Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 5D.114/2007
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5D_114/2007/don

Urteil vom 20. März 2008
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Escher, Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Möckli.

Partei
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Suter,

gegen

Obergericht des Kantons Aargau.

Gegenstand
unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 10.
September 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Entscheid vom 17. November 2006 wies das Bezirksgericht Lenzburg das Gesuch
von X.________ um unentgeltliche Rechtspflege in diversen hängigen Verfahren ab
mit der Begründung, ihr stehe zusammen mit ihrem Ehemann ein (in der
Zwischenzeit auch gepfändetes) Sperrkonto über Fr. 84'000.-- zur Verfügung und
der Ehemann biete für den Fall, dass er daraus seine Schulden von Fr. 25'000.--
tilgen könne, Hand zur Auflösung. Dieser Entscheid blieb unangefochten und
erwuchs in Rechtskraft.

B.
Am 12. Januar 2007 ersuchte X.________ in einer Sammeleingabe für ihre hängigen
Verfahren erneut um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege. Mit Entscheid
vom 15. Februar 2007 wies das Bezirksgericht Lenzburg das Gesuch ab. Die
hiergegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau am 10.
September 2007 ab.

C.
Dagegen hat X.________ am 12. Oktober 2007 eine subsidiäre
Verfassungsbeschwerde erhoben mit dem Begehren um Aufhebung des
obergerichtlichen Entscheides und Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege,
um die sie auch für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht. Es wurden keine
Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG),
mit dem die unentgeltliche Rechtspflege in diversen eherechtlichen Verfahren
verweigert worden ist. Dabei handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der
einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a
BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131).

Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache (Urteil 5A_108
/2007, E. 1.2). Vorliegend sind mehrere Hauptverfahren betroffen, wovon eines
eine Scheidung ist, die streitwertunabhängig mit Beschwerde in Zivilsachen ans
Bundesgericht gezogen werden kann (Art. 72 Abs. 1 i.V.m. Art. 90 BGG). Damit
ist auch gegen den angefochtenen Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege
die Beschwerde in Zivilsachen gegeben.

Vorliegend hat die Beschwerdeführerin eine als Verfassungsbeschwerde betitelte
Eingabe gemacht. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch subsidiär (Art. 113 BGG),
weshalb die Eingabe als Beschwerde in Zivilsachen entgegenzunehmen ist. Auf die
Kognition hat dies freilich keinen Einfluss: So oder anders können
Sachverhaltsfeststellungen nur auf Willkür überprüft werden, während die
Tragweite des verfassungsmässigen Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege bei
beiden Rechtsmitteln mit freier Kognition überprüft wird.

2.
Das Obergericht hat erwogen, bezüglich des Sperrkontos seien die Ehegatten am
11./14. März 2007 vertraglich übereingekommen, dass zur Tilgung der gegen den
Ehemann laufenden Betreibungen der Betrag von Fr. 43'013.45 an das
Betreibungsamt Seengen und der Restbetrag von Fr. 41'461.75, worauf der Ehemann
keinen Anspruch erhebe, auf ein Konto der Eltern der Ehefrau überwiesen werde.
Diese Regelung sei vom Betreibungsamt Seengen genehmigt, die entsprechenden
Transaktionen vorgenommen und das Konto am 4. April 2007 saldiert worden. Die
Überweisung an die Eltern sei mit der Begründung "akonto eines den Parteien
gewährten Darlehens" erfolgt. Zwar habe die Beschwerdeführerin im
Scheidungsverfahren solche Darlehen behauptet. Weshalb die Eltern einen
Anspruch auf eine "Akontozahlung" haben sollten, habe sie aber nie dargelegt,
und in den Akten fänden sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eines der
Darlehen gerade jetzt zur Rückzahlung fällig geworden wäre. Vielmehr habe der
Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin im Scheidungsverfahren ausgeführt, dass
die Darlehen in einen Erbvorbezug umgewandelt worden seien. Es erweise sich als
rechtsmissbräuchlich, sich ohne Not seines Vermögens zu entäussern, um unter
Hinweis auf die Vermögenslosigkeit auf Kosten des Gemeinwesens die
unentgeltliche Rechtspflege zu beanspruchen. Entsprechende Transaktionen seien
deshalb unbeachtlich. Neben dem Vermögenswert von aktuell rund Fr. 41'500.--
verfüge die Beschwerdeführerin über monatliche Überschüsse von Fr. 355.--.
Damit verfüge sie sogar über mehr Mittel als im unangefochten gebliebenen
Entscheid des Amtsgerichts Lenzburg vom 17. November 2006, mit welchem die
unentgeltliche Rechtspflege bereits einmal verweigert worden sei.

3.
Die Beschwerdeführerin wendet sich nicht gegen die für das Bundesgericht
verbindliche (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) obergerichtliche
Sachverhaltsfeststellung, wonach die elterlichen Darlehen in einen Erbvorbezug
umgewandelt worden sind. Mit der allgemeinen Bemerkung, es bestünden erhebliche
Darlehensschulden, ist jedenfalls keine willkürliche Sachverhaltsfeststellung
dargetan, umso weniger, als die Bemerkung allgemein ist und die Umwandlung in
einen Erbvorbezug mit keinem Wort bestritten oder auch nur erwähnt wird.

Sind aber die Darlehen zufolge der für das Bundesgericht verbindlich
festgestellten Umwandlung in einen Erbvorbezug untergegangen, verfügten die
Eltern über keine Ansprüche gegenüber der Beschwerdeführerin mehr und hat sie
den ihr aus dem Sperrkonto zustehenden Betrag von Fr. 41'461.75 ohne
Rechtsgrund - bzw. offensichtlich zur Parkierung bei Drittpersonen zwecks
unrechtmässiger Begründung eines Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege -
auf ein elterliches Konto überwiesen. Ihr steht folglich gegenüber den Eltern
ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung in einem Umfang von Fr.
41'461.75 zu.

Ausgehend von dieser Sachverhaltsbasis ist den rechtlichen Ausführungen der
Beschwerdeführerin von vornherein jeder Boden entzogen. Einzig das Argument,
die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege müssten bei
Gesuchseinreichung gegeben sein, zu welcher Zeit sie noch gar nicht über das
Sperrkonto habe verfügen können, besteht unabhängig von der genannten
Sachverhaltsfeststellung und ist deshalb nachfolgend zu prüfen.

4.
Die Bedürftigkeit muss grundsätzlich im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung
bestehen (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181; 122 I 5 E. 4a S. 6). Mit dieser
Formulierung soll aber insbesondere ausgeschlossen werden, dass mit dem
Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege bis zum Hauptentscheid
zugewartet und diese dann mit dem Argument verweigert wird, im Hauptentscheid
sei dem Gesuchsteller ein grösserer Geldbetrag zugesprochen worden und dieser
somit nicht mehr bedürftig (vgl. BGE 118 Ia 369); in einer solchen
Konstellation aktualisiert sich vielmehr die Pflicht zur Rückerstattung der im
Rahmen der unentgeltlichen Rechtspflege vorgestreckten Geldmittel.

In Anbetracht dieses Zweckgedankens hindert nichts, auf die Verhältnisse im
Zeitpunkt des Entscheides über die unentgeltliche Rechtspflege abzustellen;
jedenfalls angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles
hält ein solches Vorgehen vor dem verfassungsmässigen Anspruch gemäss Art. 29
Abs. 3 BV stand. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass es sich bei der
unentgeltlichen Rechtspflege um ein auf einem gegenseitigen
Vertrauensverhältnis beruhendes Administrativverhältnis zwischen prozessarmem
Bürger und Staat handelt, dass den um unentgeltliche Rechtspflege Nachsuchenden
eine Mitwirkungspflicht am Verfahren und eine Offenbarungspflicht hinsichtlich
seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse trifft (BGE 120 Ia 179 E. 3a S.
181) und dass die unentgeltliche Rechtspflege entzogen werden muss, sobald ihre
Voraussetzungen dahinfallen (§ 132 ZPO/AG; vgl. zum jederzeit möglichen Entzug
auch BGE 122 I 5 E. 4b S. 7). Es würde nun aber offensichtlichen prozessualen
Leerlauf bedeuten, die unentgeltliche Rechtspflege zu erteilen und mit einem
separaten Entscheid sofort wieder zu entziehen. Vor diesem Hintergrund ist der
aus Art. 29 Abs. 3 BV fliessende Minimalanspruch nicht verletzt, wenn das
Obergericht die während dem hängigen Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege
abgeschlossene Vereinbarung und Vermögensverschiebung durch die
Beschwerde-führerin berücksichtigt hat.

Im Übrigen ist das Obergericht zu Recht von einem rechtsmissbräuchlichen
Verhalten ausgegangen, wenn während des hängigen Gesuchs in grossem Umfang frei
werdende Mittel ohne Rechtsgrund an Dritte übertragen werden, um als mittellos
dazustehen. Solches Verhalten ist treuwidrig und missbräuchlich, weshalb auch
insoweit der verfassungsmässige Anspruch gemäss Art. 29 Abs. 3 BV mit der
Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht verletzt ist.

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf sie
eingetreten werden kann. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, ist sie als
von Anfang an aussichtslos zu bezeichnen, weshalb es bereits an den materiellen
Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt und diese ihrerseits für
das bundesgerichtliche Verfahren zu verweigern ist (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der
Beschwerdeführerin sind demzufolge die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die als Verfassungsbeschwerde betitelte Eingabe vom 12. Oktober 2007 wird als
Beschwerde in Zivilsachen entgegen genommen.

2.
Sie wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren
wird abgewiesen.

4.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

5.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Obergericht des Kantons
Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 20. März 2008
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Raselli Möckli