Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.72/2007
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{T 0/2}
5A_72/2007 /zbe

Urteil vom 5. April 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Escher, Hohl,
Gerichtsschreiber Zbinden.

X. ________,
zzt. Psychiatrische Klinik A.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet,

gegen

Präsident des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und
Verwaltungsrecht, Poststrasse 3, 4410 Liestal.

fürsorgerische Freiheitsentziehung (unentgeltliche Rechtspflege),

Beschwerde in Zivilsachen gegen das Urteil des Präsidenten des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und
Verwaltungsrecht, vom 26. Januar 2007.

Sachverhalt:

A.
Das Vormundschaftsamt des Kantons Basel-Landschaft wies am 13. Januar 2007
X.________ im Rahmen einer vorsorglichen fürsorgerischen Freiheitsentziehung
für längstens zehn Wochen in die  Psychiatrische Klinik A.________ ein.
X.________ beschwerte sich dagegen beim Kantonsgericht Basel-Landschaft. Der
Präsident des Kantonsgerichts setzte die Verhandlung auf den 26. Januar 2007
an, worauf ihm Rechtsanwalt Dr. Nicolas Roulet mit Schreiben vom 18. Januar
2007 mitteilte, er vertrete die Interessen der Eingewiesenen und habe sich
den Verhandlungstermin vorgemerkt. Für dieses Verfahren wurde um
unentgeltliche Prozessführung ersucht.

B.
Am 26. Januar 2007 wies der Präsident des Kantonsgerichts sowohl die
Beschwerde gegen die vorsorgliche fürsorgerische Freiheitsentziehung (Ziff.
1) als auch das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung (Ziff. 3) ab und
erhob in der Sache keine Kosten (Ziff. 2). Zur Begründung der Abweisung der
unentgeltlichen Prozessführung brachte er vor, die Beschwerdeführerin habe
weder Unterlagen zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen noch ein
Zeugnis zur Erlangung der unentgeltlichen Prozessführung eingereicht, weshalb
ihre Bedürftigkeit nicht genügend glaubhaft gemacht sei.

C.
Die inzwischen aus der Anstalt entlassene Beschwerdeführerin hat gegen Ziffer
3 des Urteils vom 26. Januar 2007 Beschwerde in Zivilsachen, bzw. subsidiäre
Verfassungsbeschwerde eingereicht mit dem Antrag, Ziffer 3 des Urteils des
Präsidenten des Kantonsgerichts aufzuheben und ihr für das vorinstanzliche
Verfahren die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung zu bewilligen,
eventuell die Angelegenheit zur Neuregelung des Kostenentscheids an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Gerügt wird eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
(Art. 29 Abs. 2 BV), der Bestimmung über die unentgeltliche Rechtspflege
(Art. 29 Abs. 3 BV) sowie überspitzter Formalismus (Art. 29 Abs. 1 BV). Für
das bundesgerichtliche Verfahren stellt die Beschwerdeführerin ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege.
Der Präsident des Kantonsgerichts hat keine Vernehmlassung eingereicht.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht in Kraft
getreten (BGG; SR 173.110; AS 2006 1205, 1243). Der angefochtene Entscheid
ist nach Inkrafttreten des Gesetzes ergangen, weshalb dieses Gesetz
anzuwenden ist (Art. 132 Abs. 1 BGG).

1.2 Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid betreffend Verweigerung
der unentgeltlichen Prozessführung. Dabei handelt es sich nach der bisherigen
bundesgerichtlichen Praxis um einen Zwischenentscheid, welcher in der Regel
einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirkt (BGE 129 I 129 E. 1.1).
Diese Auffassung geht indes davon aus, dass über die unentgeltliche
Rechtspflege vorgängig zur Hauptsache entschieden wird. Ist jedoch - wie
vorliegend - über die unentgeltliche Rechtspflege im Rahmen des Entscheides
über die Hauptsache (Beschwerde gegen die fürsorgerische Freiheitsentziehung)
befunden worden, so liegt kein Zwischenentscheid vor, zumal das Verfahren mit
dem gleichzeitig ergangenen Entscheid in der Hauptsache seinen Abschluss
gefunden hat. Diesfalls handelt es sich vielmehr um einen Endentscheid, der
mit dem gegen den Entscheid in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel
angefochten werden kann. An der Einheit des Rechtsmittels ändert nichts, dass
einzig der Entscheid bezüglich der unentgeltlichen Rechtspflege angefochten
ist. Da gegen den Endentscheid betreffend die fürsorgerische
Freiheitsentziehung die Beschwerde in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2
lit. b Ziff. 6 BGG, Art. 75 Abs. 1 BGG), steht sie nach dem Gesagten auch
gegen den ausschliesslich angefochtenen Entscheid über die unentgeltliche
Rechtspflege offen. Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann die Verletzung von
Bundesrecht, mithin auch die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt
werden (Art. 95 lit. a BGG).

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin macht zusammengefasst geltend, für den Fall, dass
jemandem während längerer Zeit die Freiheit entzogen werde, sei davon
auszugehen, dass er über keine Einkünfte verfüge und somit als bedürftig zu
gelten habe. Dem zu den Akten gereichten Schreiben an die Psychiatrische
Klinik A.________ vom 24. Januar 2007 könne entnommen werden, dass sie
bereits zu Beginn des Jahres ein erstes Mal in die Klinik eingewiesen worden
und seit dem 13. Januar 2007 dauernd hospitalisiert gewesen sei. Im weiteren
habe es sich laut diesem Bericht um den vierzigsten Aufenthalt in einer
Anstalt gehandelt. Unter den gegebenen Umständen sei die Bedürftigkeit
offensichtlich und erweise es sich als überspitzt formalistisch, zu deren
Nachweis auf der Einreichung von Belegen und Zeugnissen zu beharren
(Beschwerde S. 7 Ziff. 21, 22, 23).

2.2 Überspitzter Formalismus ist eine besondere Form der Rechtsverweigerung.
Er liegt u.a. dann vor, wenn der Richter Prozessvorschriften mit
übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte
Anforderungen stellt. Da jedoch prozessuale Formen unerlässlich sind, um die
ordnungsgemässe und rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens und die
Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten, verletzt nicht jede
prozessuale Formstrenge Art. 29 Abs. 1 BV. Überspitzter Formalismus setzt
vielmehr voraus, dass die strikte Anwendung der Formvorschriften durch keine
schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird
und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert
oder verhindert (BGE 120 II 425 E. 2a mit Hinweisen; 132 I 249 E. 5 S. 253).

2.3 Aufgrund der dem Präsidenten des Kantonsgerichts vorgelegenen Akten und
der tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil leidet die
Beschwerdeführerin an einem Suchtproblem (Alkohol- und
Benzodiazepinabhängigkeit) sowie an manischen Episoden mit psychotischen
Symptomen im Rahmen einer bipolaren Störung. Sie war bereits zu Beginn des
Jahres in die Klinik eingewiesen worden und ist seit dem 13. Januar 2007
dauernd hospitalisiert gewesen, wobei es sich bei diesem Aufenthalt um den
vierzigsten handelt. Unter den gegebenen tatsächlichen Umständen ist die
Bedürftigkeit offensichtlich. Es erweist sich daher als überspitzt
formalistisch, auf der Einreichung von Unterlagen und dem Zeugnis zur
Erlangung der unentgeltlichen Prozessführung zu beharren. Damit ist die
Beschwerde gutzuheissen und Ziffer 3 des angefochtenen Urteils aufzuheben.
Unter diesen Umständen erübrigen sich Ausführungen zu den weiteren Rügen der
Beschwerdeführerin.

2.4 Der angefochtene Entscheid enthält keine tatsächlichen Feststellungen zu
den weiteren Voraussetzungen der unentgeltlichen Prozessführung
(Aussichtslosigkeit, Notwendigkeit der anwaltlichen Verbeiständung), weshalb
die Angelegenheit dem Eventualantrag entsprechend zu den erforderlichen
tatsächlichen Feststellungen und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz
zurückzuweisen ist.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs.
4 BGG). Der Kanton Basel-Landschaft hat indes die Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

4.
Mit der vorliegenden Kosten- und Entschädigungsregelung wird das Gesuch der
Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche
Verfahren gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und Ziffer 3 des Urteils des Präsidenten des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und
Verwaltungsrecht, vom 26. Januar 2007 aufgehoben. Die Sache wird zu Ergänzung
der tatsächlichen Feststellungen und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Der Kanton Basel-Landschaft hat die Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Präsidenten des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und
Verwaltungsrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. April 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: