Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.411/2007
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6B_411/2007 /bri

Urteil vom 2. November 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Thommen.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Bernard,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich.

Strafzumessung,

Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich, I. Strafkammer, vom 16. Mai 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 27. Mai 2005 verurteilte das Bezirksgericht Zürich X.________ zu 16
Monaten Gefängnis. Die Strafe wurde unbedingt ausgefällt. Der Schuldspruch
lautete auf mehrfache Anstiftung zum falschen Zeugnis (Art. 307 Abs. 1 StGB)
und zur Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 StGB), mehrfachen Pfändungsbetrug
(Art. 163 Ziff. 1 StGB), mehrfache, teilweise im Sinne von Art. 22 Abs. 1
StGB versuchte, falsche Anschuldigung (Art. 303 Ziff. 1 StGB),
Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 1 StGB) sowie Drohung (Art. 180 StGB).

B.
Auf seine Berufung hin sprach ihn das Obergericht des Kantons Zürich am
21. März 2006 schuldig der mehrfachen falschen Anschuldigung (Art. 303 Ziff.
1 StGB), der mehrfachen Anstiftung zum falschen Zeugnis (Art. 307 Abs. 1 und
Art. 24 Abs. 1 StGB), des Pfändungsbetrugs (Art. 163 Ziff. 1 StGB) in vier
Fällen sowie der Drohung (Art. 180 StGB). Von den Vorwürfen der mehrfachen
Anstiftung zur Urkundenfälschung, der Sachbeschädigung und des
Pfändungsbetrugs in den übrigen angeklagten Fällen wurde er freigesprochen.
Das Obergericht bestätigte die erstinstanzliche Strafe und verweigerte
ebenfalls den bedingten Strafvollzug.

C.
Gegen dieses Urteil erhob X.________ eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde,
welche vom Bundesgericht mit Urteil vom 10. November 2006 (6S.237/2006) in
Bezug auf die Strafzumessung teilweise gutgeheissen wurde.

D.
Nach erneuter Befassung mit der Strafzumessung bestrafte das Obergericht des
Kantons Zürich X.________ mit Urteil vom 16. Mai 2007 mit 14 Monaten
Freiheitsstrafe unbedingt.

E.
Dagegen wendet sich X.________ mit Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt
die Aufhebung von Dispositivziffer 2 des obergerichtlichen Urteils, die
Ausfällung von 360 Tagessätzen Geldstrafe à Fr. 20.--, eventualiter die
Rückweisung an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. Ferner verlangt er
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Vernehmlassungen wurden keine
eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und
interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.1 Mit der Beschwerde in Strafsachen kann primär die Verletzung von
Bundesrecht vorgebracht werden (Art. 95 lit. a BGG). Darunter fallen das
Bundesverfassungsrecht, das einfache Gesetzesrecht sowie das Verordnungsrecht
des Bundes. Ferner kann in der Beschwerde die falsche Anwendung von
Völkerrecht und von kantonalen verfassungsmässigen Rechten gerügt werden
(Art. 95 lit. b und c BGG). Die Anwendung kantonalen Gesetzesrechts kann nur
auf Willkür überprüft werden. Diese Rüge unterliegt den strengen
Begründungsanforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG.

1.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des 'reformatio in
peius'-Verbots und der Verfahrensfairness. Damit seien Art. 6 Ziff. 1 EMRK,
Art. 29 Abs. 1 BV sowie Art. 47 StGB unrichtig angewendet worden.

1.3 Das Verbot, ein Urteil, das nur vom Verurteilten angefochten wird, zu
dessen Nachteil abzuändern (Verschlechterungsverbot; Verbot der reformatio in
peius), ergibt sich primär aus dem kantonalen Prozessrecht. Es zählt nicht zu
den verfassungsmässigen Rechten des Bundes oder der Kantone und lässt sich
nicht aus der EMRK herleiten (BGE 110 II 113 E. 3c; Entscheide 6P.121/2001
vom 21. September 2001, E. 4; 6S.170/2000 vom 19. Juni 2000 E. 4b;
unveröffentlichter Entscheid vom 23. März 1973, in: Semjud 95/1973 S. 401
ff.). Nach der Rechtsprechung gibt es auch keine bundesrechtliche Norm, die
der oberen kantonalen Instanz vorschreibt, die von der ersten Instanz
ausgefällte Strafe als Ausgangspunkt für die Zumessung der Strafe zu nehmen
(BGE 80 IV 156 E. 8). Hingegen war es der kantonalen Instanz bisher von
Bundesrechts wegen verwehrt, nach einer Rückweisung durch den Kassationshof
eine schwerere Strafe auszufällen (BGE 110 IV 116; 70 IV 222). Gemäss den
letztgenannten Urteilen galt Art. 227 Abs. 2 aBStP, der für die Entscheide
des früheren Ausserordentlichen Kassationshofs ein Verschlechterungsverbot
statuierte, auch für kantonale Verfahren nach einer bundesgerichtlichen
Rückweisung (vgl. Gilbert Kolly, Zum Verschlechterungsverbot im
schweizerischen Strafprozess, ZStrR 113/1995 S. 294 ff.). Diese Bestimmung
wurde im Rahmen der Neuordnung der Bundesstrafgerichtsbarkeit ersatzlos
gestrichen (vgl. Anhang Ziff. 9 des Strafgerichtsgesetzes vom 4. Oktober
2002; AS 2003 S. 2131 ff.; dazu Botschaft BBl 2001 S. 4367). Für seine
eigenen Entscheidungen leitete das Bundesgericht das Verschlechterungsverbot
aus seiner Bindung an die Anträge des Beschwerdeführers ab. Kam es zum
Schluss, dass die Vorinstanz auf gravierendere oder zusätzliche Schuldsprüche
hätte erkennen müssen, verzichtete es deshalb in Anwendung von Art. 277bis
Abs. 1 Satz 1 aBStP (in der Version vor der Aufhebung durch Anhang Ziff. 10
des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005, am 1. Januar 2007, AS 2006 S.
1205) auf eine Rückweisung (BGE 111 IV 51 E. 2; Urteil 6S. 217/2002 vom 3.
April 2003, E. 4). Künftig soll das Verschlechterungsverbot in Art. 391
Abs. 2 und Art. 404 Abs. 2 der Schweizerischen Strafprozessordnung
bundesrechtlich einheitlich geregelt werden (vgl. Referendumsvorlage, BBl
2007 S. 7096 und 7100; dazu Botschaft, BBl 2006 S. 1311).

1.4 Für den vorliegenden Fall ergibt sich das Verschlechterungsverbot aus
§ 399 StPO/ZH. Dass diese Bestimmung der kantonalen Strafprozessordnung
willkürlich angewendet worden sein soll, wird vom Beschwerdeführer nicht
geltend gemacht (vgl. BGE 129 III 417, E. 2.1.1). Er begründet die
beanstandete Schlechterstellung auch nicht unter Verweis auf eine der
genannten Bestimmungen des Bundesgesetzesrechts, sondern stützt sich einzig
auf den in der Verfassung und der EMRK verankerten Grundsatz der
Verfahrensfairness. Ob er damit den Begründungsanforderungen von Art. 106
Abs. 2 BGG genügt, kann ebenso offen bleiben, wie die Frage, ob für das
'reformatio in peius'-Verbot nach der erwähnten Aufhebung von Art. 227 Abs. 2
aBStP im Rückweisungsverfahren derzeit eine bundesgesetzesrechtliche
Grundlage besteht. Unabhängig davon, woraus man das Verschlechterungsverbot
vorliegend ableitet, ist es nicht verletzt.

Eine reformatio in peius liegt vor, wenn die obere Instanz eine schwerere
Strafe ("une peine plus sévère") ausspricht als die untere Instanz. Im
vorliegenden Fall hat die erste Instanz eine unbedingte Gefängnisstrafe von
16 Monaten ausgesprochen. Die Berufungsinstanz hat nach der
bundesgerichtlichen Kassation eine unbedingte Freiheitsstrafe von 14 Monaten
ausgefällt. Eine Schlechterstellung liegt somit objektiv nicht vor, weshalb
der angerufene Grundsatz nicht verletzt ist (Bundesgerichtsentscheide
6P.165/2001 vom 13. Dezember 2001 E. 3; 6P.121/2001 vom 21. September 2001,
E. 4; vgl. Botschaft zur schweizerischen StPO, BBl 2006 S. 1311). Weil im
neuerlichen Obergerichtsurteil die Strafe reduziert wurde, braucht auch nicht
entschieden zu werden, ob die im ersten obergerichtlichen Urteil erfolgte
Bestätigung der erstinstanzlichen Strafhöhe trotz reduziertem Schuldspruch
mit dem Verbot der reformatio in peius zu vereinbaren war. Soweit in diesem
Punkt auf die Beschwerde einzutreten ist, erweist sie sich als unbegründet.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass anstelle der Freiheitsstrafe eine
Geldstrafe hätte ausgefällt werden sollen.

2.1 Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe höchstens
360 Tagessätze (Art. 34 Abs. 1 Satz 1 StGB). Die Dauer der Freiheitsstrafe
beträgt in der Regel mindestens sechs Monate; die Höchstdauer beträgt 20
Jahre (Art. 40 Abs. 1 StGB).

2.2 Die Rüge erweist sich als unbegründet. Die Vorinstanz hat in einer
bundesrechtlich nicht zu beanstandenden Strafzumessung eine 14-monatige
Freiheitsstrafe ausgefällt. Bei dieser Strafhöhe steht das Gericht - entgegen
den Vorbringen des Beschwerdeführers - nicht mehr vor der Wahl zwischen Geld-
oder Freiheitsstrafe, zumal für keine der beurteilten Straftaten mehr als 360
Tage Geldstrafe vorgesehen sind. So unterstehen die dem Schuldspruch zugrunde
liegenden Pfändungsbetrügereien sowie das falsche Zeugnis einer
Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe
(Art. 163 Ziff. 1 und Art. 307 Abs. 1 StGB). Eine Drohung wird mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 180 StGB).
Für eine Falschanschuldigung droht Freiheitsstrafe oder Geldstrafe (Art. 303
Ziff. 1 StGB). Auch die vom Beschwerdeführer angerufenen
Bundesgerichtsentscheide führen zu keiner anderen Einschätzung. Diese
betreffen die Rechtsprechung, wonach unter altem Recht bei einer drohenden
Freiheitsstrafe von nicht erheblich mehr als 18 Monaten die Ausfällung einer
bedingt vollziehbaren Strafe zu prüfen war (vgl. BGE 118 IV 337 E. 2c). Für
das neurechtliche Verhältnis zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe lässt
sich aus dieser das alte Sanktionsrecht betreffenden Rechtsprechung nichts
ableiten. Hinsichtlich des Vollzugs hat das Bundesgericht schon bei der
ersten Beurteilung des vorliegenden Falls festgehalten, dass der bedingte
Strafvollzug zu Recht verweigert wurde (vgl. Urteil 6S.237/ 2006 vom 10.
November 2006, E. 3). Darauf ist nicht mehr zurückzukommen. Die Beschwerde
ist in Bestätigung der obergerichtlich ausgesprochenen Freiheitsstrafe
abzuweisen.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinem Antrag auf unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung kann infolge Aussichtslosigkeit der Begehren nicht
stattgegeben werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Seinen finanziellen
Verhältnissen ist indes bei der Bemessung der Gerichtsgebühr Rechnung zu
tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Begehren um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Oberstaatsanwaltschaft des
Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. November 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: