Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.281/2007
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6B_281/2007 /hum

Urteil vom 30. Juli 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Wiprächtiger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Ferrari, Zünd,
Gerichtsschreiber Störi.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher
H.-W. Balmer,

gegen

Generalprokurator des Kantons Bern,
Postfach 7475, 3001 Bern.

Strafzumessung,

Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern,
1. Strafkammer, vom 29. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Am 1. Februar 2004, um 05.50 Uhr, kam es auf der Autobahn A5 zwischen
Grenchen und Solothurn, bei Leuzigen, zu einer seitlichen Kollision zwischen
dem überholenden PW Renault 19 des X.________ und dem PW VW Golf von
A.________, welche von X.________ absichtlich herbeigeführt wurde. Infolge
der seitlichen Kollision gerieten beide Fahrzeuge ins Schleudern, doch
konnten ihre Lenker sie auffangen. Verletzt wurde niemand.

Das Kreisgericht III des Gerichtskreises Aarberg-Büren-Erlach sprach
X.________ am 30. Mai 2005 der versuchten vorsätzlichen Tötung, der groben
Verletzung von Verkehrsregeln und des pflichtwidrigen Verhaltens nach einem
Unfall schuldig und verurteilte ihn zu 2 1/2 Jahren Zuchthaus.

Auf die Appellationen des Generalprokurators und X.________s hin verurteilte
das Obergericht des Kantons Bern den letzteren am 6. April 2006 wegen
versuchter vorsätzlicher Tötung, grober Verkehrsregelverletzung und
pflichtwidrigen Verhaltens nach einem Verkehrsunfall zu 4 1/2 Jahren
Zuchthaus.

Nachdem das Bundesgericht dieses Urteil am 28. Dezember 2006  aufgehoben
hatte (BGE 133 IV 1), verurteilte das Obergericht X.________ am 29. März 2007
wegen Gefährdung des Lebens, grober Verkehrsregelverletzung und
pflichtwidrigen Verhaltens nach einem Verkehrsunfall zu 3 Jahren
Freiheitsstrafe.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, dieses obergerichtliche
Urteil aufzuheben und die Sache zur Neufestsetzung der Strafe ans Obergericht
zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.

Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Umstritten ist einzig die Strafzumessung. Das Obergericht hat diese nach
altem und nach neuem, ab dem 1. Januar 2007 geltenden Recht geprüft und
befunden, das neue Recht sei im konkreten Fall für den Beschwerdeführer nicht
milder als das alte, im Zeitpunkt der Tat geltende Recht, weshalb dieses zur
Anwendung gelange (angefochtener Entscheid S. 14 ff.). Der Beschwerdeführer
beanstandet dies nicht.

1.1 Nach Art. 63 StGB (in der vor dem 1. Januar 2007 geltenden Fassung) misst
der Richter die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Er berücksichtigt
die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des
Schuldigen, wozu auch allfällige Unterhaltspflichten gehören. Der Umfang der
Berücksichtigung verschiedener Strafzumessungsfaktoren liegt im Ermessen der
kantonalen Behörde. Die strafrechtliche Abteilung kann in die Strafzumessung
nur eingreifen, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder
unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien
ausgegangen ist oder wenn sie wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen
bzw. falsch gewichtet hat (BGE 129 IV 6 E. 6.1; 127 IV 101 E. 2; 124 IV 286
E. 4a). Der Richter muss die Überlegungen, die er bei der Bemessung der
Strafe vorgenommen hat, in den Grundzügen wiedergeben, so dass die
Strafzumessung nachvollziehbar ist. Besonders hohe Anforderungen an die
Begründung der Strafzumessung werden unter anderem gestellt, wenn die
ausgesprochene Strafe ungewöhnlich hoch oder auffallend milde ist (BGE 127 IV
101 E. 2c, 121 IV 49 E. 2a/aa, 120 IV 136 E. 3a; BGE 118 IV 337 E. 2a).

1.2 Das Obergericht hat zunächst den Strafrahmen von 4 Tagen Gefängnis bis 7
1/2 Jahre Zuchthaus bestimmt und festgestellt, dass ein nach Art. 67 StGB
strafschärfend wirkender Rückfall vorliegt. In Bezug auf die Tatkomponente
hat es erwogen, das Ausmass der verschuldeten Gefährdung wiege angesichts der
hohen Geschwindigkeit, bei welcher der Beschwerdeführer den Personenwagen
A.________s gerammt habe, schwer, da er dadurch nicht nur A.________ und
dessen Beifahrer, sondern auch die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer in hohe
Lebensgefahr gebracht habe. Die Art und Weise, wie er sein Auto als Waffe
eingesetzt habe, um sich und seinen Bruder für angeblich erhaltene Schläge zu
rächen, stufte das Obergericht als skrupellos ein. Er habe mit Bezug auf die
SVG-Delikte und die Gefährdung des Lebens mit direktem Vorsatz gehandelt,
angeblich um seinen Bruder zu schützen und mit dem "Glatzkopf" wegen eines
Faustschlages, den dieser ihm versetzt haben soll, abzurechnen. Diese
"Heimzahlung" sei absolut unverhältnismässig gewesen und zeuge von
berechnender Kaltblütigkeit. Es wäre für ihn leicht gewesen, die von ihm
verletzten Normen zu respektieren, zumal es wenig glaubhaft sei, dass er mit
der Tat seinen Bruder habe schützen wollen. Seine Entscheidung, gegen sie zu
verstossen, wiege daher umso schwerer. Sämtliche Tatkomponenten seien somit
straferhöhend zu werten. In Bezug auf das Vorleben komme den Vorstrafen eine
wichtige Rolle zu. Der Beschwerdeführer sei wegen Verkehrsregelverletzungen
viermal verurteilt worden, wovon zweimal zu unbedingten Gefängnisstrafen von
15 bzw. 70 Tagen. Der Führerausweis sei ihm fünfmal entzogen worden. Der
vorliegend zu beurteilende Fall habe sich nur gut ein halbes Jahr nach der
Wiedererlangung des Führerausweises ereignet. Dies zeige, mit welcher
Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit der Beschwerdeführer seit Jahren sein
Fahrzeug führe und welches Gefährdungspotential dieser Fahrweise innewohne.
Es scheine, dass sich der Beschwerdeführer bisher weder von Strafen noch
Massnahmen habe nachhaltig beeinflussen lassen. Die persönlichen Verhältnisse
des Beschwerdeführers stufte das Obergericht als neutral, d.h. weder
straferhöhend noch -mindernd ein. Sein Verhalten nach der Tat sei indessen an
Verwerflichkeit kaum zu überbieten, habe er doch die Polizei angerufen,
jedoch nicht, um den Unfall zu melden, sondern um mitzuteilen, auf der
Autobahn sei eine Gruppe von alkoholisierten Albanern unterwegs. Zugute
gehalten könne ihm immerhin, dass er von Beginn weg zugegeben habe, den
Personenwagen A.________s absichtlich gerammt zu haben. Reue und Einsicht
habe er indessen nicht gezeigt, sondern er habe versucht, sich mit
widersprüchlichen Aussagen herauszuwinden und sein Verschulden zu
verniedlichen und zu relativieren. Positiv falle in diesem Zusammenhang
einzig ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer seit dem 1. Februar 2004 nicht
erneut straffällig geworden sei. Insgesamt müsse dem Beschwerdeführer ein
schweres Verschulden angelastet werden, wofür eine Strafe von drei Jahren
angemessen erscheine.

1.3 Mit der Begleichung des angerichteten Schadens ist der Beschwerdeführer
seinen zivilrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen, wofür es angesichts der
geringen Schadensumme keiner aussergewöhnlichen Anstrengung bedurfte. Das
Obergericht musste diesem Umstand daher nicht besonderes Gewicht beimessen.

1.4 Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe das Ausmass der
Gefährdung zu Unrecht als schwer und die Lebensgefahr für A.________ und
dessen Beifahrer als hoch eingestuft. Es stütze dieses Ergebnis allein auf
die gefahrene Geschwindigkeit ab. Diese sei jedoch nicht alleiniges Mass für
die Lebensgefährdung, es komme auch auf die Heftigkeit der Kollision an. Aus
dem Urteil gehe nicht hervor, wie heftig diese gewesen sei. Die beteiligten
Fahrzeuge seien nur leicht ins Schleudern gekommen und hätten von den Lenkern
leicht aufgefangen werden können. Das Obergericht habe daher die vom
Rammstoss ausgehende Lebensgefährdung überschätzt und das Verschulden des
Beschwerdeführers überbewertet.

Der Einwand ist unbegründet. Das Obergericht ist nicht davon ausgegangen,
dass die vom Beschwerdeführer herbeigeführte Kollision heftig war und hat
keineswegs verkannt, dass die beteiligten Fahrzeuge nicht besonders stark
beschädigt wurden. Der Zusammenstoss war indessen stark genug, um sowohl das
angreifende als auch das angegriffene Fahrzeug ins Schleudern zu bringen. Es
bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass von zwei mit Tempo 120 km/h auf
einer Autobahn nebeneinander fahrenden Personenwagen ein hohes Unfallrisiko
ausgeht, wenn sie ins Schleudern geraten, und dass Unfälle bei solchen Tempi
regelmässig tödliche Verletzungen nach sich ziehen können. Auch wenn beide
Lenker ihre Fahrzeuge - mit Glück und/oder Geschick - wieder unter Kontrolle
bringen konnten, ist die Folgerung des Obergerichts, der Beschwerdeführer
habe die Insassen des angegriffenen Fahrzeugs und die nachfolgenden
Verkehrsteilnehmer in hohe Lebensgefahr gebracht, nicht zu beanstanden.

1.5 Der Beschwerdeführer wendet ein, das Obergericht habe seine Aussage, er
habe mit der Tat seinen Bruder schützen wollen, mit dem lapidaren Satz
abgetan, dies sei wenig glaubwürdig. Es sei nicht nachvollziehbar, welche
Überlegungen es zu diesem Schluss geführt hätten. Die Motivlage sei aber ein
wichtiges Kriterium für die Strafzumessung. Indem sich das Obergericht zu
einem derart wichtigen Strafzumessungsfaktor derart knapp geäussert habe,
habe es gegen das Willkürverbot verstossen und seine in Art. 29 Abs. 2 BV und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK verankerte Begründungspflicht verletzt.

Das Obergericht ist zum Schluss gekommen, der Beschwerdeführer habe mit
seiner Tat eine erlittene Kränkung rächen wollen, es sei nicht glaubhaft,
dass er zum Schutz seines Bruders gehandelt habe. Damit hat es begründet, aus
welchem Motiv der Beschwerdeführer seiner Überzeugung nach handelte. Die
Rüge, es sei seiner verfassungs- und konventionsrechtlichen
Begründungspflicht nicht nachgekommen, ist offensichtlich unbegründet. Der
Beschwerdeführer legt zudem nicht dar, inwiefern diese Begründung willkürlich
sein soll: Nur weil sie kurz ist, braucht sie noch lange nicht unhaltbar zu
sein. Dies ist denn auch nicht der Fall. Es ist zwar ohne weiteres
nachvollziehbar, dass sich der Beschwerdeführer, wie er selber wiederholt
darlegte, mit seiner Tat für eine erlittene Kränkung rächen wollte. Kaum
nachvollziehbar ist dagegen, inwiefern er damit seinen Bruder hätte schützen
können. Er musste im Gegenteil mit einer Eskalation des Streites rechnen, die
sich leicht auch gegen seinen Bruder hätte richten können. Die Einschätzung
des Obergerichts, der Beschwerdeführer habe aus Rache gehandelt, ist im
Ergebnis ohne weiteres haltbar.

1.6 Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht habe die
Strafzumessungsfaktoren falsch gewichtet und im Ergebnis sein Ermessen
überschritten. Der Verurteilung zu drei Jahren Freiheitsstrafe schöpfe fast
die Hälfte des möglichen Strafrahmens aus, was verglichen mit anderen Fällen
zu viel sei.

Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern das Obergericht welche
Strafzumessungsfaktoren falsch gewichtet haben soll. Angesichts der von ihm
zu Recht stark straferhöhend gewerteten Faktoren - das erheblich getrübte
Vorleben, die objektive Tatschwere, das schwere Verschulden, das weitgehende
Fehlen von Einsicht und Reue -, gegen welche die Strafminderungsgründe - im
Wesentlichen sein Geständnis und sein Wohlverhalten seit dieser Tat - wenig
ins Gewicht fallen, erscheint die ausgesprochene Strafe keineswegs
ungewöhnlich hoch, das Obergericht hat mit seiner Strafzumessung sein
Ermessen nicht überschritten. Die Rüge ist unbegründet.

2.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Damit wird der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen
abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Generalprokurator des Kantons
Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 30. Juli 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:   Der Gerichtsschreiber: