Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.486/2007
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2007
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2007


6B_486/2007 /hum

Urteil vom 15. Februar 2008
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.

P. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher
Sararard Arquint,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Entschädigung wegen rechtswidrigen Freiheitsentzugs,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 11. April 2007.

Sachverhalt:

A.
P. ________ verbrachte vom 26. Juli 2004 bis 25. Januar 2007 mit Unterbrüchen
insgesamt 811 Tage in Untersuchungs- oder Sicherheitshaft sowie in
vorzeitigem Massnahmevollzug. Diese Freiheitsentzüge hatten sich unter
anderem aufgedrängt, weil P.________ seine damalige Freundin verletzt,
mehrfach Drohungen ausgestossen und unerlaubt Waffen auf sich getragen hatte.

Der Gutachter diagnostizierte am 24. Februar 2005 bei P.________ eine Manie
mit synthymen psychotischen Symptomen, die für gewisse Taten die Annahme
völliger Unzurechnungsfähigkeit nahelege.

B.
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte am 11. April 2007 fest, dass
P.________ die Straftatbestände der mehrfachen einfachen Körperverletzung,
der mehrfachen Drohung und der mehrfachen Nötigung im Zustand der
Schuldunfähigkeit begangen hatte. Es verurteilte ihn wegen mehrfachen
Drogenkonsums, verschiedener mehrfacher Verstösse gegen das SVG sowie
mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtstrafe von 10
Monaten Freiheitsstrafe und Fr. 200.-- Busse (unter Einbezug einer
6-monatigen Gefängnisstrafe und einer 15-tägigen Haftstrafe aus den Jahren
2002 bzw. 2004) und ordnete eine ambulante Massnahme an.

Das Gericht erklärte das Strafmass durch die 811 Tage Untersuchungs- und
Sicherheitshaft als erstanden, sprach P.________ aber keine
Umtriebsentschädigung oder Genugtuung zu.

C.
P.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben, und er sei wegen rechtswidrigen Freiheitsentzugs mit
mindestens Fr. 45'000.--  zu entschädigen; eventuell sei die Sache zur
Festlegung einer angemessenen Entschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, bei der Unterbringung psychisch Kranker
habe dies an einem zweckmässigen Ort zu erfolgen. In der Zeit vom 30. März
2006 bis zum 25. Januar 2007 sei er aber ohne jegliche spezifische stationäre
Behandlungsmöglichkeit im Bezirksgefängnis Pfäffikon in Sicherheitshaft
festgehalten worden. Weil er in dieser Periode entgegen der Vorschrift des
Art. 5 Abs. 1 lit. e EMRK rechtswidrig in Haft gehalten worden sei, stehe ihm
eine Entschädigung gemäss Abs. 5 dieser Bestimmung zu.

2.
Art. 5 EMRK bestimmt:

Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur
in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise
entzogen werden (Abs. 1):
...
e) rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender
Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder
Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
...
Jede Person, die unter Verletzung dieses Artikels von Festnahme oder
Freiheitsentzug betroffen ist, hat Anspruch auf Schadenersatz (Abs. 5).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist
der Freiheitsentzug einer behandlungsbedürftigen Person grundsätzlich nur
rechtmässig, wenn er in einer Klinik oder anderen dafür geeigneten
Institution erfolgt (Urteil i.S. Ashingdane c. Royaume-Uni vom 28. Mai 1985,
Serie A Band 93, § 44).

Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, ist aber im Einzelfall zu prüfen, ob
eine geeignetere Institution überhaupt zur Verfügung stand und entsprechende
Bemühungen für eine Umplatzierung unternommen wurden oder nicht. Daran haben
auch die Urteile Aerts und Morsink nichts geändert (Urteil Aerts c. Belgique
vom 30. Juli 1998, Receuil 1998-V, 1939 § 42 ff.; Urteil Morsink c. Pays-Bas
vom 11. Mai 2004, 48865/99, § 68 f.).
2.1 Auf den 30. März 2006 wurde der Beschwerdeführer von der psychiatrischen
Klinik Königsfelden aus dem vorzeitigen Massnahmevollzug in Sicherheitshaft
zurückversetzt. Die Klinik hatte zuvor einen "Therapievorschlag"
zurückgezogen und mitgeteilt, wegen der Beteuerungen des Beschwerdeführers,
in weiten Teilen der Anklage unschuldig zu sein, und wegen seiner nur
geringen Krankheitseinsicht sei eine Fortsetzung der Behandlung "zwecklos".
Die Klinik hatte zudem nach weiteren Abklärungen mitgeteilt, nach
verschiedenen Vorfällen sei der Beschwerdeführer dort "nicht mehr tragbar".
Gemäss Bericht des Bewährungsdienstes hatte der Beschwerdeführer am 4. April
2006 aber erneut Therapiewilligkeit geäussert, worauf Anmeldungen in der
Klinik "Im Hasel" und im Psychiatrie-Zentrum Hard erfolgt seien. Beide
Institutionen hätten nach Abklärungen aber eine Aufnahme abgelehnt und
empfohlen, die Massnahmeindikation erneut zu prüfen. Darauf sei versucht
worden, die frühere Anmeldung in der Klinik Rheinau zu "reaktivieren"; diese
habe darauf ein Vorstellungsgespräch angeboten. Der Beschwerdeführer habe
dies mit Schreiben vom 5. Mai 2006 abgelehnt und dabei bekundet, nicht mehr
massnahmewillig zu sein.

Am 1. September 2006 teilte der Verteidiger des Beschwerdeführers mit, dieser
habe sich "seit einiger Zeit mit einer psychiatrischen Behandlung im
Gefängnis einverstanden erklärt" und werde von Dr. X. betreut und behandelt.
Er beantrage die Einholung eines kurzen Berichts dieses Arztes zum aktuellen
Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, seiner Entwicklung seit dem
Wiedereintritt ins Gefängnis Pfäffikon am 30. April 2006 und zum Zweck der
aktuellen Behandlung. Ein Haftentlassungsgesuch behalte er sich vor.

Am 29. September 2006 wiederholte der Verteidiger sein Gesuch um Beizug eines
Arztberichts und erklärte, "gegebenenfalls" ein Haftentlassungsgesuch zu
stellen. Am 10. Oktober 2006 unterbreitete die Vorinstanz Dr. X. die
eingereichten Fragen. Mit Datum vom 7. November 2006, bei der Vorinstanz
eingegangen am 20. November 2006, bezeichnete Dr. X. den aktuellen
Gesundheitszustand des Beschwerdeführers - zusammengefasst - als "gut und
stabil", bei einer "leichten Einengung des Denkens auf die ihm vorgeworfenen
Delikte", die leicht auffällig erscheine.

Am 9. Januar 2007 stellte der Beschwerdeführer ein Haftentlassungsgesuch. Am
16. Januar 2007 beantragte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die
Abweisung des Gesuchs. Am 24. Januar 2007 hörte der stellvertretende
Kammerpräsident den Beschwerdeführer persönlich an und entliess ihn tags
darauf aus der Sicherheitshaft mit der Weisung, die ambulante Behandlung
unverzüglich aufzunehmen (angefochtener Entscheid S. 11 ff. Ziff. 5).

2.2 Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass die zuständigen Behörden - kurz
nachdem der Beschwerdeführer Therapiewilligkeit geäussert hatte - versuchten,
ihn in der Klinik "Im Hasel" oder im Psychiatrie-Zentrum Hard unterzubringen,
was aber an objektiven Gründen scheiterte. Darauf wurde der Beschwerdeführer
von der Klinik Rheinau zu einem Vorstellungsgespräch aufgeboten, das er aber
von sich aus ablehnte. Zudem erklärte er, nicht mehr massnahmewillig zu sein.

In der Folge liess sich der Beschwerdeführer im Gefängnis psychiatrisch
behandeln. Nachdem der behandelnde Arzt einen positiven Bericht abgegeben und
der Beschwerdeführer ein Entlassungsgesuch eingereicht hatte, wurde dieser
innert relativ kurzer Zeit entlassen.

Für die Frage, ob die Sicherheitshaft vom 30. März 2006 bis zum 25. Januar
2007 rechtmässig war, ist einerseits entscheidend, dass die zuständigen
Behörden verschiedene ernsthafte Anstrengungen unternahmen, um den
Beschwerdeführer in einer Klinik zu platzieren. Anderseits kann den Behörden
für den Zeitraum, in welchem sich der Beschwerdeführer einer medizinischen
Behandlung widersetzte, kein widerrechtliches Verhalten vorgeworfen werden.
Diese Zeitspanne hat er selbst zu verantworten. Schliesslich darf nicht
übersehen werden, dass dem Beschwerdeführer selbst in Sicherheitshaft
psychiatrische Behandlung zuteil wurde, die dann auch zu seiner Entlassung
führte.

War die Sicherheitshaft somit rechtmässig, entfällt auch ein Anspruch des
Beschwerdeführers auf Schadenersatz gemäss Art. 5 Abs. 5 EMRK.

2.3 Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz nicht
bloss allgemein, sondern detailliert die Bemühungen der zuständigen Behörden
dargestellt (E. 2.1 hievor).
Er zieht aus der Tatsache, dass er vor der fraglichen Sicherheitshaft bereits
in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen war, den Schluss, damit
habe offensichtlich die Möglichkeit einer Platzierung bestanden. Mit dieser
Argumentation unterschlägt der Beschwerdeführer, dass er selbst ein
Vorstellungsgespräch in der Klinik Rheinau ablehnte und erklärte, nicht mehr
massnahmewillig zu sein. Damit verhinderte er selbst eine mögliche
Platzierung.

Der Einwand des Beschwerdeführers, wenn eine Person krankheitsimmanent keine
Einsicht in die Notwendigkeit der Behandlung habe, müsse der Staat trotzdem
für eine angemessene Behandlung besorgt sein, trifft grundsätzlich zu. Doch
lag noch kein rechtskräftiges Urteil vor, und zudem war der Beschwerdeführer
rechtlich verbeiständet. Sein Rechtsvertreter zog das gesamte Verfahren und
ausdrücklich auch die angeordnete stationäre Massnahme in Zweifel (kantonale
Akten, act. 51 S. 3 oben). Bei dieser Ausgangslage und angesichts der
Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer einem Vorstellungsgespräch in der
Klinik Rheinau widersetzte und auch nicht (mehr) massnahmewillig war, kann
der Vorinstanz kein unrechtmässiges Handeln vorgeworfen werden.

Der Vorwurf des Beschwerdeführers grenzt vielmehr an ein widersprüchliches
Verhalten im Verfahren, wenn er sich zunächst einer stationären Behandlung
widersetzte und nun wegen nicht zwangsweiser Durchführung der von ihm
abgelehnten Behandlung Schadenersatz fordert.

Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet.

3.
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da
seine Begehren von vornherein aussichtslos erschienen, ist das Gesuch
abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Folglich wird der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei der Bemessung der Gerichtsgebühr
ist jedoch seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Februar 2008

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Borner