Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.427/2007
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6B_427/2007

Urteil vom 12. Dezember 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Beat Hess,

gegen

A.________ AG,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt und Notar Richard Kottmann,
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gewerbsmässiger Diebstahl; mehrfache Unterdrückung von Urkunden.

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer,
vom 29. März 2007.
Sachverhalt:

A.
Das Kriminalgericht des Kantons Luzern verurteilte X.________ am 17. März
2006 wegen gewerbsmässigen Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 2 StGB und
mehrfacher Unterdrückung von Urkunden im Sinne von Art. 254 Abs. 1 StGB zu
einer bedingten Gefängnisstrafe von 15 Monaten. Ausserdem verpflichtete es
sie, der Privatklägerin A.________ AG Fr. 118'259.70 zu bezahlen. Es hielt
für erwiesen, dass die als Lehrling bei der A.________ AG beschäftigte
X.________ zwischen dem 14. April 2003 und dem 28. April 2004 616
Fehlbuchungen (Storni ohne Gegenbuchungen) ausführte und die "stornierten"
Beträge - insgesamt Fr. 118'259.70 - aus der Kasse nahm und für sich
verwendete.

Auf Berufung der (zwischenzeitlich verheirateten) X.________ hin bestätigte
das Obergericht des Kantons Luzern das erstinstanzliche Urteil am 29. März
2007 vollumfänglich, wobei es anstelle der Gefängnis- eine neurechtliche
Freiheitsstrafe gleicher Dauer aussprach.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das obergerichtliche
Urteil aufzuheben und sie freizusprechen oder eventuell die Sache zur
Neubeurteilung ans Obergericht zurückzuweisen. Ausserdem ersucht sie um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
Die Verurteilung der Beschwerdeführerin beruht massgeblich auf ihrem
Geständnis. Für das Obergericht ist es glaubhaft, dessen Widerruf dagegen
nicht überzeugend. Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht vor, die
Beweise willkürlich gewürdigt und verkannt zu haben, dass ihr Geständnis
nicht verwertbar sei, da ihr unter Missachtung von § 67 Abs. 1 der Luzerner
Strafprozessordnung vom 3. Juni 1957 (StPO) nach ihrer Verhaftung kein freier
Verkehr mit ihrem Verteidiger ermöglicht worden sei.

1.1 Die Verantwortlichen der A.________ AG stellten fest, dass zwischen dem
14. April 2003 und dem 28. April 2004 zahlreiche Storni ohne entsprechende
Gegenbuchungen getätigt wurden, was zu entsprechenden Fehlbeträgen in der
Kasse führte. Abklärungen des fimeninternen Sicherheitsdienstes führten zu
einem Verdacht gegen die Beschwerdeführerin, die damals als Lehrling bei der
Privatklägerin beschäftigt war. Von der Sicherheitsbeauftragten B.________
und dem Verkaufsleiter C.________ am 3. Mai 2004 auf den Verdacht
angesprochen, gab die Beschwerdeführerin zu, immer wieder Geld aus den Kassen
entwendet zu haben. Gleichentags unterschrieb sie eine Vereinbarung über die
sofortige Auflösung des Lehrverhältnisses und eine Schuldanerkennung über Fr.
90'000.--. Die Beschwerdeführerin bestätigte dieses Geständnis gegenüber der
Polizei, wobei sie im Einzelnen darlegte, zu welchen Zeiten und an welchen
Kassen sie Geld entwendet und zu welchen Zwecken sie es verbraucht habe. Am
12. Mai 2004 liess die Beschwerdeführerin durch ihren Verteidiger mitteilen,
dass sie alle belastenden Aussagen zurückziehe und damit ihr Geständnis
widerrufe.

1.2 Für das Obergericht (angefochtener Entscheid E. 2.2 S. 5 ff.) ist das
Geständnis der Beschwerdeführerin überzeugend, weil sie es nicht nur
gegenüber dem Sicherheitsdienst der Privatklägerin machte, sondern auch an
verschiedenen Tagen gegenüber der Polizei wiederholte und bestätigte. Es sei
schlicht unvorstellbar, dass sich die Beschwerdeführerin gegenüber ihrer
Arbeitgeberin und der Polizei zu Unrecht derart gravierender Straftaten
beschuldigt haben könnte. Glaubhaft erscheine das Geständnis auch wegen
dessen Detailreichtum und dem Umstand, dass sich die von ihr beschriebene
Vorgehensweise mit den aktenkundigen Beobachtungen und Angaben der Zeugen der
Arbeitgeberin decke. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sie
unter Druck gesetzt worden sei und/oder mit unzutreffenden Selbstbelastungen
die sofortige Entlassung aus der Untersuchungshaft habe erwirken wollen.

1.3 Die Beschwerdeführerin macht einerseits geltend, die Einschätzung des
Obergerichts, ihr Geständnis sei glaubhaft, dessen Widerruf dagegen nicht,
sei willkürlich. Anderseits versucht sie nachzuweisen, dass sie unmöglich
alle ihr vorgeworfenen Diebstähle begangen haben könne, da sie zu den
fraglichen Zeiten teilweise nicht gearbeitet oder nicht die Kasse bedient
habe.

1.3.1 Die Einwände der Beschwerdeführerin gegen die Würdigung ihres
Geständnisses und dessen Widerruf sind unbegründet. So ist es zwar durchaus
nachvollziehbar, dass sie sich unter Druck fühlte, als sie in der
betriebsinternen Befragung mit den Diebstahlsvorwürfen konfrontiert wurde.
Weshalb sie deshalb ein falsches Geständnis hätte ablegen sollen, ist dagegen
kaum plausibel, musste sie sich doch bewusst sein, dass sie damit ihre Lage
nicht verbessern würde. Es trifft im Übrigen auch keineswegs zu, wie sie in
der untersuchungsrichterlichen Einvernahme vom 20. Oktober 2004 behauptete,
dass sie damals bloss bestätigt habe, was ihr von Herrn C.________
"vorgeplappert" worden sei. Sie hat jedenfalls drei "Stornierungen" vom 28.
April 2004 zuhanden von Frau B.________ und Herrn C.________ mit Betrag,
Kasse und Uhrzeit aufgeschrieben, dieses Dokument datiert und unterschrieben,
wobei Frau B.________ als Zeugin bestätigte, dass diese Angaben nach ihren
Nachforschungen im elektronischen Journal zutreffend sind.

Noch weniger nachvollziehbar ist, weshalb die Beschwerdeführerin gegenüber
der Polizei diese angeblich unzutreffenden Selbstbezichtigungen hätte
wiederholen und mit lebensnahen Details ausschmücken sollen, konnte sie doch
keineswegs sicher damit rechnen, nach dem Eingeständnis, über Fr. 100'000.--
gestohlen zu haben, umgehend aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden.
Es mag zwar durchaus sein, dass der Untersuchungsrichter § 67 StPO verletzte,
indem er der sich damals in Haft befindenden Beschwerdeführerin am 5. Mai
2004 nicht gestattete, sich ohne Kontrolle mit ihrem Verteidiger zu
unterhalten. Dies ist hier allerdings nicht zu prüfen, da sie bzw. ihr
Verteidiger den gegen eine solche Verweigerung von § 68ter StPO vorgesehenen
Rekurs an die Kriminal- und Anklagekammer nicht ergriff (Art. 80 Abs. 1 BGG).
Unerfindlich ist zudem, inwiefern dieser Umstand die Überzeugungskraft des
Geständnisses, das schon zuvor erfolgte, ohne dass diesbezüglich eine
Verfahrensverletzung gerügt würde, beeinträchtigen könnte. Der zur Diskussion
stehende Sachverhalt - ob sie die falschen Storni gebucht und die
entsprechenden Gelder aus der Kasse gestohlen habe - war einfach und die
Konsequenzen eines Schuldeingeständnisses für die Beschwerdeführerin in
groben Zügen abschätzbar, sodass sie in der betriebsinternen wie in der
polizeilichen Befragung auch ohne anwaltlichen Beistand durchaus in der Lage
war, ihre Interessen zunächst selber wahrzunehmen. Die Vorbringen der
Beschwerdeführerin sind damit nicht geeignet, das Abstellen auf ihr
Geständnis als willkürlich erscheinen zu lassen.

