Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.490/2007
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6B_490/2007 /hum

Urteil vom 11. Februar 2008
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Briw.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Sylvain Maurice Dreifuss,

gegen

Statthalteramt des Bezirkes Dielsdorf, Geissackerstrasse 24, 8157 Dielsdorf,
Beschwerdegegner.

Kosten- und Entschädigungseinsprache
(Einstellung des Verfahrens),

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, vom 4. Juli 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 25. August 2006 wurde bei der Kantonspolizei St. Gallen ein Strafantrag
gegen Unbekannt wegen geringfügigen Betrugs (Art. 146 i.V.m. Art. 172ter
StGB) gestellt, wobei X.________ der Tat dringend verdächtigt wurde. Nach dem
Polizeirapport hatte der Strafantragsteller versehentlich anstelle der
Gratisnummer seines Mobiltelefonanbieters eine (ähnliche) gebührenpflichtige
Nummer angerufen und war dabei nicht auf seinen Irrtum aufmerksam gemacht
worden. Dadurch seien dem Betreiber dieser Telefonnummer Gebühren von
Fr. 219.33 zugeflossen. Die Kantonspolizei Zürich ermittelte in dieser Sache
rechtshilfeweise ab dem 4. September 2006 und befragte X.________ am
27. September 2006, wobei dieser die Aussage verweigerte und angab,
allenfalls bei der Untersuchungsbehörde zu einem späteren Zeitpunkt zur Sache
auszusagen. Eine zweite Befragung durch die Polizei lehnte er ab.

Nach Einvernahme in Anwesenheit seines Verteidigers stellte das
Statthalteramt Dielsdorf die Untersuchung mit Verfügung vom 1. März 2007 ein,
nahm die Kosten auf die Staatskasse und richtete keine Entschädigung aus, "da
keine erheblichen Kosten und Umtriebe erwachsen sind". Der Statthalter
begründete die Einstellung damit, dass kein rechtsgenügliches Verschulden
nachgewiesen werden könne. Da es sich sowohl in rechtlicher als auch in
tatsächlicher Hinsicht um einen absolut unkomplizierten Fall handle, seien
die Anwaltskosten nicht zu vergüten. In den vergangenen Jahren seien mehrere
Strafverfahren gegen X.________ angehoben worden. Das polizeiliche
Ermittlungsverfahren sei ihm bekannt gewesen. Der Beizug eines
Rechtsvertreters wegen einer polizeilichen Vorladung zu einer Einvernahme
erscheine als Überreaktion und unverhältnismässig. Nach der
bundesgerichtlichen Praxis ergebe sich in Bagatellstrafsachen ein Anspruch
auf Kostenersatz nur, wenn die Einschaltung eines Anwalts aus objektiv
begründetem Anlass geboten gewesen wäre (mit Hinweis auf BGE 110 Ia 156 E.
1b).

B.
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirks Dielsdorf bestätigte mit Urteil
vom 27. April 2007 die Einstellungsverfügung.

Das Obergericht des Kantons Zürich wies mit Beschluss vom 4. Juli 2007 den
Rekurs ab.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt:
1.Es seien Ziff. 1 und 2 des Dispositivs des angefochtenen Beschlusses
aufzuheben.

2. Es seien die Akten von Amtes wegen beizuziehen.

3. Es sei dem ehemals beschuldigten Beschwerdeführer für die
Strafuntersuchung vor dem Statthalteramt Dielsdorf/ZH eine angemessene
Entschädigung von mindestens CHF 1'500.- aus der Staatskasse des Kantons
Zürich auszurichten.

4. Es seien die Kosten des Verfahrens GA070010 vor dem Einzelrichter des
Bezirksgerichts Dielsdorf/ZH (Urteil vom 27. April 2007) zur Beurteilung der
Entschädigungsfrage auf die Staatskasse des Kantons Zürich zu nehmen und dem
ehemals beschuldigten Beschwerdeführer eine angemessene Entschädigung für
dieses Verfahren von mindestens CHF 1'600.- auszurichten.

5. Es seien die Kosten des angefochtenen Beschlusses des Obergerichts des
Kantons Zürich auf die Staatskasse des Kantons Zürich zu nehmen und dem
ehemals beschuldigten Beschwerdeführer für das Rekursverfahren eine
angemessene Entschädigung von mindestens CHF 1'500.- auszurichten.

6. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Kantons Zürich.

Erwägungen:

1.
Strafrechtliche Beschwerde kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f.
BGG erhoben werden. Ausserhalb des Anwendungsbereichs von Art. 95 lit. c bis
e BGG bilden Verletzungen des kantonalen Rechts einen zulässigen
Beschwerdegrund, wenn sie einen Verstoss gegen Bundesrecht einschliesslich
des Verfassungsrechts oder gegen Völkerrecht darstellen (Art. 95 lit. a und b
BGG; vgl. BGE 133 II 249 E. 1.2.1). Die Anwendung des kantonalen Rechts prüft
das Bundesgericht auf Willkür hin (Art. 9 BV). Es hebt einen Entscheid auf,
wenn er schlechterdings unhaltbar ist, d.h. mit der tatsächlichen Situation
in klarem Widerspruch steht, auf einem offenkundigen Versehen beruht oder
sich sachlich in keiner Weise rechtfertigen lässt (BGE 133 III 589 E. 4.1;
131 I 217 E. 2.1, 467 E. 3.1).

Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen
(Art. 80 BGG). Verfahrensabschliessender Entscheid ist der angefochtene
Beschluss. Auf die Kritik an Einstellungsverfügung und Urteil des
Einzelrichters ist nicht einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer rügt, die Entschädigungsverweigerung verletze Art. 9 BV
i.V.m. § 340 Abs. 3 und § 43 des Gesetzes betreffend den Strafprozess des
Kantons Zürich (StPO/ZH).

2.1 Gemäss § 340 Abs. 3 StPO/ZH finden auf die Einstellungsverfügung
insbesondere § 42 über die Kostentragung und § 43 über die Entschädigung
Anwendung. Eine willkürliche Anwendung von § 340 Abs. 3 StPO/ZH ist nicht
ersichtlich.

2.2 Gemäss § 42 Abs. 1 StPO/ZH werden die Kosten einer eingestellten
Untersuchung (grundsätzlich) von der Staatskasse getragen. In diesem Fall ist
gemäss § 43 StPO/ZH darüber zu entscheiden, ob dem Angeklagten eine
Entschädigung für die durch die Untersuchung verursachten Kosten und Umtriebe
sowie eine Genugtuung auszurichten ist (Abs. 1). Ein Angeschuldigter, dem
wesentliche Kosten und Umtriebe erwachsen sind, hat Anspruch auf
Entschädigung (Abs. 2). Ist er durch das Verfahren in seinen persönlichen
Verhältnissen schwer verletzt worden, hat er Anspruch auf Ausrichtung einer
angemessenen Geldsumme als Genugtuung (Abs. 2).

2.3 Wie die Vorinstanz darlegt, besteht nach dem Zürcher Recht ein
Entschädigungsanspruch nur, wenn "wesentliche Kosten und Umtriebe erwachsen
sind" (§ 43 StPO/ZH). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss der
Bürger das Risiko einer gegen ihn geführten materiell ungerechtfertigten
Strafverfolgung bis zu einem gewissen Grade auf sich nehmen. Daher ist nicht
für jeden geringfügigen Nachteil eine Entschädigung zu leisten. Eine
Entschädigungspflicht setzt vielmehr eine gewisse objektive Schwere der
Untersuchungshandlung und einen dadurch bedingten erheblichen Nachteil voraus
(BGE 84 IV 39 E. 2c; 107 IV 155 E. 5). So verstösst die Verweigerung oder
Herabsetzung der Entschädigung nicht gegen die Billigkeit, wenn der
Angeschuldigte den Anwalt ohne zureichende objektive Gründe beigezogen hat
(BGE 110 Ia 156 E. 1b S. 160). Auch eine einmalige kurze Befragung oder
Vorladung führt grundsätzlich nicht zu einer Entschädigungspflicht (BGE 113
Ia 177 E. 3; 113 IV 93 E. 3a S. 98 oben). Schliesslich muss der Schaden
substanziert und bewiesen werden (BGE 113 IV 93 E. 3e; 107 IV 155 E. 5).

2.4 Nach der Zürcher Rechtsprechung sieht § 43 Abs. 2 StPO/ZH eine
Einschränkung der Entschädigungspflicht in leichten Fällen und
Bagatellstrafsachen vor. Hatte der Beschuldigte indessen nach seinen
persönlichen Verhältnissen, nach der Schwere des Tatvorwurfs und nach der
Komplexität des Sachverhalts begründeten Anlass, einen Anwalt beizuziehen, so
sind diese Kosten zu ersetzen. Das ist im Einzelfall nach billigem Ermessen
zu entscheiden (angefochtener Beschluss S. 5 f.).

Diese Auslegung von § 43 Abs. 2 StPO/ZH ist nicht willkürlich. Weder die
verfassungsrechtlich noch die konventionsrechtlich garantierten
Verteidigungsrechte gebieten, dass dem in ein Bagatellverfahren verwickelten
Beschuldigten die Kosten für einen von ihm ohne hinreichenden Anlass
beigezogenen Verteidiger bei einer Verfahrenseinstellung entschädigt werden
müssen. Damit ein Entschädigungsanspruch gegenüber dem Staat entsteht, muss
die Einschaltung eines Anwalts sachlich geboten gewesen sein (vgl. nicht
veröffentlichte Urteile 6B_208/2007 vom 7. August 2007, E. 1.1, und
1P.805/2006 vom 14. Sept. 2007, E. 4.2.3, je mit Hinweisen).

2.5 Die Vorinstanz hat die Beschwerdevorbringen (nicht korrekte Vorladung mit
Androhung der Vorführung, Verbrechensvorwurf, Einbürgerungsverfahren,
Verteidigerbeizug) beurteilt. Soweit der Beschwerdeführer eine nicht korrekte
Vorladung zur Befragung geltend macht, weist sie darauf hin, dass nicht
aktenkundig ist, wie die Vorladung erfolgte, dass aber die Androhung von
Zwangsmassnahmen, d.h. die polizeiliche Vorführung eines Angeschuldigten
gemäss § 49 Abs. 1 Ziff. 1 StPO/ZH nichts Ungewöhnliches gewesen wäre. Soweit
versäumt worden sein sollte, den Grund der Vorladung anzugeben, wäre dies
jedenfalls mit der telefonischen Auskunft geheilt worden, auch wenn er dabei
nur in Kenntnis gesetzt worden sein sollte, dass wegen "Betrugs" ermittelt
werde. Es wäre ihm auch durchaus zuzumuten gewesen, sich bei der ersten
polizeilichen Befragung darüber ins Bild setzen zu lassen. Am 27. September
2006 sei ihm deutlich und klar mitgeteilt worden, worum es ging. Auch habe
ihm der Strafanzeiger schon früher mit einer Strafanzeige gedroht. Soweit der
Verteidiger eine "Komplexität des Betrugstatbestands" und "hoch komplexe
rechtliche Überlegungen" geltend mache, könne ihm vorliegend nicht gefolgt
werden. Die vergleichsweise geringfügige Angelegenheit habe sich auch kaum
auf das laufende Einbürgerungsverfahren auswirken können. Es könne offen
bleiben, inwieweit die Anwesenheit des Anwalts förderlich gewesen sei. Dies
alles ändere nichts daran, dass ein leichter Fall vorgelegen habe.

2.6 Die Vorinstanz hat ihren Beschluss hinreichend begründet (dazu BGE 133
III 439 E. 3.3). Es erweist sich nicht als schlechthin unhaltbar, die
Angelegenheit als leichten Fall einzustufen und eine Umtriebsentschädigung zu
verweigern. Wohl stand es dem Beschwerdeführer frei, einen Rechtsanwalt
beizuziehen. Indessen bestand dazu aufgrund der konkreten Sachlage in jenem
Zeitpunkt kein objektiv begründeter Anlass im Sinne der einschlägigen
Rechtsprechung zur Entschädigungspflicht (oben E. 2.3). Unnötig verursachte
Kosten müssen nicht von der Allgemeinheit übernommen werden. Auch eine
willkürliche Anwendung von § 43 StPO/ZH ist damit zu verneinen.

3.
Im Übrigen ist auf die Beschwerde (vgl. die Rechtsbegehren) bei diesem
Ergebnis nicht mehr einzutreten. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist. Die Kosten sind dem unterliegenden Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. Februar 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Briw