Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.184/2007
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6B_184/2007 /rom

Urteil vom 7. September 2007
Strafrechtliche Abteilung

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Borner.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Michel,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, Archivgasse 1, 6430 Schwyz.

Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsvertretung,

Beschwerde in Strafsachen gegen den Beschluss des Kantonsgerichts des Kantons
Schwyz, 2. Rekurskammer, vom 26. März 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Verhöramt des Kantons Schwyz ersuchte am 31. August 2001 die
Vormundschaftsbehörde Freienbach, dem Opfer eines Angeschuldigten - gegen
welchen wegen sexueller Handlungen mit Kindern usw. ermittelt wurde - einen
Prozessbeistand zu ernennen. Nachdem das Opfer, Halbschwester des
Angeschuldigten, nach Wald ZH umgezogen war, entsprach die dortige
Sozialbehörde dem Gesuch und setzte Rechtsanwältin Dr. X.________ als
Prozessbeiständin ein.

Das Verhöramt bewilligte am 6. Juni 2003 die unentgeltliche
Rechtsverbeiständung.

B.
Das kantonale Strafgericht sprach den Halbbruder am 20. Januar 2006 von
Schuld und Strafe frei. Es richtete X.________, die eine Kostennote über Fr.
30'791.90 eingereicht hatte, eine Prozessentschädigung von Fr. 12'000.-- aus.

Eine Beschwerde der Rechtsanwältin gegen diesen Kostenentscheid wies das
Kantonsgericht Schwyz am 26. März 2007 ab.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt sinngemäss, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Prozessentschädigung sei auf
Fr. 30'791.90 zu erhöhen; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Kantonsgericht begehrt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das
Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) in Kraft getreten. Der
angefochtene Entscheid erging nach dem 1. Januar 2007. Gemäss Art. 132 Abs. 1
BGG ist hier deshalb das Bundesgerichtsgesetz anwendbar.

2.
Dem Verfahren, ob die Entschädigung für die unentgeltliche Verbeiständung
rechtmässig bemessen wurde, liegt ein Strafurteil (Anwendung des
Strafgesetzbuches) zugrunde. Es handelt sich folglich um eine Strafsache im
Sinne von Art. 78 Abs. 1 BGG.

Da der Entscheid des Kantonsgerichts im Kanton letztinstanzlich ist und die
Beschwerdeführerin vor Vorinstanz Parteistellung hatte, sind auch die
Eintretensvoraussetzungen der Art. 80 Abs. 1 und Art. 81 BGG erfüllt.

Auf die im Übrigen frist- und formgerechte Beschwerde in Strafsachen ist
somit grundsätzlich einzutreten.

3.
Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche Anwendung von § 19 Abs. 2 und §
56 Abs. 1 der Schwyzer Strafprozessordnung (StPO/SZ). Die Vorinstanz habe die
Kostennote der Beschwerdeführerin gekürzt mit der Begründung, nach der
Schwyzer Strafprozessordnung bestehe kein Anspruch auf Entschädigung, soweit
sich das Opfer als Strafkläger am Strafverfahren beteilige. Gemäss klarem
Wortlaut von § 19 Abs. 2 StPO/SZ sei aber Richtschnur für die Entschädigung
der Opfervertretung, was zur Wahrung der Rechte des Opfers im Strafverfahren
erforderlich gewesen sei. Dabei seien sämtliche Umstände des Einzelfalles
massgebend, was die Vorinstanz nicht gewürdigt habe. Auch § 56 Abs. 1 StPO/SZ
beschränke die unentgeltliche Rechtspflege nicht darauf, ausschliesslich
Zivilansprüche geltend machen zu können. Diese Bestimmung äussere sich in
keiner Weise zur Frage, wie hoch die Parteikosten anzusetzen seien, sondern
lediglich dazu, wem sie aufzuerlegen seien.

3.1 Die angerufenen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

- Dem Geschädigten und dem Opfer kann die unentgeltliche Rechtspflege
bewilligt werden, soweit dies erforderlich ist. Im Übrigen gelten die
Bestimmungen der Zivilprozessordnung (§ 19 Abs. 2 StPO/SZ).

- Wird der privatrechtliche Anspruch des Geschädigten oder des Opfers
ganz oder teilweise gutgeheissen, hat der Angeklagte dem Geschädigten oder
dem Opfer auf Verlangen die Parteikosten ganz oder teilweise zu ersetzen (§
56 Abs. 1  StPO/SZ).

