Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.545/2007
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_545/2007/don

Urteil vom 9. Januar 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter L. Meyer, Bundesrichterin
Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Raselli,
Gerichtsschreiber Zbinden.

Parteien
1. X.________,
2. Y.________,
Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Fürsprecher Michael Ueltschi,

gegen

Z.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Fürsprecher Ernst Hauser.

Gegenstand
Arresteinsprache,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern,
Appellationshof, 2. Zivilkammer, vom 17. August 2007.

Sachverhalt:

A.
A.a Auf Ersuchen von Z.________ (Gesuchstellerin) erliess der Gerichtspräsident
1 des Gerichtskreises XIII Obersimmental-Saanen als Arrestrichter am 9. Februar
2007 gestützt auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG einen Arrestbefehl gegen
X.________ und Y.________ (Gesuchsgegner) über eine Forderung von Fr.
8'002'221.-- nebst Zins zu 5% seit dem 19. Oktober 2003.
A.b Da sich das Gesuch gegen zwei Personen richtete, wurden zwei Arreste
erfasst (Arrest-Nr. 1 und Arrest-Nr. 2) und am 12. Februar 2007 vom
Betreibungsamt Berner Oberland, Dienststelle Obersimmental-Saanen, Blankenburg,
vollzogen. Anlässlich des Vollzuges waren die Gesuchsgegner persönlich und ihr
Rechtsvertreter anwesend. Das handschriftliche Arrestvollzugsprotokoll wurde
von den Gesuchsgegnern unterzeichnet. Am gleichen Tag bestätigte der
Rechtsvertreter der Gesuchsgegner den Empfang der Arrestakten, welche die
Arrestbeilagen und den Arrestbefehl enthielten. Am 28. Februar 2007 holte er
für die Gesuchsgegner den Arrestbefehl und die Arresturkunde, welche ihm am 21.
Februar 2007 anvisiert worden waren, bei der Post ab und erhob mit einem am 12.
März 2007 der Post übergebenen Schriftsatz Einsprache für die Gesuchsgegner
(nachfolgend Einsprecher).

B.
Am 3. Mai 2007 hiess der Arrestrichter die Einsprachen teilweise gut und
reduzierte die Arrestforderung auf Fr. 2'723'230.--. Diesen Entscheid zog die
Gesuchstellerin (nachfolgend Einsprachegegnerin) an das Obergericht des Kantons
Bern weiter, welches den erstinstanzlichen Entscheid am 17. August 2007 aufhob
und die Einsprachen zurückwies.

C.
Die Einsprecher (Beschwerdeführer) haben dagegen am 21. September 2007
Beschwerde in Zivilsachen erhoben; sie beantragen den Entscheid des
Obergerichts des Kantons Bern vom 17. August 2007 aufzuheben, die Appellation
der Einsprachegegnerin (nachfolgend Beschwerdegegnerin) abzuweisen und den
erstinstanzlichen Entscheid zu bestätigen.
In ihrer Vernehmlassung vom 5. Dezember 2008 beantragt die Beschwerdegegnerin,
die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht
hat auf Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG) über
die Weiterziehung des Einspracheentscheides; er betrifft eine
Schuldbetreibungs- und Konkurssache, die mit Beschwerde in Zivilsachen an das
Bundesgericht weitergezogen werden kann (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG), zumal der
Streitwert von Fr. 30'000.-- bei weitem überschritten ist (Art. 74 Abs. 1 lit.
b BGG).

1.2 Die dem vorliegenden Entscheid zugrunde liegende Weiterziehung (Art. 278
Abs. 3 SchKG) des Entscheides über die Einsprache gegen den Arrestbefehl (Art.
278 Abs. 1 und 2 SchKG) bildet ein (bundesrechtlich vorgeschriebenes)
Rechtsmittel gegen den Einspracheentscheid (statt vieler: Reiser, Kommentar zum
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG III, 1998, N. 40 zu Art.
278 SchKG). Der Weiterziehungsentscheid beschlägt ausschliesslich das
betreffende Arrestverfahren und befindet ebenso wenig wie der Arrest selbst
endgültig über Bestand und Fälligkeit der Arrestforderung (Jaeger/Walder/ Kull/
Kottmann, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Band II, 4. Aufl.
1997/99, N. 30 zu Art. 278 SchKG). Er gilt damit wie der Arrestentscheid (BGE
133 III 589 E. 1) als vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 98 BGG (Urteil
5A_218/2007 vom 7. August 2007 E. 3.2). Damit kann vorliegend einzig die
Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 98 BGG), die das
Bundesgericht nur insofern prüft, als eine entsprechende Rüge in der Beschwerde
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das bedeutet, dass
- entsprechend den altrechtlichen Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1
lit. b OG - klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen
Entscheides darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden
sein sollen (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f. mit Hinweisen; 133 III 393 E. 6).
1.2.1 Die Beschwerdegegnerin wirft den Beschwerdeführern insbesondere vor, der
Begründungspflicht nicht entsprochen zu haben.
1.2.2 Die Beschwerdeführer haben in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des
angefochtenen Entscheides ausführlich begründet, weshalb der angefochtene
Entscheid ihrer Ansicht nach unhaltbar ist, so dass die Begründung entgegen der
Ansicht der Beschwerdegegnerin den Begründungsanforderungen genügt. Es besteht
damit kein Anlass, auf die Beschwerde mangels genügender Begründung nicht
einzutreten.

2.
2.1 Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid auf seine Praxis
hingewiesen, wonach für den Beginn der Einsprachefrist auf die Zustellung der
Arresturkunde abzustellen sei. Es hat indes im vorliegenden Fall eine Ausnahme
für angebracht erachtet, zumal die Beschwerdeführer anlässlich des
Arrestvollzuges zugegen gewesen seien, somit vom Arrest und seinen genauen
Modalitäten Kenntnis genommen hätten und ihr Rechtsvertreter Einblick in die
Arrestakten und die Arrestbeilagen, insbesondere auch in den Arrestbefehl,
bekommen habe. Aus diesen Gründen hat es das Datum des Arrestvollzuges (12.
Februar 2007) als massgebend für den Beginn der Einsprachefrist befunden und
hat deshalb die am 12. März 2007 der Post übergebenen Einsprachen als verspätet
zurückgewiesen.
2.2
2.2.1 Die Beschwerdeführer erachten den angefochtenen Entscheid als
verfassungswidrig, weil nach der herrschenden Lehre allein die Zustellung der
Arresturkunde als entscheidender Zeitpunkt für den Beginn der Einsprachfrist
betrachtet werde, auch wenn der Schuldner vorher vom Arrest Kenntnis genommen
habe; eine Ausnahme werde für den Fall des Rechtsmissbrauchs vorgesehen,
welcher aber im vorliegenden Fall zu verneinen sei. Das Obergericht habe weder
diesen Grundsätzen noch dem Umstand Rechnung getragen, dass mit der Revision
des Schuldbetreibungsrechts eine Besserstellung des Schuldners bezweckt worden
sei.
2.2.2 Soweit die Beschwerdegegnerin die Beschwerde überhaupt als rechtsgenügend
begründet erachtet, schliesst sie sich inhaltlich im Wesentlichen der
obergerichtlichen Auffassung an und bestreitet jegliche Verfassungsverletzung.

2.3 Wer durch einen Arrest in seinen Rechten betroffen ist, kann innert zehn
Tagen, nachdem er von dessen Anordnung Kenntnis erhalten hat, beim
Arrestrichter Einsprache erheben (Art. 278 Abs. 1 SchKG). In der Lehre wird zum
Teil die Auffassung vertreten, für den Beginn der Einsprachfrist sei aus
Gründen der Rechtssicherheit allein auf die Zustellung der Arresturkunde
abzustellen (Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, a.a.O., N. 11 zu Art. 278 SchKG;
Ottomann, Der Arrest, ZSR 115/1996, I S. 257; Yvonne Artho von Gunten, Die
Arresteinsprache, 2001, S. 46). Eine andere Lehrmeinung lässt die
Einsprachefrist bereits mit der Kenntnisnahme des Arrests beginnen, wobei zum
Teil ausdrücklich auf den Fall des beim Vollzug anwesenden Schuldners
hingewiesen wird (GASSER, Das Abwehrdispositiv der Arrestbetroffenen nach
revidiertem SchKG, ZBJV 130/1994, S. 601, Reiser, a.a.O., N. 29 f. zu Art. 278
SchKG; Stoffel/Chabloz, Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 23
zu Art. 278 SchKG; siehe auch: Jeandin, Aspects judiciaires relatifs à l'octroi
du séquestre, in: JdT 2006 II S. 68). Etwas nuanciert äussert sich STOFFEL (Das
neue Arrestrecht, AJP 1996 S. 1410 lit. b 2.), der festhält, dass der
Arrestschuldner "normalerweise" mit der Zustellung der Arresturkunde von der
Arrestanordnung Kenntnis erhalte. Ähnlich lautet die Ansicht von GILLIÉRON
(Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et faillite, 2003,
N. 73 zu Art. 278 SchKG), wonach die Frist spätestens mit der Zustellung der
Arresturkunde zu laufen beginne. Nach Chaix (Jurisprudence genevoise en matière
de séquestre, in: SJ 2005 II S. 358) beginnt die Einsprachefrist für den beim
Vollzug des Arrestes anwesenden oder vertretenen Schuldner mit dem Vollzug des
Arrestes, sofern ihm bzw. seinem Vertreter "une copie de l'ordonnance prévue
par l'art. 276 LP" ausgehändigt wird. Darunter versteht die Rechtsprechung des
Kantons Genf eine Kopie des Arrestbefehls ("ordonnance de séquestre", ACJC vom
14. März 2002, in: SJ 2002 I 485 E. 2a).

2.4 Artikel 278 Abs. 1 SchKG ist nicht die einzige Bestimmung, welche auf die
Kenntnisnahme abstellt. So sah bereits Art. 17 Abs. 2 aSchKG vor, dass die
Beschwerde an die Aufsichtsbehörde binnen zehn Tagen seit dem Tage angebracht
werden muss, an welchem der Beschwerdeführer von der Verfügung "Kenntnis
erhalten hat". Diese Bestimmung wurde von jeher dahingehend ausgelegt, dass
dort, wo das Gesetz eine bestimmte Art der Kenntnisgabe verlangt, erst dadurch
die Frist ausgelöst wird, ungeachtet dessen, ob der Betroffene schon früher um
die Verfügung wusste oder nicht (BGE 27 I 265 E. 3 S. 269; 38 I 307 f.; 107 III
7 E. 2 S. 11; Blumenstein, Handbuch des schweizerischen
Schuldbetreibungsrechts, 1911, S. 85 f.; Jaeger, Das Bundesgesetz betreffend
Schuldbetreibung und Konkurs, Band 1, 3. Aufl. 1911, N. 11 zu Art. 17 aSchKG).
Diese Bestimmung hat durch die Revision von 1994 keine Änderung erfahren.
Mit Bezug auf die Arresturkunde schreibt Art. 276 Abs. 2 SchKG ausdrücklich
vor, dass der Betreibungsbeamte dem Schuldner eine Abschrift der Arresturkunde
zuzustellen hat, wobei die Zustellung durch eingeschriebenen Brief oder durch
Übergabe gegen Empfangsbestätigung zu erfolgen hat (Art. 34 SchKG). Die Lehre,
welche bereits die Kenntnisnahme des Arrestes als für die Einsprache
fristauslösend betrachtet, setzt sich insbesondere mit der Rechtsprechung zu
Art. 17 Abs. 2 SchKG nicht auseinander. Im Lichte der aufgezeigten gesetzlichen
Regelung bezüglich der Eröffnung der Arresturkunde (Art. 276 Abs. 2 und Art. 34
SchKG) und der Rechtsprechung zu Art. 17 Abs. 2 SchKG, welche Bestimmung mit
Bezug auf den Begriff der Kenntnisnahme dem Wortlaut von Art. 278 Abs. 1 SchKG
entspricht, lässt es sich trotz der von einem Teil der Lehre vertretenen
Auffassung mit Art. 9 BV nicht vereinbaren, die Einsprachefrist für den
anwesenden Schuldner bereits mit dem Vollzug des Arrestes beginnen zu lassen.
Daran ändert auch nichts, dass dem Schuldner persönlich oder seinem Vertreter
Einsicht in die Arrestakten gewährt worden ist und er bzw. sein Vertreter vom
Arrestbefehl Kenntnis erhalten hat; die Arresturkunde, welche auch den
Arrestbefehl enthält (Art. 276 Abs. 1 SchKG), ist auch damit nicht den
gesetzlichen Erfordernissen entsprechend zugestellt worden. Erst mit der
gesetzlich vorgesehenen Zustellung ist mit Sicherheit erstellt, dass der
Betroffene über den Inhalt des Arrestbefehls, den genauen Umfang des Arrestes
und über das Rechtsmittel gegen dessen Anordnung informiert ist und mit der
nötigen Kenntnis der Sachlage Einsprache erheben kann. Indem das Obergericht
ohne guten Grund von seiner eigenen Praxis und von der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung abgewichen ist, hat es Art. 9 BV verletzt (BGE 112 II 318 E. 2a;
113 III 94 E. 10c S. 101 f.; 115 II 201 E. 4a S. 205 f.).

2.5 Da sich das Obergericht nicht mit der Begründetheit des Arrestes befasst
hat, kann zur Zeit nicht dem materiellen Antrag der Beschwerdeführer
entsprechend über die Rechtmässigkeit des Arrestes entschieden werden. Die
Beschwerde ist somit teilweise gutzuheissen; der angefochtene Entscheid ist
aufzuheben und die Sache zur materiellen Behandlung der Weiterziehung der
Einsprachen an das Obergericht zurückzuweisen.

3.
Da der Ausgang des Verfahrens vor Obergericht noch offen ist, rechtfertigt es
sich, die Gerichtskosten den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen, wobei die
Beschwerdeführer für ihren Anteil solidarisch haften (Art. 66 Abs. 1 und 5
BGG). Des weiteren sind keine Parteientschädigungen zu sprechen (Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts
des Kantons Bern, Appellationshof, 2. Zivilkammer, vom 17. August 2007 wird
aufgehoben. Die Sache wird zur Behandlung der Weiterziehung der Einsprachen an
die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 13'000.-- werden den Parteien je zu Hälfte
auferlegt, wobei die Beschwerdeführer für ihren Anteil solidarisch haften.

3.
Es werden keine Parteientschädigungen gesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Appellationshof, 2. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Januar 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Zbinden