Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.198/2007
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6B_198/2007 /rom

Urteil vom 12. November 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Briw.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Benvenuto Savoldelli,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Postfach 157, 4502 Solothurn.

Unrechtmässige Entziehung von Energie (Art. 142 Abs. 2 StGB); Gesuch um
Wiederherstellung der Frist gemäss Art. 50 Abs. 1 BGG,

Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Solothurn, Strafkammer, vom 30. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Solothurn verurteilte X.________ am 30. März 2007
wegen unrechtmässiger Entziehung von Energie zu einer Geldstrafe von 21
Tagessätzen zu Fr. 200.-- und gewährte den bedingten Strafvollzug mit einer
Probezeit von 2 Jahren.

B.
Das obergerichtliche Urteil wurde ihm am 20. April 2007 zugestellt. Damit
endete die dreissigtägige Beschwerdefrist (Art. 100 Abs. 1 BGG) am 21. Mai
2007 (Art. 44 Abs. 1 und Art. 45 Abs. 1 BGG).

Der Beschwerdeführer reichte durch den Substituten seines Rechtsvertreters am
21. Mai 2007 (Datum der Postaufgabe; Art. 48 Abs. 1 BGG) eine "Beschwerde in
Strafsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde" ein. Er beantragte, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Er begründete die Beschwerde nicht, sondern
ersuchte gestützt auf Art. 50 BGG um Wiederherstellung der Frist. Der
Rechtsvertreter sei am Mittwoch, 16. Mai 2007, auf dem Arbeitsweg von einem
Auto angefahren worden. Er habe das Bewusstsein verloren und sei
hospitalisiert worden. Er sei weiterhin arbeitsunfähig. Eine
substitutionsweise Interessenwahrung und Einreichung einer begründeten
Beschwerde seien nicht möglich gewesen.

C.
Das Bundesgericht wies den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 8. Juni 2007
auf Art. 50 BGG hin.

Mit Eingabe vom 21. Juni 2007 (Postaufgabe) reichte der Beschwerdeführer eine
begründete "Beschwerde in Strafsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde"
ein.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Ist eine Partei oder ihr Vertreter durch einen anderen Grund als die
mangelhafte Eröffnung unverschuldeterweise abgehalten worden, fristgerecht zu
handeln, so wird die Frist wiederhergestellt, sofern die Partei unter Angabe
des Grundes innert 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses darum ersucht und
die versäumte Rechtshandlung nachholt (Art. 50 Abs. 1 BGG).

Eine Wiederherstellung setzt voraus, dass unverschuldeterweise nicht
fristgerecht gehandelt werden konnte. Nach der Rechtsprechung zu Art. 35 OG
ist das nur bei klarer Schuldlosigkeit des Gesuchstellers und seines
Vertreters anzunehmen (Urteil 6S.54/2006 vom 2. November 2006, E. 2.2.1).
Dies kann bei Krankheit oder Unfall der Fall sein. Der Anwalt hat sich
indessen so zu organisieren, dass Fristen im Verhinderungsfall gewahrt
bleiben (BGE 119 II 86 E. 2a). Verunfallt der Rechtsvertreter ernsthaft gegen
Ende einer Rechtsmittelfrist, wird er aber im Allgemeinen nicht in der Lage
sein, selber zu handeln oder einen Dritten zu beauftragen, weshalb die
Wiederherstellung zu gewähren ist (BGE 112 V 255 E. 2a; Urteil 6S.391/2005
vom 25. März 2006, E. 1.3; Beschluss 6S.461/2003 vom 19. Januar 2004, E. 4).

Der Vertreter des Beschwerdeführers erlitt am 16. Mai 2007 einen Unfall (mit
Bewusstseinsverlust), der einen Spitalaufenthalt bis zum 17. Mai 2007 zur
Folge hatte. Die ärztliche Untersuchung ergab neben weiteren Verletzungen
eine "Contusio cerebri" (Bericht des Kantonsspitals Olten vom 17. Mai 2007).
Nach dem Arztzeugnis vom 21. Mai 2007 war von einer voraussichtlich
hundertprozentigen Arbeitsunfähigkeit während einer Woche ab dem 16. Mai 2007
auszugehen. Der Rechtsvertreter konnte demnach unverschuldeterweise weder
selber noch substitutionsweise fristgemäss handeln. Er wurde in der Folge am
23. Mai 2007 als wieder voll arbeitsfähig beurteilt (Unfallschein,
Orthopädische Sprechstunde des Kantonsspitals). Ausgehend von diesem Datum
wurde die versäumte Rechtshandlung innert der Frist von 30 Tagen gemäss Art.
50 Abs. 1 BGG nachgeholt. Somit ist das Gesuch gutzuheissen und auf die
Beschwerde einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer bezeichnet seine Eingabe als "Beschwerde in Strafsachen
und subsidiäre Verfassungsbeschwerde". Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde
ist gegeben, soweit keine ordentliche Beschwerde zulässig ist (Art. 113 BGG).

Die Beschwerde in Strafsachen steht gegen "Entscheide in Strafsachen" offen.
Dieser Begriff umfasst sämtliche Entscheide, denen materielles Strafrecht
oder Strafprozessrecht zugrunde liegt (Botschaft zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl 2001 4313). Beim angefochtenen
Entscheid handelt es sich um einen den Beschwerdeführer betreffenden
Endentscheid in Strafsachen. Damit ist die Beschwerde in Strafsachen gemäss
Art. 78 Abs. 1 BGG gegeben. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist
ausgeschlossen. Zur Beschwerde ist der Beschwerdeführer ohne weiteres
berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG).

3.
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
Es prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und
interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Rüge muss
präzise vorgebracht und begründet werden (BGE 133 III 439 E. 3.2).

Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des
Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet "willkürlich"
(Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001, BBl
2001 4338).

4.
4.1 Der Beschwerdeführer weist hinsichtlich seines Aussageverweigerungsrechts
darauf hin, dass die Polizeibeamten auf Nachfrage des Untersuchungsrichters
angaben, sie hätten ihn bei der polizeilichen Einvernahme am 8. März 2003
(act. 65 ff.) vollumfänglich über seine Rechte informiert (Beschwerde S. 15).
Nach diesem Bericht vom 14. Oktober 2003 wurde er auch auf das
Zeugnisverweigerungsrecht (und damit auf sein Schweigerecht) aufmerksam
gemacht (act. 107). Dagegen behauptet der Beschwerdeführer, dies stimme nicht
und abgesehen davon: Relevant sei einzig, was im Protokoll festgehalten sei.
Er begründet aber nicht (oben E. 3), weshalb der Nachweis einzig mit dem
Einvernahmeprotokoll erbracht werden könnte.

Nicht ersichtlich ist ferner, dass seine Aussagen wegen sprachlicher
Schwierigkeiten nicht verwertbar sein sollten. Wie Zeugen erklärten, konnten
sie sich mit dem Beschwerdeführer problemlos auf Deutsch unterhalten
(angefochtenes Urteil S. 13; act. 107). Somit steht der Verwertung der
polizeilichen Einvernahme nichts entgegen.

4.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Gehörsverletzung, weil "der Maler"
entgegen seinem Beweisantrag vom 26. August 2005 beim Obergericht nicht als
Entlastungszeuge gehört worden sei. Er habe im erstinstanzlichen Verfahren
erklärt, "der Maler habe den Ofen in den Keller gebracht" (Beschwerde S. 17;
Urteil vom 23. Februar 2004, S. 3). In diesem Zusammenhang stützt sich die
Vorinstanz auf das Stromverbrauchsdiagramm und die Aussage des
Beschwerdeführers gegenüber der Polizei, dass er die Stromverbindung ungefähr
so lange benutze, wie er dort wohne (angefochtenes Urteil S. 15).

Die Vorinstanz stellt im Protokoll der Hauptverhandlung fest, nachdem keine
weiteren Beweisanträge gestellt würden, werde das Beweisverfahren geschlossen
(angefochtenes Urteil S. 4). Der Beschwerdeführer intervenierte nicht und war
somit mit diesem Vorgehen einverstanden und rügt es auch nicht. Eine
Gehörsverletzung ist damit zu verneinen. Dies gilt ebenso, wenn er
kritisiert, dass Ehegattin und Sohn (die im Verfahren einvernommen worden
waren, act. 109 ff.) nicht erneut von der Vorinstanz befragt wurden.

4.3 In der Schlussverfügung vom 23. Februar 2004 wurde dem Beschwerdeführer
vorgeworfen, er habe seit dem Erwerb der Liegenschaft vor rund 10 Jahren in
seiner abgeschlossenen Einstellbox der Autoeinstellhalle ab einer illegal
montierten Steckdose unrechtmässig Energie bezogen und so mit einem
Elektrokabel zum Zwecke der persönlichen Bereicherung einen Elektroofen sowie
einen Luftbefeuchter mit Strom versorgt (angefochtenes Urteil S. 5). Der
Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Anklagegrundsatzes geltend, weil
die Vorinstanz (wie bereits die Erstinstanz) den Schuldspruch mit anderen
Gründen und nicht damit begründe, dass er "ab einer illegal montierten
Steckdose" unrechtmässig Energie bezogen habe (Beschwerde S. 16). In der
Anklage wird klar umschrieben, dass und wie er Energie bezog. Die Vorinstanz
stützt den Schuldspruch nicht auf eine andere Begründung (angefochtenes
Urteil S. 15 f.). Das Nichtaufrechterhalten des Vorwurfs einer illegalen
Montage der Steckdose, der nach dem Beschwerdeführer nicht bewiesen werden
konnte, verletzt den Anklagegrundsatz nicht.

4.4 Nach der Schlussverfügung hatte der Beschwerdeführer seit dem Erwerb der
Liegenschaft vor rund 10 Jahren aus der Einstellbox unrechtmässig Energie
bezogen. Die Erstinstanz nahm einen Deliktszeitraum vom 15. September 2001
bis zum Tag der Hausdurchsuchung am 8. März 2003 an. Abweichend davon stellt
die Vorinstanz fest, dass er bereits seit 1995 unrechtmässig Strom aus der
Einstellbox bezogen hatte. Diese Feststellung verletze das Verbot der
reformatio in peius nicht, denn dieses beziehe sich lediglich auf das
Strafmass (mit Hinweis auf SOG 1987 Nr. 22; Niklaus Schmid,
Strafprozessrecht, 4. Auflage, Zürich 2004, N 984; Gilbert Kolly, Zum
Verschlechterungsverbot im schweizerischen Strafprozess, ZStrR 113/1995 S.
311). Der Beschwerdeführer wendet ein, diese Beurteilung verletzte das
Verschlechterungsverbot. Bei einem längeren Tatzeitraum habe er höhere
Zivilforderungen zu gewärtigen.

Die Tragweite des Verschlechterungsverbots beurteilt sich nach dem kantonalen
Recht und ist in den Strafprozessordnungen unterschiedlich geregelt (Robert
Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6.
Auflage, Basel 2006, S. 477 ff.; Gérard Piquerez, Traité de procédure pénale
suisse, 2. Auflage, Zürich 2006, S. 756 f.; Kolly, a.a.O, S. 309 ff.). Der
Beschwerdeführer setzt sich mit der vorinstanzlichen Begründung und der
Rechtsprechung zu § 165 StPO/SO (SOG 1987 Nr. 22) nicht auseinander, weshalb
darauf nicht weiter einzutreten ist (oben E. 3).

5.
Gemäss Art. 142 StGB wird auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren
oder Geldstrafe bestraft, wer einer Anlage, die zur Verwertung von
Naturkräften dient, namentlich einer elektrischen Anlage, unrechtmässig
Energie entzieht (Abs. 1). Handelt der Täter in der Absicht, sich oder einen
andern unrechtmässig zu bereichern, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft (Abs. 2).

Die Vorinstanz stellt willkürfrei fest, dass der Beschwerdeführer den Strom
mittels Verlängerungskabel aus der Autoeinstellbox bezogen hatte und dass
dieser Strom über den Allgemeinverbrauch abgerechnet wurde, wovon der
Beschwerdeführer, der zwei Einstellboxen besitzt, entsprechend nur 2/28
bezahlen musste (angefochtenes Urteil S. 11). Die Vorbringen des
Beschwerdeführers sind appellatorisch.

Weiter bestreitet der Beschwerdeführer die der Vorsatzannahme und der
Bereicherungsabsicht zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen. Er habe
im guten Glauben angenommen, zu diesem Strombezug berechtigt zu sein, und er
sei stets im Glauben gewesen, die Anschlüsse der Einstellbox würden über
seinen Stromzähler abgerechnet (Beschwerde S. 7 und 10). Die Vorinstanz kommt
dagegen in einem Indizienbeweis zum Ergebnis, er habe gewusst, dass dieser
Strom über den Allgemeinzähler abgerechnet werde (angefochtenes Urteil S. 11
ff., 15). Sie berücksichtigt insbesondere seine widersprüchlichen Aussagen,
das von Zeugen geschilderte Verhalten bei der Hausdurchsuchung (wobei der
vorher hohe Stromverbrauch zusammenfiel; angefochtenes Urteil S. 11 f.), die
Diskussionen an den Eigentümerversammlungen, dass seine Frau früher
Hauswartin und Revisorin war, dass eindeutig kommuniziert worden war, dass
der Strom in den Boxen nicht über den privaten Zähler abgerechnet wurde, dass
im Reglement gewerbliche Arbeiten ausdrücklich verboten waren und dass die
Energienutzung der Einstellbox zu Heizzwecken im privaten Haushalt
offensichtlich unzulässig ist. Eine willkürliche Beweiswürdigung wie auch
eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo sind nicht ersichtlich.

Aufgrund dieses Sachverhalts liegen unrechtmässiger Energiebezug und
Bereicherungsabsicht im Sinne von Art. 142 Abs. 2 StGB auf der Hand. Es ist
auf das angefochtene Urteil zu verweisen (Art. 109 Abs. 3 BGG).

6.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Der
Beschwerdeführer trägt die Kosten vor Bundesgericht (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 4'000.- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Solothurn und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 12. November 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: