Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.550/2007
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5A_550/2007

Urteil vom 28. November 2007
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber Rapp.

X. ________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Becker,

gegen

Y.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Miescher,

Betreibungsamt B.________.

Pfändung,

Beschwerde gegen den Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission
des Obergerichts des Kantons Aargau als der oberen betreibungsrechtlichen
Aufsichtsbehörde vom 13. August 2007.

Sachverhalt:

A.
X. ________ (nachfolgend: Beschwerdeführerin) wurde von der Y.________ AG
(nachfolgend: Beschwerdegegnerin) für eine Forderung von Fr. 28'891.50
zuzüglich Zins von 5 % seit 1. März 1994 und Kosten betrieben.

B.
Am 29. März 2006 erliess das Betreibungsamt B.________ gegen die
Beschwerdeführerin infolge ungenügenden pfändbaren Vermögens eine
Lohnpfändung und setzte gestützt auf ein Monatseinkommen der
Beschwerdeführerin von Fr. 4'406.50 bei einem Existenzbedarf von Fr. 2'793.60
einen Betrag von Fr. 1'612.90 fest.

C.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin am 12. Juni 2006 beim Gerichtspräsidium
C.________ als der unteren betreibungsrechtlichen Aufsichtsbehörde Beschwerde
und stellte den Antrag, es sei die pfändbare Quote zu reduzieren. Mit Urteil
vom 30. Juni 2006 wies das Gerichtspräsidium die Beschwerde ab.

D.
Gegen dieses am 21. Juli 2006 zugestellte Urteil erhob die Beschwerdeführerin
am 11. August 2006 bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des
Obergerichts des Kantons Aargau als der oberen betreibungsrechtlichen
Aufsichtsbehörde Beschwerde und beantragte, es sei das Betreibungsamt
B.________ anzuweisen, das Existenzminimum mit Fr. 4'091.-- festzusetzen und
damit eine Lohnpfändung von Fr. 315.50 zu verfügen. Ferner beantragte die
Beschwerdeführerin unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsvertretung. Das
Obergericht trat mit Entscheid vom 13. August 2007 auf die Beschwerde nicht
ein und wies das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsvertretung
ab.

E.
Die Beschwerdeführerin hat beim Bundesgericht am 27. September 2007
Beschwerde in Zivilsachen mit dem Antrag eingereicht, es sei der Entscheid
des Obergerichts vollumfänglich aufzuheben und die Sache zur Beurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner ersuchte sie um Bewilligung der
unentgeltlichen Rechtspflege. Mit Eingabe vom 5. November 2007 stellte die
Beschwerdegegnerin ein Gesuch um Sicherstellung der Parteientschädigung,
welches mit Verfügung vom 6. November 2007 als gegenstandslos abgeschrieben
wurde.
Die Vorbringen der Beschwerdegegnerin in ihrer Vernehmlassung vom 5. November
2007 werden nachfolgend dargelegt (s. E. 3.2 und 4.2). Das Betreibungsamt
B.________ und die Vorinstanz sahen von einer Stellungnahme ab.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid in Schuldbetreibungs- und
Konkurssachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a i.V.m. Art. 75 Abs. 1 BGG).
Beschwerdeentscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden über Verfügungen des
Betreibungs- und Konkursamtes gemäss Art. 17 SchKG sind Endentscheide i.S.v.
Art. 90 BGG, zumal diese Verfügungen im laufenden Vollstreckungsverfahren
grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt werden können (BGE 133 III 350
E. 1.2 S. 351).
Mit der Beschwerde kann die Verletzung von eidgenössischem Recht gerügt
werden (Art. 95 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit
vorgebracht werden, als der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt
(Art. 99 Abs. 1 BGG).

2.
Das Obergericht begründete seinen Nichteintretensentscheid damit, dass die
Beschwerde gegen das Urteil des Gerichtspräsidiums C.________ zufolge
Fristverwirkung nicht mehr zulässig gewesen sei. Es erwog, dass das
vorinstanzliche Urteil der Beschwerdeführerin am 21. Juli 2006 - mithin
während der vom 15. bis zum 31. Juli 2006 dauernden Sommerbetreibungsferien
(Art. 56 Ziff. 2 SchKG) - zugestellt worden sei. Da mit diesem Urteil
lediglich eine Beschwerdebeurteilung vorgenommen worden sei, liege keine
Betreibungshandlung i.S.v. Art. 56 SchKG vor, welche während der
Betreibungsferien nicht hätte vorgenommen werden dürfen. Daher habe die Frist
zur Anfechtung des vorinstanzlichen Urteils als gesetzliche, unabänderliche
Frist mit dem 22. Juli 2006 zu laufen begonnen und am 4. August 2006 geendigt
(Art. 18 Abs. 1 i.V.m. Art. 63 SchKG). Die Beschwerde sei jedoch erst mit
Postaufgabe vom 11. August 2006 eingereicht worden.
Das Begehren um unentgeltliche Rechtspflege sei zufolge Fristverwirkung zum
vornherein aussichtslos. Ausserdem sei eine anwaltliche Vertretung nicht
notwendig, sodass die unentgeltliche Rechtsvertretung auch aus diesem Grund
abzuweisen sei.

3.
Strittig ist zunächst, ob das Urteil des Gerichtspräsidiums C.________ als
Betreibungshandlung i.S.v. Art. 56 SchKG zu qualifizieren sei.

3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ein Beschwerdeentscheid
betreffend die pfändbare Lohnquote als eine solche Betreibungshandlung
betrachtet werden müsse, wie dies unbestrittenermassen auch für die
Pfändungsurkunde gelte. So werde mit Ersterem nicht nur darüber befunden, ob
eine Beschwerde berechtigt sei, sondern letztlich festgelegt und für den
Betreibungsbeamten verbindlich vorgegeben, in welcher Höhe der Lohn des
Schuldners gepfändet werden dürfe. Damit greife die Aufsichtsbehörde
gestaltend in das Vollstreckungsverfahren ein und nehme eine
Betreibungshandlung vor, welche die Rechtsstellung des Schuldners tangiere
und mit welcher das Vollstreckungsverfahren in das nächste Stadium - den
Vollzug der Pfändung - vorrücke. Sodann übt die Beschwerdeführerin Kritik an
der jüngeren bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Begriff der
Betreibungshandlungen nach Art. 56 SchKG (zu dieser Praxis s. E. 3.3). Diese
Rechtsprechung werfe heikle Abgrenzungsfragen auf, welche der
Rechtssicherheit abträglich seien. Ausserdem hätten die vom Bundesgericht zu
beurteilenden Fälle nicht die Frage betroffen, inwieweit in das Vermögen bzw.
in die Rechtsstellung des Schuldners eingegriffen werden dürfe.
Ferner macht die Beschwerdeführerin geltend, ihr Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege sei aufgrund ihrer Ausführungen zur Sache nicht von vornherein
aussichtslos. Sie habe nicht die Möglichkeit gehabt, vor der unteren
Aufsichtsbehörde ihren Standpunkt betreffend Sachverhalt und rechtliche
Argumente zu vertreten. Auch sei der Beizug eines Rechtsvertreters
unausweichlich.

3.2 Die Beschwerdegegnerin wendet in ihrer Vernehmlassung ein, die
Beschwerdeführerin sei ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen. Diese
habe zwar ausgeführt, das Urteil des Gerichtspräsidiums stelle eine
Betreibungshandlung gemäss Art. 56 SchKG dar, sie habe aber nicht dargetan,
inwiefern der angefochtene Entscheid Bundesrecht oder kantonales Recht
verletze; sie habe lediglich eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes sowie
eine Vereitelung des rechtlichen Gehörs erwähnt. Im Hinblick auf die oben
erwähnte Rechtsprechung des Bundesgerichts werde mit dem Entscheid der
Aufsichtsbehörde über die Begründetheit einer Beschwerde nicht selbständig in
das Verfahren eingegriffen und sei dieser Entscheid daher keine
Betreibungshandlung gemäss Art. 56 SchKG.

3.3 Entgegen den Ausführungen der Beschwerdegegnerin hat die
Beschwerdeführerin genügend dargetan, inwieweit sie im vorinstanzlichen
Entscheid eine Verletzung von Art. 56 SchKG sieht.
Indes fallen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts Vorkehren der
betreibungsrechtlichen Aufsichtsbehörden nur dann unter das Verbot der
Vornahme von Betreibungshandlungen gemäss Art. 56 SchKG, wenn diese Behörden
selbständig in das Verfahren eingreifen und dem Betreibungsbeamten die
Vornahme einer Betreibungshandlung vorschreiben; entscheiden sie nur über die
Begründetheit einer Beschwerde oder eines Rekurses, liegt dagegen keine
Betreibungshandlung im Sinne der genannten Bestimmung vor (BGE 115 III 6 E. 5
S. 10, 11 E. 1b S. 13 f.; 117 III 4 E. 3 S. 5).
Es besteht kein Anlass, von dieser Praxis abzuweichen. Da das
Gerichtspräsidium C.________ lediglich über die Begründetheit einer
Beschwerde entschieden hat, stellt dessen Urteil demnach keine
Betreibungshandlung i.S.v. Art. 56 SchKG dar.
Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 56 SchKG rügt, ist
ihre Beschwerde daher abzuweisen. Dies gilt sowohl insofern, als die
Vorinstanz nicht auf die Beschwerde eingetreten, als auch insofern, als das
Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege und
Rechtsvertretung abgewiesen worden ist.

4.
Sodann beruft sich die Beschwerdeführerin auf den Vertrauensgrundsatz.

4.1 Die Beschwerdeführerin führt an, sie habe sich am 25. Juli 2006
telefonisch beim Gerichtspräsidium C.________ über den Zeitpunkt des
Fristablaufs für die Beschwerde vor Obergericht erkundigt. Die Kanzleichefin
habe ihr zur Auskunft gegeben, die Frist ende am 14. August 2006, was ihr
anlässlich einer Einsichtnahme in die Akten bestätigt und auf der
Empfangsbestätigung schriftlich vermerkt worden sowie im EDV-System des
Bezirksgerichts C.________ eingetragen gewesen sei. Da sie auf die Auskunft
der Kanzleichefin habe vertrauen dürfen, sei durch den
Nichteintretensentscheid des Obergerichts ihr rechtliches Gehör verletzt
worden.

4.2 Die Beschwerdegegnerin macht in ihrer Vernehmlassung geltend, die
Beschwerdeführerin habe nicht dargetan, dass sie vor dem 5. August 2006 auf
der Gerichtskanzlei gewesen sei, sondern habe bloss behauptet, im Anschluss
an das Telefongespräch dort vorbei gegangen zu sein. Ausserdem könne sich die
Beschwerdeführerin schon deshalb nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen,
weil es sich bei der Beschwerdefrist um eine gesetzliche Frist handle.

4.3 Soweit sich die Beschwerdeführerin auf den Vertrauensgrundsatz und ihr
rechtliches Gehör beruft, stützt sie sich auf einen Sachverhalt, den sie vor
Obergericht nicht vorgebracht hat. Vielmehr hat sie in ihrer Beschwerde an
das Obergericht lediglich festgehalten, der darin angefochtene Entscheid sei
von ihr am 21. Juli 2006 in Empfang genommen worden, und daher ende die Frist
unter Berücksichtigung von Art. 56 SchKG am 14. August 2006, sodass die
Beschwerdefrist mit Postaufgabe am 11. August 2006 gewahrt sei. Da sie vor
Obergericht bereits anwaltlich vertreten war und ihrem Rechtsvertreter die
oben genannte Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 56 SchKG (s. E. 3.3)
hätte bekannt sein müssen, wäre sie durchaus veranlasst gewesen, in ihrer
Beschwerdeschrift an die Vorinstanz auf die angebliche Auskunftserteilung
hinzuweisen, wie sie es denn auch vor Bundesgericht im Sinne einer
Eventualbegründung getan hat (s. E. 4.1). Damit hätte das Obergericht diesen
Umstand in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht würdigen können. Da es die
Beschwerdeführerin jedoch unterlassen hat, die diesbezüglichen Vorbringen
vorinstanzlich geltend zu machen, handelt es sich um neue und somit
unzulässige Tatsachen (Art. 99 Abs. 1 BGG). Insoweit ist auf die Beschwerde
nicht einzutreten.

5.
Insgesamt ist damit die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, konnte der Beschwerde von Anfang an
kein Erfolg beschieden sein, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen
der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das
betreffende Gesuch abzuweisen ist.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Überdies hat sie die
Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen
(Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 500.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Schuldbetreibungs- und Konkurskommission
des Obergerichts des Kantons Aargau als der oberen betreibungsrechtlichen
Aufsichtsbehörde sowie dem Betreibungsamt B.________ schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. November 2007

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Raselli Rapp