Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.508/2007
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6B_508/2007/bri

Urteil vom 18. Februar 2008
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Favre, Zünd,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verein X._________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Y._________,

gegen

Verhöramt des Kantons Nidwalden, Kreuzstrasse 2, 6371 Stans,
Beschwerdegegner.

Rechtsverweigerung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden,
Kassationsabteilung, vom 16. August 2007.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 4. September 2006 erstattete Y._________ als Vertreter des Vereins
X._________ beim Verhöramt Nidwalden Strafanzeige gegen einen Landwirt wegen
Verstössen gegen das Tierschutzgesetz. Er verlangte dabei die Zustellung
einer Kopie des Endentscheids bzw. eine Einladung zu einer allfälligen
öffentlichen Gerichtsverhandlung unter Hinweis auf das Öffentlichkeitsgebot.
Das Verfahren wurde am 8. November 2006 mit Strafbefehl rechtskräftig
abgeschlossen. Eine Kopie des Strafbefehls wurde Y._________ nicht
zugestellt. Auf entsprechende Nachfrage per Email hin teilte ihm das
Verhöramt am 9. Mai 2007 mit, dass das Verfahren schon seit längerer Zeit
abgeschlossen sei. Da er lediglich Anzeigesteller und nicht Strafkläger
gewesen sei, stünden ihm allerdings keine Parteirechte zu. Über den
Verfahrensausgang dürfe man ihn daher nicht näher orientieren, ansonsten man
das Amtsgeheimnis verletzen würde. Die dagegen erhobene Beschwerde des
Y._________ wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs bzw. Rechtsverweigerung
wies das Obergericht des Kantons Nidwalden am 16. August 2007 ab.

Y. _________ wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht
mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben.

Das Obergericht und das Verhöramt des Kantons Nidwalden haben am 29. Oktober
bzw. 12. November 2007 auf eine Stellungnahme verzichtet.

2.
Der Grundsatz der öffentlichen Urteilsverkündung ist in Art. 30 Abs. 3 BV,
Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II verankert. Er gilt für
alle Entscheide über strafrechtliche Anklagen und damit auch für solche, die
in einem (abgekürzten) Strafbefehlsverfahren ergangen sind. Dem Anspruch wird
Genüge getan, wenn das Strafurteil bzw. der ausgefällte Strafbescheid bei
einer der Öffentlichkeit zugänglichen Kanzlei aufgelegt wird, wo jedermann,
der ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen kann, den vollständigen Text
des Urteils einsehen oder sich gegen eine allfällige Gebühr eine Kopie
erstellen lassen kann; weitergehende Ansprüche - insbesondere auf Zustellung
einer Kopie - bestehen dagegen nicht (BGE 124 IV 234 mit Hinweisen).
Wie sich aus den kantonalen Akten ergibt, verlangte der Beschwerdeführer vom
Verhöramt stets nur die Zustellung einer Kopie des Endentscheids, obschon er
wusste, dass die verfassungs- und konventionsrechtlichen Garantien die
Gerichte nach der geschilderten Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht dazu
verpflichten, den Strafanzeigern Strafbefehlskopien zuzustellen (vgl. das den
Beschwerdeführer betreffende Urteil des Bundesgerichts 1P.298/2006 vom 1.
September 2006). Um die Möglichkeit der Einsichtnahme hat er dagegen nicht
nachgesucht. Das Obergericht verkennt indessen die Tragweite des
dargestellten Grundsatzes, wenn es im angefochtenen Entscheid davon ausgeht,
das Verhöramt habe - soweit ersichtlich - zu keiner Zeit gegen eine
Einsichtnahme des Beschwerdeführers in den Strafbefehl auf der Kanzlei
opponiert. Wie bereits festgehalten wurde, teilte das Verhöramt dem
Beschwerdeführer auf Nachfrage hin mit, es könne ihn wegen des
Amtsgeheimnisses nicht näher über den Verfahrensausgang orientieren. Diese
Aussage kann nicht anders verstanden werden, als dass dem Beschwerdeführer
damit aus unzutreffenden Gründen das Recht verweigert wurde, in den
fraglichen Strafbefehl Einsicht zu nehmen. Die Möglichkeit der Einsichtnahme
bildet aber unabdingbarer Bestandteil des Anspruchs auf Kenntnisnahme des
Urteils bzw. des Strafbefehls. Indem das Obergericht den Entscheid des
Verhöramts unbesehen schützte, hat es den Grundsatz der öffentlichen
Urteilsverkündung verletzt. Die Beschwerde erweist sich daher in diesem Punkt
als begründet. Auf die Rüge der Verletzung des Grundsatzes von Treu und
Glauben muss damit nicht mehr eingegangen werden.

3.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV umfasst das
Recht, von jeder dem Gericht eingereichten Stellungnahme Kenntnis zu nehmen
und sich dazu äussern zu können, unabhängig davon, ob die Stellungnahme neue
Tatsachen oder Argumente enthält und ob sie das Gericht tatsächlich zu
beeinflussen vermag. Das auf Art. 29 Abs. 2 BV gestützte Replikrecht gilt für
alle gerichtlichen Verfahren (BGE 133 I 100).

Der Beschwerdeführer bezieht sich auf Art. 29 Abs. 2 BV und rügt, die
Stellungnahme des Verhöramts vom 31. Mai 2007 sei ihm nicht zur Kenntnisnahme
zugestellt worden. Dieses Versäumnis wird von der Vorinstanz nicht in Abrede
gestellt. Und aus den Akten ergibt sich nicht, dass die fragliche
Stellungnahme dem Beschwerdeführer zugestellt worden wäre. Die Beschwerde ist
deshalb auch in diesem Punkt begründet.

4.
Damit ist die Beschwerde im Verfahren nach Art. 109 BGG gutzuheissen, der
angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Da der Beschwerdeführer obsiegt, sind ihm für das
bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten aufzuerlegen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons
Nidwalden, Kassationsabteilung, vom 16. August 2007 aufgehoben und die Sache
zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden,
Kassationsabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Februar 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Schneider Arquint Hill