Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.375/2007
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6B_375/2007

Urteil vom 15. November 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Pirmin Bischof,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28,
4502 Solothurn,
Beschwerdegegnerin.

Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die berufliche Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge; Strafzumessung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn,
Strafkammer, vom 24. Mai 2007.
Sachverhalt:

A.
Das Amtsgericht Olten-Gösgen verurteilte X.________ am 3. März 2005 wegen
Vergehens gegen das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen-
und Invalidenvorsorge (BVG, SR 831.40) und ordnungswidriger Führung der
Geschäftsbücher zu einer Busse von Fr. 8'000.--.

Auf Berufung von X.________ stellte das Obergericht des Kantons Solothurn
fest, die Verurteilung wegen ordnungswidriger Führung der Geschäftsbücher sei
in Rechtskraft erwachsen (Dispositiv-Ziffer 2). Es sprach ihn des Vergehens
gegen das BVG schuldig (Dispositiv-Ziffer 3) und verurteilte ihn zu einer
Geldstrafe von 15 Tagessätzen à Fr. 390.--, unter Gewährung des bedingten
Vollzugs bei einer Probezeit von 2 Jahren und einer Busse von Fr. 2'000.--
(Dispositiv-Ziffer 4). Die Kosten des Appellationsverfahrens auferlegte es
X.________ (Dispositiv-Ziffer 6 Satz 2).

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die Dispositiv-Ziffern 3,
4 und 6 Satz 2 des obergerichtlichen Urteils seien aufzuheben. Er sei vom
Vorwurf der Widerhandlung gegen Art. 76 Abs. 5 BVG freizusprechen, der
Widerhandlung gegen Art. 75 BVG und der ordnungswidrigen Führung der
Geschäftsbücher schuldig zu sprechen und zu einer angemessenen Busse von
maximal Fr. 4'999.-- zu verurteilen. Diese sei nicht im Strafregister
einzutragen, und es sei der Beschwerde diesbezüglich aufschiebende Wirkung zu
erteilen.

Der Präsident der strafrechtlichen Abteilung verfügte am 18. Juli 2007
superprovisorisch, dass alle Vollzugsvorkehren zu unterbleiben hätten. Das
Obergericht erhob gegen die Gewährung der aufschiebenden Wirkung keine
Einwände.

C.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei zu Unrecht in Anwendung des
Vergehenstatbestands von Art. 76 Abs. 5 BVG verurteilt worden; richtigerweise
hätte sein Verhalten als blosse Übertretung im Sinne von Art. 75 BVG
beurteilt und mit einer nicht im Strafregister einzutragenden Busse geahndet
werden dürfen.

1.1 Nach unbestrittenem Sachverhalt war die X.________ Treuhand, vertreten
durch den Beschwerdeführer, gesetzliche Kontrollstelle der
Vorsorgeeinrichtung der A.________ AG (im Folgenden: VE). Im Bericht zu der
am 18. August 2000 bei der Aufsichtsbehörde eingereichten Jahresrechnung 1999
der VE hielt die Kontrollstelle fest, am Beschluss des Stiftungsrates zur
Auflösung der Stiftung werde festgehalten, der Anschluss an die
Sammelstiftung BAV Betriebliche Altersvorsorge der Gastrosuisse Aarau sei in
die Wege geleitet. Die Beiträge würden am 1. September 2000 neu dieser direkt
überwiesen. Nach Anschluss der verbleibenden Destinatäre an die
Sammelstiftung sei die VE gemäss den Weisungen der Kantonalen
Stiftungsaufsicht zu liquidieren. In diesem Zusammenhang verlangte die
Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom 21. November 2000 vom Stiftungsrat und von
der Kontrollstelle bis zum 31. Dezember 2000 verschiedene Unterlagen.

Stiftungsrat und Kontrollstelle reagierten nicht und ignorierten drei
Mahnungen. Am 16. Juli 2001 wurde der VE und der Kontrollstelle unter
Androhung von Ordnungsbusse Frist zur Einreichung der verlangten Unterlagen
angesetzt. Nach unbenütztem Ablauf der Frist und mehreren telefonischen
Nachfragen der Aufsichtsbehörde auferlegte diese der VE und der
Kontrollstelle Ordnungsbussen von je 300 Franken und setzte, unter Androhung
von Ersatzvornahme, erneut Frist an zur Einreichung der verlangten
Unterlagen. Die Bussen wurden bezahlt. Da die Unterlagen wiederum nicht
eingereicht wurden, ordnete die Aufsichtsbehörde am 14. Juni 2002 die
Ersatzvornahme an und beauftragte B.________ mit deren Vollzug. Der
Beschwerdeführer reagierte auf die schriftlichen und telefonischen Anfragen
B.________s nicht. Am 18. Dezember 2002 teilte dieser der Aufsichtsbehörde
mit, er könne seine Aufgaben nicht wahrnehmen, da er keine Unterlagen
erhalte. Daraufhin reichte die Aufsichtsbehörde gegen den Beschwerdeführer
Strafanzeige ein wegen Verstössen gegen das BVG und gegen die
Buchführungspflicht, eventuell wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung.

Am 15. Mai 2003 wurden durch Hausdurchsuchungen und Akteneditionen diverse
Unterlagen beschlagnahmt. Deren polizeiliche Sichtung ergab, dass keine
Gelder der VE zweckentfremdet worden waren, dass jedoch die Buchhaltung nach
1999 nicht mehr weitergeführt worden war. Die Schreiben und Mahnungen der
Aufsichtsbehörde und B.________s befanden sich in den Räumen der X.________
Treuhand. Die Unterlagen wurden in der Folge B.________ ausgehändigt, welcher
die Buchhaltung nachführte und berichtete, das Vermögen der VE bestehe aus
einem Bankguthaben, welches durch die Verantwortlichen nicht veruntreut
worden sei.

Der Beschwerdeführer sagte dazu aus, er führe die Buchhaltung der Firmen
A.________ AG und der C.________ AG, welche der VE angeschlossen gewesen
seien. Die Buchführung der VE sei durch die D.________ Treuhand AG erfolgt,
er selbst sei dabei Mandatsleiter gewesen. Die Revision sei durch seine
Einzelfirma X.________ Treuhand erfolgt. Er habe mit dem Präsidenten der VE
die Übertragung der BVG-Pflicht in die Sammelstiftung in die Wege geleitet.
Es treffe zu, dass er auf die Aufforderung der Aufsichtsbehörde vom 21.
November 2000 und die folgenden Schreiben und Mahnungen nicht reagiert habe,
und zwar aus Zeitmangel. Er habe aus Zeitgründen ab dem Geschäftsjahr 2000 an
diesem Mandat nicht mehr gearbeitet und daher bis dato weder die
Freizügigkeitsguthaben noch die Gelder für Sondermassnahmen überwiesen. Nach
seiner Auffassung seien aber seit der Aufnahme der Beitragszahlungen an die
Sammelstiftung in der VE keine Gelder mehr geflossen. Deren Vermögenswerte
seien per 31. Dezember 1999 grösstenteils in Obligationen und Aktien angelegt
worden und lägen seines Wissens immer noch bei der E.________ Bank. Ab dem
Jahr 2000 sei keine Buchhaltung mehr geführt worden, weshalb er auch keine
Jahresabschlüsse habe revidieren können.

1.2 Das Obergericht hat erwogen, nach Art. 76 Abs. 5 BVG werde mit Gefängnis
bis zu 6 Monaten oder mit Busse bis zu Fr. 20'000.-- bestraft, wer als
Inhaber oder Mitglied einer Kontrollstelle die ihm von Art. 53 Abs. 1 BVG
auferlegten Pflichten in grober Weise verletze. Nach dieser Vorschrift
bestimme die Vorsorgeeinrichtung eine Kontrollstelle für die jährliche
Prüfung der Geschäftsführung, des Rechnungswesens und der Vermögensanlage.
Diese Pflichten würden in den Art. 35 und 36 der Verordnung vom 18. April
1984 über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV
2, SR 831.441.1) umschrieben. Inhaltlich bewegten sich diese
Ausführungsbestimmungen im Rahmen von Art. 53 Abs. 1 BVG, weshalb eine
Verurteilung unter dem Gesichtspunkt des Legalitätsprinzips nicht zu
beanstanden sei. Der Beschwerdeführer sei seinen Verpflichtungen als
Kontrollstelle der VE aus Zeitmangel über Jahre hinweg nicht nachgekommen.
Erschwerend falle ins Gewicht, dass er auf die Mahnungen der Aufsichtsbehörde
nicht reagiert und sich weder von der Ausfällung einer Ordnungsbusse noch der
Androhung der Ersatzvornahme habe beeindrucken lassen. Deren Durchführung
habe er vereitelt, obwohl die Übergabe der Akten bloss wenige Minuten
beansprucht hätte. Höchstens leicht zu entlasten vermöge ihn, dass an die VE
ab September 2000 keine Beiträge mehr einbezahlt worden seien und den
Destinatären letztlich kein Schaden entstanden sei. Nicht zu entlasten
vermöge ihn dagegen, dass die Buchhaltung gar nicht mehr geführt worden sei:
Einerseits habe er dies selber zu verantworten, und anderseits hätte er als
Kontrollstelle gerade in einer solchen Situation aktiv werden müssen.
Insgesamt falle es schwer, sich unter dem Gesichtspunkt von Art. 76 Abs. 5
BVG noch schwerwiegendere Pflichtverletzungen vorzustellen. Sein
Fehlverhalten beschränke sich nicht auf die mangelnde Herausgabe der
geforderten Auskünfte (Art. 75 Ziff. 1 Abs. 1 zweiter Halbsatz BVG), vielmehr
sei er den ihm als Kontrollstelle obliegenden Pflichten zwischen dem 1.
Januar 2001 und dem 15. Mai 2003 überhaupt nicht mehr nachgekommen. Zwar habe
er offenbar die Semesterabschlüsse der Bank zur Kenntnis genommen und visiert
und so verifiziert, dass die Substanz der VE noch intakt sei. Ansonsten aber
habe er keinerlei Aktivitäten mehr entwickelt. Das wiege objektiv schwer.
Auch subjektiv wiege seine Verfehlung schwer, habe er doch seine Pflichten
vorsätzlich und trotz mehrfacher Mahnung durch die Aufsichtsbehörde über
einen längeren Zeitraum missachtet, der Hinweis auf seinen Zeitmangel vermöge
ihn nicht zu entlasten.

1.3 Art. 53 Abs. 1 BVG lautet: "Die Vorsorgeeinrichtung bestimmt eine
Kontrollstelle für die jährliche Prüfung der Geschäftsführung, des
Rechnungswesens und der Vermögensanlage". Nach Abs. 4 legt der Bundesrat die
Voraussetzungen fest, denen die Kontrollstelle zu genügen hat. Nach Abs. 5
überwacht diese die Einhaltung der Loyalität der Vermögensverwaltung. In Art.
35 Abs. 1 BVV 2 werden die Aufgaben der Kontrollstelle näher umschrieben.
Diese soll jährlich die Rechtmässigkeit der Jahresrechnung, der Alterskonten,
der Geschäftsführung und der Vermögensanlagen, das Vorliegen allfälliger
Interessenkonflikte, die Einhaltung der Offenlegungsvorschriften von
Vermögensvorteilen und die Befähigung der Vermögensverwalter prüfen. In
Art. 36 BVV 2 wird das Verhältnis der Kontrollstelle zur Aufsichtsbehörde
geregelt, namentlich ihre Meldepflichten.

Es ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer nicht dargetan,
inwiefern diese beiden Ausführungsbestimmen den Rahmen von Art. 53 Abs. 1 BVG
sprengen und der Kontrollstelle damit, was unter dem Gesichtspunkt des
Legalitätsprinzips unzulässig wäre, im Gesetz nicht vorgesehene Pflichten
aufbürden würde. Unbehelflich ist sein Argument, nach der Delegationsnorm von
Art. 53 Abs. 4 BVG sei der Bundesrat nur befugt, in einer Verordnung die
Voraussetzungen festzulegen, denen eine Kontrollstelle zu genügen habe, die
Art. 35 und 36 BVV 2 würden aber mehr und anderes regeln. Der Bundesrat ist
auch ohne spezielle gesetzliche Delegationsnorm, kraft seiner Stellung als
oberste vollziehende Behörde (Art. 174 BV), zum Erlass der für den Vollzug
von Bundesgesetzen erforderlichen Vollzugsverordnungen befugt (Art. 182 BV).

Damit sind die Pflichten, denen eine Kontrollstelle nachzukommen hat, im
Gesetz und der bundesrätlichen Vollzugsverordnung ausreichend bestimmt, um
deren Missachtung unter Strafe zu stellen. Dass diese nach Art. 76 Ziff. 5
BVG nur als Vergehen strafbar ist, wenn sie "in grober Weise" geschieht, ist
unter dem Gesichtspunkt von Art. 1 StGB keineswegs zu beanstanden. Derartige
unbestimmte Rechtsbegriffe kommen in den Tatbeständen des Strafgesetzbuches
häufig vor und sind vom Richter durch Auslegung zu konkretisieren.

1.4 Wie das Obergericht zu Recht darlegt, hat der Beschwerdeführer seine
Pflichten als Kontrollstelle über Jahre massiv verletzt und die hartnäckigen
Bemühungen der Aufsichtsbehörde um Akteneinsicht und Wiederherstellung des
rechtmässigen Zustandes ignoriert und vereitelt. Für die VE wurde somit im
Ergebnis während mehrerer Jahre keine Buchhaltung geführt, ohne dass der
Beschwerdeführer als Verantwortlicher der Kontrollstelle interveniert hätte.
Er hat seine gesetzlichen Pflichten klarerweise grob verletzt und damit den
Tatbestand von Art. 76 Abs. 5 BVG offensichtlich erfüllt. Es kann nicht im
Ernst die Rede davon sein, er habe bloss bürokratische, für das Schicksal der
VE und deren Destinatäre belanglose Formvorschriften verletzt, was nach
Auffassung des Beschwerdeführers höchstens als Übertretung im Sinne von Art.
75 BVG zu ahnden wäre.

1.5 In Bezug auf das Verschulden hat das Obergericht zu Recht erwogen, dieses
wiege objektiv wie subjektiv schwer, habe der Beschwerdeführer doch über
einen längeren Zeitraum als Kontrollstelle, abgesehen vom Visieren der
Bankauszüge ("Plausibilitätskontrolle"), trotz mehrfacher Mahnungen der
Aufsichtsbehörde vorsätzlich keinerlei Aktivitäten mehr entwickelt, wobei ihn
der Hinweis auf seinen Zeitmangel nicht entlasten könne. Der Beschwerdeführer
hält dem entgegen, er habe dank der Plausibilitätskontrollen jederzeit den
Überblick über die finanzielle Lage der VE gehabt und hätte bei Bedarf
eingreifen können. Es sei ihm daher zwar bewusst gewesen, dass er seinen
gesetzlichen Verpflichtungen nicht vollumfänglich nachgekommen sei, es sei
ihm aber nie in den Sinn gekommen, dass er diese "in grober Weise" verletzt
haben könnte.

Der Einwand ist offensichtlich unbegründet. Als erfahrenem Buchhalter war dem
Beschwerdeführer zweifellos bewusst, dass im Unterlassen der Buchhaltung
einer VE während Jahren nicht einfach eine bürokratische Ordnungswidrigkeit,
sondern eine schwere Pflichtverletzung liegt, die er als Verantwortlicher der
Kontrollstelle nicht tatenlos hätte hinnehmen dürfen. Auch unter
Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten erhöhten Strafempfindlichkeit
- ein Strafeintrag kompromittiere sein weiteres berufliches Fortkommen -
erweist sich die bei minimaler Probezeit bedingt ausgefällte Strafe von 15
Tagessätzen und Fr. 2'000.-- Busse keineswegs als unangemessen hoch. Der
Beschwerdeführer legt denn auch gar nicht dar, inwiefern das Obergericht die
massgebenden Strafzumessungskriterien unangemessen wertete oder massgebliche
Gesichtspunkte ausser Acht liess. Die Rüge ist unbegründet.

2.
Damit ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt
der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Mit dem Entscheid in
der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn,
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. November 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: