Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.210/2007
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6B_210/2007 /rom

Urteil vom 1. September 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Briw.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Gabi Kink,

gegen

A.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Koch,
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus,
5001 Aarau.

Einstellungsverfügung (fahrlässige Körperverletzung),

Beschwerde in Strafsachen gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 29. März 2007 (SBK.2007.20/eb).

Sachverhalt:

A.
Bei einer Frontalkollision mit ihren Fahrrädern auf einem übersichtlichen
3,65 m breiten Weg wurden am Morgen des 16. Juli 2006 A.________ schwer und
X.________ leicht verletzt. Beide erklärten, jeweils genügend rechts gefahren
zu sein. In der Folge reichte X.________ gegen A.________ Strafanzeige wegen
fahrlässiger Körperverletzung ein. Gegen X.________ erhob die
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau Anklage wegen fahrlässiger schwerer
Körperverletzung und Benutzens eines Fahrrads ohne gültige Kennzeichen
(Vignette).

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau stellte am 21. November 2006 das
Strafverfahren gegen A.________ auf Antrag des Bezirksamts Bremgarten ein. In
der Begründung wurde ausgeführt, aufgrund der Spuren habe die Kollision
tatsächlich auf der Fahrbahnseite von A.________ stattgefunden. Ihr könne
kein Fehlverhalten rechtsgenüglich nachgewiesen werden.

Die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau wies
die Beschwerde von X.________ gegen die Einstellungsverfügung am 29. März
2007 ab.

B.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, den Entscheid des
Obergerichts aufzuheben und die Staatsanwaltschaft anzuweisen, das
Strafverfahren gegen A.________ fortzusetzen und Anklage zu erheben,
eventualiter die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.

A. ________ wurden das Urteil des Obergerichts vom 29. März 2007 und die
Beschwerdeschrift zugestellt. Sie hat dazu nicht Stellung genommen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach dem Bundesgerichtsgesetz (Art. 132
Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren
teilgenommen (Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG) und ist grundsätzlich als Opfer
gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde legitimiert (dies
entspricht dem bisherigen Recht, Art. 270 lit. e Ziff. 1 BStP und Art. 8 Abs.
1 lit. c OHG). Die Opfereigenschaft gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG ist aufgrund der
körperlichen Beeinträchtigung zu bejahen (Arztzeugnis vom 4. September 2006).

Bei Beschwerden gegen den einen Einstellungsbeschluss bestätigenden
Gerichtsentscheid ist nach der Rechtsprechung die Legitimation des Opfers
unabhängig davon gegeben, ob es bis zu diesem Zeitpunkt im Strafverfahren
Zivilforderungen adhäsionsweise geltend gemacht hat oder nicht. Das Opfer
muss aber darlegen, aus welchen Gründen und inwiefern sich der angefochtene
Entscheid auf welche Zivilforderungen auswirken kann. Enthält eine Beschwerde
keine Ausführungen darüber, ist auf die Beschwerde gleichwohl einzutreten,
sofern sich der Sachlage und insbesondere der Art des in Frage kommenden
Delikts unmittelbar und ohne Zweifel entnehmen lässt, welche Zivilforderungen
das Opfer geltend machen könnte, und auch klar ersichtlich ist, inwiefern der
angefochtene Entscheid sich negativ auf diese Forderungen auswirken kann (BGE
131 IV 195 E. 1.1.1).

Der Beschwerdeführer hält lediglich fest, das Opfer müsse seine
Entschädigungsansprüche nicht schon im Untersuchungsverfahren geltend machen.
Weil sich aber aufgrund der Sachlage ergibt, welche Zivilforderungen
grundsätzlich geltend gemacht werden könnten (etwa Heilungskosten,
Schadenersatz für das beschädigte Fahrrad), ist auf die Beschwerde gleichwohl
einzutreten.

2.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt
werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den
Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
prüft aber die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem Recht nur
insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet
worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Diese Anforderungen entsprechen denjenigen
des früheren Bundesrechtspflegegesetzes (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG), so dass
nur klar und detailliert erhobene und belegte Rügen geprüft und auf rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eingetreten wird (zur
Veröffentlichung bestimmter BGE 1C_3/2007 vom 20. Juni 2007, E. 1.4.2; Urteil
6B_78/2007 vom 4. Juni 2007, E. 1.2 mit Verweisung auf BGE 130 I 258 E. 1.3;
ferner BGE 129 I 113 E. 2.1; 127 I 38 E. 3c).

"Offensichtlich unrichtig" im Sinne von Art. 97 BGG bedeutet "willkürlich"
(vgl. Botschaft a.a.O., S. 4338; BGE 1C_3/2007, a.a.O., E. 1.2.2; Urteil
6B_48/2007 vom 12. Mai 2007, E. 1; Urteil 6B_78/2007, a.a.O.). Insbesondere
im Rahmen der Anfechtung wegen Verletzung von Art. 9 BV bleibt die bisherige
Rechtsprechung zum Willkürbegriff massgebend. Willkür liegt vor, wenn der
angefochtene kantonale Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der
tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen
unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid
nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar
ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender
erscheint, genügt nicht (BGE 131 I 467 E. 3.1; 132 I 13 E. 5.1, 175 E. 1.2).

3.
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Legalitätsprinzips und des
Anklagezwangs gemäss § 24 Abs. 2 des Gesetzes über die Strafrechtspflege
(StPO/AG) und Art. 5 Abs. 1 BV geltend.

3.1 Auf die geltend gemachte Verletzung von Art. 5 Abs. 1 BV ist mangels
Begründung nicht einzutreten.

3.2 § 24 Abs. 2 StPO/AG verpflichtet die Anklagebehörde, wegen aller
strafbaren und verfolgbaren Handlungen Anklage zu erheben, sofern zureichende
Gründe vorliegen. Ausgenommen sind Tatbestände, bei welchen sich die
Weiterverfolgung wegen Geringfügigkeit des Verschuldens und der Tatfolgen
nicht rechtfertigt. Die Vorinstanz führt dazu aus, zureichende Gründe im
Sinne dieser Bestimmung fehlten nur dort, wo sich nach dem ganzen
Beweisergebnis zum Vornherein der Schluss aufdränge, dass eine strafbare
Handlung in tatsächlicher Beziehung nicht schlüssig werde nachgewiesen werden
können bzw. eine Verurteilung nicht wahrscheinlich sei. Nach dem Grundsatz
des Anklagezwangs sei im Zweifelsfall Anklage zu erheben.

Der Beschwerdeführer beruft sich auf diese Rechtsauffassung der Vorinstanz.
Zu prüfen ist demnach nur, ob die Vorinstanz willkürlich angenommen hat, es
lägen keine zureichenden Gründe für eine Anklageerhebung vor. Das ist
zunächst eine Frage der Beweiswürdigung, die das Bundesgericht auf Willkür
hin prüft.

3.3 Die Vorinstanz führt aus, es treffe zu, dass entgegen den Ausführungen in
der Einstellungsverfügung nicht mit absoluter Sicherheit festgestellt werden
könne, dass die Kollision auf der Fahrbahnseite der Beschwerdegegnerin
erfolgt sei. Die dort befindlichen Kratzspuren seien aber ein Indiz dafür. In
diese Richtung deute auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer die
Beschwerdegegnerin erst wahrgenommen habe, als diese "Achtung" gerufen habe.
Dass sie kurz auf die Pedale geblickt habe, könne ihr nicht zum Vorwurf
gemacht werden, da sie nicht mit einem auf ihrer Seite herkommenden
Fahrradfahrer habe rechnen müssen. Aufgrund der vorhandenen Indizien könne
ihr kein ungenügendes Rechtsfahren nachgewiesen werden. Eine Anklageerhebung
würde mit höchster Wahrscheinlichkeit zu einem Freispruch führen.

Der Beschwerdeführer wendet ein, weder aus den Kratzspuren noch aus dem
Warnungsruf lasse sich auf die Kollisionsstelle schliessen. Mit der Erwägung,
die Beschwerdegegnerin habe nicht mit einem entgegenkommenden Fahrradfahrer
auf ihrer Seite rechnen müssen, setze sie sich in Widerspruch zu ihrer
Feststellung, "wonach die Kollisionsstelle nicht habe rechtsgenüglich
festgestellt werden können" (Beschwerde S. 7).

Die Vorinstanz kommt zum Ergebnis, dass einerseits die Indizien auf eine
Kollision auf der Fahrbahnseite der Beschwerdegegnerin hinwiesen und dass
dieser andererseits kein ungenügendes Rechtsfahren nachgewiesen werden könne.
Diese Beweiswürdigung stützt sich auf die Spuren bei der Unfallstelle und die
Aussagen der Beteiligten, wobei der Beschwerdeführer erklärt hatte, er habe
die Velofahrerin nicht gesehen (Einvernahme vom 15. Sept. 2006). Diese
Würdigung ist nicht willkürlich. Als Folge davon konnte die Vorinstanz
widerspruchsfrei festhalten, die Beschwerdegegnerin habe nicht mit einem
entgegenkommenden Fahrradfahrer auf ihrer Seite rechnen müssen.

3.4 Die Vorinstanz geht zudem davon aus, dass auch eine Expertise den
Kollisionsort nicht genauer festzustellen und den Vorwurf gegen die
Beschwerdegegnerin nicht nachzuweisen vermöchte.

Sie verletzt damit entgegen der Beschwerde nicht ihre Begründungspflicht
gemäss Art. 29 Abs. 2 BV (BGE 126 I 97 E. 2b). Ihre Annahme beruht auf
Beweiswürdigung und ist nachvollziehbar. Der Einwand, nur ein Experte könnte
beurteilen, ob genügend Fakten für eine Verkehrsunfallrekonstruktion
vorlägen, ist nicht stichhaltig. Der gerichtliche Experte ist
Entscheidungsgehilfe des Gerichts. Die Beweiswürdigung und die Beantwortung
der sich stellenden Rechtsfragen ist in jedem Falle Sache des Gerichts (BGE
118 Ia 144 E. 1c). Dieses ist mit seiner Annahme nicht in Willkür verfallen,
mit einer Expertise lasse sich angesichts der Spuren auf der Strassenseite
der Beschwerdegegnerin jedenfalls nicht der Beweis erbringen, diese sei zu
weit links gefahren.

3.5 Zusammengefasst erweist sich die Verneinung zureichender Gründe für eine
Anklageerhebung nicht als schlechterdings unhaltbar und somit nicht als
willkürlich.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Der
Beschwerdeführer trägt die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau
und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. September 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: