichtlich unrichtigen und damit im Sinne von Art. 9 BV willkürlichen
Sachverhaltsfeststellung gelten ebenso strenge Substanziierungspflichten wie
unter altem Verfahrensrecht für die staatsrechtliche Beschwerde (Art. 106
Abs. 2 BGG; vgl. zur amtlichen Publikation vorgesehenes Bundesgerichtsurteil
6B_178/2007 vom 23. Juli 2007, E. 1).

2.2 Diesen Begründungsanforderungen genügt die Beschwerdeschrift über weite
Strecken nicht. Die Beschwerdeführerin macht zusammenfassend geltend, dass
die Vorinstanz verschiedene Bestimmungen der Richtlinien der Schweizerischen
Kommission für Unfallverhütung auf Schneesportabfahrten (SKUS) sowie der
Richtlinien der Seilbahnen Schweiz über die Verkehrssicherungspflicht für
Schneesportabfahrten (SBS) unrichtig angewendet habe und damit der
Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt und Bundesrecht verletzt
worden sei.

2.2.1 Mit ihren tatsächlichen Einwendungen gegen das angefochtene Urteil
betreffend ihre Fahrweise, die Signalisierung der Kurve, die Beschaffenheit
ihres Schlittens und ihres Schuhwerks legt die Beschwerdeführerin lediglich
ihre eigene Sichtweise des Unfallgeschehens dar und verfällt damit in rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil. Insoweit ist auf die
Beschwerde nicht einzutreten.

2.2.2 Soweit die Beschwerdeführerin das angefochtene Urteil in rechtlicher
Hinsicht beanstandet, versäumt sie es, eine bestimmte Norm des Bundesrechts
als verletzt anzurufen. Bei den angeblich unrichtig angewendeten Richtlinien
handelt es sich nicht um Bestimmungen des schweizerischen Rechts, deren
Verletzung als Beschwerdegrund im Sinne von Art. 95 BGG vorgebracht werden
kann. Aus dem Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin gegen den kantonal
letztinstanzlich bestätigten Nichtanhandnahmebeschluss wendet, kann jedoch
geschlossen werden, dass sie diese Nichteröffnung der Strafuntersuchung für
bundesrechtswidrig hält.

2.2.3 Die Voraussetzungen der Nichteröffnung einer gerichtlichen
Strafverfolgung sind in Art. 228 des Gesetzes vom 15. März 1995 über das
Strafverfahren des Kantons Bern (StrV/BE; BSG 321.1) geregelt. Danach
beantragt die Untersuchungsbehörde bei der Staatsanwaltschaft, die
Strafverfolgung nicht zu eröffnen, wenn die Ermittlungen ergeben haben, dass
eine strafrechtlich verfolgbare Tat nicht vorliegt oder Art. 4 StrV/BE
(Opportunitätsprinzip; vgl. Thomas Maurer, Das Bernische Strafverfahren,
2. Aufl., Bern 2003, S. 22) Anwendung findet. Der Antrag ist kurz zu
begründen. Stimmt die Staatsanwaltschaft dem Antrag auf Nichteröffnung zu,
ist dieser zum Beschluss erhoben (Art. 229 StrV/BE).

2.2.4 Da es sich bei diesen strafprozessualen Bestimmungen nicht um
Bundesrecht im Sinne von Art. 95 BGG, sondern um kantonales
Strafverfahrensrecht handelt, könnte mit der Beschwerde in Strafsachen
lediglich deren willkürliche Anwendung vorgebracht werden. Eine solche Rüge
ist der vorliegenden Beschwerde weder explizit noch implizit zu entnehmen. Ob
diese Begründungsmängel für sich bereits ein Nichteintreten rechtfertigten,
kann offen bleiben, da sich die Bestätigung der Nichteröffnung durch die
Vorinstanz als bundesrechtskonform erweist.

2.2.5 Das Untersuchungsrichteramt begründete die Nichteröffnung der
Strafverfolgung im Wesentlichen mit dem fehlenden Nachweis einer
Dritteinwirkung auf das Unfallgeschehen, der ausreichenden Signalisierung der
Rechtskurve durch die Betreiberin und der infolge eines Fahrfehlers
verlorenen Kontrolle über den Schlitten. Es liege somit ein Selbstunfall ohne
Drittverschulden vor (vgl. untersuchungsrichterlichen Antrag vom 26. März
2007). Die Staatsanwaltschaft IV Berner Oberland ist dieser Einschätzung
gefolgt (vgl. deren Zustimmung vom 27. März 2007). Die Vorinstanz kommt unter
Verweis auf die Rekurseingabe des stellvertretenden Generalprokurators zum
Schluss, dass die Betreiberin mangels Vorliegen einer atypischen
Gefahrensituation keine erhöhte Pistensicherungspflicht (zusätzliche
Signalisation, Auffangnetze etc.) traf. Die Sicherungspflichten der Betreiber
würden ferner durch die Selbstverantwortung der Pistenbenutzer beschränkt.
Wer sich zum Schneesport entschliesse, habe grundsätzlich auch dessen
inhärente Gefahren zu tragen. Die Vorinstanz räumt ein, dass die
Signalisierung nicht vor, sondern erst in der Kurve selbst angebracht wurde,
doch hätte ein vorsichtiger und vorausschauender Benutzer bei den
herrschenden (guten) Witterungs- und Schneeverhältnissen die Rechtskurve ohne
Weiteres erkennen können. Schliesslich seien weder das getragene Schuhwerk
noch der verwendete Schlitten für das Schlitteln besonders geeignet gewesen.

2.2.6 Soweit die Beschwerde in Bezug auf die angefochtene Nichteröffnung der
Strafverfolgung überhaupt ausreichend begründet ist, geht daraus nicht
hervor, inwiefern es angesichts der örtlichen Gegebenheiten, den
Materialdefiziten und den festgestellten Fahrfehlern absolut unhaltbar
gewesen sein soll, das Unfallgeschehen dem Selbstverschulden der
Beschwerdeführerin zuzuschreiben und deshalb von einer Strafverfolgung der
Betreiberin abzusehen. Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrem Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung kann infolge Aussichtslosigkeit der Begehren nicht
stattgegeben werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Ihren finanziellen
Verhältnissen ist bei der Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Generalprokurator des Kantons Bern und
der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Oktober 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: