Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.362/2007
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6B_362/2007 /zga

Urteil vom 3. September 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Zünd, Mathys,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Amtsleitung, Feldstrasse 42, 8090
Zürich.

Briefkontrolle; Verletzung des Abstimmungsgeheimnisses,

Beschwerde in Strafsachen gegen den Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich,

4. Abteilung, vom 6. Juni 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ verbüsst in der Strafanstalt Pöschwies (Regensdorf/ZH) eine
Freiheitsstrafe.

Am 5. September 2006 verfügte das Amt für Justizvollzug, dass sämtliche ein-
und ausgehende Post - inklusive Amtspost, exklusive Anwaltspost - zu
zensurieren sei.

Am 7. September 2006 beschwerte sich X.________ bei der Stadtverwaltung
Winterthur, die Verfügung verletze das Abstimmungs- und Wahlgeheimnis, da er
gezwungen sei, sein Abstimmungskuvert offen in die Hände Dritter zu
übergeben. Die Stadtverwaltung Winterthur überwies die Eingabe
zuständigkeitshalber der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons
Zürich. In einer weiteren Eingabe vom 19. Oktober 2006 machte X.________
geltend, die Unterlagen für die Abstimmung von Ende September 2006 seien ihm
in geöffnetem Zustand übergeben worden und er habe sein Stimmkuvert offen
abgeben müssen, weshalb sein Recht auf geheime Stimmabgabe nicht mehr
gewährleistet gewesen sei.

Am 29. September 2006 hob das Amt für Justizvollzug seine Verfügung vom 5.
September 2006 per Ende September 2006 wieder auf.

Am 20. Dezember 2006 schrieb die Direktion der Justiz und des Innern das
Verfahren infolge Gegenstandslosigkeit ab. Sie erwog, die angefochtene
Verfügung sei aus besonderem Anlass als vorübergehende Massnahme erlassen und
in der Zwischenzeit wieder aufgehoben worden. Der Beschwerdeführer habe daher
kein aktuelles Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung der Verfügung. Es sei
zudem nicht zu erwarten, dass in Zukunft erneut eine derart intensive
Postkontrolle eingeführt werden müsste, weshalb kein Anlass bestehe, vom
Erfordernis des aktuellen Rechtsschutzinteresses abzusehen.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde von X.________
am 6. Juni 2007 ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die Entscheide des
Verwaltungsgerichts und der Direktion der Justiz und des Innern aufzuheben.
Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und die Zusprechung einer
Parteientschädigung von 200 Franken.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verfügung des Justizvollzugsamtes vom
5. September 2006 und die gestützt darauf vorgenommene Öffnung seines
Stimmmaterials sowie die Modalitäten, unter denen ihm die Ausübung seines
Stimmrechts gestattet worden sei, hätten sein Abstimmungsgeheimnis verletzt.

1.1 Das Verwaltungsgericht hat erwogen, die Verfügung vom 5. September 2006
sei von Anfang an als vorübergehende Massnahme zur Bereinigung einer
besonderen Situation erlassen worden. Da sie in der Zwischenzeit aufgehoben
worden sei und nicht zu erwarten sei, dass sie oder eine ähnlich rigide
Postkontrolle wieder eingeführt würde, habe die Direktion der Justiz und des
Innern das Verfahren zu Recht als gegenstandslos abgeschrieben. In Bezug auf
die Durchführung der Abstimmung erwog es, der Beschwerdeführer habe einzig
auf die theoretische Möglichkeit einer Manipulation seiner Stimmabgabe
hingewiesen, jedoch nicht dargelegt, dass eine solche stattgefunden habe. Die
Vorinstanz habe das Verfahren daher auch in diesem Punkt zu Recht als
gegenstandslos abgeschrieben.

Diese Ausführungen sind insoweit nicht zu beanstanden, als die Verfügung vom
5. September 2006 aufgehoben wurde und der Beschwerdeführer damit kein
aktuelles Rechtsschutzinteresse mehr an ihrer Anfechtung hat. Mit der
Durchführung der Postkontrolle bei der Abstimmung vom September 2006 hat der
Beschwerdeführer indessen auch einen darauf gestützten Vollzugsakt
angefochten. Diese Rüge hätte an sich (je nachdem ob es sich um eine
kommunale, kantonale oder eidgenössische Abstimmung handelte) als
Stimmrechtsrekurs bzw. Abstimmungsbeschwerde nach den §§ 146 ff. des Zürcher
Gesetzes über die politischen Rechte vom 1. September 2003 bzw. nach den Art.
77 ff. des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (SR 161.1) behandelt
werden müssen. Dies wurde nicht getan, die Frage der Stimmrechtsverletzung
wurde vielmehr im Verfahren über die Zulässigkeit der Zensurmassnahmen
vorfrageweise geprüft. Der Beschwerdeführer beanstandet dies nicht, und die
Abstimmung ist in der Zwischenzeit offensichtlich erwahrt. Insofern hat der
Beschwerdeführer kein aktuelles Rechtsschutzinteresse mehr an der Prüfung, ob
die Strafanstalt bei seiner Teilnahme an der Abstimmung vom September 2006
sein Stimmrecht verletzte, dem Verwaltungsgericht kann jedenfalls im Ergebnis
beigepflichtet werden. Für eine Verletzung des Abstimmungsgeheimnisses
bestehen immerhin insofern Anhaltspunkte, als das Amt für Justizvollzug in
seiner Vernehmlassung an die Direktion der Justiz und des Innern vom 2.
November 2006 die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe sein Stimmkuvert
offen abgeben müssen, nicht direkt zurückgewiesen hat. Es hat lediglich
ausgeführt, dies könne zwar nicht mehr mit Bestimmtheit eruiert werden, der
Beschwerdeführer hätte indessen problemlos die Möglichkeit gehabt, das
Stimmkuvert geschlossen abzugeben und habe dies nach der Erinnerung der
betroffenen Personen auch getan.

1.2 Konnte somit das Verwaltungsgericht ein aktuelles Rechtsschutzinteresse
verneinen, so fehlt ein solches für die Anfechtung dessen Entscheids beim
Bundesgericht ohne weiteres. Allerdings verzichtet das Bundesgericht nach der
bereits zu Art. 88 OG entwickelten Praxis, welche unter dem neuen Recht
unverändert Geltung beanspruchen kann, auf das Erfordernis des aktuellen
Rechtsschutzinteresses, wenn sich die aufgeworfene Frage jederzeit unter
gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte, an ihrer
Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes
öffentliches Interesse besteht und eine rechtzeitige höchstrichterliche
Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (BGE 121 I 279 E. 1; 120 Ia
165 E. 1a, je mit Hinweisen).

Dies ist vorliegend der Fall. Die Frage, welchen Zensurmassnahmen die
Insassen von Strafanstalten bei der Ausübung ihres Stimmrechts unterworfen
werden dürfen, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Sie könnte sich wieder
stellen, da sich nicht ausschliessen lässt, dass die Strafanstalten erneut
ähnlich strenge, auch Abstimmungen betreffende Zensurmassnahmen ergreifen
werden, auch wenn sie dies zur Zeit nicht vorhaben, und es besteht die
Gefahr, dass diesfalls eine rechtzeitige höchstrichterliche Überprüfung zu
spät käme.

1.3 Die Strafanstalten sind befugt, die ein- und ausgehende Post der Insassen
zu kontrollieren, es kann diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen des
Verwaltungsgerichts über die Rechtsgrundlagen der Postzensur in
Strafanstalten verwiesen werden (angefochtener Entscheid E. 2.3 S. 5). Dabei
haben sie allerdings das uneingeschränkt geltende Stimmgeheimnis zu wahren
(Art. 34 BV, § 7 des Zürcher Gesetzes über die politischen Rechte vom 1.
September 2003, Art. 5 Abs. 7 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte,
SR 161.1). Unter diesem Gesichtspunkt ist es zwar unbedenklich, dass die
Anstaltsleitung das eingehende Stimmmaterial öffnen lässt, da dieses nichts
enthält, was dem Abstimmungsgeheimnis unterliegt. Es erscheint auch noch
zulässig, dass sie sicherstellen lässt, dass die Insassen bei der Stimmabgabe
ausschliesslich die dafür erforderlichen Stimmzettel ausfüllen und ins
Stimmkuvert legen. Mit dem Abstimmungsgeheimnis nicht vereinbar wäre dagegen
klarerweise, von den Insassen die Abgabe des offenen Stimmkuverts zu
verlangen, da das Anstaltspersonal bei dessen Prüfung vom
Abstimmungsverhalten Kenntnis nehmen kann. Es ist ohnehin kaum denkbar, wie
ein Insasse in einem Abstimmungskuvert, das erst geöffnet wird, wenn es dem
Absender nicht mehr zugeordnet werden kann, gezielt geheime Botschaften an
der Zensur vorbei schmuggeln könnte.

Das Verwaltungsgericht ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass
das Abstimmungsgeheimnis bereits verletzt ist, wenn die mit der Zensur
beauftragten Personen vom Abstimmungsverhalten des Insassen Kenntnis nehmen
können, auch wenn sie das Stimmkuvert anschliessend ohne Veränderung
weiterleiten; insofern gehen seine Ausführungen in E. 3.1 S. 6 an der Sache
vorbei.

2.
Die Beschwerde ist somit im Sinne der Erwägungen - insbesondere E. 1.3 -
gutzuheissen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben
(Art. 66 Abs. 4 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
gegenstandslos. Einen Anspruch auf eine Parteientschädigung hat der nicht
anwaltlich vertretene Beschwerdeführer praxisgemäss nicht. Entsprechend sind
für das kantonale Verfahren weder Kosten zu erheben noch eine Entschädigung
zuzusprechen (Art. 67 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen. Die Verfügung der
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich vom 20. Dezember 2006
und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 6. Juni 2007
werden insoweit aufgehoben, als dem Beschwerdeführer Kosten auferlegt wurden.

2.
Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Justizvollzug und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. September 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: