Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.9/2007
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5A_9/2007 /blb

Urteil vom 20. April 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter L. Meyer,
Gerichtsschreiber Gysel.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Rita Wenger-Lenherr.

Vorsorgliche Massnahmen im Verfahren betreffend Abänderung des
Scheidungsurteils,

Beschwerde in Zivilsachen gegen den Beschluss des Obergerichts
(I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 9. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Scheidungsurteil vom 16. Mai 2000 verpflichtete das Obergericht des
Kantons Thurgau X.________ zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen an Y.________
von Fr. 1'700.-- bis zu seinem Eintritt ins AHV-Alter und von hernach
Fr. 1'400.-- bis zum Eintritt der geschiedenen Ehefrau ins AHV-Alter.

B.
Am 10. Januar 2003 erhob X.________ beim Bezirksgericht G.________ Klage auf
Abänderung des Scheidungsurteils und verlangte die vollständige Aufhebung
seiner Unterhaltspflicht. Sodann stellte er mit Eingabe vom 16. August 2004
das Begehren, er sei im Sinne einer vorsorglichen Massnahme bereits während
des laufenden Verfahrens von jeder Unterhaltspflicht zu befreien. Der
Einzelrichter im ordentlichen Verfahren am Bezirksgericht G.________ wies
dieses Gesuch am 8. Juli 2005 ab. Den von X.________ dagegen erhobenen Rekurs
wies das Obergericht (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich mit Beschluss vom
9. Januar 2007 ab, soweit es darauf eintrat.

C.
X.________ ist am 30. Januar 2007 mit einer als "staatsrechtliche Beschwerde"
bezeichneten Eingabe an das Bundesgericht gelangt. Er beantragt die Aufhebung
des obergerichtlichen Beschlusses und - sinngemäss - die Rückweisung der
Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. Zudem stellt er das Gesuch, ihm
für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren.

Y. ________ (Beschwerdegegnerin) schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht (BGG; SR
173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene Entscheid
ist nachher ergangen, so dass das neue Recht anzuwenden ist (Art. 132 Abs. 1
BGG).

1.1 Der Erlass vorsorglicher Massnahmen in einem Verfahren um Abänderung
eines Scheidungsurteils ist eine Zivilsache im Sinne von Art. 72 Abs. 1 BGG.
Strittig ist die Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers, mithin eine
vermögensrechtliche Angelegenheit. Die Streitwertgrenze von 30'000 Franken
(Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) ist überschritten. Die vom Beschwerdeführer
vorgebrachten Rügen können mit keinem kantonalen Rechtsmittel erhoben werden
(vgl. §§ 281 ff. der Zürcher Zivilprozessordnung), so dass die Beschwerde in
Zivilsachen auch aus der Sicht von Art. 75 Abs. 1 BGG offen steht. Dass die
Eingabe als "staatsrechtliche Beschwerde" bezeichnet wird, schadet dem
Beschwerdeführer entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht.

1.2 Mit der Beschwerde in Zivilsachen können ausser Endentscheide (Art. 90
BGG) unter gewissen Voraussetzungen auch Teilentscheide (Art. 91 BGG) sowie
Vor- bzw. Zwischenentscheide (Art. 92 f. BGG) angefochten werden.

1.2.1 Unter der Herrschaft des Bundesrechtspflegegesetzes vom 16. Dezember
1943 (OG) galten Entscheide über Begehren um Anordnung vorsorglicher
Massnahmen im Verfahren betreffend Abänderung eines Scheidungsurteils als
Zwischenentscheide. Mit der Begründung, sie hätten insofern einen nicht
wiedergutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur zur Folge, als dem
Betroffenen für eine bestimmte Zeit die Verfügungsmacht über
Vermögensbestandteile entzogen bleibe, wurden gegen sie erhobene
staatsrechtliche Beschwerden im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG zugelassen
(Urteil des Bundesgerichts 5P.349/2001 vom 6. November 2001, E. 2; BGE 105 Ia
318 E. 2a S. 320 f. mit Hinweisen).

1.2.2 Das Bundesgerichtsgesetz nennt Endentscheid den Entscheid, der das
Verfahren abschliesst (Art. 90 BGG). Anders als nach der Praxis zur
(altrechtlichen) Berufung (Art. 48 Abs. 1 OG), wonach ein Endentscheid nur
dann vorlag, wenn das kantonale Sachgericht über den im Streit stehenden
Anspruch materiell entschieden oder dessen Beurteilung aus einem Grund
abgelehnt hatte, der endgültig verbot, dass der gleiche Anspruch nochmals
geltend gemacht wird (BGE 132 III 178 E. 1.1 S. 180 mit Hinweisen), genügt
für die neurechtliche Beschwerde allgemein der rein formelle Abschluss eines
Verfahrens (vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4331 Ziff. 4.1.4.1). Als Beispiele für neu
als Endentscheide zu betrachtende Entscheide werden in der erwähnten
Botschaft (a.a.O. S. 4331 f.) unter anderem letztinstanzliche Entscheide in
Eheschutzsachen (Art. 172 ff. ZGB) angeführt.

1.2.3 Schon unter dem früheren Scheidungsrecht hatte das Bundesgericht
erklärt, dass in einem Verfahren auf Abänderung des in einem Scheidungsurteil
festgelegten Unterhaltsbeitrags (aArt. 153 Abs. 2 ZGB; heute: Art. 129 ZGB)
die Bestimmungen über die Anordnung vorsorglicher Massnahmen für die Dauer
des Scheidungsverfahrens (aArt. 145 ZGB; heute: Art. 137 ZGB) analog
anzuwenden seien (BGE 118 II 228 E. 3b S. 228). Vorsorgliche Massnahmen nach
Art. 137 ZGB ergehen "während des Scheidungsverfahrens" (Marginale). Sie
unterscheiden sich von rein prozessualen, den Ablauf des Verfahrens regelnden
Vorkehren und werden denn auch nicht im Hauptverfahren selbst angeordnet,
sondern in einem zur gleichen Zeit laufenden Nebenverfahren. Sodann dienen
vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 137 ZGB nicht etwa der
Vollstreckung des zu fällenden Scheidungsurteils und sind insofern von diesem
unabhängig. Ihr Zweck besteht darin, ohne Begründung (vgl. Botschaft vom
15. November 1995 über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches,
BBl 1996 I S. 137 Ziff. 234.4) und ohne Formalitäten den gemeinsamen Haushalt
aufzuheben (Art. 137 Abs. 1 ZGB) und zum Schutz eines der Ehegatten oder der
Kinder die nötigen Modalitäten des Getrennlebens zu regeln (Art. 137 Abs. 2
ZGB).

1.2.4 Entscheide über vorsorgliche Massnahmen nach Art. 137 ZGB sind nach dem
Gesagten als Endentscheide im Sinne von Art. 90 BGG zu betrachten. Für
vorsorgliche Massnahmen, die im Rahmen eines Abänderungsprozesses nach
Art. 129 ZGB erlassen wurden, sind keine Besonderheiten ersichtlich, die eine
abweichende Behandlung gebieten würden. Beim vorliegend angefochtenen
Beschluss handelt es sich demnach um einen Endentscheid, so dass auf die
Beschwerde auch aus dieser Sicht ohne weiteres einzutreten ist.

2.
2.1 Mit der Beschwerde gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen kann nur
die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht werden (Art. 98
BGG). Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten nur insofern,
als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist
(Art. 106 Abs. 2 BGG). Bei der in der vorliegenden Beschwerde erhobenen
Willkürrüge ist klar und detailliert aufzuzeigen, inwiefern der kantonale
Entscheid offensichtlich unhaltbar sein, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzen oder sonst wie in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen soll (BGE 132 I 13 E. 5.1 S. 17; 120 Ia
31 E. 4b S. 40, mit Hinweisen). Auf rein appellatorische Kritik, wie sie
allenfalls im Rahmen eines Berufungsverfahrens zulässig ist, wird nicht
eingetreten (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f. mit Hinweisen).

2.2 Für eine vorsorgliche Abänderung von rechtskräftig festgesetzten
Unterhaltsbeiträgen müssen nach der Rechtsprechung liquide tatsächliche
Verhältnisse gegeben sein, die den voraussichtlichen Verfahrensausgang
einigermassen zuverlässig abschätzen lassen (Urteil des Bundesgerichts
5P.269/2004 vom 3. November 2004, E. 2 mit Hinweisen).

2.2.1 Das Obergericht führt zur Begründung seines ablehnenden Entscheids aus,
eine Aufhebung der Unterhaltspflicht im Rahmen vorsorglicher Massnahmen sei
nur ausnahmsweise vorzunehmen, dann nämlich, wenn nach summarischer Prüfung
der Sachlage glaubhaft erscheine, dass dem Unterhaltsschuldner trotz
Berücksichtigung der Interessen der Unterhaltsberechtigten die Erfüllung der
bisherigen Verpflichtungen bis zum Abschluss des Hauptverfahrens schlechthin
nicht zuzumuten sei. Zudem komme eine Abänderung von Unterhaltsbeiträgen nur
in Frage, wenn die geltend gemachte Veränderung der Verhältnisse im Zeitpunkt
der Scheidung nicht vorhersehbar gewesen und vom Unterhaltsschuldner nicht
freiwillig herbeigeführt worden sei.
Konkret hält das Obergericht alsdann fest, der Beschwerdeführer habe seiner
Lebenspartnerin einen Betrag von Fr. 100'000.-- aus seinem Vorsorgekapital
geschenkt, wovon diese ihm im Juni 2004 Fr. 83'800.-- zurückbezahlt habe.
Diesen Betrag wolle der Beschwerdeführer in einem Wutanfall "endgültig
entsorgt" haben, so dass er für niemanden mehr zur Verfügung stehe. Werde
davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer über den genannten Betrag aus
dem Vorsorgekapital nicht mehr verfüge, sei zu bemerken, dass er zumindest im
Umfang von Fr. 83'800.-- seine Vermögenslosigkeit im Wissen um seine
Unterhaltspflichten freiwillig herbeigeführt habe, weshalb er sie der
Beschwerdegegnerin nicht entgegen halten könne. Selbst wenn das Verfahren
noch ein weiteres Jahr dauern sollte, hätte der Beschwerdeführer mit dem ihm
im Juni 2004 zugeflossenen Betrag seiner Unterhaltspflicht während dessen
Dauer ohne weiteres nachkommen können, womit das Vorliegen eines
Abänderungsgrundes jedenfalls für das Massnahmenverfahren zu verneinen sei.

2.2.2 Der Vorwurf des Beschwerdeführers, das Obergericht habe sich mit der
Kernfrage, den "tatsächlichen liquiden Verhältnissen", überhaupt nicht
auseinandergesetzt, trifft nach dem Gesagten nicht zu. Die kantonale Instanz
hat die massgeblichen Kriterien durchaus berücksichtigt, ist aber bei ihrer
Würdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt als der Beschwerdeführer. Dieser
verweist auf seine aktuelle finanzielle Lage und die seit der Scheidung
eingetretenen Änderungen. Zudem habe das Obergericht die Praxis des
Bundesgerichts ausser Acht gelassen, wonach im Falle einer
Vermögensentäusserung, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, auf
die effektive Leistungsfähigkeit des Schuldners abzustellen sei. Schliesslich
beanstandet der Beschwerdeführer, dass sich der angefochtene Beschluss nicht
über die Frage ausspreche, ob die Aufhebung der Unterhaltsrente für die
Beschwerdegegnerin zumutbar sei.
Mit seinen Ausführungen strebt der Beschwerdeführer letztlich eine
Vorwegnahme des Entscheids in der Hauptsache an und übergeht er die Frage der
nur unter strengen Voraussetzungen möglichen Prognose über den Ausgang des
Abänderungsverfahrens vollständig. Die Vorbringen genügen den an die
Begründung einer Rüge der Verletzung verfassungsmässiger Rechte gestellten
Anforderungen in keiner Weise. Auf die Beschwerde ist aus diesem Grund
deshalb nicht einzutreten.

3.
Die Beschwerde erschien unter den dargelegten Umständen von vornherein als
aussichtslos. Das Gesuch des Beschwerdeführers, ihm für das
bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, ist
daher abzuweisen (vgl. Art. 64 Abs. 1 BGG), und die Gerichtsgebühr ist
ausgangsgemäss dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dieser
ist ausserdem zu verpflichten, die Beschwerdegegnerin für ihre Umtriebe im
bundesgerichtlichen Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen wird nicht eingetreten.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers, ihm für das bundesgerichtliche Verfahren
die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Der Beschwerdeführer wird verpflichtet, die Beschwerdegegnerin für ihre
Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (I. Zivilkammer) des
Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. April 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: