Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.536/2007
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5A_536/2007 / bru

Sitzung vom 24. Januar 2008
II. zivilrechtliche Abteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Zbinden.

Y. _______,
Beschwerdeführerin,

gegen

X._______,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Schroff.

Beistandschaft,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, vom 27. August 2007.

Sachverhalt:

A.
A.a Y._______ (Beschwerdeführerin) und X._______ (Beschwerdegegner) sind die
verheirateten Eltern der beiden Kinder R._______ (geb. 1994) und S._______
(geb. 1998). Die Parteien leben aufgrund der Eheschutzverfügung des
Vizepräsidenten des Bezirksgerichts Kreuzlingen vom 20. Oktober 2005
getrennt. Mit diesem Entscheid wurde die elterliche Obhut über die Kinder der
Beschwerdeführerin zugeteilt und ihr gegenüber die Weisung erlassen, mit den
Kindern nicht ins Ausland, insbesondere nicht nach Brasilien auszuwandern;
ferner wurde eine Beistandschaft im Sinn von Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB
errichtet und der zu bestimmende Beistand damit beauftragt, die Ausübung des
Besuchsrechts des Vaters zu ermöglichen, das an die Beschwerdeführerin
gerichtete Auswanderungsverbot zu überwachen und die Beschwerdeführerin bei
der Versorgung und Betreuung der Kinder zu unterstützen. Mit Beschluss vom
12. Januar 2006 regelte die Vormundschaftsbehörde Wäldi/TG diese
Beistandschaft.

A.b Am 1. Juli 2006 zog die Beschwerdeführerin mit den Kindern von
Hefenhausen/TG nach Wetzikon/ZH, worauf die Vormundschaftsbehörde Wetzikon
mit Beschluss vom 1. März 2007 die Beistandschaft übernahm, die zuständige
Beiständin bestimmte und diese beauftragte, die Mutter in der Erziehung der
Kinder zu begleiten und zu beraten, bei Bedarf im Zusammenhang mit den
Kontakten zwischen Kindern und Vater und zwischen allen Beteiligten zu
vermitteln sowie mit den involvierten Fachpersonen den Kontakt zu pflegen und
wenn nötig eine vermittelnde und koordinierende Rolle zu übernehmen.

B.
B.aGegen diesen Beschluss gelangte die Beschwerdeführerin an den Bezirksrat
Hinwil mit dem Begehren, die Beistandschaft aufzuheben. Mit Entscheid vom 4.
Juni 2007 wies der Bezirksrat die Beschwerde ab und ergänzte den
angefochtenen Beschluss mit dem zusätzlichen Auftrag an die Beiständin, die
Beschwerdeführerin zu überwachen, damit sie mit den Kindern nicht ins
Ausland, insbesondere nicht nach Brasilien, ziehe. Gleichzeitig wies er die
Vormundschaftsbehörde an, die Pässe der Kinder in Verwahrung zu nehmen und
den Kindseltern nur mit schriftlicher Zustimmung des andern Elternteils
herauszugeben. Einem allfälligen Rekurs wurde die aufschiebende Wirkung
entzogen.

B.b Mit Beschluss vom 27. August 2007 wies das Obergericht des Kantons Zürich
den von der Beschwerdeführerin erhobenen Rekurs ab und bestätigte den
Beschluss des Bezirksrats Hinwil vom 4. Juni 2007. Das Obergericht ging davon
aus, die Verhältnisse hätten sich seit der Anordnung der Beistandschaft nicht
verändert, weshalb sich ihre Weiterführung aufdränge. Angesichts der im
Kindesschutz geltenden Offizialmaxime und der Befugnis des Bezirksrats, den
Entscheid auch zum Nachteil der beschwerdeführenden Person abzuändern, sei es
zulässig, den angefochtenen Entscheid der Vormundschaftsbehörde nicht nur zu
bestätigen, sondern von Amtes wegen im erwähnten Sinn (Überwachung des
Auswanderungsverbots) zu ergänzen. Unter diesen Umständen könne auf die
beantragte Befragung des Vaters und der Beschwerdeführerin wie auch der
Kinder verzichtet werden.

C.
Die Beschwerdeführerin richtet sich mit einer als Beschwerde bzw.
Verfassungsbeschwerde bezeichneten Eingabe an das Bundesgericht mit dem
(sinngemässen) Antrag, die Beistandschaft aufzuheben. Der Beschwerdegegner
beantragt, die Beschwerde abzuweisen und ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Das Obergericht hat
auf Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid über die
Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB, womit die Beschwerde in
Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit b Ziff. 7 i.V.m. Art. 75 Abs. 1
BGG). Mit dieser kann eine Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG)
gerügt werden, zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch das
Verfassungsrecht gehört. Gerügt werden kann schliesslich eine Verletzung von
Völkerrecht (Art. 95 lit. b BGG).

2.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Obergericht habe die Kinder im sie
betreffenden Kindesschutzverfahren nicht angehört und damit Bundesrecht
verletzt.

2.1 Artikel 314 Ziff. 1 ZGB schreibt für sämtliche Kindesschutzmassnahmen
vor, dass vor deren Erlass das Kind in geeigneter Weise durch die
vormundschaftliche Behörde oder durch eine beauftragte Drittperson persönlich
anzuhören ist, soweit nicht sein Alter oder andere wichtige Gründe dagegen
sprechen. Diese Bestimmung ist mit der ZGB-Revision von 1998/2000 neu
geschaffen worden, entspricht einer dringenden Empfehlung der Arbeitsgruppe
Kindsmisshandlung und verwirklicht die Vorgaben des Übereinkommens über die
Rechte des Kindes (KRK; SR 0.107). Die gesetzliche Regelung ist flexibel
ausgestaltet und gewährleistet damit, dass die Anhörung stets in
kindgerechter Form erfolgen kann (Botschaft, BBl 1996 I 1, S. 143 ff.
Ziff. 234.101 und S. 165 Ziff. 244.43). Mit der Anhörung darf eine Delegation
des Gerichts oder eine Drittperson betraut werden, soweit es das Kindeswohl
gebietet, und eine - z.B. aus Gründen der Dringlichkeit - vorerst
unterbliebene Anhörung kann in einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden
(zum Ganzen: BGE 131 III 409 E. 4.4.2 S. 413). Sind die Voraussetzungen nach
Art. 314 Ziff. 1 ZGB für die Anhörung des Kindes gegeben, so lässt sie sich
nicht durch antizipierte Beweiswürdigung umgehen. Nichts anderes ergibt sich
aus BGE 133 III 553 E. 4 S. 554, wo sich das Bundesgericht dahingehend
äusserte, dass eine Anhörung um der Anhörung willen zu vermeiden sei; damit
wollte lediglich klargestellt werden, dass von wiederholten Anhörungen
abzusehen ist.

2.2 In der Sache geht es darum, ob die früher angeordnete
Kindesschutzmassnahme, eine Beistandschaft im Sinn von Art. 308 Abs. 1 und 2
ZGB, aufzuheben ist. Dieses Verfahren berührt die Kinder ebenso wie jenes
über den Erlass der Massnahme, geht es doch dabei um die Aufhebung einer
Anordnung, die den persönlichen Verkehr zwischen den Kindern und ihrem Vater
sicherstellen soll. Auch im Verfahren über die Frage der Aufhebung der zu
ihrem Schutz angeordneten Beistandschaft gelten die Kinder somit als
Betroffene im Sinn von Art. 314 Ziff. 1 ZGB, so dass sie gemäss den genannten
Grundsätzen anzuhören sind, sofern nicht ihr Alter oder wichtige Gründe
dagegen sprechen. Die genannte Bestimmung entspricht Art. 144 Abs. 2 ZGB (BGE
127 III 295 E. 2a), welcher die Anhörung des Kindes im Scheidungs- und
Eheschutzverfahren, aber auch im Verfahren der vorsorglichen Massnahmen nach
Art. 137 ZGB regelt (BGE 131 III 553 E. 1.1). In seiner Rechtsprechung zu
Art. 144 Abs. 2 ZGB hat das Bundesgericht erkannt, dass eine Anhörung der
Kinder als Richtlinie ab dem sechsten Altersjahr möglich ist (BGE 131 III 553
E. 1). Damit spricht nichts dagegen, die 1994 bzw. 1998 geborenen Kinder zur
Sache anzuhören, um so weniger, als das Obergericht keine sachlichen Umstände
nennt, die als wichtige Gründe im Sinn von Art. 314 Ziff. 1 ZGB gegen eine
Anhörung sprächen; es hat vielmehr einzig deshalb von einer Anhörung
abgesehen, weil der angefochtene Beschluss seiner Ansicht nach zu bestätigen
war. Überdies ergibt sich aus dem angefochtenen Entscheid nicht, dass die
Kinder in einem früheren Stadium des Verfahrens bereits angehört worden sind.
Sprechen aber weder das Alter der Kinder noch sonstige, als wichtige Gründe
anzuerkennende Umstände gegen eine Anhörung, so kann nicht aufgrund
antizipierter Beweiswürdigung davon abgesehen werden.

3.
Im Sinn dieser Erwägungen ist die Beschwerde dahingehend gutzuheissen, dass
der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur Anhörung der Kinder
und zu neuem Entscheid an das Obergericht zurückzuweisen ist.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

5.
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren ist gutzuheissen. Er gilt als bedürftig; sodann
kann sein Standpunkt im Verfahren nicht als von vornherein aussichtslos
bezeichnet werden. Damit sind die Gerichtskosten einstweilen auf die
Gerichtskasse zu nehmen. Dem Beschwerdegegner ist überdies seinem Antrag
entsprechend ein amtlicher Rechtsbeistand zu bestellen, dem für seine
Bemühungen ein Honorar aus der Bundesgerichtskasse zu entrichten ist (Art. 64
Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird dahingehend gutgeheissen, dass der Beschluss des
Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 27. August 2007
aufgehoben und die Sache im Sinn der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen wird.

2.
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege wird
gutgeheissen. Ihm wird Rechtsanwalt Christian Schroff als Rechtsbeistand
beigegeben.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt,
einstweilen aber auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt Christian Schroff wird mit Fr. 500.-- aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. Januar 2008

Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Raselli Zbinden