1.3.2 Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Vorwürfe könnten aus zeitlichen
Gründen nicht stimmen. Es ergebe sich aus dem von ihr bereits dem
Kriminalgericht vorgelegten Schulzeugnis schlüssig, dass sie entgegen den
Wochenrapporten ihrer Arbeitgeberin nicht an allen Tagen, an denen die
fraglichen "Storni" gebucht und Geld gestohlen wurde, im Betrieb gearbeitet,
sondern die Schule besucht habe.

Das vom Verteidiger an der kriminalgerichtlichen Hauptverhandlung vorgelegte
Zeugnis des Berufsbildungszentrums Willisau vom 1. September 2005 betrifft
den Zeitraum vom 1. August 2004 bis zum 31. Juli 2005 und damit nicht die
Zeit, in denen die Diebstähle stattfanden; es ist nicht einschlägig. Das
Zeugnis vom 3. Februar 2004, welches den Zeitraum vom 1. August 2002 bis zum
31. Juli 2004 und damit (auch) den Deliktszeitraum betrifft, weist für das 1.
und das 3. Semester keine und für das 2. Semester Absenzen von 9 Lektionen
aus. Ob sich daraus ausschliessen liesse, dass die Beschwerdeführerin während
einiger Tatzeitpunkte in ihrem Lehrbetrieb arbeitete, bleibt unklar. Auf
jeden Fall ist das Dokument ohne massgeblichen Beweiswert, da es weder von
der Arbeitgeberin noch von der Schule noch von der Beschwerdeführerin
unterschrieben ist. Es ist damit von vornherein nicht geeignet, das Abstellen
auf das mit dem nach der Einschätzung des Obergerichts sauber geführten
Wochenplan der Arbeitgeberin in Einklang stehende Geständnis willkürlich
erscheinen zu lassen. Das Gleiche gilt für die Aussage von D.________, wonach
die Beschwerdeführerin immer zur Zeit der Nachmittagspause um 16 Uhr an der
Kasse tätig war und immer dann die komischen Buchungen stattgefunden hätten.
Diese Aussage der stellvertretenden Filialleiterin schliesst nicht zwingend
aus, dass die Beschwerdeführerin auch am Vormittag und am Mittag
Kassablösungen machte und dabei Geld der Kasse entwendete.

1.3.3 Unerfindlich sind schliesslich die Einwände gegen die Auswertung der
Telefondaten der Beschwerdeführerin. Sie selbst gab in ihrem Geständnis an,
sie habe einen grossen Teil des gestohlenen Geldes für Telefongebühren
ausgegeben, da sie mit ihrem im Kosovo lebenden Freund täglich stundenlang
telefoniert habe. Die Auswertung der von der sunrise gelieferten Aufladetaten
ergibt, dass die Beschwerdeführerin im fraglichen Zeitraum erhebliche, mit
ihrem Lehrlingslohn nicht zu deckende Summen für das Aufladen ihres Handys
ausgab. Aus den automatisch erstellten Listen ergeben sich zwar tatsächlich
nur die Ladedaten und die Ladebeträge; im Begleitschreiben bestätigt indessen
der "Police Liaison Assistant" E.________ unterschriftlich, dass es sich
dabei um die Auswertung der Natel-Nummer der Beschwerdeführerin handelt. Dass
sie viel telefonierte, wird klarerweise auch durch die Aussage der
Kioskverkäuferin F.________ bestätigt, bei der die Beschwerdeführerin jeweils
Prepaid-Karten kaufte. Danach kaufte diese regelmässig "mehrmals pro Monat"
"vielleicht zwei Stück" Prepaid-Karten à Fr. 50.--. Sie habe viel Geld für
Telefonkarten ausgegeben, sicher mehr als Fr. 100.-- pro Monat. Das
Obergericht ist offensichtlich nicht in Willkür verfallen, indem es das
Geständnis durch die Telefonauswertung und die Aussage F.________ gestützt
sieht.

2.
Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass die Willkürrügen unbegründet
sind. Das Obergericht hat im Übrigen die Beweislast gegen die
Beschwerdeführerin zu Recht als erdrückend eingestuft, die Beschwerde war
aussichtslos und grenzt an Trölerei. Damit sind sowohl die Beschwerde als
auch das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung abzuweisen,
und die Verfahrenskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 64,
Art. 66 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II.
Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Dezember 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Schneider Störi