3.2 Die Vorinstanz erwägt, § 19 Abs. 2 StPO/SZ beschränke die unentgeltliche
Rechtspflege im Strafverfahren nicht mehr darauf, ausschliesslich
Zivilansprüche geltend zu machen. Sie könne allgemein zur Wahrung der Rechte
im Strafverfahren bewilligt werden, jedoch nur, soweit dies erforderlich sei.

Nur schon diese allgemeine Umschreibung entkräftet den Vorwurf der
Beschwerdeführerin, nach Ansicht der Vorinstanz bestehe kein Anspruch auf
Entschädigung, soweit sich das Opfer als Strafkläger am Strafverfahren
beteilige. Die Vorinstanz präzisiert aber zugleich, dass im Rahmen der
unentgeltlichen Opfervertretung nur notwendige Rechtsvorkehren im
Strafverfahren entschädigt werden könnten. So sei es dem Rechtsvertreter
beispielsweise zuzumuten, dass er sich vorgängig einer Einvernahme bei der
Untersuchungsbehörde über den zu befragenden Inhalt erkundige. Bei
Sachverhalten allgemeiner Natur oder solchen, die nicht direkt seinen
Klienten betreffen, müsse er nicht anwesend sein. Allfällige Ergänzungsfragen
könnten dem Angeschuldigten auch anlässlich der Schlusseinvernahme gestellt
werden. Das Akteneinsichtsrecht ermögliche es dem Rechtsvertreter, sich auf
dem Laufenden zu halten, und im Rahmen des Beweisergänzungsverfahrens könne
er bei Bedarf weitere Untersuchungshandlungen beantragen (angefochtener
Entscheid S. 8 f.). Mit dieser Aufzählung dokumentiert die Vorinstanz, dass
auch Rechtsvorkehren notwendig sein können, die nur mittelbar die
Zivilforderungen betreffen.

3.3 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz Willkür vor, weil sie bei der
Frage, welche Rechtsvorkehren notwendig gewesen seien, die besonderen
Umstände des Opfers nicht berücksichtigt habe.

Die Vorinstanz erwähnt unter anderem ausdrücklich, dass das minderjährige
Opfer als Zeugin in einem Verfahren mit massiven Tatvorwürfen habe aussagen
müssen, welches sich gegen seinen Halbbruder gerichtet habe (angefochtener
Entscheid S. 7 f. lit. ee). Sie hält aber auch fest, dass dem Opfer eine
Person der Jugend- und Familienberatung als Beistand ernannt wurde, weshalb
die Notwendigkeit einer umfassenden Beratung und Betreuung durch die
Beschwerdeführerin bereits aus diesem Grunde zu relativieren sei (S. 7 lit.
cc), und dass die Verfügung des Verhöramtes vom 6. Juli 2003 keine umfassende
Rechtsverbeiständung bezweckte, sondern die Durchsetzung von Zivilansprüchen
und die Wahrung der Rechte des Opfers im Rahmen seiner Zeugenbefragungen.

Diese Ausführungen zeigen, dass sich die Vorinstanz über die Situation des
Opfers im Klaren war, dass es nicht nur von der Beschwerdeführerin betreut
wurde und dass der Auftrag des Verhöramts, das Opfer rechtlich zu
verbeiständen, den Rahmen der erforderlichen Handlungen absteckte.

3.4 Damit erweisen sich die Willkürvorwürfe in Bezug auf § 19 Abs. 2 StPO/SZ
als unbegründet.

3.5 Es trifft zwar zu, dass § 56 Abs. 1 StPO/SZ sich nicht ausdrücklich zur
Frage äussert, wie hoch die Parteikosten anzusetzen sind, sondern
insbesondere dazu, wer sie zu tragen hat. Die Bestimmung spricht aber
ausschliesslich vom "privatrechtlichen Anspruch des Geschädigten oder des
Opfers" und nicht allgemein von der Teilnahme am Strafverfahren. Deshalb ist
der Umkehrschluss der Vorinstanz jedenfalls nicht willkürlich, nach der
Strafprozessordnung des Kantons Schwyz bestehe kein Anspruch auf
Entschädigung, soweit sich Opfer oder Geschädigter als Strafkläger am
Strafverfahren gegen den Täter beteiligten.

4.
Die Beschwerdeführerin beanstandet, die Vorinstanz habe § 6 Abs. 1 des
Gebührentarifs für Anwälte (GebTRA; SR SZ 280.411) willkürlich angewandt.

Die Bestimmung lautet:
"Eine Partei kann eine spezifizierte Kostennote über ihre Tätigkeit und ihre
Auslagen einreichen. Erscheint sie angemessen, ist sie der Festsetzung der
Vergütung zugrunde zu legen. Andernfalls wird die Vergütung nach
pflichtgemässem Ermessen festgesetzt."

Wie bereits erwähnt (E. 3.2 und 3.3), zählt die Vorinstanz zahlreiche
Bemühungen der Beschwerdeführerin auf, die über den Auftrag des Verhöramts,
das Opfer zu verbeiständen, hinausgingen. Erschien ihr somit die
spezifizierte Kostennote als nicht angemessen, hatte sie die Vergütung nach
pflichtgemässem Ermessen festzusetzen. Dieses Vorgehen ist nicht willkürlich.

5.
Die Beschwerdeführerin beanstandet die ermessensweise Festsetzung der
Entschädigung durch die Vorinstanz als willkürlich. Zudem habe ihr diese
keine Gelegenheit gegeben, zu den einzelnen Posten der Kostennote Stellung zu
nehmen, und so ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

5.1
Mit dieser Argumentation verkennt die Beschwerdeführerin, dass eine
Festsetzung der Entschädigung nach Ermessen sich insbesondere dadurch
kennzeichnet, dass der Aufwand nicht gestützt auf eine detaillierte
Kostennote auf den Rappen genau berechnet, sondern nach den Regeln des
Gebührentarifs bestimmt wird.

Die Vorinstanz liess sich von § 13 GebTRA leiten, der die Honorar-Ansätze in
Strafsachen festlegt (angefochtener Entscheid S. 10 lit. b). Anschliessend
nennt sie Bemühungen der Beschwerdeführerin, die zeitlich oder sachlich nicht
vom Auftrag zur unentgeltlichen Rechtsverbeiständung abgedeckt waren (S. 11
ff.). Damit kam sie ihrer Begründungspflicht nach. Von einer Verweigerung des
rechtlichen Gehörs kann keine Rede sein.

5.2 Die Beschwerdeführerin zählt verschiedene Bemühungen auf, die aus ihrer
Sicht erforderlich und angemessen waren, um das Opfer wirksam zu vertreten.
Dass es jedoch willkürlich gewesen wäre, diese Tätigkeiten auch im Rahmen des
Auftrags zur unentgeltlichen Rechtspflege als nicht erforderlich anzusehen,
legt sie nicht dar.

Wenn die Vorinstanz den Aktenumfang von rund vier Bundesordnern als nicht
umfangreich bezeichnet, liegt darin keine Willkür, zumal gemäss § 16 Abs. 1
GebTRA erst bei "besonders umfangreichem Aktenmaterial" die ordentlichen
Honorar-Ansätze erhöht werden dürfen.

5.3 Die Vorinstanz erachtet den in Rechnung gestellten Zeitaufwand von rund
83 Stunden für Eingaben, Studium der Akten und der Rechtslage, Besprechung
mit der Klientin und Diverses als nicht mehr für angemessen, "zumal der
Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Teilnahme an den zahlreichen Einvernahmen
der Sachverhalt genügend bekannt gewesen sein dürfte" (angefochtener
Entscheid S. 13 lit. dd).
Zuvor hatte die Vorinstanz die Anwesenheit der Beschwerdeführerin an
sämtlichen 15 Zeugeneinvernahmen ausdrücklich als nicht erforderlich
beurteilt (S. 11 f. lit. bb). In diesem Kontext rügt die Beschwerdeführerin
zu Recht einen Widerspruch, wenn die Vorinstanz sich einerseits weigere, die
Teilnahme an sämtlichen Zeugeneinvernahmen zu entschädigen, anderseits aber
Aktenkenntnis aufgrund der Teilnahme an den Einvernahmen voraussetze. In
diesem Umfang ist die Beschwerde gutzuheissen.

6.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen. Da die Sache
nicht spruchreif ist, ist sie an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung
zurückzuweisen.

7.
Die Beschwerdeführerin unterliegt zum grösseren Teil mit ihrer Beschwerde.
Insoweit wird sie kostenpflichtig. Soweit sie obsiegt, hat der Kanton Schwyz
sie zu entschädigen (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in Strafsachen wird teilweise gutgeheissen, der Beschluss des
Kantonsgerichts Schwyz vom 26. März 2007 aufgehoben und die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Der Kanton Schwyz hat die Beschwerdeführerin mit Fr. 500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Schwyz und dem Kantonsgericht des Kantons Schwyz, 2. Rekurskammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. September 2007

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: